Protokolle der 13. bis 18. Tagung aus den Jahren 2009 bis 2011:
13. Treffen an der Freien Universität Berlin am 2. und 3. Mai 2009
Anwesend waren in Berlin: Nils Bader (Berlin), Biru David Binder (Heidelberg), Verena Blechinger-Talcott (Berlin), Juliane Böhm (Berlin), Heinrich Born (Bochum), Alice Buschmeier (Berlin), David Chiavacci (Berlin/Duisburg-Essen), Klaus Dette (Berlin), Anna Ernst (Bochum), Michael Facius (Berlin), Ulrike Flache (Berlin), Judith Fröhlich (Zürich), Barbara Geilhorn (Berlin), Lisa-Elaine Hammeke (Bochum), Daniel Hedinger (Berlin), Nadin Heé (Berlin), Alexander Hoffmann (Berlin), Stefan Hübner (Mainz), Frank Käser (Berlin), Nadine Klimeck (Bochum), Till Knaudt (Bochum), Matthias Koch (Berlin), Hans Martin Krämer (Bochum), Arne Krauß (Bochum), Gerhard Krebs (Berlin), Madeleine Maier (Bochum), Rebecca Mak (Berlin), Diego Matzke (Berlin) Natsuko Nakajima (Bochum), Dolf Neuhaus (Berlin), David Olivier, Lorenz Pagenkopf (Berlin), Julian Plenefisch (Berlin), Heinrich Reinfried (Zürich), Sarah Rossbach (Berlin), Anke Scherer (Köln), Benjamin Schmalofski (Bochum), Jan Schmidt (Bochum), Katja Schmidtpott (Marburg), Tino Schölz (Halle-Wittenberg), Simon Schwenke (Berlin), Sonia Seidel (Berlin), Maik Hendrik Sprotte (Halle-Wittenberg), Patricia Stammsen (Bochum), Reiner Stobbe, Detlev Taranczewski (Bonn), Nadine Vogel (Berlin), Till Weingärtner (Berlin), Robin Weichert (Heidelberg), Matthias Wittig (Berlin), Daniela Wuttke;
Nach der Eröffnung durch Verena Blechinger-Talcott und einer kurzen Vorstellungsrunde der Teilnehmer hielt zuerst Ulrike Flache, die Fachreferentin für Japanologie an der Staatsbibliothek Berlin (StaBi), einen Vortrag zu „Informationen aus der StaBi: Leihverkehr, Kataloge, CrossAsia“. Die Ostasienabteilung der StaBi Berlin betreut das DFG-geförderte Sondersammelgebiet Ost- und Südostasien und hat u.a. Fachreferate für China, Japan, Korea und Zentralasien. In ihrem Vortrag umriss Ulrike Flache zuerst die Problematik der verschiedenen Kataloge, die für die Ostasienbestände der StaBi Berlin existieren. Zwar ist die StaBi seit 2006 Mitglied des japanischen Online-Katalogs NACSIS und arbeitet derzeit an der Zusammenführung des eigenen Online-OPAC mit NACSIS, aber Bestände, die bis zur Mitte der 1990er Jahre angeschafft wurden, sind darin nicht erfasst. Da Benutzer nicht eindeutig feststellen können, ob sich eine gesuchte japanischsprachige Publikation in der StaBi befindet, werden sie gebeten, gesuchte Publikationen einfach im Rahmen des so genannten blauen Leihverkehrs (benannte nach der Farbe der Leihscheine) zu bestellen. Über diesen Leihverkehr, der inzwischen auch online vorgenommen werden kann, können nur Publikationen in ostasiatischen Sprachen bestellt werden, dabei muss vom Besteller keine StaBi-Signatur ermittelt werden. Pro Band sollte ein Leihschein geschickt werden, der — falls die Publikation nicht in der StaBi vorhanden ist — als Anschaffungsvorschlag betrachtet werden kann. Ulrike Flache bat Besteller um Geduld. Solange ein Schein nicht mit negativem Bescheid zurück geschickt wurde, sei die Bestellung in Arbeit.
Weiterhin stellte Ulrike Flache CrossAsia vor. Dieses DFG-geförderte Projekt, das seit April 2005 an der StaBi Berlin in Zusammenarbeit mit acht Kooperationspartners läuft, bietet Mitarbeitern und Studierenden der Institute, die am blauen Leihverkehr teilnehmen, die Möglichkeit auf eine Reihe japanischsprachiger Datenbanken zuzugreifen. Neben einer Metasuche in verschiedenen Datenbanken (CiNII, KAKEN, Webcat Plus, NII-DBR) bietet CrossAsia Recherchemöglichkeiten in diversen Nachschlagewerken und Datenbanken mit Zeitschriften- und Zeitungsartikelarchiven, teilweise mit Volltext-Angeboten und PDF-Download-Funktionen.
In ihrem Vortrag ging Nadin Heé der Frage nach der Rolle von physischer Gewalt im Rahmen der Herrschaftspraxis des von Akteuren wie dem Kolonialverwaltungsbeamten und Wissenschaftler Gotô Shinpei so genannten wissenschaftlichen Kolonialismus nach. Als Quellen nutzt sie dabei zeitgenössische Forschungsberichte und Fotographien, Akten, Dokumente der Kolonialverwaltung (teilweise auf Englisch für das Ausland produziert), Zeitungen und Zeitschriften sowohl der Kolonialverwaltung als auch der taiwanesischen Opposition, Tagebücher sowie Autobiographien japanische Kolonialbeamter, taiwanesischer Beamte und taiwanesischer Oppositioneller.
Als Beispiel für den Umgang mit physischer Gewalt auf Taiwan führte Nadin Heé die Prügelstrafe an, die in den frühen 1880er Jahren in Japan bereits als barbarisch abgeschafft worden war. Bei der Kolonialisierung Taiwans wurde sie dort auch zuerst abgeschafft, dann aber als Mittel zur Reduzierung der Anzahl von Gefangenen in den überfüllten Gefängnissen und zur Überbrückung anderer Engpässe im Strafsystem 1904 wieder eingeführt. Im zeitgenössischen Diskurs über die ‚Zivilisiertheit‘ bzw. ‚Unzivilisiertheit‘ der Peitschenhieb-Verordung in Taiwan vertrat Gotô die Ansicht, dass die Prügelstrafe nur im Rahmen des chinesischen Strafrechts barbarisch sei. Im nicht-barbarischen japanischen Strafrecht diene sie hingegen der Zivilisierung. Die japanische Kolonialverwaltung übernahm dabei die chinesischen Techniken der physischen Bestrafung, ‚modernisierten‘ sie aber und konstruierten so eine ‚wissenschaftliche‘ Peitsche, die dem Zweck der langfristigen Zivilisierung der Bevölkerung Taiwans dienen sollte.
In der an den Vortrag anschließenden Diskussion ging es zuerst um die Verwissenschaftlichung von Kolonialherrschaft. Hierbei werde die Herrschaft durch genaue Dokumentation sowie zur die Hinterlegung kolonialer Praktiken durch wissenschaftliche Theorien legitimiert. An dieser Verwissenschaftlichung haben sich verschiedene Disziplinen beteiligt, in Japan selbst wurden Kolonialwissenschaften etabliert, die sich mit der Erforschung der kolonialen Welt Japans befassten. Obwohl durch diese Verwissenschaftlichung die Anwendung physischer Gewalt geregelt werden sollte, gab es jedoch in der Praxis Willkür und Regelverstöße. Eine Bewegung taiwanesischer Oppositioneller, die durch lokale Einflussnahme versuchte eine Gesetzesänderung in Sachen Prügelstrafe zu erwirken, hatte letztendlich keine Erfolg. In der Praxis blieben die Körperstrafen ein Teil symbolischer Politik, mit der Bestrafte erniedrigt und die japanische Macht in Taiwan demonstriert werden sollten.
Alice Buschmeiers Vortrag zum Thema „Kunst und Krieg. Der Maler Fujita Tsuguji, 1937–45“ hatte den als propagandistisch bis regimekritisch kontrovers diskutierten Maler Fujita Tsuguji (1886–1968) zum Gegenstand und befasste sich mit dem Verhältnis von dokumentarischer und propagandistischer Ebene in seinen Bildern. Fujita wurde nach einem Aufenthalt in Paris in den 1920er Jahren und einer Weltreise, die ihn auch nach Südamerika führte, ‚der‘ Kriegsmaler im Zweiten Weltkrieg in Japan. Nach dem Krieg reiste er wieder nach Paris, konvertierte zum Katholizismus und kehrte nie wieder nach Japan zurück.
Während des Zweiten Weltkriegs diente Fujita dem japanischen Militär als Kriegsmaler und visualisierte zwischen 1937 und 1945 alle wichtigen Schlachten. Alice Buschmeier demonstrierte am Beispiel eines seiner bekanntesten Kriegsbilder — dem Bild „Ehrentod auf Attu“ von 1943 — die Ikonographie des Malers. Als Appell an das Durchhaltevermögen der japanischen Bevölkerung stellt das Bild die verzweifelte Offensive der japanischen Armee angesichts einer erdrückenden zahlenmäßigen Überlegenheit des US-Militärs dar. Es enthält dabei allerlei Anleihen aus der europäischen Kunst sowie auch christliche Motive. Krieg wird als heiliger Krieg charakterisiert, die Kriegsrealität wird verklärt, Soldaten sind Märtyer, die sich für das Vaterland aufopfern. Fujita war begeistert von seinem Bild und inszenierte in Interviews dessen religiösen Aspekte, dem Militär hingegen erschien es als zu brutal und deshalb nicht für die Propaganda geeignet. Trotzdem wurde das Bild auf einer großen Kriegsausstellung gezeigt.
Mit der Frage nach der Wirkung der verwendeten Motive Fujitas begann nach dem Vortrag die Diskussion darüber, wieso Besucher begeistert auf seine Bilder reagierten, obwohl sie gerade die Anleihen aus der christlichen Ikonographie vermutlich nicht ganz verstanden. Alice Buschmeier wies hierzu auf die allgemeine Auffassung hin, dass sich westliche Malerei besser als Malstil für Kriegsmalerei eigne als japanische Malerei. Die von Fujita verwendete Ikonographie sei auch allgemein religiös und wirke durch die Darstellung von individuellem Leid.
Der letzte Vortrag des Tages von Till Knaudt (Bochum) hatte den Titel: „Die Neue Linke, der Antiimperialismus und der bewaffnete Kampf in Japan und der Bundesrepublik Deutschland.“ Darin ging er kurz auf die Entstehung der so genannten japanischen Rote Armee Fraktion — der sekigunha — ein. Deren Entführung eines Passagierflugzeuges im Jahre 1970 war ein Wendepunkt in den seit einiger Zeit schwelenden Studentenprotesten in Japan. Es begann die Entwicklung eines internationalen linken Terrorismus, besonders in Deutschland, Japan und Italien, der oft auch im Zusammenhang mit der Ablehnung des Faschismus der jeweiligen Elterngenerationen gesehen wird. Tenor dieser neu entstanden Gruppen des linken Terrorismus war der Anti-Imperialismus sowie die Unterstützung palästinensischer Guerilla.
In der Erforschung dieses Phänomens in Deutschland haben sich zwei Hauptströmungen herausgebildet: Zum einen werden die Wurzeln des linken Terrorismus in den Gewaltexzessen der Studentenbewegung besucht, zum anderen wird der positive Bezug der Gruppen auf die postkolonialen nationalen und sozialrevolutionären Bewegungen betont, bei dem in Abgrenzung von der Zwei-Lager-Theorie angenommen wird, dass nationale Befreiungsbewegungen zur Entwicklung sozialer Widersprüche führen, die dann weltrevolutionäres Potential erzeugen. Die Stadtguerilla in den Metropolen der ersten Welt unterstütze dann diese Bewegungen der Peripherie.
In seiner Dissertation plant Till Knaudt nun einen historischen Vergleich der deutschen RAF und der japanischen sekigunha um festzustellen, wie global das den Gruppen zugrunde liegende Phänomen war. Hintergrund des Dissertationsprojektes ist, dass sich zwar die Untersuchung der deutschen Geschichte auf hohem Forschungsniveau befinde, im Gegensatz dazu aber die japanische sekigunha als Forschungsgegenstand auf großes Unverständnis stoße. Japanische Gewalt wird in diesem Zusammenhang als Sonderweg gesehen. Um aber dem Untersuchungsgegenstand sekigunha gerecht zu werden, kann man die von ihr ausgeübte Gewalt nicht einfach als Entartung abtun, sondern muss sie in ihrem historischen Kontext untersuchen. Dabei sollte nicht von der moralisch-normativen Deutung ausgegangen werden, es geht nicht um Ablehnung oder Befürwortung von Gewalt, sondern um die personelle und ideengeschichtliche Entwicklung des so genannten antiimperialistischen Terrorismus in Japan.
Die an den Vortrag anschließende Diskussion thematisierte die internationale Vernetzung der sekigunha sowie den Stellenwert des Anti-Imperialismus. Hitzig wurde auch die Frage nach der Legitimation der eigenen Aktionen auf Seiten der RAF und der sekigunha sowie die normative und moralische Bewertung von Gewalt in diesem Kontext diskutiert. Die Dissertation wird versuchen die Frage zu klären, welche Faktoren dazu beitrugen, dass aus einer national angelegten Studentenbewegung eine internationale und dann auch gewalttätige Bewegung wurden.
Der Sonntag wurde mit einer Runde eröffnet, die Gelegenheit gab laufende Projekte und Abschlussarbeiten vorzustellen sowie auf anstehende Termine hinzuweisen. Unter anderem sprach Biru David Binder (Heidelberg) kurz über sein Dissertationsprojekt zu den Vorstellungen der Amur-Gesellschaft (kokuryûkai) zu Gender. Stefan Hübner (Mainz), der seine Abschlussarbeit über die Untersuchung des Japan-Bildes der NSdAP geschrieben hatte, stellte kurz sein Dissertationsprojekt zur japanischen Erinnerung an den Kolonialismus in Korea vor.
Wie immer wurde auf die Bibliographie zur historischen Japanforschung hingewiesen , für die jeder seine deutschsprachigen Publikationen zur japanischen Geschichte melden sollte, sowie auf die Datenbank von Übersetzungen japanischer Quellen in europäische Sprachen, zu der ebenfalls jeder Hinweise auf entsprechende Übersetzungen beitragen kann.
Für den 14. Deutschsprachigen Japanologentag, der vom 29.09. bis 02.10.2009 an der Universität Halle-Wittenberg stattfindet, wurde einerseits auf die Sektion Geschichte hingewiesen, die diesmal Vorträge zum Oberthema Körper anbietet. Weiterhin findet ein Panel zum Thema „Der mobilisierte Bürger? Aspekte einer zivilgesellschaftliche Partizipation im Japan der Kriegszeit (1931–1945)“ statt.
Vor dem übernächsten Treffen der Initiative zur historischen Sozialforschung am ersten Maiwochenende 2010, für das sich Bochum bereits als Gastgeber zur Verfügung gestellt hat, wird eine Tagung zum Thema „Langes 19. Jahrhundert“ stattfinden, die von einer studentischen Arbeitsgruppe veranstaltet wird, die sich derzeit mit einem Vergleich zwischen Kyûshû und dem Ruhrgebiet beschäftigt.
Der letzte Vortrag des Treffens wurde von Heinrich Reinfried (Zürich) gehalten zum Thema „Wie lässt sich die Effizienz des Japanischunterrichts auf der Tertiärstufe steigern? Zur Relevanz des pädagogischen Konstruktivismus in der sprachlichen Grundausbildung von Japan-Historikern“. Er berichtete darin über ein von ihm entwickeltes Konzept zur Neugestaltung des Japanischunterrichts. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist, dass Sprachkenntnisse für Japanhistoriker unabdingbar sind, allerdings die meisten Studienanfänger über keinerlei Vorkenntnisse verfügen. Bei zunehmend heterogenen Studentengruppen, diversen Lehrzielen und den Vorgaben der Universitäten, Lernziele in immer kürzerer Zeit zu erreichen, sollte deshalb der Japanischunterricht so neu konzipiert werden, dass Studierende anfangs schnell Erfolge erzielen und schnell auf einer „Reiseflughöhe“ im Japanischen sind. Um dies zu erreichen, sollten Sprachlehrer nicht länger auf die durch japanische Vorgaben gesteuerten Curricula zurückgreifen, sondern sich auf die Bedürfnisse der Lerner konzentrieren. Dies bräuchten im Zeitalter elektronischer Medien immer weniger Handschriftkenntnisse, Computerschrift reiche anfänglich völlig aus. Eine an den Konstruktivismus angelehnte Methode, bei der Lerner durch ständige gelenkte Konstruktionsprozesse eigenständig Texte produzieren führt schon früh zu einer Autonomie der Studenten beim Spracherwerb. Die Rolle des Lehrenden verändert sich dabei hin zu einer Instanz, die die Produkte des eigenständigen Lernprozesses korrigiert und begleitet. Das Skript zum Vortrag von Heinrich Reinfried kann unter http://asiaintensiv.pbworks.com/methodik eingesehen werden.
In der Diskussion des Vortrages gab es Nachfragen zu den Erfolgsquoten des Konzepts, das beim Vortragenden zu sehr geringen Abbrecherquoten im Japanischunterricht führt. Thematisiert wurden auch die unterschiedlichen Zielvorstellungen verschiedener Lerner. Hier bringt der Kurs zuerst alle auf ein bestimmtes Niveau, von dem aus sich dann die einzelnen Lerner in individuelle Richtungen entwickeln können. Auf Seiten der japanischen Japanischlehrer sind die Reaktionen auf das neue Konzept gemischt, da bei einigen Angst davor besteht, die Kontrolle über den Unterricht zu verlieren.
(Protokoll: Anke Scherer)
14. Treffen am Ostasiatischen Seminar der Universität Zürich am 7. und 8. November 2009
Anwesend waren in Zürich: Anja Batram (Bochum), Biru David Binder (Heidelberg), Christof Dejung (Konstanz), Dietmar Ebert (Bochum), Jörg Fisch (Zürich), Judith Fröhlich (Zürich), Aileen Gerloff, Benjamin Grossman-Hensel, Lisa Hammeke (Bochum), David Johst (Halle), Frank Käser (Berlin), Hans Martin Krämer (Bochum), Misa Lamdark (Zürich), Morikawa Takemitsu (Luzern), Simone Müller (Zürich), Nishino Kenji (Bonn), Ôishi Shûhei (Zürich), Heinrich Reinfried (Zürich), Jonas Rüegg (Zürich), Anke Scherer (Köln), Benjamin Schmalofski (Bochum), Katja Schmidtpott (Marburg), Bernhard Stech, Detlev Taranczewski (Bonn), Sven Trakulhun (Zürich), Raissa Trettwer (Bochum), Paola von Wyss-Giacosa (Zürich), Martin Weiser; Verena Werner (Zürich).
Der erste Vortrag von Jörg Fisch (Universität Zürich) hatte den Titel „François Valentyn (1666–1727) und Japan. Wie ein asienkundiger europäischer Beobachter das Land aus der Ferne sieht.“ Ausgangspunkt war die Fragestellung danach, was man zur damaligen Zeit in Europa über Japan wusste. So enthält das Werk des Niederländers François Valentyn längere Ausführungen zu Japan, obwohl der Autor selbst nur sekundäre Kenntnisse über das Land hatte. Valentyn war nach einem Theologiestudium in die Dienste der Niederländischen Ostindien-Kompanie getreten und hatte sich längere Zeit in Südostasien aufgehalten. Nach Streitigkeiten mit seinem Arbeitgeber war er in die Niederlande zurückgekehrt. Sein 1726 veröffentlichtes umfangreiches Werk über Ost-Indien ist gedacht als Zusammenstellung allen Wissens, das ein Europäer zur damaligen Zeit über Asien haben konnte und enthält deshalb auch ein Kapitel über Japan, das sich auf zeitgenössische Quellen und Berichte stützt. Das Material spiegelt vor allem die Interessen der in Japan aktiven Niederländer wider und enthält die hierfür als diskussionswürdig erachteten Themen. Neben allgemeinen Informationen zu Geographie, Geschichte, Kultur und Religion in Japan taucht deshalb die Problematik der Darstellung von Tennô und Shôgun auf. Durch das im Umgang mit den politischen Gegebenheiten der Tokugawa-Zeit geprägte Verständnis der Niederländer von Herrschaft in Japan beeinflusst, werden der Shôgun als Kaiser und die Daimyô als Könige bezeichnet. Der Tennô taucht in der Beschreibung Valentyns als ein religiöses Oberhaupt auf und wird mit dem Papst verglichen. Als Fazit der Untersuchung des Werkes von François Valentyns zog Fisch den Schluss, dass es sich trotz des von Valentyn erhobenen Anspruchs auf Vollständigkeit nicht um einen systematischen überblick allen Wissens über Asien handelt, sondern die oft anekdotische Zusammenstellung von Informationen zeigt, dass man vor allem das wahrnimmt, was man wissen will und dies im Lichte des eigenen Vorwissens interpretiert.
Der anschließende Vortrag von Sven Trakulhun (Universität Zürich) zu „Asien und Europa in der Neuzeit. Ansätze zu einer Geschichte Eurasiens“ wandte sich der Frage des Kulturtransfers zu. Dieser Ansatz verführt oft dazu, die Bedeutung von Grenzen zu unterschätzen oder in einem kolonialen Kontext den Mangel an Reziprozität zu übersehen. Trakulhun führte dies aus, indem er die Schriften von Engelbert Kaempfer zu Japan und zu Siam analysierte. Kaempfer war als Grenzgänger in drei Systemen tätig (Diplomatie, Handel und Wissenschaft), die zum Kulturtransfer beitragen. Sowohl in Japan als auch in Siam waren die Kontakte zu Europa zweckorientiert, beide Länder schotteten sich ansonsten von europäischen Einflüssen nach Möglichkeit ab und entgingen in den folgenden Jahrhunderten der Kolonialisierung. Der Grenzgänger Engelbert Kaempfer, der eigentlich Träger eines Kulturtransfers sein konnte, befürwortete diese Abschließung; denn er sah in der Offenheit für Transfer auch die Gefahr der kulturellen Konversion. Voltaire und Justi übernahmen im Verlauf des 18. Jahrhunderts die Ansichten Kaempfers. In der anschließenden Diskussion wurde hierzu die Frage aufgeworfen, in wie weit Kaempfer repräsentativ für die Ansichten seiner Zeit war. Es sollte nämlich nicht außer Acht gelassen werden, dass die genannten Ansichten von Kaempfer, Voltaire und Justi sich von späteren Generationen deshalb als Klassiker lesen lassen, weil sie für eine Kolonialismuskritik genutzt werden können, die erst in einer viel späteren Zeit ausformuliert wurde.
Vortrag drei des ersten Tages wurde von Hans Martin Krämer (Universität Bochum) gehalten zum Thema „Von devianten Dharmas und sektenhaften Lehren: Die Konstruktion der Kategorie Religion in Japan zwischen 1550 und 1900“. Darin stellte er erste Ergebnisse einer begriffsgeschichtlichen Studie zum Verhältnis von Religion und Politik in Japan in der frühen Neuzeit vor. Im Mittelpunkt stand dabei einerseits die Frage, wie die „Religionspolitik“ des Shogunats in der frühen Neuzeit ihr Objekt fasste, und andererseits der Prozess der Formulierung eines neuen Objektbegriffs „Religion“ zu Beginn der Meiji-Zeit. Neuere Studien zur modernen japanischen Religionsgeschichte betonen, dass ein moderner Religionsbegriff in Japan erst seit den 1870er Jahren existiere und dass dieser eine spezifisch westliche Prägung habe. Um die Konsequenz dieser Erklärung für die Vormoderne zu untersuchen widmete Krämer sich der Frage, wie in der Tokugawa-Zeit über „Religion“ gesprochen wurde. So ging auch schon das Tokugawa-Shogunat von einer dichotomischen Trennung zwischen öffentlichem Kult und privater Religion aus, wie sie in der Meiji-Verfassung von 1889 kodifiziert wurde. Die Diskussion dreht sich dann in weitesten Sinn um die Möglichkeit der Definition von Religion bzw. darum wie Sprache Realitäten schaffen kann. Es wurde darauf hingewiesen, dass Religion in Europa auch erst durch die Problematisierung des Phänomens in der Aufklärung zum Begriff gemacht wurde.
Als letzten Vortrag des Samstags stellte Simone Müller (Universität Zürich) ihr Habilitationsprojekt vor: „Schriftsteller als Intellektuelle in der japanischen Nachkriegszeit (1945–1972) und ihre Bezüge zu Jean-Paul Sartres Konzept des Engagements“. Es geht dabei darum anhand der Literatendiskurse der japanischen Nachkriegszeit das Intellektuellenprofil der japanischen Schriftsteller im Lichte ihrer Bezüge zum existentialistischen Engagementkonzept, das auf Jean-Paul Sartre zurück geht, neu zu definieren. Nach 1945 nahmen in Japan Schriftsteller und Literaturkritiker die Frage nach der individuellen Verantwortung in der Gesellschaft neu auf und entdeckten im Konzept Sartres ein intellektuelles Ideal und Vorbild für die eigene Literatur. Durch die übernahme des Modells und seine Transformation für japanische Verhältnisse entstand ein politisch engagierter und sozialkritischer Typus des intellektuellen Schriftstellers, der dem Konzept des französischen Intellektuellen in vieler Hinsicht ähnelt. Erst in den 1970er Jahren verlor dieser Intellektuellentypus in Japan an Wirkkraft.
Den Sonntagmorgen eröffnete eine Runde, in der laufende Projekte vorgestellt werden konnten. Danach stellte David Johst (Universität Halle) das Graduiertenkolleg „Formenwandel der Bürgergesellschaft: Japan und Deutschland im Vergleich“ vor. Den letzten Vortrag des Treffens hielt Katja Schmidtpott (Universität Marburg) zum Thema „150 Jahre C. Illises & Co.: Ein deutsches Handelshaus in Japan“. Darin gab sie einen überblick über das erste Drittel der Geschichte des Unternehmens C. Illies & Co. von der Gründung der Firma in Nagasaki im Jahre 1859 über die nahezu ungebremste Aufwärtsentwicklung des Unternehmens bis zur vorübergehenden Einstellung der Geschäftstätigkeit zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Zuerst behandelte sie die Schwierigkeiten des Markteintritts und die Anpassung an die wechselhafte Marktentwicklung im Laufe des 19. Jahrhunderts, um Strategien aufzuzeigen, die dazu beitrugen, dass das Handelshaus in Japan nicht nur Fuß fassen, sondern auch wachsen und dauerhaft bestehen konnte. Dabei argumentierte sie, dass insbesondere die Auswertung von Informationen über die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Japan sowie der Aufbau von guten Verbindungen zu japanischen Regierungskreisen und Behörden wesentlich zum Unternehmenserfolg in der frühen Phase beigetragen haben.
(Protokoll: Anke Scherer)
15. Treffen an der Ruhr-Universität Bochum am 1. und 2. Mai 2010
Anwesend waren in Bochum: Anja Batram (Bochum), Markus Berner (Bochum), Alexander Brinkmann (Bochum), Thomas Büttner (Heidelberg), David Chwila (Bochum), Nele Friederike Dibbert (Bochum), Anna Ernst (Bochum), Lisa Elaine Hammeke (Bochum), Ayako Hara (Wuppertal), Nina Holzschneider (Bochum), Stefan Hübner (Bremen), Frank Käser (Berlin), Thorsten Kerp (Bonn), Hans Martin Krämer (Bochum), Arne Krauß (Bochum), Daria Kupis (Bochum), Madeleine Maier (Bochum), Regine Mathias (Bochum), Michael Mattner (Bochum), Kenji Nishino (Bonn), Kazuki Okauchi (Bochum), Erich Pauer (Marburg), Julian Plenefisch (Berlin), Anke Scherer (Köln), Jan Schmidt (Bochum), Merlin Schmidt (Bochum), Katja Schmidtpott (Marburg), Tino Schölz (Halle), Wolfgang Seifert (Heidelberg), Nora Stifter (Bochum), Norman Sudrow (Bochum), Detlev Taranczewski (Bonn), Friederike Turowski (Bochum), Nora Zesling (Bochum) sowie als Gäste von der Universität Kyûshû Akashi Tomonori, Nojima Yoshitaka und Yamaguchi Teruomi.
Thomas Büttner: Auflösung der Parteien? Kontinuitäten von Seiyûkai und Minseitô über 1940 hinaus:
Den ersten Vortrag des Treffens begann Thomas Büttner mit der Erklärung der Hintergründe seiner Forschungsfrage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Bereich parteipolitischer Akteure. So ging zwar im Verlauf der 1930er Jahre der Einfluss von Parteien stark zurück, bis die Parteien 1940 im Vorfeld der Einführung des „Neuen Politischen Systems“ aufgelöst wurden, aber auch ohne die Parteien als Organisationen behielten Politiker ihre Rolle als Parlamentarier. Thomas Büttner stellte sich hier die Frage, in welchem Maße es Parteipolitikern gelang, sich trotz des Niedergangs ihrer Organisationen einflussreiche Plätze in der Politik zu sichern. Hier ergaben sich Unterschiede zwischen der Seiyûkai und der Minseitô sowie zwischen den verschiedenen Faktionen, die sich innerhalb der Seiyûkai herausgebildet hatten. Bei der Wahl 1942 wurden die meisten Mitglieder der Nakajima-Faktion der Seiyûkai in ihre Mandate zurück gewählt, während Mitglieder der Kuhara-Fraktion und Abgeordnete der Minseitô häufig ihr Mandat verloren, da diese Gruppen nicht offiziell durch die Taisei yokusankai empfohlen worden waren, wie dies bei den Mitgliedern der Nakajima-Faktion der Fall war. Als Fazit formulierte Thomas Büttner, dass zwar die Parteien aufgelöst wurden, die Politiker aber ohnehin im Rahmen ihrer persönlichen Netzwerke und Seilschaften funktionierten und sich diejenigen Politiker durchsetzen konnten, die sich am Besten mit den politischen Gegebenheiten arrangierten.
Diskutiert wurde dann, ob das Konstrukt des „1940er Systems“ heuristisch sinnvoll ist, da im Vergleich zu 1945 der Bruch 1940 nicht so groß war und 1940 nichts wirklich Neues eingeführt wurde. Entscheidend waren laut Büttner nicht die institutionellen Strukturen sondern die persönlichen Netzwerke. Weiterhin wurde diskutiert, welche Rolle das Vorbild Deutschland spielte und ob es im Prozess der „Gleichschaltung“ anderer Einheiten ähnliche Dynamiken gab wie im Bereich der Parteienlandschaft. In Bezug auf das Vorbild Deutschland argumentierte Thomas Büttner, dass hier vor allem zu Beginn des Prozesses die Idee vom deutschen Beispiel stammt, sich der Prozess dann aber schnell vom Vorbild entfernte. Die „Gleichschaltung“ verlief in den meisten Bereich relativ ähnlich. Diejenigen, die sich in ihrem Bereich engagierten und weiterarbeiten wollten, traten in der Regel der politischen Großwetterlage folgend der Taisei yokusankai bei und gaben nach Kriegsende an, Mitläufer gewesen zu sein, so dass sie nach kurzer Unterbrechung meistens im alten Job weiterarbeiten konnten.
David Mervart: Government, Commerce, Manners. The Discourse of Commercial Society in 18th-century Japan and Europe:
Der Vortrag von David Mervart nahm die Diskussion über Moral zum Ausgangspunkt, die mit der Ausbreitung von Handel und seiner Auswirkung auf die Gesellschaft begann. Sein Beispiel ist der Handel mit Reis- und Getreide-Futures auf dem Markt in Ôsaka, bei dem kein Reis gehandelt wurde, sondern Profit mit virtuellen Waren, die auf Papier notiert waren, gemacht wurde. Nakai Chikuzan kritisierte 1790 diesen Handel, da er die Moral korrumpiere, in einem Memorandum an Matsudaira Sadanobu. Diese Kritik ist exemplarisch für die damalige Tendenz, die Kommerzialisierung als schädlich für die gesellschaftliche Entwicklung anzusehen. Danach zeigte David Mervart die Parallelen zu diesen Ansichten in der europäischen Geistesgeschichte auf, wo ebenfalls am Ende des 18. Jahrhunderts der Warenhandel als subversive soziale Interaktion kritisiert wurde. Diese Degeneration im menschlichen Umgang wurde im Europa der damaligen Zeit mit dem Niedergang Roms in Verbindung gebracht. Aus dieser Kritik leitet sich die Frage ab, wie die Herrschenden auf die zunehmende Korruption durch Handel reagieren sollten, schließlich führte die Korruption erfahrungsgemäß zum Niedergang, z.B. von Dynastien im kaiserlichen China. Eine mögliche Reaktion ist die verstärkte Betonung der alten Vorbilder und der Erziehung zum moralischen Handeln. Da aber diejenigen, die an der Kommerzialisierung teilnehmen, nicht merken, dass sie sich moralisch korrupt verhalten, ist dieser Ansatz zum Scheitern verurteilt. Strikte Verbote führen nur dazu, dass die Methoden, sie zu umgehen, kreativer werden und die Herrschenden an Autorität einbüßen. Die andere Möglichkeit der Reaktion ist es, den Entwicklungen freien Lauf zu lassen, da sie sich ohnehin nicht aufhalten lassen.
Die Diskussion begann mit der Frage danach, in wie weit die Reaktion auf die Kommerzialisierung der Welt im 18. Jahrhundert generell darauf zurückzuführen war, dass die Entwicklung neu war und von den Herrschenden nicht verstanden wurde. Weiterhin wurde der Unterschied zwischen dem gesellschaftlichen Umfeld thematisiert, in dem einerseits die schottischen Kritiker der Kommerzialisierung in einer bürgerlichen Gesellschaft (David Hume, Adam Smith) lebten und andererseits die japanischen Kritiker einer den Sorgen des gemeinen Volkes nicht ausgesetzten Eliten angehörten. Angemerkt wurde, dass die von den Herrschenden in Japan geforderte Frugalität für diejenigen, die sie forderten, ein leicht zu leistender Luxus war und nicht eine Überlebensnotwendigkeit wie für den Großteil der Bevölkerung. Problematisiert wurden weiterhin die Verwendung des Begriffs „Gesellschaft“, ein Begriff, der erst Ende des 19. Jahrhunderts im modernen Japanisch auftaucht, und die Übersetzung von fûzoku als „manners“. Wenigstens heute seien „manners“ eher etwas, das Individuen zugeschrieben werde, während fûzoku auch heute noch für ganze Gesellschaften oder Regionen Anwendung finde — sollten beide Begriffe im 18. Jahrhundert ähnlich konnotiert gewesen sein, so müsse es irgendwann einen Bruch gegeben haben. Die Urheberschaft für diesen Bruch in Westeuropa schrieb Mervart der im 19. Jahrhundert aufkommenden Soziologie zu. Nachfragen gab es auch zu der Frage, ob die Diskussion im 18. Jahrhundert wirklich neu war, oder ob es in Europa und Japan nicht schon früher Perioden der Kommerzialisierung gab, die unter ähnlichen Gesichtspunkten kritisiert wurden. Mervart argumentierte, dass es natürlich im Laufe der Geistesgeschichte oft Tendenzen gab, menschliches Profitstreben als unmoralisch zu charakterisieren, dass aber die Diskussion im 18. Jahrhundert aufgrund der neuen ökonomischen Entwicklung auch eine neue Dimension der moralischen Empörung gab.
Frank Käser: Vorstellung des Dissertationsvorhabens „Das japanische Rote Kreuz im Russisch-Japanischen Krieg“:
Frank Käser erläuterte zunächst die historischen Hintergründe, die zur Gründung des Japanischen Roten Kreuzes führten. Entscheidend war die Begegnung Sano Tsunetamis (eines Schülers des rangakusha Ogata Kôan, der nach den ethischen Ideen des Berliner Arztes Hufeland arbeitete) mit den Ideen der Genfer Konvention (1864) auf der Pariser Weltausstellung 1867, wo das Rote Kreuz einen Pavillon hatte. 1877 ergriff Sano in Japan die Initiative zur Gründung der Hakuaisha, deren Statuten sich aus Bestimmungen der Genfer Konvention speisten. 1887 kam es dann zur Gründung des Japanischen Roten Kreuzes durch Umfunktionieren der Hakuaisha. Der vorangegangene Beitritt Japans zur Genfer Konvention bedeutete die Unterzeichnung des ersten internationalen Vertrages, bei dem Japan Partner auf Augenhöhe war. Als Motive, warum Japan überhaupt der Konvention beitrat, verwies Käser auf die in Zeiten der Wehrpflichtarmee (1872 eingeführt) neue Art der Verpflichtung des Staates der Armee gegenüber (die ja nun aus der ganzen Bevölkerung rekrutiert wurde). Das Rote Kreuz ermöglicht somit also den modernen Krieg im Zeitalter der Wehrpflicht. Wichtig sei auch gewesen, dass ein neues Rettungswesen nach einer langen Zeit des Friedens in Europa wie in Japan nötig geworden sei.
Käser schilderte dann die Rolle des Japanischen Roten Kreuzes und des Sanitätswesens des Heeres im Russisch-Japanischen Krieg. Dieser sei in vielerlei Hinsicht ein moderner Krieg gewesen mit gravierenden Folgen für das Sanitätswesen, d.h. er war ein Bewegungskrieg mit schnellem Vormarsch, dem der Sanitätsdienst folgen musste; zugleich gab es längere Transportwege; es sei ein Winterkrieg und Stellungskrieg gewesen; erstmals seien in größerem Stil Maschinengewehre und Artillerie mit Hochgeschwindigkeitsgeschossen mit Stahlummantelung eingesetzt worden. Das japanische Sanitätswesen, das auch Objekt europäischer Beobachter vor Ort gewesen sei, habe sich unter diesen Bedingungen im Vergleich mit anderen Kriegen desselben Zeitraums erfolgreich behaupten können: So habe das Verhältnis von Toten durch Krankheit zu Gefallenen etwa 1 zu 4 betragen, während es im Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 noch bei 14 zu 1 gelegen habe. Überdies hätten 45 % der Verletzten auf japanischer Seite einsatzfähig gemacht werden können, was wiederum auf die militärstrategische Bedeutung des Sanitätsdienstes, der für die Fortführung und Verlängerung des Krieges gesorgt habe, hindeute. Zum Erfolg des Sanitätsdienstes hätten nicht zuletzt zahlreiche medizinische Vorsorgeaktivitäten und Hygienemaßnahmen beigetragen. Zur Organisation des Japanischen Roten Kreuzes selbst führte Käser aus, dieses habe 1904 1,25 Mio. Mitglieder gehabt, womit es der weltgrößte Landesverband des Roten Kreuzes gewesen sei. Es sei streng zentralistisch und hierarchisch organisiert gewesen, mit der staatlichen Verwaltung und dem Militär eng vernetzt, so dass man auch von einem semi-offiziellen Charakter des Japanischen Roten Kreuzes sprechen könne. Im Russisch-Japanischen Krieg sei das Rote Kreuz mit ca. 4.000 HelferInnen im Einsatz gewesen (in Versorgung und Etappe, nicht an Front). Es sei insbesondere für den Rücktransport zuständig gewesen, wozu ihm nicht nur zwei eigene Lazarettschiffe zur Verfügung gestanden hätten, sondern auch 20 vom japanischen Militär gestellte Lazarettschiffe, auf denen Rotkreuz-HelferInnen eingesetzt gewesen seien.
Abschließend wies Käser noch einmal auf zwei Punkte hin. Zum einen betonte er die Gefahr, einseitig und unkritisch auf den humanitären Aspekt des Roten Kreuzes einzugehen und die militärstrategische Dimension zu vernachlässigen. Zum anderen wies er kritisch auf die Tendenz hin, die Vorgeschichte des Roten Kreuzes allein im Krimkrieg (Stichwort: Florence Nightingale) und der Schlacht von Solferino 1859 zu sehen. Damit werde insbesondere der Einfluss des preußisch-deutschen Modells auf das Japanische Rote Kreuz heruntergespielt. So seien etwa die Statuten des Japanischen Roten Kreuzes von 1887 unter Beteiligung und Beratung von Alexander von Siebold (damals Diplomat in japanischen Diensten) verfasst worden; auch Militärmedizin und Heeressanitätswesen in Japan seien nach preußisch-deutschem Muster aufgebaut worden (Mori Ogai z.B. war in 1880er Jahren in Deutschland). Japan habe also Militärwesen, Medizinwesen und Militärmedizin an Deutschland ausgerichtet, weshalb es unverständlich sei, warum dies in der Literatur nicht betont werde.
Ein Schwerpunkt der Diskussion war die Frage der propagandistischen Nutzung des Roten Kreuzes sowohl nach Innen als auch nach Außen. So konnte sich Japan im Krieg der Weltöffentlichkeit als zivilisierte Nation zeigen; zugleich wurde die Genfer Konvention auch nach Innen benutzt, um den Krieg zu rechtfertigen. In Frage gestellt wurde der behauptete Zusammenhang zwischen Entstehung von Wehrpflicht und Entstehung eines Sanitätswesens, da zumindest in Großbritannien und den USA auch ohne Wehrpflicht Sanitätsdienste entstanden seien (in den USA allerdings zur Zeit des Bürgerkrieges, als Wehrpflicht herrschte). Ebenfalls wurde der Wunsch geäußert, mehr zur Binnenorganisation des Japanischen Roten Kreuzes zu erfahren, um die Frage nach dem Grad der staatlichen Lenkung besser beurteilen zu können. Hierzu führte Käser aus, dass der Zentralismus zwar dadurch abgemildert war, dass es pro Präfektur eigene Organisationen gab, diese aber jeweils den Gouverneuren unterstanden, hier die Verflechtung mit dem Staat also besonders augenfällig gewesen sei.
Rundlauf:
Nishino Kenji (Bonn) arbeitet an einer Diss. zu Buddhismus und Unterhalterinnen im Mittelalter. Thorsten Kerp (Bonn): arbeitet auf eine B.A.-Arbeit zu Stellschirm von Tawaraya Sotatsu hin. David Mervart (Heidelberg): überarbeitet zur Zeit seine an der Todai erstellte Dissertation für ein englischsprachiges Buch; nächstes Projekt: Möglichkeit alternativer Sprachen politischer Legitimation ohne (europäische) Teleologie liberaler Moderne. Nina Holzschneider (Bochum) arbeitet an B.A.-Arbeit zu Schiffbruch eines deutschen Schiffes vor Miyakojima 1873 bzw. zur Erinnerung daran um 1900 (Errichtung eines Gedenksteins). Detlev Taranczewski (Bonn) berichtet von einem geplanten Projekt zur Rolle von Wasser (inkl. SO-Asien). Yamaguchi Teruomi (Univ. Kyûshû) schreibt das Kapitel zur Neuzeit in einem Buch Tennô to shûkyô, gibt eine Serie von 5 Bänden mit 50 Tagebüchern zur modernen Geschichte heraus und möchte gern in Zukunft Anregungen aus dem Workshop zu Nord-Kyûshû und Ruhrgebiet im langen 19. Jahrhundert weiterentwickeln. Tino Schölz (Halle) erzählt, die Beiträge zum Panel des Japanologentags zur Mobilisierung der Bürger seien als Arbeitspapier in Halle erschienen. Er weist auch auf zwei Konferenzen im Hallenser Graduiertenkolleg hin: Ende September 2010 wird es einen Workshop „Bürgergesellschaft als männliche Veranstaltung?“ geben, im Frühjahr 2011 eine Tagung zum Vergleich kommunale Selbstverwaltung Japan-Deutschland (inkl. der Frage Tradition-Bruch durch die Meiji-Zeit). Akashi Tomonori (Univ. Kyûshû): schreibt eine Diss. zu Gefängniswesen der Meiji-Zeit (pol. Prozess, Rolle von Religion) und hat überdies Interesse an Gefängnisarchitektur. Hans Martin Krämer (Bochum) weist erneut auf die Online-Datenbank „Japanische Quellen in Übersetzung“ hin, die in diesem Jahr von der Universitätsbibliothek Bochum in eine professionelle Datenbank-Lösung überführt wird. Stefan Hübner (Jacobs-Universität Bremen) bearbeitet innerhalb eines Projektes „Asianismen im 20. Jahrundert“ ein Teilprojekt zu den Asian Games und Far Eastern Championship Games. Alexander Brinkmann (Bochum): B.A.-Arbeit zu Biologiegeschichte in Neuzeit (z.B. Darwinismus). Michael Mattner (Bochum) plant eine Seminararbeit zu Yamamoto Musashi; danach steht die M.A.-Arbeit an, vielleicht zur Falknerei in der Vormoderne. David Chwila (Bochum) interessiert sich für die Missionsgeschichte des jap. Buddhismus am Beispiel des Honganji Betsuin in Dairen; Rolle der buddh. Tempel bei Verbreitung des jap. Ultranationalismus in Nord-China. Daria Kupis (Bochum) möchte eine Seminararbeit zur Rolle von Frauen in Neuen Religionen zu schreiben. Arne Krauß (Bochum) interessiert sich für Farbholzschnitte aus den Kriegen der Meiji-Zeit und Amateur-Schmalfilme in Japan. Till Knaudt (Bochum) arbeitet an einer Diss. zu Rote Armee Fraktion. Jan Schmidt (Bochum) arbeitet an einer Diss. zur Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs in Japan 1914–1923. Er weist darauf hin, dass die StaBi nur einen kleinen Teil ihrer Japan-Bestände im Online-Katalog nachgewiesen hat. Regine Mathias (Bochum) arbeitet zu Bildrollen im Bergbau, verfasst Lemmata für die Enzyklopädie der Neuzeit; Projekt Arbeit weltweit, darin Teilprojekt Arbeit in der Edo-Zeit (Übergang zur Lohnarbeit). Erich Pauer (Marburg) bearbeitet Vorlesungsmitschriften und Praktikumsberichte von Studenten der ingenieurwissenschaftlichen Hochschule Kôbu daigakkô (1872–1885).
(Protokoll: Anke Scherer und Hans Martin Krämer)
16. Treffen bei der Abteilung für Japanologie und Koreanistik, Universität Bonn am 6. und 7. November 2010
Anwesend waren in Bonn: Alex Albrecht (Bonn), Simon Acker (Heidelberg), Akira Baba (Tôkyô), Biru David Binder (Heidelberg), Marcel Bouley (Mannheim), Ulrich Brandenburg (Bonn), Thomas Büttner (Heidelberg), Rocco Butz (Bremen/Bonn), David Chwila (Bochum), Annabel Grab (Bonn), Sylvia Grafe (Bochum), Nadin Heé (Berlin), Sabrina Heep (Bonn), Milena Iciek (Köln), Frank Jacob (Erlangen), Kathrin Jürgenhake (Bonn), Frank Käser (Berlin), Thorsten Kerp (Heidelberg), Michale Klossek (Bonn), Till Philip Koltermann (Freiburg), Peter Christian Kerz (Bonn), Karin Kiesling (Bonn), Till Knaudt (Bochum), Hans-Martin Krämer (Bochum), Silvana Lotz (Bonn), Kerstin A. Meier (Bonn), Mathias Munkenbeck (Bonn), Kenji‑T. Nishino (Bonn), Alina Piwen (Bonn), Julian Plenefisch (Berlin), Carolin Reimers (Bonn), Heinrich Reinfried (Zürich), Anke Scherer (Köln), Christian Schimanski (Bochum), Lars Schladitz (Erfurt), Jan Schmidt (Bochum), Diana Schnelle (Bonn), Paul Schoppe (Bonn), Maik Hendrik Sprotte (Halle/Saale), Annika-Mareen Schulze (Bonn), Janina Schwelm (Bonn), Detlev Taranczewski (Bonn), Michael Thornton (Heidelberg).
Frank Jacob: Geheimgesellschaften in Deutschland und Japan — Die Thule-Gesellschaft und die Kokuryûkai: Den ersten Vortrag des Treffens begann Frank Jacob mit der Vorstellung seines Dissertationsprojektes, einer Komparativanalyse zweier Geheimgesellschaften, der radikal-nationalistischen Thule-Gesellschaft, die 1917 aus dem Germanenorden hervorging und von Rudolf von Sebottendorf (1875–1945) geleitet wurde, und der expansionistisch-nationalistischen Kokuryûkai, die 1901 von Uchida Ryôhei (1874–1937) als Nachfolgeorganisation der Gen’yôsha gegründet wurde. Die Analyse zielt darauf ab herauszufinden, warum sich zur selben Zeit zwei voneinander unabhängige Geheimgesellschaften radikalisierten.
Nach Vorstellung der Definition „Geheimgesellschaft“ nach Franz Schweyers (Gesellschaft, deren eigentliche Charakteristika das sind, was geheim bleibt) gab Frank Jacob einen kurzen Überblick zum Forschungsstand für beide Gesellschaften, ging auf „traditionelle Geheimgesellschaften“ ein und stellte die Entstehung, ideologischen Vorläufer bzw. Kontakte, charismatische Führungspersönlichkeiten, Mitgliederstruktur, Aktivitäten und politisches Wirken beider Gesellschaften vor, die beide keine Massengesellschaften waren und ihre eigene historische Rolle in Selbstdarstellungen überbewerteten. Frank Jacob machte den imperialistischen Rückschlag beider Länder als Katalysator der Radikalisierung für Geheimgesellschaften in Japan und Deutschland fest.
In der Diskussion wurde nach der Rolle von Rassismus und Antisemitismus in beiden Gesellschaften gefragt, die der Referent für die Kokuryûkai als nicht existierend beantwortete. Hinterfragt wurde, inwieweit bei der Kokuryûkai der Begriff „Geheimgesellschaft“ adäquat sei, ob für Japan von einer „Krise“ gesprochen werden könne und inwieweit die beiden Gesellschaften miteinander vergleichbar sind. Die Thule-Gesellschaft, so Frank Jacob, sei in Reaktion auf Verschwörungstheorien zur Geheimorganisation geworden während bei der Kokuryûkai die Unzufriedenheit über das politische System das ausschlaggebende Moment gewesen sei.
Biru David Binder: Zum ‚Weg des Mannes‘ — Bushidô-Diskurs in The Asian Review (1920–21): Im zweiten Vortrag des Treffens stellte Biru David Binder ein Teilkapitel seines laufenden Dissertationsprojektes (Arbeitstitel „Nationalism and gender — discursive constructions of masculinity in publications of the Amur Society, a case study (1917–1936)“) vor. Gender wird im Rahmen der Arbeit wie im Vortrag als eine basale Wissenskategorie verstanden, die durch Intersektionalität, Dynamik und Relationalität charakterisiert ist. Bei der Idealisierung der bushi handelt es sich gesellschaftlich um ein junges Phänomen, das sich erst im Zuge der Nationenbildung nach der Meiji-Restauration durchsetzte. Während der Edo-Zeit legitimierte dieser Mythos noch die offiziell herrschende, aber zunehmend ökonomisch wie sozial absteigende einzige Klasse, deren Angehörige keine produktive Arbeit verrichteten, nach der offiziellen Abschaffung der Kriegerklasse (1876) sollte er einen militaristischen Nationalismus rechtfertigen und wurde in seiner „christlichen“ Ausprägung dazu verwendet, Ängsten vor der „Gelben Gefahr“ entgegenzuwirken. Die analysierten Artikel in The Asian Review zeichnen sich durch die anachronistische Verstärkung der kriegerischen (bu) Komponente aus, womit sie als Gegendiskurs zu zeitgenössischen Repräsentationen von u.a. „verwestlichter“ Gentlemen-Maskulinität verstanden werden können, und präsentieren den Bushidô-Mythos als historisches Faktum und als allgemeine Praktik unter bushi, wobei die Aspekte Gerechtigkeit und Humanität an Bushidô gebunden und für die englischsprachige Leserschaft mit „chivalry“ übersetzt werden.
In der Diskussion wurde auf den sozialistisch-patriotischen Aspekt des meiji-zeitlichen Bushidô-Diskurses hingewiesen und nach der Verbindung zwischen japanischem und ausländischem Diskurs gefragt, die womöglich in einer „Krise der Männlichkeit“ zu verorten sei. Dieses von Raewyn Connell geprägte Schlagwort sei eher ungeeignet, so Binder, da durch seinen mittlerweile inflationären Gebrauch eine permanente Krise suggeriert würde. Des Weiteren stand die Frage zur Debatte, ob ein Unterschied zwischen dem Selbstbild bestand, das ins Ausland getragen wurde und dem Bild, das im Inland Japans herrschte. Ferner wurde angemerkt, dass es sich beim Bushidô-Diskurs auch um eine Freundbild-Korrektur gehandelt habe und nach seiner Funktion im Sinne eines Nation-Branding gefragt, da die Innen-Außen-Wechselwirkung mitentscheidend war.
Lars Schladitz: Walfang als transnationale kulturelle Praxis, Japan 1899–1941: Japanischer Walfang und die Produktion des antarktischen Meeresraumes: Im dritten Vortrag des Treffens stellte Lars Schladitz einen Teilaspekt seiner laufenden Dissertationsarbeit vor, in dem er den japanischen Walfang und seine Produktion in umwelthistorischem Zusammenhang untersucht. Seinen Fokus legt er dabei auf transnationale Prozesse und den umwelthistorischen Zusammenhang. In Japan gab es Walfang regional bereits seit der Edo-Zeit, im Jahr 1899 etablierte sich die norwegische Fangmethode und in den 1930er Jahren wurden Walfangoperationen auch überregional in die Antarktis verlegt. Japanische Walfangflotten, deren Harpuniere zumeist Norweger und deren leitende Besatzung Japaner waren, führten Expeditionen in den antarktischen Ozean durch. Gleichzeitig bewirkte der Anspruch auf „Wissenschaftlichkeit“, dass Walfang in engem Zusammenhang mit der Produktion des Meeresraumes durch Biologie, Meteorologie und Ozeanographie stand. Allerdings trugen diese Expeditionen durch den globalen Diskurs über die Verknappung der Ressource Wal auch zur Schaffung eines internationalen Spannungsfeldes bei. Schladitz betonte, dass Japan von Beginn an versucht habe, sich vom entstehenden internationalen Diskurs abzukoppeln, beispielsweise in der Frage internationaler Walfangquoten. In einem weiterführenden Teil des Vortrags präsentierte er Walfang-Bildbände aus Japan. Darin wird das Schiff als Protagonist präsentiert und der Kontrast von Schiff und Eis bei permanent gutem Wetter inszeniert, wobei kaum Individuen sondern vielmehr die Produktionsbedingungen in den Vordergrund gerückt werden. Diese Bildbände dienten der Werbung für den Walfang, in denen u.a. Walknappheit konsequent ausgeblendet wird.
In der Diskussion wurde nach der Spezifik der japanischen Walfangart gefragt, die Schladitz als norwegisch, zumindest von Seiten der Technologie her, beantwortete. Dennoch habe es einen Deutungsunterschied und eine spezifisch nationale Konstruktion gegeben, welche eine eindeutige Walfangvermarktung beinhaltet habe. Walöl sei ein wirtschaftlich wichtiges Produkt gewesen und mit dem Walfang aufgrund der Modernisierung der Industrie begonnen worden. Zu Beginn habe es sich noch um einen klaren Technologietransfer von Außen nach Japan gehandelt, wobei die Harpunenkanone selbst erst im Jahr 1868 eingeführt worden sei und deren Transfer nach Japan nicht sonderlich spät erfolgte. Angemerkt wurde, dass sich in den Bildbänden auch eine Entmenschlichung durch die Industrie zeige bzw. deren Macht und Dominanz über die Natur.
Julian Plenefisch: Faschismus in Japan als Teil einer globalen Moderne — ein Diskussionsbeitrag zum Stellenwert von Transferprozessen in der Faschismusforschung: Julian Plenefisch konstatierte zu Beginn seines Vortrages methodologische Problematiken in der internationalen Faschismusforschung seit 1990. Die Arbeiten von Roger Griffen, Roger Eatwell und Michael Mann beanspruchen eine universelle Definition von Faschismus zu liefern. Als eine der wenigen nicht-europäischen Industrienationen des frühen 20. Jh. und als Bündnispartner Italiens und Deutschlands im Zweiten Weltkrieg spielt Japan in der vergleichenden Faschismusforschung eine herausragende Rolle. Mit den seit den 1980er Jahren entwickelten Forschungsansätzen der Kulturtransferforschung prüfte Plenefisch am Beispiel Japans, welchen Stellenwert die gegenwärtigen Faschismusforschung transkulturellen Transfers in der Entwicklung faschistischen Denkens einräumt. Er kam zu dem Schluss, dass sie sich auf kurzfristige Transfers (seit den 1920ern) konzentrieren. Anhand einer konkreten Fallstudie zu Nakano Seigô (1886–1943), der in der internationalen Faschismusforschung oft als Nachahmung Hitlers oder Mussolinis interpretiert wird, argumentierte Plenefisch, dass die Philosophie Nakanos den Ideologien europäischer Faschisten in vielen Punkten ähnelte, diese Gemeinsamkeiten aber nicht das Resultat kurzfristiger Transfers seit 1922 gewesen sein. Diese Gemeinsamkeiten seien auf gemeinsame Wissenstraditionen zurückzuführen, die im Kontext einer seit der Mitte des 19. Jh. anhaltenden Integration Japans in eine „globale Moderne“ (Arif Dirlik) zu verstehen sein. Die Übersetzung europäischen Wissens seit den 1850er Jahren und die Einbindung Japans in das euro-amerikanische Machtsystem mache eine Unterscheidung in „westliches Wissen“ und „traditionales Wissen“ ab dem Ende des 19. Jahrhunderts obsolet (Maruyama Masao). Faschistisches Denken in Japan sei daher als Teil einer globalen Moderne zu verstehen. Die international vergleichende Faschismusforschung müsse somit langfristige Kulturtransfers als Produkt der Globalisierung mehr Beachtung schenken.
In der Diskussion wurde zum einen begrüßt, dass Faschismus als Ideologie betrachtet wird, zum anderen auf die bedingte Eignung des Begriffes „Faschismus“ für HistorikerInnen hingewiesen, da es sich um einen „politischen Kampfbegriff“ handele. Es wurde die Frage aufgeworfen, wie das Thema innerhalb der japanisch-sprachigen Forschung behandelt und mit welcher Arbeitsdefinition von „Faschismus“ konkret gearbeitet wird. Letztgenannte Frage beantwortete Plenefisch mit einer Orientierung an anglo-amerikanischen Definitionen und begründete seine Wahl damit, da sie durch ihre Abfassung in englischer Sprache am stärksten rezipiert würden.
Ulrich Brandenburg: Japan und der Islam in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Im letzten Beitrag des Treffens stellte Ulrich Brandenburg die Kontakte Japans mit dem Islam in folgenden drei Teilaspekten dar: die Entwicklung der japanisch-osmanischen Beziehungen, die Entwicklung des Islams in Japan in seinen politischen Konnotation sowie die Analyse dreier ägyptischer Texte über Japan, die er im Rahmen seiner Magisterarbeit untersucht hatte. Bis 1924 gab es keine diplomatischen Kontakte zwischen Osmanen und Japanern, lediglich inoffiziellen Austausch wie z.B. die Reise eines osmanischen Kriegsschiffs 1889/90 nach Japan mit dem Ziel eines Freundschaftsbesuchs. Das Schiff sank auf der Rückreise, ein kleiner Teil der Besatzung wurde von Japanern gerettet, was als Symbol für den Beginn gegenseitiger Sympathien diente, sich aber nicht realpolitisch ausdrückte. Verstärktes Interesse am Islam war auf Militärkreise und bestimmte politische Gesellschaften wie u.a. die Kokuryûkai begrenzt, die sich hierüber erhofften, besondere Sympathiepunkte zu bekommen, Konvertiten gibt es bis heute nur relativ wenige. Das steigende Interesse am Islam zeigte sich in den 20er und 30er Jahren in einem Boom der Islamforschung in Japan. Pan-Asianismus und Pan-Islamismus überschnitten sich insoweit, dass beiden die oppositionelle Haltung gegenüber dem Westen gemeinsam war und eine Verbindung über China hergestellt wurde, das mit einer auf bis zu 70 Millionen Menschen geschätzten muslimischen Community als Teil der islamischen Welt gesehen werden konnte. In den untersuchten ägyptischen Quellen wird Japan entweder zum Ideal für die eigene Modernisierung erhoben oder als Objekt für die islamische Mission gesehen. Das Einfordern von Missionsbemühungen wird kaum theologisch begründet, sondern Japans Islamisierung soll entweder die Bindung zwischen den Ländern des Orients stärken oder der japanischen Moderne durch eine moderne Religion ergänzen.
In der Diskussion wurde angemerkt, dass der Islam aus europäischer Sicht oft ausgeblendet werde, und gefragt, ob es in Japan eine theologische Diskussion mit dem Ziel der Japanisierung des Islam gegeben habe, was der Referent verneinte. Die von dem ägyptischen Japanreisenden geschilderte islamische Missionsmethode in Japan sei christlich inspiriert gewesen (große Vortragsveranstaltungen). Es wurde auf das Phänomen des „Antisemitismus ohne Juden“ und „Islamismus ohne Muslime“ hingewiesen und nach einer innerjapanischen Auseinandersetzung mit dem Potential des Islameinflusses in Japan gefragt. Laut Brandenburg kam es zu keinen kulturellen Zusammenstößen, japanisches Leben sei kaum durch den Islam beeinflusst worden, denn es habe nur sehr wenige Muslime in Japan gegeben (nicht mehr als wenige Tausend).
Vorstellung aktueller Projekte und Arbeiten: Nishino Kenji (Bonn) arbeitet an einer Dissertation zu Buddhismus und Unterhalterinnen im Mittelalter, welche die Konstruktionen von Sexualität untersucht; Hans-Martin Krämer (Bochum) gibt zwei Publikationen bekannt (Bochumer Jahrbuch Bd. 33, 2009 sowie in komparativ 4/2010); Michael Thornton (Heidelberg), BA Yale University, interessiert sich für die Thematik Ausländer in Japan; Thomas Büttner (Heidelberg) arbeitet an seiner Dissertation zu Eliten im Zweiten Weltkrieg in Japan; Till Philip Koltermann (Freiburg) berichtet von seiner Veröffentlichung zum Untergang des Dritten Reiches und arbeitet an seiner Dissertation zu Mauretanien im 17./18. Jahrhundert. Seine Forschungsinteressen liegen in der Rezeption der „Gelben Gefahr“ im Dritten Reich, der Gen’yôsha und deutschsprachigen Publikationen zu dieser Gesellschaft (u.a. von Kimase), eine Kooperation mit Prof. Kubota (Rikkyû-daigaku) ist in Planung; Biru David Binder (Heidelberg) arbeitet an einer Dissertation zu Nationalismus und Geschlecht am Fallbeispiel der Amur-Gesellschaft 1917–1936; Ulrich Brandenburg (Bonn) plant, Teile seines Vortrags zu Japan und Islam am Anfang des 20. Jahrhunderts für seine Magisterarbeit auszuwerten; Julian Plenefisch (Berlin) arbeitet an einer Dissertation unter dem Arbeitstitel „Globales Bewusstsein im vormodernen Japan (1800–1850)“ und kündigt einen Sammelband-Aufsatz zu Rassismus an sowie einen Artikel zu Area Histories in Zusammenarbeit mit dem JFK-Institut; Nadin Heé (Berlin) berichtet vom Abschluss ihrer Promotion zu Kolonialismus in Taiwan und Verschränkung von Gewalt; David Chwila (Bochum): Forschungsinteresse an der Rolle der Gengakusho in der Heian-Zeit; Maik Hendrik Sprotte (Halle) weist wieder auf die Bibliografie zur historischen Japanforschung hin, die Meldungen deutschsprachiger Publikationen entgegennimmt sowie auf das Angebot einer Linkseite, in der unter Angabe von Name und Titel bzw. Link zu einer Projektskizze im Internet via E‑Mail an maik@sprotte.name (Bitte in die Adresszeile kopieren) laufende Forschungsprojekte gesammelt werden können; Simon Acker (Heidelberg) arbeitet an einer Magisterarbeit zu Pan-Asianismus innerhalb der japanischen Armee; Frank Jacob (Erlangen) arbeitet an einer Dissertation zu Thule-Gesellschaft und Kokuryûkai und an einem Aufsatz zur Takarazuka-Revue; Alina Piwen (Bonn) plant eine B.A.-Arbeit zum Vergleich von Jugend- und Verbandsarbeit in Deutschland und Japan; Till Knaudt (Bochum) arbeitet an einer Dissertation zu Rote Armee Fraktion; Jan Schmidt (Bochum) arbeitet an einer Dissertation zur Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs von Eliten in Japan 1914–1923. Er berichtet von seinem Aufenthalt am Kokuritsu hakubutsukan, das ForscherInnen Kurzaufenthalte ermöglicht, und kündigt für Mitte nächsten Jahres einen Workshop zu Kolonialismus an; Detlev Taranczewski (Bonn) berichtet von einem geplanten Projekt zur Rolle von Wasser unter dem Titel „Fluide Ressourcen in Ostasien“. Unter dem Kristallisationspunkt „Wasser“ soll untersucht werden, wie Brauch- und Agrarwasser die Gesellschaften auch in ökonomischer und ethnologisch-anthropologischer Hinsicht prägten.
In der allgemeinen Diskussion kam man überein, daß ab dem nächsten Treffen wieder eine Input-Diskussion stattfinden und Wissenschaftsorganisatorisches diskutiert werden soll.
(Protokoll: Biru David Binder, in Zusammenarbeit mit Thorsten Kerp und Kenji Nishino)
17. Treffen am Institut für Japanologie und beim Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“, Universität Heidelberg am 7. und 8. Mai 2011
Anwesend waren: Anna Andreeva (Heidelberg), Judith Árokay (Heidelberg), Biru David Binder (Heidelberg), Lilli Buschmin (Bochum), David Chwila (Bochum), Katrin Deutsch (Bochum), Aline Dreher (Bochum), Harald Fuess (Heidelberg), Sylvia Grafe (Bochum), Lisa Hammeke (Bochum), Nina Holzschneider (Bochum), Thorsten Kerp (Heidelberg), Bernd Kirchner (Heidelberg), Till Knaudt (Bochum), Robert Kramm-Masaoka (Tübingen), Laura Kuhl (Heidelberg), Michael Mattner (Bochum), David Mervart (Heidelberg), Kenji Nishino (Bonn), Heinrich Reinfried (St. Gallen), Andrea Revelant (Venedig), Johannes Rippin (Heidelberg), Vanessa Schaar (Bochum), Anke Scherer (Köln), Christian Schimanski (Bochum), Daniel Schley (Tôkyô/München), Benjamin Schmalofski (Bochum), Jan Schmidt (Bochum), Tino Schölz (Halle), Miyuki Simon (Heidelberg), Maik Hendrik Sprotte (Halle), Patricia Stammsen (Bochum), Till Weber (Heidelberg), Matthias Zachmann (Heidelberg / München).
Kenji Nishino, Universität Bonn: „Der asobime ‑Diskurs — Unterhalterinnen im Spiegel der buddhistischen Rezeption und dem Ryôjin hishô“;
Bei den im Vortrag untersuchten Quellen handelt es sich um frühmittelalterliche Lieder, die von Kaiser Go-Shirakawa gesammelt und als Ryôjin hishô editiert wurden. Das Interesse des Kaisers an diesen Liedern geht nach einer Legende darauf zurück, dass er sie von Otomae, einer alten Meisterin der Unterhaltung, gelernt hat. Die Lieder selbst wurden von den im japanischen Mittelalter asobime genannten Unterhalterinnen gesungen, um damit Kunden anzulocken und zu unterhalten. Die asobime fuhren in der Regel in Dreiergruppen auf Booten umher und boten die Kunst der Unterhaltung sowie ggf. sexuelle Dienste an. Über sie wird berichtet, dass sie bei einer Gottheit der Sexualität (Hyakudaifu) unter anderem um viele Kunden beteten. Durch ihre im weitesten Sinne der Unterhaltung zugerechneten Dienste lebten die asobime außerhalb der Sphäre des Normalen und werden einerseits der Sphäre des kegare (Verunreinigung) zugeschrieben, aber andererseits wird ihre Tätigkeit auch mit der Sphäre des Heiligen/Sakralen (hare) assoziiert, da ihnen wie tanzenden Schamaninnen die Fähigkeit zugeschrieben wurde, durch ihre Dienstleistungen eine spirituelle Katharsis beim Kunden auslösen zu können. In den Liedern im Ryôjin hishô, die den asobime zugeschrieben werden, finden sich viele allegorische Anspielungen auf Sexualität, die Lieder zur Unterhaltung der Kunden sind zum Teil erotisch und frivol.
In seinem Vortrag widmete sich Nishino spezifisch denjenigen Lieder im Ryôjin hishô, die einen Bezug zum Buddhismus haben, sowie dem Umgang buddhistischer Mönche mit dem Phänomen der asobime. Einige Lieder thematisieren die Tatsache, dass Frauen aufgrund der ihrem Geschlecht eigenen „Hindernisse“ im Zusammenhang mit Menstruation und weiblicher Sexualität der Zugang zu bestimmten Formen der privilegierten Wiedergeburt im Buddhismus versperrt sei. Hier werde demnach das Mann-Sein als Standard oder Norm für das Erreichen der Buddhaschaft betrachtet. Andererseits finden sich im Ryôjin hishô auch Lieder, die Hinweise auf Möglichkeiten der Erlangung der Buddhaschaft durch Frauen enthalten, zum Beispiel die Geschichte der Tochter des Drachenkönigs, die sich in einer Legende erst in einen Mann und dann in einen Buddha verwandeln kann. Hier erinnern die Lieder der asobime daran, dass diese Unterhalterinnen sich — anders als die gewöhnlichen Menschen im Mittelalter — über Provinzgrenzen hinweg bewegen konnten und über mehr Freiheiten als gesellschaftlich üblich verfügten. So lege die Darstellung der asobime als „Gegenbeispiele“ die gesellschaftlich orthodoxen Vorstellungen über die Stellung von Frauen offen.
Im Kontakt mit buddhistischen Mönchen fungierten sie oft als Medium, an dem sich die religiöse Erkenntnis der Mönche, die mit ihnen verkehrten, entzündete. Unter Wissenschaftlern ist strittig, ob sich durch diese Mittlerrolle der Aspekt der den Frauen im Buddhismus zugeschriebenen Unreinheit aufgehoben hat. Die Geschichten, die vom Zusammentreffen von buddhistischen Mönchen und asobime überliefert sind, haben in der Regel einen didaktischen Wert: das soziale Gefälle zwischen Mönchen und asobime wird in den Vordergrund gestellt, die Sexualität der asobime wird durch buddhistische Vorstellungen domestiziert. In einer geschlechterwissenschaftlichen Interpretation werde die Begegnung zwischen asobime und Mönch als sexuelle Erfahrung erklärt, die Darstellung in den Liedern als eine Sublimierung der sexuellen Kontakte der Mönche zu den Unterhalterinnen gesehen.
In der Diskussion wurde zuerst die Autorenschaft des Ryôjin hishô thematisiert. Nishino argumentierte, dass die darin enthaltenen Lieder aller Wahrscheinlichkeit von wirklichen asobime stammen würden und deshalb als authentisch zu bewerten seien. Die Sammlung dieser Lieder durch Go-Shirakawa habe seiner künstlerischen Profilierung gedient. Weiterhin diskutiert wurden die verschiedenen Haltungen des Buddhismus zur gesellschaftlichen Stellung der Frau. Viele asobime seien von der buddhistischen Lehre stark beeinflusst worden und ihre Lieder hätten widergespiegelt, dass sie dadurch an die vom Buddhismus vorgegebenen Geschlechterrollen gebunden waren. In diesem Zusammenhang kam die Frage auf, wie legitim die Anwendung heutiger Geschlechterperspektiven auf vergangene Epochen ist. Die Anwendung heutiger Terminologie bringt immer das Problem der anachronistischen Verwendung von Begrifflichkeiten mit sich, weshalb das Hinterfragen von Begrifflichkeiten bei deren Anwendung auf vergangenen Epochen zur grundsätzlichen Vorgehensweise von Historikern gehört. Auch eine sorgfältige Quellenkritik wurde gefordert, da ansonsten die Gefahr bestünde, literarische Texte unhinterfragt als Auskunft über kulturgeschichtliche Phänomene zu benutzen.
Anna Andreeva, Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ der Universität Heidelberg: „Tracing the Karmic Bonds: Reading the engi in medieval Japan“;
Anna Andreeva untersuchte, wie im japanischen Mittelalter einheimische Gottheiten in den buddhistischen Pantheon aufgenommen wurden. Hierzu gibt es die literarische Gattung der engi, also buddhistischer Texte und Kunstwerke, die die Herkunft bestimmter Kultstätten und lokaler Gottheiten erklären. Die Art und Weise, wie hier bestehende Mythen in neue Zusammenhänge gebracht wurden, enthält Informationen über die Weltsicht der mittelalterlichen Menschen, die sie produziert haben.
Im Mittelpunkt der Untersuchung von Anna Andreeva stand der Berg Miwa in der Provinz Yamato als eine Kultstätte mit einer langen Tradition und Verbindung zur kaiserlichen Familie. Der Berg wird bereits im Kojiki und Nihon shoki erwähnt. Ihm wird eine Schlangengottheit zugeschrieben, über die es in den frühen Mythen heißt, dass sie eine junge Frau aus der Umgebung des Miwa-Schreins geschwängert hat. Das engi, das die Integration des Bergs Miwa in buddhistische Vorstellungen vornimmt, wurde im 13th Jahrhundert vom Mönch Eizon (1201–1290) in seinem Tagebuch verfasst.
Aber nicht nur der Miwa-Schrein wurde in Verbindung mit der buddhistischen Lehre gebracht, der buddhistische Klerus interessierte sich auch sehr für den Ise-Schrein. So wurden u.a. buddhistische Pilgerfahrten zum Ise-Schrein durchgeführt, die allerdings nur bis zum Kazenomiya vorgehen durften, da auf dem Hauptgelände des Ise-Schreins buddhistische Mönchskutten offiziell verboten waren. Nichtsdestotrotz wurde der Ise-Schrein in die Ikonographie des esoterischen Buddhismus aufgenommen. In dieser Ikonographie wurden geographische Gebiete wie zum Beispiel Berge als natürliche Manifestationen buddhistischer Konzepte in Form von Mandalas dargestellt. So nahm der esoterische Buddhismus auch japanische kami wie zum Beispiel Amaterasu Ômikami in seinen Pantheon auf. Amaterasu wurde nicht nur als Manifestation des Mahâvairocana dargestellt, sie wurde auch mit Aizen Myôô assoziiert, also mit der buddhistischen Gottheit, die der Legende nach die göttlichen Winde ausgelöst hat, die zweimalig die mongolischen Invasionsversuche Ende des 13. Jahrhunderts scheitern ließen. Engi integrierten vorhandene einheimische Gottheiten in den esoterischen Buddhismus des japanischen Mittelalters und trugen so zu einer Popularisierung buddhistischer Vorstellungen in der Bevölkerung bei. Zwar führte dies manchmal zu einem Spannungsverhältnis der buddhistischen und einheimischen Shintô-Vorstellungen, aber die Zusammenführung von Gottheitsvorstellungen wurde von beiden Seiten betrieben und diente den jeweiligen Kultstätten als Aufwertung ihrer religiösen Bedeutung. Die Mythen des Kojiki und Nihon shoki wurden so neu interpretiert und dienten den Kultstätten als Quelle für die Legitimität ihrer Herrschaft über das umliegende Land.
Andrea Revelant, (Ca’Foscari-Universität Venedig): „Who Bears the Burden? Tax Reform in Interwar Japan“;
Die Zwischenkriegszeit in Japan war eine Phase, in der einerseits durch Industrialisierung und Urbanisierung die ökonomische und soziale Modernisierung des Landes fortschritt und das Parlament im politischen Willensbildungsprozess im Vergleich zum 19. Jahrhundert an Bedeutung gewann. Auf der anderen Seite war die Zwischenkriegszeit gekennzeichnet von gesellschaftlicher Instabilität und sozialen Konflikten. Diese Konflikte, die in Form von Demonstrationen und Pächterstreiks ausgedrückt wurden, beunruhigten die politische Elite, weil die Protestierenden sich häufig sozialistischer Argumentationen bedienten. Da ein Thema der Proteste die Steuerbelastung der armen Bevölkerung war, stellte Relevant in seinem Vortrag die Frage, wie dramatisch diese Belastung im Vergleich zu anderen Ländern und Epochen wirklich war. Dabei kam er zum Ergebnis, dass die durchschnittliche Steuerlast von 15,4% für einen japanischen Haushalt im Jahre 1930 vergleichsweise niedrig war. Was aber zur Beunruhigung der Steuerzahler wesentlich beitrug, war die Tatsache, dass es keine sozialen Sicherungssysteme gab, die Armutsrisiken abfangen konnten. Zudem spiegelt der statistische Durchschnittswert für die Steuerlast nur unzureichend wider, dass die soziale Ungleichheit mit einem GINI Koeffizienten von mehr als 0,5 sehr hoch und die Belastung durch Steuern sehr ungleich verteilt war.
Als Grund für diese große Ungleichheit führte Revelant die Steuerpolitik der Meiji-Zeit an. Ziel des Steuersystems in der Meiji-Zeit war es gewesen, ausreichende Mittel für die Zentralregierung und die Landesverteidigung zu generieren. Um dies zu erreichen handelte der Staat als Wirtschaftsakteur, der sich am Aufbau des großindustriellen Sektors beteiligte. Dies ging allerdings zulasten der kleinen und mittelständischen Betriebe und geschah ohne die Berücksichtigung möglicher sozialer Probleme durch die Industrialisierung. Durch das Steuersystem wurde Kapital aus dem ländlichen, schlecht verdienenden Japan in Richtung Großindustrie geleitet. Das Steuersystem belastete Haushalte mit geringem Einkommen vergleichsweise stärker (zum Beispiel durch die Besteuerung bestimmter Verbrauchsgüter wie Tabak, Sake, etc.), die unabhängig vom Einkommen bezahlt werden mussten. Zudem wurden Landbesitz und Unternehmen vergleichsweise unfair besteuert.
In der Zwischenkriegszeit wurde deshalb die Reformbedürftigkeit des Steuersystems thematisiert, u.a. um das davon ausgehende gesellschaftliche Konfliktpotential zu verringern. Die Teilnehmer an dieser Diskussion waren neben den Regierungsvertretern vor allem politische Parteien, die beiden Kammern des Parlaments, die Bürokratie, unternehmerische Interessenverbände, der Reichslandwirtschaftsverband und bis zu einem gewissen Grad auch das Militär. Keiner dieser Akteure konnte jedoch die Diskussion entscheidend bestimmen, weshalb die Beteiligten Kompromisse finden mussten. Die Seiyûkai verfolgte dabei eine Politik, die auf Entwicklungsförderung zur Verringerung der Ungerechtigkeiten setzte und somit vorteilhaft für die ländliche Bevölkerung und die Interessen der produzierenden Industrie war. Die Minseitô hingegen betonte in ihrer Politik Rationalisierung und Stabilität und bediente so mehr die Interessen von Banken und Handelshäusern. In den 1920er Jahren scheiterten beide politischen Ansätze. Im Falle der Seiyûkai war der Widerstand gegen die von der Partei vorgebrachte neue direkte Besteuerung von Land und Einkommen durch die Zentrale zu groß. Die Steuerreform der Minseitô war teilweise erfolgreich, aber auch hier war die politische Unterstützung letztendlich schwach. Der Faktor, der dann in den 1930er Jahren regelmäßig alle Anstrengungen zur Konsolidierung der Staatsfinanzen zunichte machte, war der beständige Anstieg der Rüstungsausgaben. Erst eine allgemeine Steuerreform im Jahre 1940 erreichte eine Verbesserung des Steuersystems, die den Kommunen höhere Steuereinnahmen brachte.
In seiner Zusammenfassung kam Revelant zu dem Schluss, dass diese letztgenannten Steuerreformen die progressivsten Reformen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren. Die davor vorgenommenen Reformen hatten den Willen gezeigt das System zu reformieren und dabei soziale Aspekte zu berücksichtigen, waren aber an den zu verschiedenen Interessen der Akteure, die sich nicht aufeinander zu bewegten, gescheitert.
In der anschließenden Diskussion ging es dann um die Frage der Einnahmen aus den Kolonien und deren Einfluss auf das Steuersystem. Diese hatte Revelant nicht in die Untersuchung einbezogen, weil die Steuergesetzgebung in Japan nicht eins zu eins auf die Kolonien angewendet wurden. Die Kolonien wurden als rückständig betrachtet und die Einnahmen aus den Kolonien sind nicht in den Quellen zu Steuereinnahmen in Japan selbst aufgeführt.
Eine weitere Frage war die nach der Rolle des Militärs in der Steuerdiskussion. Zwar war der Einfluss des Militärs im Kabinett in den 1920er Jahren bereits sehr stark, aber im Prozess der Steuergesetzgebung taucht das Militär dennoch kaum auf. Das Militär nahm lediglich massiven Einfluss auf die Ausgabenseite, wo der Anteil der Militärausgaben am BIP bis in die 1930er Jahre von 30% auf 50% anstieg.
Die im Titel gestellte Frage danach, wer in der Zwischenkriegszeit in Japan die Steuerlast getragen hat, beantwortete Revelant damit, dass er ausführte, dass in der Meiji-Zeit die Hauptlast auf der ländlichen Bevölkerung gelegen hatte, diese aber dann in der Taishô-Zeit auf die städtischen Konsumenten überging.
Den zweiten Tag des Treffens, der im Karl Jaspers Center, der Heimat des Clusters of Excellence „Asia and Europe in a Global Context“, stattfand, leitete eine ausführliche Vorstellung von laufenden Projekten und Arbeiten ein. Unter anderem erging von Maik Hendrik Sprotte, der einen erfolgreichen DFG-Einzelforschungsantrag für sein laufendes Habilitationsprojekt zu verbuchen hatte, und Jan Schmidt einmal mehr die Aufforderung zur Meldung von deutschsprachigen Veröffentlichungen (Monographien, Sammelbände, Aufsätze und Rezensionen) mit Bezug zur Geschichte Japans für die ständig erweiterte „Bibliographie zur historischen Japanforschung“ ein. Die Bibliographie umfasst derzeit knappt unter 900 Einträge und ist unter http://www.historische-japanforschung.de zu erreichen, von wo aus Meldungen über ein Formular erfolgen können.
Maik Hendrik Sprotte wies zudem auf die Möglichkeit hin, eigene Skizzen von Projekten mit Bezug zur Geschichte Japans in der Linkliste der Initiative aufzuführen (bei Interesse bitte per E‑mail den Projekttitel, gegebenenfalls mit funktionierendem Link, an maik@sprotte.name — Bitte in die Adresszeile der Mail kopieren. — senden).
Des weiteren stellte Robert Kramm-Masaoka (Tübingen) kurz sein Promotionsprojekt „Kolonisierte Körper und imperiale Grenzen“ zur Prostitution in Japan und Korea während der US-Besatzungszeit als Beziehungsgeschichte unter globalgeschichtlichen Vorzeichen sowie Daniel Schley (Tôkyô/München) seines zur Herrschaftssakralität im japanischen Mittelalter vor. Jan Schmidt (Bochum) berichtete kurz auf der Grundlage eines zweimonatigen eigenen Forschungsaufenthalts von den Möglichkeiten zu Kurzaufenthalten als Gastforscher am Nationalmuseum für Geschichte und Völkerkunde (Kokuritsu rekishi minzoku hakubutsukan) in Sakura, Chiba.
Im Anschluss daran hielt Thomas Büttner (Heidelberg) ein Inputreferat zum Thema „Eine soziale Funktion der historischen Japanforschung: Strategien der Vermittlung Japans in der Öffentlichkeit“. Hintergrund war die Berichterstattung in den deutschen Medien im Zusammenhang mit dem Erdbebens und der dadurch ausgelösten Flutwelle vom 11. März 2011 und der nachfolgenden Atomkatastrophe um das AKW Fukushima I. Büttner postulierte eine soziale Verantwortung der deutschen Japanforschung, wobei er offen ließ, wie weit die Verpflichtung zu einer Zusammenarbeit wegen der Finanzierung der Japanforschung aus öffentlichen Mitteln reiche, und einschränkte, dass die Japanologie eben über keine feste Anbindung an die Medien verfüge und dass somit vielfach ein Problem der Vermittlung herrsche. Medienvertreter hätten zudem häufig gerade in den ersten Tagen nach dem 11. März, aber auch generell, ein geringes Interesse an einer differenzierten Betrachtungsweise gezeigt. Büttner verwies aber auch auf das generell bestehende Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlicher Arbeitsweise und einer zu einem gewissen Grad in den Medien notwendigen Pauschalisierung. Hieran schloss er die Frage an, ob „die“ Japanologie, wenn es auch gar keinen Anspruch auf eines solche als homogener Zusammenhang geben könne, das Ziel haben wolle, ein möglichst korrektes Bild von den Verhältnissen in Japan zu vermitteln oder eher graduell die Annäherung an ein solches und den Abbau von Stereotypen mitzugestalten. Büttner problematisierte auch die Tatsache, dass die Bereitschaft zur Mitwirkung an der Medienberichterstattung nach wie vor bisweilen als das Betreiben von „Populärwissenschaft“ kritisiert würde und eine gefürchtete Blamage bei Fachkollegen, auch angesichts der Gefahr von unlauteren Verkürzungen durch die Medienvertreter, gerade junge WissenschaftlerInnen von ihr abhalte.
An das Inputreferat schloss sich eine lebendige Debatte an, die mit einem Austausch der unterschiedlichen Erfahrungen der TeilnehmerInnen in den Wochen nach dem 11. März begann. Unter anderem wurde das Portal „Blickpunkt Japan“ (http://www.blickpunkt-japan.de) im Wiki-Format mit seiner möglichen Scharnierfunktion hervorgehoben, das bei journalistischen Berufsverbänden bekannt gemacht werden müsse. Auch wurde davor gewarnt, dass zu häufig von den Medien und den Japanologen gesprochen werde. Die Vorstellung, durchaus vorhandene Missstände eines historisch gewachsenen journalistischen Systems — wenn auch nur im Hinblick auf die Japanberichterstattung — durch die Stimmen einiger weniger JapanforscherInnen zu größeren Veränderungen zwingen zu können, wurde ebenso kritisiert und dazu aufgerufen, schlichtweg bei der Wahl des Mediums, mit dem zusammengearbeitet würde, vorher die Qualität von dessen Berichterstattung zu evaluieren. Es wurde auch angemerkt, dass die Japanologie als Institution von den exotischen Stereotypen lange Zeit auch — nolens-volens — profitiert habe. „Japan“ habe sich allerdings auch in der „Kulturindustrie“ als Wert bzw. als eine Art Produkt verselbständigt, was vielen TeilnehmerInnen beim Versuch der Zusammenarbeit mit Medienvertretern immer wieder schmerzhaft bewusst gemacht worden ist. Andere TeilnehmerInnen warfen ein, dass manchen FachvertreterInnen etwa in ihren Äußerungen zur Atomkraft, die bis hin zu technischen Details des havarierten AKWs gereicht haben, angesichts fachlichen Unwissens im Bereich der Naturwissenschaften etwas mehr Zurückhaltung anzuraten wäre, während andererseits gefordert wurde, dass die Japanforschung — aber auch die Geistes- und Sozialwissenschaften generell — sich durchaus häufiger populärwissenschaftlich betätigen sollte. Flankierend wurde angemerkt, dass häufig das Problem unterschätzt würde, die jeweiligen Medienkonsumenten bei ihrem Wissensstand „abzuholen“ zu müssen und dass es auch eine Aufgabe sei, zwar eine wissenschaftliche Darstellungsweise zu verteidigen, aber auf eine jargonartige Fachsprache in den Medien nach Möglichkeit zu verzichten. Dem Einwand, die Japanforschung solle sich an benachbarten Fächern wie der Sinologie oder etwa an den Islamwissenschaften im Hinblick auf deren Umgang mit den Medien orientieren, wurde entgegen gehalten, dass es beispielsweise trotz des hohen Niveaus der Forschung zur heutigen islamischen Welt immer noch vielfach am Ende Peter Scholl-Latour sei, der die Deutungshoheit inne habe.
(Protokoll: Anke Scherer und Jan Schmidt)
18. Treffen an der Cologne Business School am 5. und 6. November 2011
Bei der Tagung an der Cologne Business School waren anwesend Akashi Tomonori (Bochum, Fukuoka), Anja Batram (Bochum), David Chwila (Bochum), Katrin Deutsch (Bochum), Katja Ferstl (München), Maj Hartmann (Bochum), Anna-Lena Heidrich (Bochum), Nina Holzschneider (Bochum), Stefan Hübner (Bremen), Thorsten Kerp (Heidelberg), Till Knaudt (Heidelberg), Arne Kraß (Bochum), Daria Kupis (Bochum), Michael Mattner (Bochum), Takuma Melber (Mainz), Martha-Christine Menzel (Heidelberg), Nara Katsuji (Bochum, Kyôto), Kenji-Thomas Nishino (Bonn), Johanna Poppek (Bochum), Anke Scherer (Köln), Christian-Ariel Schimanski (Bochum), Daniel Schley (München), Jan Schmidt (Bochum), Merlin Schmidt (Bochum), Patrycja Sojka (Köln), Maik Hendrik Sprotte (Halle-Wittenberg), Takahashi Junko (Bochum) und Terazawa Yû (Bochum, Kyôto).
Die Tagung begann mit einer Vorstellungsrunde, wobei insbesondere drei WissenschaftlerInnen aus Japan, Nara Katsuji (Ritsumeikan Universität Kyôto), Akashi Tomonori (Kyûshû Universität Fukuoka) sowie Terazawa Yû (Ritsumeikan Universität Kyôto), die zurzeit ihre Forschung an der Ruhr-Universität Bochum betreiben, begrüßt wurden.
Michael Mattner (Bochum) hielt den ersten Vortrag mit dem Titel „Der Falke als Herrschaftssymbol — Jagdreviere, Falkenhandel, Gesetzgebung von der Sengoku bis zur Edo-Zeit“, worin er einen Teilbereich seiner Magisterarbeit vorstellte. Die Hauptfrage war, inwiefern die Falkenjagd zu einem Selbstverständnis der Herrschereliten beitrug und als Herrschaftssymbol verwendet wurde. Um die Symbolträchtigkeit des Falken und der Falkenjagd adäquat fassen zu können, verwendete Mattner die Theorie zum Sozialkapital nach Pierre Bourdieu, wobei er einen besonderen Fokus auf den Begriff des Kulturellen Kapitals legte. Ebenso aber ging er auf den Begriff der Macht ein und folgte den Arbeiten Max Webers und Kuroda Toshios, der Macht als gegenseitiges Wechselspiel betrachtete.
Ein Schwerpunkt des Vortrags bezog sich auf die Gesetzgebung des Untersuchungszeitraums, in dem die Falknerei bereits strikten Vorschriften, Weisungen und Regelungen unterworfen war. So wurde die Falkenjagd beizeiten nur bestimmten Gruppen oder Individuen gestattet oder auch gänzlich verboten. Vor allem dem Hofadel war daran gelegen, die Falknerei als ein Privileg für sich selbst zu sichern, was aber ein fruchtloses Unterfangen war, da die an Macht gewinnende Kriegeraristokratie ihnen dieses streitig machte. Ein weiterer Fokus lag auf der Geschenkkultur der Zeit, in der der Austausch von Falken ebenfalls strengen Reglements unterworfen war. Im Ständesystem der Edo-Zeit war es nur dem obersten Stand gestattet, sich der Falknerei zu widmen. Doch auch innerhalb dieser kleinen Gruppe waren die Regeln zur Falknerei deutlich gekennzeichnet, was beispielsweise die Anzahl der Vögel pro Person einschränkte. Die Falknerei wurde u.a. von Konoe Sakihisa (1536–1612) zu einer regelrechten Kunstform erhoben. Der Hofadelige wurde als ein Kenner der Falkenjagd bekannt und profilierte sich als Falkenkundiger, ‑trainer und auch Autor von Werken über die Falknerei. Ein kurzer Exkurs stellte den Falken in der japanischen Kunst vor, an der das Prestigeobjekt „Falke“ nochmals verdeutlicht wurde. So waren Falke wie auch Praxis der Falknerei ein Mittel, den besonderen Stand der bushi zu verdeutlichen und er wurde zu einem Symbol von Macht und Herrschaft.
Während der Diskussion wurde nach der Domestizierungspraxis sowie der Einfuhr gefragt. Die Vögel wurden demnach bereits im Jungvogelalter herangezogen und abgerichtet. Die primären Importkanäle während der Edo-Zeit waren die legalen ausländischen Händlerstationen. Zur Falkenjagd als Naturwissenschaft und der Falkenjagd als Vergnügung konnte ersteres ausgeschlossen werden. Werke über den Umgang mit dem Falken waren zahlreich vorhanden, doch darunter befand sich wohl keine biologische Abhandlung. Weitere Teilnehmer sahen im Falken als Darstellungsobjekt in der Kunst erhebliches Potential für Repräsentationsfähigkeit von Macht und Herrschaft.
Im darauf folgenden Vortrag „Die frühen Asian Games und ihre Vorgänger (1913–1974): Sport, Nationalismus, Asianismus und ‚Modernisierung‘ “ ging Stefan Hübner (Bremen) auf die Wechselbeziehung zwischen Sport, Politik und nationalen Interessen ein. Ein Fokus lag auf dem Zusammenhang von Sport, nationaler Identität, und wie letztere sich im Spannungsfeld zwischen inter-asiatischer Diplomatie und Konkurrenz zum „Westen“ versuchte zu etablieren. In den seit 1951 alle vier Jahre stattfindenden Asian Games wurden Sportfunktionäre zu Politikern, die die transnationale Repräsentation des Nationenbildes mitgestalteten. Ziel war es meist, Unabhängigkeit und Selbstständigkeit zu demonstrieren. Darüber hinaus gab es jedoch weitere Motivationen. Zum einen sollte die Maxime des Fair Play und der Völkerverständigung, ein Kerngedanke der Olympischen Spiele, propagiert werden. Zum anderen wurde die Organisation der Asian Games als ein Mittel zur „Modernisierung“ und Entwicklung gesehen, durch welche die nicht immer spannungsfreie Annäherung an sowie die Anerkennung durch den „Westen“ vollzogen werden sollte. Die Ursprünge „westlich“ geprägter internationaler Sportereignisse in Asien gehen auf den Amerikaner Elwood S. Brown zurück, der im Rahmen einer amerikanischen „Zivilisierungsmission“ unter dem YMCA-Stichwort „Muscular Christianity“ demokratische, kapitalistische und religiöse Werte verbreiten wollte. Hieraus entwickelten sich die Far Eastern Championship Games.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam auf der Asian Relations Conference (1947) die Idee der Asian Games auf, die zum ersten Mal 1951 in Delhi abgehalten wurden. Die Rolle Japans in den Asian Games wurde hier, aufgrund Japans Rolle als Kriegsverursacher, zu einem Streitpunkt. So war es letztendlich u.a. das Einschreiten MacArthurs, das Japan die Teilnahme ermöglichte. Mit der zweiten Austragung in Manila wurde die Aussöhnung zwischen Japan und den Philippinen vorangetrieben, indem sich Japan als reumütige Nation darstellte. Bereits die dritten Asian Games konnten in Tôkyô stattfinden. Um Spannungen zu minimieren, wurde dem Tennô nicht die Rolle des Patrons der Spiele zugesprochen, sondern dem Kronprinzen. Weiterhin erfolgte ein Reinterpretation von zuvor für japanische Aggression und Krieg stehenden japanischen Symbolen durch deren Nutzung im Rahmen der internationale Verständigung und Frieden repräsentierenden Spiele.
Hübner kam zu dem Schluss, dass über Sportveranstaltungen innerasiatische Spannungen ausgelebt und artikuliert wurden, wie zum Beispiel die problematische Rolle Japans nach Kriegsende im ost- und südostasiatischen Raum oder auch der Vietnam-Krieg. Die Idee eines Pan-Asiens wurde stets als Anker verwendet, eine Einheit zu schaffen. Es blieb hier aber lediglich bei einer pan-asiatischen Rhetorik, die die grundlegenden Positionen nicht erschüttern konnte. Ein weiterer Zweck war, die auch nach der Dekolonialisation weiterhin bestehende Machtasymmetrie zwischen „Westen“ und Asien visuell zu reduzieren.
In der Diskussion wurde unter anderem der euro-amerikanische Einfluss auf die Asian Games und die Far Eastern Championship Games näher beleuchtet. Zudem wurde das Konfliktpotential der teilnehmenden Länder thematisiert. Die Spannungslage bezog sich nicht nur auf die Emanzipation vom „Westen“, dessen Definition „modernen“ Sports aber übernommen wurde, sondern auch auf die Verteidigung und Festigung nationaler Identitäten. Eine weitere Frage ging auf die mediale Übertragung der Spiele ein, die bereits via Wochenschauen, Radio- und nach dem Zweiten Weltkrieg auch via Fernsehübertragungen die Menschen erreichten.
Der letzte Programmpunkt des Tages trug den Titel „Geschichte Japans zwischen Normalbetrieb, Internationalisierungsdruck und Exzellenz — Diskussion mit drei jungen japanischen JapanhistorikerInnen über den Status quo der historischen Forschung in Japan und in Deutschland“ und schloss vor allem die japanischen Gäste mit ein.
Die Diskussion behandelte zwei Hauptfragen. Zum einen die nach dem Internationalisierungsdruck in Japan, der aber innerhalb der japanischen Geschichtsforschung keine sonderliche Rolle zu spielen scheint. Dies ändert sich, sobald es um Studien internationalen Vergleichs geht, oder aber wenn etablierte, westliche Arbeiten übersetzt werden und damit eine höhere Rezeption in Japan erhalten. Die zweite Frage schloss an die erste an und drehte sich um den Sinn (oder Unsinn) deutscher japanologischer Forschung und deren Rezeption in Japan. Zwischen Publikationssprache und Rezipienten wurde ein starker Zusammenhang festgestellt, wobei Publikationen auf Japanisch dem japanischen Standard genügen müssen, um ernst genommen zu werden. Forschung von Ausländern zu Japan muss nicht vornherein abgelehnt werden, doch die Qualität der Quellenarbeit muss wertvoll genug sein, um einen soliden Betrag zum internationalen Austausch zu gewährleisten.
Der Folgetag begann mit einem Vortrag von Katja Ferstl (München) mit dem Titel „Historische Etappen der Verwendungszusammenhänge privater Fotografie in Japan“, wobei es sich um einen Aspekt ihrer Dissertationsarbeit handelte. Ferstl beschrieb, wie sich Gebrauchsweisen privater Fotografie in Japan historisch entwickelt haben. Sie leistet damit einen Beitrag zum Schließen einer Forschungslücke in Bezug auf Familienfotografie und Knipser-Kultur. Der historische Überblick illustrierte den engen Zusammenhang zwischen Technik, Erinnerungskultur und Kommerzialisierung.
Nachdem die Fotografie in den 1830er Jahren zeitgleich in Frankreich und England entwickelt wurde, erreichte sie Japan bereits vor dem Zusammenbruch des Shogunats. Die ersten Fotografen, die in Japan Studios eröffneten, waren Ausländer, die bald schon von ihren japanischen Kollegen verdrängt wurden. Bereits in diesem Zeitabschnitt fällt die Etablierung des Wortes shashin. Mit steigender Akzeptanz der Fotografie während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde sie zum Instrument von Intentionen einer breiten Masse. Hohe preisliche Ausgaben waren vor allem Erinnerungsfotografien an Soldaten wert, die kurz davor standen, in die Schlacht zu ziehen, oder auch Fotos älterer Menschen, die ihren Hinterbliebenen in Erinnerung bleiben wollten Mit Entwicklung günstigerer und schnellerer Verfahren konnten Kosten und Aufwand reduziert werden. Zu einer dieser Neuerungen gehörte das Trockenplattenverfahren, das sich in Japan ab den 1880er Jahren verbreitete.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts erreichte die Amateur-Fotografie die japanische Mittelschicht; Ratgeber wurden geduckt und Fotos wurden zum ersten Mal in Zeitungen veröffentlicht. Der Zweite Weltkrieg verhinderte die weitere Ausbreitung, private Fotografie wurde aber weiter ausgeübt.
Nach Kriegsende wurde Fotografie von den Besatzungsmächten als „friedliche“ Industrie gewertet und konnte wieder Teil des Alltags werden. Der zweite Fotoboom wurde im Land verzeichnet, das sich ab den 1950er Jahren ein Faible für Familien- und Kinderfotografie entwickelte. Kameras wurden für den Export, aber auch die steigende Binnennachfrage produziert. Mit dem steigenden Konsum von Fotografie-Equipment aber auch Fotos selbst ist die Trennung zwischen privater und kommerzieller Fotografie zunehmend verschwommen. So kann man mittlerweile Fotoalben von Berufsfotografen, deren Fotos intime Familienszenen oder Kinderportraits zeigen, auf dem freien Markt erstehen.
Die Frage nach der Unterscheidung zwischen privater und kommerzieller Fotografie wurde auch in der Diskussion thematisiert. Die Trennlinie ist nicht eindeutig festzustellen, da es schwierig ist, einen Definitionsansatz festzusetzen. Einerseits könnte die Intention während des Schießens zu einem Anhaltspunkt gemacht werden, doch andererseits könnte auch die reine Verwendung die Definition kommerzieller und privater Fotografie bestimmen. Intention und Verwendung müssen nicht kongruent sein.
Zur Projektrunde, zu der alle Teilnehmer am Sonntag die Gelegenheit bekamen, sich selbst und ihre laufenden Projekte vorzustellen: Martha-Christine Menzel (Heidelberg) untersucht die Hokkaid6ocirc;-Besiedlung im Spiegel zeitgenössischer japanischer Literatur. Stefan Hübner (Bremen) arbeitet an seiner Dissertation zu den frühen Asian Games und wird voraussichtlich im Mai nächsten Jahres einen Artikel zum Bild der Nationalsozialisten in japanischen Zeitschriften der Vorkriegszeit veröffentlichen. Takuma Melber (Mainz) hat ein Dissertationsprojekt zur Besatzung in Südostasien durch Japan und untersucht die Kollaborateure und Widerständler. David Chwila (Bochum) arbeitet zu einem Thema innerhalb der Kolonialwissenschaften, bei dem es um Philipp Franz von Siebolds ‚Flora Japonica‘ und die Bedeutung der modernen botanischen Taxonomie des Carl von Linné für die Entwicklung der Pflanzenkunde im spätedozeitlichen Japan geht. Christan Schimanski (Bochum) hat zurzeit eine Arbeit, in welcher er sich der Bauern während der Sengoku-Zeit widmet. Arne Kraß (Bochum) beendet demnächst seine kunstgeschichtliche Bachelorarbeit zu nishiki‑e im Russisch-Japanischen Krieg in unterschiedlichen Darstellungen. Akashi Tomonori (Fukuoka/Bochum) hat ein Dissertationsvorhaben, bei dem er die Meiji-zeitlichen Missionierungsbestrebungen der Jôdô-shin-Sekte in Gefängnissen untersucht, sowie deren Finanzierung und internationale Einbindung. Nara Katsuji (Kyôto/Bochum) beschäftigt sich mit der bakumatsu-Zeit und strebt hier die Untersuchung der deutschen Perspektive auf die Geschehnisse an. Einen speziellen Fokus legt er auf das europäische Vertragswesen mit Sicht auf den Westfälischen Frieden. Patricia Sojka (Köln) arbeitet zu dem Thema „Interkulturelle Schwierigkeiten und Anforderungen: Deutschland-Japan“. Daniel Schley (München) bewegt sich im Bereich der Mediävistik zur sakralen Königschaft im japanischen Königreich. Kaja Ferstl (München) hat kürzlich ihre Dissertation zu Fotografie in Japan eingereicht und bereitet sich nun auf ihre Disputatio vor. Maik Hendrik Sprotte (Halle-Wittenberg) kündigte die Veröffentlichung eines Arbeitspapiers von Mitani Hiroshi an. Der volle Titel lautet: Hiroshi Mitani (2011): Die Formierung von Öffentlichkeit in Japan. Eine Bilanz in vergleichender Perspektive. Halle: Martin Luther Universität Halle-Wittenberg (= Formenwandel der Bürgergesellschaft — Arbeitspapiere des Internationalen Graduiertenkollegs Halle-Tôkyô, Nr. 10). Es kann über die Adresse http://www.igk-buergergesellschaft.uni-halle.de/publikationen/arbeitspapiere/ eingesehen werden. Darüber hinaus können stets neue Titel für die „Bibliographie zur historischen Japanforschung“ unter http://www.historische-japanforschung.de direkt über die Seite, die von Maik Hendrik Sprotte und Jan Schmidt gepflegt wird, gemeldet werden. Unter http://www.japanische-geschichte.de stehen außerdem die Protokolle aller bisheriger Tagungen der Initiative zur Einsichtnahme zur Verfügung. Sprotte bot an, dort auch auf Projektskizzen im Netz in der Linkliste auf dieser Seite zu verweisen. Nach dem Prinzip „first-come, first-served“ reichte dazu eine Mail mit dem Projekttitel, den Namen der beteiligten Wissenschaftler und einem funktionierenden Link an: maik@sprotte.name. In der genannten Linkliste findet sich neben der Bibliographie auch bereits ein Verweis zur Bochumer Datenbank von Hans-Martin Krämer mit Quellenübersetzungen unter http://dbs-win.rub.de/japanquellen/de/home.php. Terazawa Yû (Kyôto/Bochum) möchte in Deutschland an ihrer Masterarbeit zu Prostitution in der Gegenwart im deutsch-japanischen Vergleich arbeiten. Kenji‑T. Nishino (Bonn) hat ein Dissertationsvorhaben zu Unterhaltung, Sexualität und Buddhismus im japanischen Mittelalter und arbeitet außerdem an einem Artikel zur Geschlechterpolitik in der Zeichentrickserie „Avatar: The Last Airbender“. Jan Schmidt (Bochum) wird demnächst seine Dissertation zur Rezeption des 1. Weltkriegs in Japan einreichen. Anke Scherer (Köln) beschäftigt sich zurzeit mit dem Thema „Corporate Social Responsibility — Business Ethics“ mit dem Fokus auf Ostasien.
Den Schlussvortrag durfte Martha-Christine Menzel (Heidelberg) präsentieren. Mit dem Titel „Die Besiedlung Hokkaidôs im Spiegel der Literatur“ konzentrierte sich Menzel nicht nur auf die Literatur, die die Besiedlung beschrieb, sondern legte einen Schwerpunkt auf die Methodologie ihrer Forschung. Unter dem vorgestellten Schlagwort „Literaturgeographie“, bei welchem die Handlungsorte zum Hauptaugenmerk werden, sind nicht nur reale Schauplätze zu verstehen, sondern auch projizierte Orte und damit verbundene Grade der Fiktionalisierung. Die Annahme, die Wahl der Handlungsorte im Text durch den/die AutorIn sei klar intentional, wird hiermit zum methodischen Anker. Unter der Leitfrage, wie die Schauplätze Hokkaidôs in den Texten aussehen und fiktionalisiert werden, hat Menzel topographische Marker identifiziert und entsprechende Karten zu den Texten angefertigt. Der Ort Hokkaidô diente ihr als Modellregion aufgrund diverser Vorteile: Es handelt sich hierbei um eine abgeschlossene Region mit vielen verschiedenen Landschaftstypen und um einen gut eingrenzbaren Untersuchungszeitraum durch die späte Besiedlungszeit, wodurch eine natürliche Einschränkung des Textsamples gegeben ist.
In ihren exemplarischen Textanalysen zeigte Menzel die Vorteile einer literaturgeographischen Analyse und band hierbei den freien Onlinedienst Google Maps mit ein. Im ersten Text Kunikida Doppos „Sorachigawa no kishibe“ aus dem Jahr 1904 wird die autofiktionale Geschichte eines Mannes erzählt, der nach Hokkaidô auswandern und sich zu diesem Zweck zunächst einmal ein Stück Land zuteilen lassen möchte. Der Text berichtet von den Geschehnissen während seiner Reise zu den Siedlungsstätten im Inland. Menzel untersuchte die Darstellung auf ihre Authentizität und Fiktionalisierungsgrade hin, um eine adäquate Interpretation zuzulassen. Im zweiten Text von Arishima Takeo, „Kain no matsuei“ aus dem Jahr 1917, wird die Geschichte eines rohen Bauern in Hokkaidô erzählt, der wegen seiner animalischen Art an den menschlichen Sozialgefügen scheitert. Der Autor selbst studierte Agrarwissenschaft am Sapporo Agricultural College und lebte in Hokkaidô. Einige der in der Geschichte vorkommenden Schauplätze, die einen klaren Verweis auf seine eigene Lebensgeschichte vermuten lassen, wurden aber an andere Orte verlegt. Die Aufgabe der literaturgeographischen Analyse liegt darin, solche Details offenzulegen, die Entscheidung des Autors zur Änderung des Schauplatzes zu hinterfragen und die Ergebnisse einer solchen Analyse bei der Gesamtinterpretation des Textes mit einzubeziehen.
Wie auch in der nachfolgenden Diskussion angesprochen, müssen die Schlüsse aus einer solchen Analyse vom jeweiligen Werk abhängig gezogen werden. Die Frage nach einem historischen Mehrwert hingegen konnte mit dem Verweis beantwortet werden, dass durch die Einbindung historischer und geographischer Quellen die Interpretation eines Textes um eine weitere Ebene erweitert werden könne, nämlich um die der Handlungsorte. Unabhängig von der Literaturwissenschaft könne dieses Verfahren aber auch bei der Analyse historischer Quellentexte angewandt werden.
(Protokoll: Kenji-Thomas Nishino)