Protokolle der 36.-40. Tagung aus den Jahren 2021-2024:

36. Tref­fen im Online-Format am 05. & 06. Juni 2021

Das 36. Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fand am 5. und 6. Juni 2021 in einem Online-Format statt und wur­de von Tino Schölz, Julia Bea­trix Süße, Alex­an­der Toby Wolf und Maik Hen­drik Sprot­te (Freie Uni­ver­si­tät Ber­lin) organisiert.

Vor­trä­ge:
Maria Shi­no­to (Hei­del­berg / Beppu): 30 Jah­re archäo­lo­gi­sche For­schun­gen in Japan – von der Japa­no­lo­gie zur Archäologie
Im ers­ten Vor­trag berich­te­te Maria Shi­no­to von ihrer bereits drei Jahr­zehn­te wäh­ren­den archäo­lo­gi­schen For­schung in Japan. Anders als noch in ihrer Stu­di­en­zeit, als sie sich aus­schließ­lich auf schrift­li­che Quel­len stütz­ten muss­te, greift sie für ihre Arbeit auf dem Gebiet der Hayato-Archäologie in Süd-Kyūshū (Satsu­ma, Ōsu­mi) heut­zu­ta­ge auf mate­ri­el­le Hin­ter­las­sen­schaf­ten zurück und nutzt moder­ne Tech­nik wie Lidar zur Unter­su­chung von Fund­stät­ten und che­mi­sche Ana­ly­sen zur Pro­ve­ni­enz­for­schung. Das Volk der Haya­to lässt sich ab der zwei­ten Hälf­te des 7. Jahr­hun­derts nach­wei­sen und sei­ne Eth­no­ge­nese reicht wahr­schein­lich in die Yayoi- oder Kofun-Zeit zurück. Zeit­lich und regio­nal ist die Narikawa-Keramik – Irden­wa­re, die von Frau­en an ihre weib­li­chen Nach­kom­men wei­ter­ge­ge­ben wur­de und sich bis ins 9. Jahr­hun­dert eigen­stän­dig ent­wi­ckel­te – mit den Haya­to in Ver­bin­dung zu brin­gen, die Grab­sit­ten hin­ge­gen wei­chen ab. Im Brenn­ofen­zen­trum von Nakad­ake wur­den mit­tels Lidar eine über­ra­schend hohe Zahl von Kera­mi­k­ö­fen (ca. 60) pro­spek­tiert, trotz gro­ßer Ent­fer­nung von der Pro­vinz­ver­wal­tung, die nor­ma­ler­wei­se ein wich­ti­ger Abneh­mer von Kera­mik war. Da auch die vor Ort vor­han­de­nen Roh­stof­fe eine schlech­te Qua­li­tät auf­wei­sen und somit nicht der Grund für die Orts­wahl sein kön­nen, liegt die Ver­mu­tung nahe, dass die Öfen aus Han­dels­grün­den nahe an einem Hafen plat­ziert wur­den. Außer­dem bestand eine star­ke loka­le Unabhängigkeit. 
Einen Schwer­punkt der For­schung bil­den ver­zier­te Grab­tu­mu­li (sōs­ho­ku kofun), Bestat­tun­gen mit Rit­zun­gen und Bema­lun­gen in der Grab­kam­mer und am Ein­gang, von denen wahr­schein­lich über Tau­send exis­tie­ren. Zu ihrer Erfor­schung setzt Maria Shi­no­to Daten­mo­du­lie­rung in Form von aoris­ti­scher Ana­ly­se ein, die zeigt, dass der Bau die­ser kofun im 4. Jahr­hun­dert begann und im 6. Jahr­hun­dert sei­nen Höhe­punkt erreich­te. Ab der ers­ten Hälf­te des 6. Jahr­hun­derts sind figür­li­che Dar­stel­lun­gen, z. B. von Bogen­schüt­zen, zu fin­den, in Ost­ja­pan wer­den zudem vie­le Erzäh­lun­gen bild­lich dar­ge­stellt. Auch Ein­flüs­se aus Nord­ko­rea las­sen sich erkennen.
An den Vor­trag schloss sich eine rege Dis­kus­si­on an, in deren Ver­lauf u. a. dar­auf hin­ge­wie­sen wur­de, dass auf dem Feld der Archi­tek­tur teils ähn­li­che Schwie­rig­kei­ten bei der zeit­li­chen Ein­ord­nung von Bau­wer­ken bestehen wie in der Archäo­lo­gie. Meh­re­re Fra­gen wur­den zu den Ver­zie­run­gen der Grä­ber gestellt: So ist die Dar­stel­lung von Krö­ten wahr­schein­lich auf chi­ne­si­sche Ein­flüs­se zurück­zu­füh­ren, die genau­en Vor­stel­lun­gen vom Toten­reich zu jener Zeit sind jedoch unge­klärt. Häu­fig fin­den sich auch Son­nen­schei­ben bzw. Spie­gel­dar­stel­lun­gen, die sich aber je nach Ort unter­schei­den und bei den Grä­bern ärme­rer Men­schen als Ersatz für Grab­bei­ga­ben dien­ten. Pro­ble­me bei der Unter­su­chung der Fund­stät­ten berei­ten zum einen gif­ti­ge Insek­ten, zum ande­ren Kera­mik­samm­ler, die die Regi­on in immer grö­ße­rer Zahl auf­su­chen. Plä­ne, Nakad­ake zum Denk­mal zu erklä­ren, könn­ten die wei­te­re For­schung ganz verhindern.

Alex­an­dra Weber (Hal­le [Saa­le]): Der Ein­fluss euro­päi­scher Rüs­tun­gen auf das Kriegs­e­quip­ment der Samu­rai zur Azuchi-Momoyama- und frü­hen Edo-Zeit
Im zwei­ten Vor­trag des Sams­tags stell­te Alex­an­dra Weber ihre Mas­ter­ar­beit über den „Ein­fluss euro­päi­scher Rüs­tun­gen auf das Kriegs­e­quip­ment der Samu­rai zur Azuchi-Momoyama- und frü­hen Edo-Zeit“ vor. Zur Erfor­schung die­ses The­mas, zu dem es kaum Vor­ar­bei­ten gibt, wen­det sie Metho­den der Kunst­ge­schich­te und teil­wei­se der Archäo­lo­gie an. 
Japa­ni­sche Krie­ger – unter ihnen beson­ders Oda Nobun­ga im Zuge der Reichs­ei­ni­gung – grif­fen ver­stärkt auf west­li­che Waf­fen und Rüs­tun­gen zurück, sodass sich eine rege Import­tä­tig­keit ent­wi­ckel­te. Hel­me, Kür­as­se und Kra­gen­stü­cke aus euro­päi­scher Fer­ti­gung wur­den in japa­ni­sche Rüs­tun­gen inte­griert und dafür häu­fig umge­ar­bei­tet. Den­noch blie­ben deut­li­che Unter­schie­de zur japa­ni­schen Tra­di­ti­on bestehen, so etwa Brust­plat­ten aus einem Stück statt der in Japan übli­chen Lamel­len. Bei den ein­ge­führ­ten Rüs­tungs­tei­len han­del­te es sich zwar um recht ein­fa­che Stü­cke, in Japan wur­den sie jedoch als kost­spie­li­ge Objek­te der Ober­schicht gehan­delt. Bald begann man des­halb, Imi­ta­tio­nen in Japan her­zu­stel­len. Als wäh­rend der Edo-Zeit der prak­ti­sche Nut­zen hin­ter deko­ra­ti­ve und reprä­sen­ta­ti­ve Aspek­te zurück­trat, ent­stan­den rasch zahl­rei­che neue Model­le. Wäh­rend heu­te nur noch drei Ori­gi­nal­rüs­tun­gen aus Euro­pa in Japan erhal­ten sind, exis­tiert eine gro­ße Zahl die­ser Eigen­pro­duk­tio­nen, deren Eigen­schaf­ten und Unter­schie­de die Refe­ren­tin anhand von Illus­tra­tio­nen erörterte. 
Sie wies fer­ner auf die pro­ble­ma­ti­sche Benen­nungs­kon­ven­ti­on die­ser Rüs­tun­gen hin: Zwar wird unter Ver­wen­dung der dama­li­gen japa­ni­schen Bezeich­nung für Euro­pä­er als „Süd­bar­ba­ren“ (nan­ban) zwi­schen nanban-dō („Südbarbaren-Harnisch“) und wasei-naban-dō („Südbarbaren-Harnisch aus japa­ni­scher Fer­ti­gung“) unter­schie­den, die­se Dif­fe­ren­zie­rung ist aber vage und unein­heit­lich, sodass zahl­rei­che von japa­ni­schen Platt­nern her­ge­stell­te Rüs­tun­gen in einer für Lai­en ver­wir­ren­den Wei­se als nanban-dō bezeich­net wer­den. Alex­an­dra Weber plä­diert des­halb für eine Ver­ein­heit­li­chung, indem der Ter­mi­nus nanban-dō ledig­lich für Impor­te aus Euro­pa, der Begriff wasei-naban-dō dage­gen nur für japa­ni­sche Imi­ta­te ver­wen­det wer­den sollte. 
In der Dis­kus­si­on kam die Fra­ge auf, war­um die Japa­ner Umbau­ten an euro­päi­schen Rüs­tungs­tei­len vor­nah­men. Die­se hat­ten zum Zweck, die Rüs­tun­gen leich­ter anzie­hen zu kön­nen. Zudem wur­den der ver­wen­de­te Begriff der „Imi­ta­ti­on“ pro­ble­ma­ti­siert, da er als abwer­tend ver­stan­den wer­den könn­te, sowie der prak­ti­sche Nut­zen einer fei­ne­ren Unter­schei­dung von Rüs­tungs­tei­len nach deren Her­kunft in Zwei­fel gezogen.

Vic­tor Fink (Hei­del­berg): Zur Stel­lung des kan­shi in der Kul­tur­ge­schich­te der Edo-Zeit
Im drit­ten Vor­trag am Sams­tag wid­me­te sich Vic­tor Fink der Stel­lung des kan­shi in der Kul­tur­ge­schich­te der Edo-Zeit. Nach einer Gegen­über­stel­lung ver­schie­de­ner Peri­odi­sie­run­gen der japa­ni­schen Geschich­te gab er einen Über­blick der poli­ti­schen und kul­tu­rel­len Dimen­si­on der Edo-Zeit. Wäh­rend kan­shi in der Edo-Zeit zunächst als ver­al­te­te kon­fu­zia­ni­sche Scho­las­tik ange­se­hen wur­den, kam es um 1800 in Aus­ein­an­der­set­zung mit Song-zeitlichen Vor­bil­dern zu einer Erneue­rung. Einen Wen­de­punkt stell­ten die Stu­di­en Ogyū Sorais dar. Neben die­sem wid­met sich Vic­tor Fink in sei­ner For­schung vor allem Hoku­zan und Oku­bo Shi­butsu, wobei die Fra­ge nach der Indi­vi­dua­li­tät und Sub­jek­ti­vi­tät der Dich­ter im Mit­tel­punkt steht. Der Refe­rent greift auf Vor­ar­bei­ten von Micha­el Kin­ski, Samu­el H. Yamas­hi­ta und Peter Nosco zurück, um eine Theo­re­ti­sie­rung der Edo-Zeit zu ermöglichen. 
In der Dis­kus­si­on wur­de die Fra­ge auf­ge­wor­fen, inwie­weit der von Vic­tor Fink für die Edo-Zeit benutz­te Begriff des Feu­da­lis­mus und die teleologisch-marxistische Geschichts­auf­fas­sung auf Japan anwend­bar sind. Des Wei­te­ren wur­de dis­ku­tiert, ob neben den kan­shi auch ande­re Gedich­te der Zeit in den Blick der Unter­su­chung rücken sollten.

Julia Bea­trix Süße / Alex­an­der Toby Wolf (Ber­lin): Kurz­prä­sen­ta­ti­on: 1. Tagung der „Stu­den­ti­schen Initia­ti­ve Deutsch­spra­chi­ger Japa­no­lo­gie“ (StIDJ)
In einer Kurz­prä­sen­ta­ti­on stell­ten Julia Bea­trix Süße und Alex­an­der Toby Wolf ihr uni­ver­si­täts­über­grei­fen­des Pro­jekt zur Aus­rich­tung einer Tagung von und für Stu­die­ren­de der Japa­no­lo­gie vor (https://stidjapanologie.wordpress.com/) und rie­fen dazu auf, sich mit Vor­trä­gen zu betei­li­gen. Auf der Tagung, die the­ma­tisch in Sek­tio­nen auf­ge­teilt sein wird, sol­len die Stu­die­ren­den ers­te Kon­fe­renz­er­fah­run­gen sam­meln kön­nen. Ein­rei­chun­gen sind unter stid.japanologie@gmail.com erbeten.

Tarik Meri­da (Ber­lin): Ein fehl­ge­schla­ge­nes demo­kra­ti­sches Expe­ri­ment? Die Bedeu­tung von Afroamerikaner/innen für Japan
Im vier­ten Vor­trag beschäf­tig­te sich Tarik Meri­da mit der Bedeu­tung von Afroamerikanern/innen für Japan. Wäh­rend bis­he­ri­ge Stu­di­en den Schwer­punkt auf die afro­ame­ri­ka­ni­sche Per­spek­ti­ve gelegt und die Soli­da­ri­tät zwi­schen bei­den Grup­pen von „fel­low vic­tims of racism“ unter­stri­chen hat­ten, beleuch­te­te der Refe­rent die japa­ni­sche Sicht auf Afro­ame­ri­ka­ner Anfang des 20. Jahr­hun­derts. Dabei dekon­stru­ier­te er die Auf­fas­sung, die­se hät­ten Japan als Vor­bild gedient, da sie „far­big, jedoch modern“ gewe­sen sei­en. Tat­säch­lich stell­te Japan Anfang des 20. Jahr­hun­derts inso­fern eine Anoma­lie dar, als es zwar zu den wei­ßen Natio­nen gezählt, aber inter­na­tio­nal nicht voll aner­kannt wur­de. Die japa­ni­sche Sicht auf Afro­ame­ri­ka­ner war dabei häu­fig ambi­va­lent, näm­lich von Empa­thie sowohl für die afro­ame­ri­ka­ni­sche als auch die wei­ße Bevöl­ke­rung der USA geprägt.
Mit wach­sen­der Dis­kri­mi­nie­rung von Japa­nern in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten Anfang des 20. Jahr­hun­derts wuchs auch das japa­ni­sche Inter­es­se an der Behand­lung von Afro­ame­ri­ka­nern. Einer­seits bot sich so die Mög­lich­keit, Kri­tik am Umgang der USA mit ande­ren „Ras­sen“ zu üben. Ande­rer­seits wur­den Afro­ame­ri­ka­ner von japa­ni­scher Sei­te aber oft als unreif, trieb­ge­bun­den, unselb­stän­dig und faul ange­se­hen. Da sie ver­meint­lich ihre Rech­te und Chan­cen nicht nutz­ten, galt ihre Eman­zi­pa­ti­on als geschei­ter­tes demo­kra­ti­sches Expe­ri­ment. So konn­te der Kon­trast zu Japan betont wer­den, dem Rech­te ver­wehrt blie­ben, die Afro­ame­ri­ka­ner genös­sen, obwohl sie sie eigent­lich nicht ver­dient hät­ten. Im Anschluss ent­spann sich eine Dis­kus­si­on dar­über, wie Kolo­nia­lis­mus zu defi­nie­ren ist und ob sein Vor­han­den­sein den moder­nen Natio­nal­staat vor­aus­setzt oder auch unab­hän­gig davon vor­kom­men kann.

Juli­us Becker (Pots­dam): Die glo­ba­le Wir­kung des Ers­ten Chinesisch-Japanischen Krieges
Als letz­ter Pro­gramm­punkt des Sams­tags prä­sen­tier­te Juli­us Becker sein Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekt zur glo­ba­len Wir­kung des Ers­ten Chinesisch-Japanischen Krie­ges. Dabei zeich­ne­te er die Inter­es­sen und das Han­deln der gro­ßen euro­päi­schen Mäch­te gegen­über Chi­na und Japan nach. Wäh­rend Groß­bri­tan­ni­en etwa von einer ursprüng­lich pro-chinesischen zu einer japan­freund­li­chen Hal­tung über­ging, näher­te sich Deutsch­land immer mehr Chi­na an. Dabei wur­de häu­fig euro­päi­sche Poli­tik auf Ost­asi­en pro­ji­ziert, Ter­ri­to­ri­al­in­ter­es­sen und Alli­an­zen spiel­ten eine ent­schei­den­de Rol­le. Bis­he­ri­ge Stu­di­en stütz­ten sich auf Zei­tungs­be­rich­te in Asi­en; Akten in den euro­päi­schen Außen­mi­nis­te­ri­en fan­den jedoch kaum Beachtung.
Juli­us Becker zieht hin­ge­gen neben der ein­schlä­gi­gen Sekun­där­li­te­ra­tur, Zei­tun­gen und zeit­ge­nös­si­scher Lite­ra­tur auch Akten­be­stän­de des deut­schen, fran­zö­si­schen und bri­ti­schen Außen­mi­nis­te­ri­ums sowie Bank­ar­chi­ve her­an, um fol­gen­den For­schungs­fra­gen nach­zu­ge­hen: Wie ver­än­der­te sich die Außen- und Kolo­ni­al­po­li­tik? Wel­che Rol­le spiel­ten wirt­schafts­po­li­ti­sche Aspek­te? Wie wan­del­te sich das Japan- und China­bild? Wel­chen Ein­fluss hat­te die Bericht­erstat­tung auf die Außenpolitik?
Im Anschluss wur­de die Fra­ge dis­ku­tiert, wie die Rol­le der chi­ne­si­schen und japa­ni­schen Akteu­re berück­sich­tigt wer­den könn­te und ob und inwie­weit sich deren Han­deln in der eng­lisch­spra­chi­gen Kor­re­spon­denz wider­spie­ge­le. Fer­ner wur­de die Gefahr the­ma­ti­siert, aus euro­päi­schen Quel­len ein zu posi­ti­ves Japan­bild zu über­neh­men, da Japan effek­ti­ve­re Pro­pa­gan­da­ar­beit betrieb als Chi­na. Hin­ter­fragt wur­de auch, ob die Aus­wahl der Quel­len sich nicht zu stark auf staat­li­che Akteu­re konzentriere.

Fabi­en­ne Hofer-Uji (Ōsa­ka): Der deut­sche Ein­fluss auf die japa­ni­sche Kolonialpolitik
Den ers­ten Pro­gramm­punkt am Sonn­tag bil­de­te Fabi­en­ne Hofer-Ujis Vor­trag zum deut­schen Ein­fluss auf die japa­ni­sche Kolo­ni­al­po­li­tik. Die Arbeit kon­zen­triert sich auf die Geschich­te Tai­wans als Kolo­nie. Laut dem bis­he­ri­gen For­schungs­stand schwank­te die japa­ni­sche Kolo­ni­al­po­li­tik dort zwi­schen dem bri­ti­schen Modell (Kron­ko­lo­nie wie Cey­lon oder Hong­kong) und dem fran­zö­si­schen (Anne­xi­on wie in Alge­ri­en). Jedoch spre­chen Fabi­en­ne Hofer-Uji zufol­ge vier Grün­de dafür, dass es auch zu einer Beein­flus­sung durch Deutsch­land kam: 1.) Der Beginn der Kolo­ni­al­zeit fällt in das gol­de­ne Zeit­al­ter der deutsch-japanischen Bezie­hun­gen wäh­rend der 1870er bis 1890er Jah­re. 2.) In der Gou­ver­neurs­re­gie­rung auf Tai­wan waren vie­le japa­ni­sche Beam­te mit Deutsch­lan­d­er­fah­rung tätig. 3.) Häu­fig fin­den sich Ver­wei­se auf deut­sche Metho­den in offi­zi­el­len Unter­su­chun­gen der Behör­den. 4.) Unter allen erwähn­ten Län­dern ist Deutsch­land in den Berich­ten regie­rungs­na­her Zeit­schrif­ten am dritt­häu­figs­ten ver­tre­ten. Somit lässt sich ein Inter­es­se der Gou­ver­neurs­re­gie­rung an Deutsch­land konstatieren. 
Dabei liegt der Schwer­punkt der Unter­su­chung auf der ers­ten Pha­se der japa­ni­schen Kolo­ni­al­herr­schaft zwi­schen 1895 und 1919 sowie auf vier hoch­ran­gi­gen Beam­ten mit Deutsch­lan­d­er­fah­rung im Umfeld des Gou­ver­neurs Gotō Shim­pei, dar­un­ter der Jurist Okamatsu Sant­arō, der die „alten Bräu­che“ Tai­wans unter Rück­griff auf euro­päi­sche rechts­wis­sen­schaft­li­che Metho­den unter­such­te. Die Dis­ser­ta­ti­on posi­tio­niert sich inner­halb der Glo­bal Histo­ry und greift Fou­caults Kon­zept der Gou­ver­ne­men­ta­li­tät auf. Da die Stu­die in ihrer jet­zi­gen Form zu umfang­reich ist, plant die Refe­ren­tin, sich auf die Inspek­tio­nen deut­scher Kolo­ni­al­ge­bie­te zu beschränken.
Im Anschluss wur­de dis­ku­tiert, wie die Dis­ser­ta­ti­on sich von Nadi­ne Heés Stu­die zur japa­ni­schen Kolo­ni­al­po­li­tik auf Tai­wan unter­schei­de. Fabi­en­ne Hofer-Uji gab zu beden­ken, dass sich Heé spe­zi­ell mit Gewalt­struk­tu­ren befasst und sich nicht nur auf den Anfang der Kolo­ni­al­zeit beschränkt. Einen wei­te­ren Dis­kus­si­ons­punkt stell­te der Begriff des Ein­flus­ses dar: Statt eines direk­ten Trans­fers ist es ange­mes­se­ner, von Dif­fu­si­on zu spre­chen. Zudem soll­ten bei der Unter­su­chung der Rezep­ti­on aus­län­di­scher Vor­bil­der stets auch die Vor­prä­gung und Inter­es­sen der japa­ni­schen Akteu­re berück­sich­tigt wer­den. Zuletzt wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sich der deut­sche Ein­fluss am bes­ten durch Kon­tras­tie­rung mit den fran­zö­si­schen und bri­ti­schen Model­len her­aus­ar­bei­ten lässt.

Jul­jan Bion­ti­no (Chi­ba): Der Berg Namsan in Seo­ul als Schau­platz der japa­ni­schen Assi­mi­la­ti­ons­po­li­tik (1890–1945)
Im zwei­ten Vor­trag am Sonn­tag griff Jul­jan Bion­ti­no das The­ma sei­ner Dis­ser­ta­ti­on, „Der Berg Namsan in Seo­ul als Schau­platz der japa­ni­schen Assi­mi­la­ti­ons­po­li­tik (1890–1945)“ auf, deren Ver­öf­fent­li­chung er zur­zeit vor­be­rei­tet. Für sei­ne Unter­su­chung zog der Refe­rent die Ansät­ze der Erin­ne­rungs­kul­tur und der Ritu­al­theo­rie heran.
Seit dem spä­ten 19. Jahr­hun­dert ent­stan­den um den Namsan, dem tra­di­tio­nell eine Schutz­funk­ti­on für die Stadt Seo­ul zuge­schrie­ben wur­de, japa­ni­sche Schrei­ne sowie ver­ein­zel­te Tem­pel, bis der Berg zur Zeit des Zwei­ten Welt­kriegs schließ­lich kom­plett von japa­ni­schen reli­giö­sen Stät­ten umge­ben war. Schon 1893 wur­den japa­ni­sche Sied­ler­schrei­ne errich­tet, ab 1916 bestand der Kei­jō jin­ja als Schutz­schrein von Seo­ul. Von 1936 an soll­te dort durch Ver­eh­rung einer neu kre­ierten korea­ni­schen Shintō-Gottheit auch die korea­ni­sche Bevöl­ke­rung ein­be­zo­gen wer­den. 1925 wur­de der Chō­sen jin­gū, der größ­te Schrein Kore­as, auf dem Namsan ein­ge­weiht, an dem neben Ama­ter­asu auch der Meiji-Tennō ver­ehrt wur­de. Suk­zes­si­ve wur­de die Teil­nah­me an den dor­ti­gen Ritua­len ver­pflich­tend, sodass es zu einer Dis­kri­mi­nie­rung von Korea­nern und einem Ein­drin­gen in die Sphä­re pri­va­ter Reli­gio­si­tät kam. Hin­zu trat die Nut­zung der Schrei­ne für die Ver­eh­rung korea­ni­scher Sol­da­ten in der japa­ni­schen Armee. Itō Hiro­bu­mi wie­der­um wur­de der bud­dhis­ti­sche Tem­pel Haku­bun­ji gewid­met. Auf die­se Wei­se dien­te der Namsan als Basis der japa­ni­schen Assi­mi­la­ti­ons­po­li­tik, indem er sowohl genutzt wur­de, um die korea­ni­sche Bevöl­ke­rung über die Bräu­che und Kul­tur Japans auf­zu­klä­ren sowie deren Aner­ken­nung in der Kolo­nie zu för­dern, als auch eine Rol­le als Ort der Loya­li­täts­be­kun­dung gegen­über den Kolo­ni­al­her­ren spielte. 
In der Dis­kus­si­on wur­de ein ver­glei­chen­des Pro­jekt zur Assi­mi­la­ti­ons­po­li­tik in Tai­wan und Korea ange­regt, das jedoch bereits läuft. Fer­ner wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es Bemü­hun­gen in Korea gab, die japa­ni­sche Assi­mi­la­ti­ons­po­li­tik für die recht­li­che Gleich­stel­lung von Korea­nern zu kooptieren.

Aya­ko Ito (Kas­sel): Shi­ni­chi Suzu­ki und sein Bei­trag zur Musik­pro­pa­gan­da im impe­ria­lis­ti­schen Japan
Den drit­ten Vor­trag am Sonn­tag hielt Aya­ko Ito zu ihrer Dis­ser­ta­ti­on über den Gei­ger Shi­ni­chi Suzu­ki und sei­nen Bei­trag zur Musik­pro­pa­gan­da im impe­ria­lis­ti­schen Japan. Die nach ihm benann­te Suzuki-Methode wird welt­weit ein­ge­setzt, um Kin­dern ab drei Jah­ren das Spie­len nach Gehör und anfangs ohne Noten bei­zu­brin­gen. Seit den 1970er Jah­ren kommt die­ser instru­men­tal­päd­ago­gi­sche Ansatz auch in Deutsch­land zur Anwen­dung. In der öffent­li­chen Wahr­neh­mung stößt die Suzuki-Methode auf ein geteil­tes Echo: Wäh­rend Kri­ti­ker stren­gen Drill und end­lo­se Wie­der­ho­lun­gen als Erzie­hung zur Kon­for­mi­tät anpran­gern, schät­zen die Befür­wor­ter den reform­päd­ago­gi­schen und kind­ge­rech­ten Ansatz sowie den Kos­mo­po­li­tis­mus der Metho­de. Auch die For­schung betont bis­lang die kos­mo­po­li­ti­sche Ten­denz Suzu­kis und sei­nes Werks, eine gründ­li­che his­to­ri­sche Auf­ar­bei­tung hat jedoch bis­her nicht stattgefunden. 
Anhand sei­ner Schrif­ten zeig­te die Refe­ren­tin auf, dass Suzu­kis Den­ken natio­na­lis­ti­sche Züge auf­wies. In der ers­ten Mono­gra­fie zu sei­ner Metho­de aus dem Jahr 1941 lob­te er das neue Tennō-zentrierte Grund­schul­ge­setz und sprach sich dafür aus, aus­län­di­sche Ein­flüs­se zurück­zu­drän­gen. Er unter­stütz­te die impe­ria­lis­ti­sche Gesin­nung und argu­men­tier­te, da Japan ande­ren Län­dern über­le­gen sei, müs­se es auf frem­de Unter­richts­me­tho­den ver­zich­ten. Suzu­ki schweb­te die Erzie­hung guter Men­schen im Sin­ne der japanisch-konfuzianischen Tugend­idea­le vor. Nach dem Krieg schwäch­te sich die­se Gesin­nung ab, blieb aber im Kern bestehen. So behaup­te­te Suzu­ki 1946, die Kom­ple­xi­tät einer Spra­che kor­re­spon­die­re mit der kul­tu­rel­len Leis­tung eines Vol­kes, und lei­te­te dar­aus einen Über­le­gen­heits­an­spruch der japa­ni­schen Spra­che und Kul­tur ab. Er glaub­te wei­ter­hin an die Kon­trol­lier­bar­keit und Form­bar­keit des Men­schen, der durch Musik erzo­gen wer­den sol­le. In sei­ner Sicht des Kin­des als „Tabula-Rasa“, das durch Erzie­hung erst geformt wer­den muss, über­nahm Suzu­ki Tei­le von Alexis Car­rels Men­schen­bild, das sich auch in der Suzuki-Methode wider­spie­gelt. Talent ver­stand Suzu­ki als etwas, das sich der Mensch aneig­nen muss. Durch Musik soll­ten Kin­der von Ego­is­mus und Unge­hor­sam gerei­nigt und zu guten Men­schen erzo­gen werden.
Im Anschluss an den Vor­trag wur­de dis­ku­tiert, wie Suzu­kis Kri­tik am japa­ni­schen Staat im Jahr 1941 zu deu­ten ist, die auf der frei­en Erzie­hung der Taishō-Zeit fuß­te, und wie er die Ideen der 1920er Jah­re rezi­pier­te. Eben­falls kam die Fra­ge auf, wie viel sei­nes Gedan­ken­guts tat­säch­lich von Suzu­ki selbst stammt und wel­cher Teil er von ande­ren über­nom­men hat. Schließ­lich wur­de bespro­chen, ob der Natio­na­lis­mus­be­griff auf Suzu­ki zutrifft oder es sich in sei­nem Fall um Ras­sis­mus handelt.

Der letz­te Vor­trag, der die Dis­kri­mi­nie­rung von Homo­se­xua­li­tät in Japan the­ma­ti­sie­ren soll­te, muss­te aus gesund­heit­li­chen Grün­den kurz­fris­tig ausfallen.

Das nächs­te, 37. Tref­fen der Initia­ti­ve wird wie­der in einem digi­ta­len For­mat statt­fin­den. Zu gege­be­ner Zeit wird der Ter­min bekannt­ge­ge­ben. Das Tref­fen wird von Julia Bea­trix Süße und Alex­an­der Toby Wolf (bei­de FU Ber­lin) organisiert.

(Dani­el Gerichhausen)

37. Tref­fen im Online-Format am 27. Novem­ber 2021

Das 37. Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fand am 27. Novem­ber 2021 in einem Online-Format statt und wur­de von Julia Bea­trix Süße und Alex­an­der Toby Wolf (Freie Uni­ver­si­tät Ber­lin) organisiert.

Vor­trä­ge:
Chris­toph Rei­chen­bä­cher (Naga­ku­te): „Drei Tage Schön­wet­ter auf dem Lan­de“ – Sumō-Ringer im rura­len Japan des frü­hen 19. Jahrhunderts
Chris­toph Rei­chen­bä­cher dis­ku­tier­te ein Kapi­tel sei­ner Dok­tor­ar­beit zum The­ma Sumō-Ringen als Bei­spiel urba­ner, pro­fes­sio­na­li­sier­ter Unter­hal­tungs­for­men und deren Aus­brei­tung im rura­len vor­mo­der­nen Japan. Bei die­ser kultur- und sozi­al­his­to­ri­schen Unter­su­chung steht der Zeit­raum zwi­schen 1770 und etwa 1890 im Mit­tel­punkt. Es geht dar­in um den Sta­tus der Rin­ger in einer sich wan­deln­den Umwelt sowie die Her­aus­bil­dung eines Status-quo, der den Regeln der Regie­ren­den Rech­nung trug und den­noch eine freie Aus­übung des Rin­gens ermög­lich­te. Dabei steht die Fra­ge im Raum: Wer sorg­te wie dafür, dass Rin­ger in Dör­fer kamen, dort Geld ver­die­nen und die­se Tätig­keit regel­mä­ßig wie­der­ho­len konnten? 
Zuerst gab Chris­toph Rei­chen­bä­cher einen Über­blick über die Geschich­te des Sumō in der Edo-Zeit. So gab es zu Beginn der Edo-Zeit noch drei Auf­füh­rungs­ar­ten des Sumō: (1) das soge­nann­te Bene­fiz­su­mō für Schrein- und Tem­pel­bau­ten, bei denen Rin­ger antra­ten, die dies im Neben­be­ruf aus­üb­ten, (2) Votiv­ver­an­stal­tun­gen, also Tur­nie­re bei Tem­peln und Schrei­nen, die als Dar­bie­tun­gen für Gott­hei­ten gedacht waren, und (3) Stra­ßen­tur­nie­re, die als Ad-hoc-Turniere statt­fan­den. Im Lauf des 17. Jahr­hun­derts wur­den die Sumō-Turniere, was die Teil­neh­men­den und Auf­füh­rungs­or­te betrifft, ver­re­gelt und ein­ge­grenzt. Im Lau­fe des 18. Jahr­hun­derts hat­ten sich in japa­ni­schen Burg­städ­ten und den drei Metro­po­len – Edo, Ōsa­ka und Kyō­to – zahl­rei­che Grup­pen eta­bliert, die Unter­hal­tung für die Bewoh­ner gegen einen Obo­lus dar­bo­ten. Im Geist der Zeit galt es den poli­tisch Herr­schen­den aber als zu unsi­cher, pro­fes­sio­na­li­sier­te Rin­ger in städ­ti­schen Gebie­ten anzu­sie­deln. Das Shog­u­nat sorg­te des­halb mit Edik­ten unter ande­rem für ein Mono­pol der Rin­ger aus Edo (1743). Ab den 1750er Jah­ren wur­den Sumō-Turniere abge­hal­ten, die regel­mä­ßig auf Büh­nen vor zah­len­dem Publi­kum statt­fan­den. Drei Jahr­zehn­te spä­ter erfolg­te eine Ein­gren­zung der Tätig­keit auf umher­rei­sen­de Pro­fes­sio­nel­le (1773). Damit erhielt die Sumō-Gesellschaft eine Mono­pol­stel­lung. Infol­ge die­ser neu­en recht­li­chen Grund­la­ge ver­än­der­ten sich die ent­wi­ckel­ten Trai­nings­grup­pen grund­le­gend. Auf ihren Wegen zu den jähr­lich abge­hal­te­nen Tur­nie­ren in den drei Metro­po­len reis­ten die Rin­ger nun durch die Regio­nen und waren ange­hal­ten, Ein­kom­men durch geson­der­te Vor­füh­run­gen zu ver­die­nen. Die bekann­tes­te Quel­le für die­se Akti­vi­tät ist der Rei­se­be­richt des Rai­den Tame’emon (1767–1828) „Notiz­buch zu Sumō in allen Län­dern“ (Sho-koku sumō hika­echō) aus den Jah­ren 1790 bis 1812. In der Kansai-Zeit Ende des 18. Jahr­hun­derts ent­stand der Rang des Yoko­zu­na sowie Regeln zum Auf­bau einer Sumō-Wettkampfstätte, die Tra­di­ti­on von Ring­rich­tern sowie eine selbst­or­ga­ni­sier­te Hier­ar­chie der Sumō-Trainingsgruppen. Anfang des 19. Jahr­hun­derts wur­de ein Lizenz­sys­tem ein­ge­führt, bei dem es drei Arten von Lizen­zen gab: Lizen­zen für die Form des Rings bzw. der Tur­nier­form, Lizen­zen für die teil­neh­men­den Rin­ger sowie Lizen­zen für die loka­le Orga­ni­sa­ti­on. Damit wur­den Sumō-Turniere auf dem Land zu pro­fes­sio­nell orga­ni­sier­te Ver­an­stal­tun­gen. Unklar bleibt in den Auf­zeich­nun­gen zu den Regeln über die Ver­an­stal­tung von Tur­nie­ren neben der genau­en Orga­ni­sa­ti­on der rura­len Son­der­ex­hi­bi­tio­nen aller­dings die Kon­takt­an­bah­nung der Rei­sen­den mit ört­li­chen Sumō-Enthusiasten. Die­ses so in der Edo-Zeit eta­blier­te Sys­tem ver­schwand nicht mit dem Beginn der Meiji-Zeit, aber es gab im Lauf der Zeit wei­te­re Ver­än­de­run­gen in der Orga­ni­sa­ti­on der Sumō-Turniere und Regeländerungen.
In der Dis­kus­si­on wur­de dann die Fra­ge nach einer natio­na­len Hier­ar­chie der Sumō-Ringer gestellt. In der Vor­mo­der­ne gab es noch kein Ran­king­sys­tem, wie es heut­zu­ta­ge genutzt wird, und in dem Auf- und Abstieg mög­lich sind. Die Fra­ge danach, ob Samu­rai Rin­ger sein durf­ten, wur­de dahin­ge­hend beant­wor­tet, dass Samu­rai sich als Rin­ger betä­ti­gen durf­ten, aber dabei auf ihren hohen sozia­len Sta­tus hät­ten ver­zich­ten müs­sen, was eine Kar­rie­re als Sumō-Ringer für sie rela­tiv unat­trak­tiv mach­te. Dem Sumō-Ringen ähn­li­che Wett­be­wer­be, wie z.B. Schwert­du­el­le, gab es nicht.
Wei­ter­hin wur­de in der Dis­kus­si­on geklärt, dass die Sumō-Älteren an den Lizen­zen, die für das Aus­rich­ten von Sumō-Turnieren ver­ge­ben wur­den, ver­dien­ten, und einer der Grün­de dafür war, dass das Shog­u­nat nach und nach die Aus­übung von Sumō als Auf­füh­rungs­kunst ver­re­gel­te, dass die Regie­ren­den damit eine Grup­pe in der Bevöl­ke­rung kon­trol­lie­ren woll­ten, von denen poten­ti­ell Gewalt aus­ge­hen konnte.
Als abschlie­ßen­der Punkt wur­de dar­über dis­ku­tiert, inwie­weit eine Unter­su­chung der Struk­tu­ren, in denen Sumō in der Edo-Zeit statt­fin­den konn­te, etwas über die tat­säch­li­che Aus­übung des Sumō aus­sa­gen kann; denn die in der Arbeit genutz­ten Quel­len über Struk­tu­ren sagen nicht zwin­gend etwas über Per­for­manz aus. Es han­delt sich hier­bei um ein gene­rel­les Pro­blem bei der Erfor­schung der Popu­lär­kul­tur in der Vor­mo­der­ne, bei der Quel­len zur Struk­tur gegen­über den Quel­len über die tat­säch­li­che Auf­füh­rungs­pra­xis über­wie­gen. Sumō als popu­lä­re Unter­hal­tungs­form nimmt im Kon­text der Popu­lär­kul­tur aller­dings inso­fern eine Son­der­stel­lung ein, als dass hier nicht wie bei ande­ren For­men der Popu­lär­kul­tur das Phä­no­men vom Land in die Stadt getra­gen wur­de, son­dern sich das Sumō der Edo-Zeit in umge­kehr­ter Rich­tung von der städ­ti­schen Kul­tur in die Flä­che verbreitete.

Valen­tin Debler (Bonn): Schrift­zei­chen­va­ri­an­ten im Japan des 7. und 8. Jahrhunderts
Im zwei­ten Vor­trag befass­te sich Valen­tin Debler mit der Fra­ge, wie es um das Schrift­bild der japa­ni­schen Schrift­zei­chen in Japan in der Asuka- bzw. Nara-Zeit bestellt war. So ist man heut­zu­ta­ge dar­an gewöhnt, dass es wenigs­tens inner­halb eines der ost­asia­ti­schen Län­der nur ein bis zwei Schrift­zei­chen als Stan­dard gibt, die man für einen Begriff benutzt. Die­ser Stan­dard wird streng ein­ge­hal­ten und bereits ein Hin­zu­fü­gen oder Weg­las­sen eines Strichs wird als Feh­ler betrach­tet. Auf­grund von zahl­rei­chen Aus­gra­bun­gen his­to­ri­scher Arte­fak­te in den letz­ten 50 bis 60 Jah­ren ist es jetzt mög­lich, das Schrift­bild der Asuka- und Nara-Zeit zu unter­su­chen. Die häu­figs­ten Objek­te, auf denen Schrift zu sehen ist, sind die soge­nann­ten mok­kan (Holz­tä­fel­chen).
Durch die­se Objek­te, von denen bis­her cir­ca 55.000 durch das Nara Bun­ka­zai Kenkyūsho (For­schungs­in­sti­tut für Kul­tur­gü­ter in Nara) digi­ta­li­siert wur­den, lässt sich mehr über die Ent­wick­lung der Schrift in Japan und das damals ver­brei­te­te Schrift­bild fest­stel­len. Ganz offen­sicht­lich hat­ten die Beam­ten eine höhe­re Tole­ranz gegen­über ver­schie­de­nen Schreib­wei­sen eines Wor­tes. Die Metho­dik zur Bestim­mung der Schriftzeichen-Variation wird von Imre Galam­bos über­nom­men, der die­se anhand der chi­ne­si­schen Zei­chen zur Zeit der Strei­ten­den Rei­che (Guo­di­an Manu­skrip­te und Bünd­nis­in­schrif­ten aus Hou­ma) ent­wi­ckel­te. Die­ser Ansatz soll auf drei der fünf­zig häu­figs­ten Wör­ter auf Holz­tä­fel­chen (aus der San‘in-Region) ange­wen­det wer­den. Auf die­se Wei­se kön­nen die Über­trag­bar­keit sei­nes Ansat­zes getes­tet und, falls mög­lich, vor­kom­men­de Vari­an­ten bestimmt werden.
Die drei zu ana­ly­sie­ren­den Wör­ter sind „Pro­vinz“, „Bezirk“ und „Dorf“ und waren haupt­säch­lich auf Eti­ket­ten für Steu­er­sen­dun­gen nötig, wes­halb die drei genann­ten geo­gra­fi­schen Begrif­fe sehr häu­fig vor­ka­men. Wei­ter­hin soll der Fra­ge nach­ge­gan­gen wer­den, ob, wie in Chi­na, auch in Japan inner­halb einer ein­zi­gen Regi­on (viel­leicht selbst in einer ein­zi­gen Pro­vinz), bereits ver­schie­de­ne Vari­an­ten für die Dar­stel­lung die­ser Wör­ter genutzt wur­den, und ob es den­noch einen gewis­sen Stan­dard gege­ben haben mag. Daher wird zunächst nur eine Regi­on (San‘in-Region), von der aus Steu­ern in die Haupt­stadt geschickt wur­den, untersucht.
Ers­te Aus­wer­tun­gen erga­ben, dass es im unter­such­ten Kor­pus für das Wort „Pro­vinz“ kein Bei­spiel für die heu­ti­ge Schreib­wei­se gibt. Viel­mehr gibt es fünf Vari­an­ten, von denen drei unge­fähr gleich häu­fig waren, zwei wei­te­re Vari­an­ten hin­ge­gen sel­ten genutzt wur­den. Die am meis­ten genutz­te Vari­an­te stimmt mit der heu­te als Lang­zei­chen genutz­ten Vari­an­te über­ein (國).
In der Dis­kus­si­on wur­de dann erör­tert, wie die Beam­ten in der Haupt­stadt mit den ver­schie­de­nen Vari­an­ten umgin­gen. Dabei zeigt sich eine gewis­se Prä­fe­renz für bestimm­te Vari­an­ten in bestimm­ten Pro­vin­zen, aber die Fra­ge danach, ob es sich bei den regio­na­len Vari­an­ten viel­leicht um den­sel­ben Ver­fas­ser bei einer Vari­an­te han­deln kön­ne, kann nicht beant­wor­tet wer­den, da sich die Namen der Ver­fas­ser nicht immer auf den mok­kan fin­den. Gene­rell war die Vari­an­ten­an­zahl und die all­ge­mei­ne Tole­ranz für Anders­schrei­bun­gen in der Asuka- und Nara-Zeit rela­tiv hoch.
Bei der Fra­ge nach der Wort­aus­wahl wur­de geklärt, dass es nicht sinn­voll ist, die wirk­lich häu­figs­ten Wör­ter zu neh­men, da es sich hier­bei um vie­le All­tags­wör­ter han­delt, die zu schlicht im Auf­bau sind, als dass es vie­le Varia­ti­ons­mög­lich­kei­ten gäbe. Die für die Unter­su­chung aus­ge­wähl­ten Wör­ter sind hin­ge­gen sowohl häu­fig als auch kom­plex genug, um sinn­voll mit Vari­an­ten zu operieren.
In der Dis­kus­si­on über die Fra­ge, wel­che Rol­le Schrift­zei­chen spiel­ten, die rein für ihren Laut­wert ein­ge­setzt wur­den, wur­de dar­auf ver­wie­sen, dass dies eine ande­re Fra­ge­stel­lung sei, näm­lich nach dem Gebrauch von Schrift­zei­chen und nicht nach der Schreib­wei­se eines bestimm­ten Zei­chens. Im For­schungs­pro­jekt soll die Vari­anz der Schrift­zei­chen, nicht die Vari­anz in der Spra­che, unter­sucht werden.
Hin­ge­wie­sen wur­de dar­auf, dass die Über­set­zung „Dorf“ für sato für die Azuka- und Nara-Zeit ahis­to­risch ist, da man für die Zeit noch nicht von Dör­fern im heu­ti­gen Wort­sinn aus­ge­hen kann und des­halb die abs­trak­te Bezeich­nung „Ver­wal­tungs­ein­heit“ bes­ser sein könn­te. Auch ein Abgleich des Schrift­ge­brauchs in der Zen­tra­le mit den aus den ver­schie­de­nen Pro­vin­zen stam­men­den mok­kan wur­de vorgeschlagen.

Estel­la Green (Bochum): „West­li­cher als der Wes­ten“ — Das Japa­ni­sche Rote Kreuz (JRK) im Russisch-Japanischen Krieg 1904-05
Der Vor­trag behan­del­te die Grün­dung, die Struk­tur und das Wachs­tum des JRK, um die Fra­ge nach dem Ein­satz des JRK wäh­rend des Russisch-Japanischen Krie­ges und des­sen west­li­che Rezep­ti­on zu behan­deln. Die Grün­dung der Japa­ni­schen Rotkreuz-Gesellschaft 1887 ist in den Kon­text der Meiji-Restauration und das Bestre­ben der japa­ni­schen Regie­rung, von west­li­chen Staa­ten als zivi­li­sier­te Nati­on aner­kannt zu wer­den, ein­zu­ord­nen. Der vom JRK ver­tre­te­ne Huma­ni­ta­ris­mus ist daher als außen­po­li­ti­sche Stra­te­gie zu ver­ste­hen. Dabei wur­de Huma­ni­ta­ris­mus – anders als in der christ­lich gepräg­ten Tra­di­ti­on des Wes­tens – mit Patrio­tis­mus asso­zi­iert. Ande­re Unter­schie­de zu west­li­chen huma­ni­tä­ren Gesell­schaf­ten war die star­ke zen­tra­le Steue­rung des JRK sowie die ver­gleichs­wei­se hohen Mit­glie­der­zah­len in Japan. Schon im chinesisch-japanischen Krieg spiel­te das JRK eine wich­ti­ge Rol­le, vor allem auch beim Rück­trans­port von Ver­wun­de­ten auf Laza­rett­schif­fen. Der russisch-japanische Krieg war der ers­te Krieg des 20. Jahr­hun­derts zwi­schen Groß­mäch­ten, der dann auch noch medi­al zu ver­fol­gen war. Das japa­ni­sche Mili­tär prä­sen­tier­te sich in die­sem Krieg als ein Kriegs­teil­neh­mer, der sich ganz beson­ders an die Regeln hält, um damit zu zei­gen, dass das Land Mit­glied im Club der zivi­li­sier­ten Natio­nen war.
Der Vor­trag unter­such­te west­li­che Quel­len, die den Ein­satz des JRK im Russisch-Japanischen Krieg kom­men­tie­ren, um den Erfolg oder Miss­erfolg die­ser Stra­te­gie bewer­ten zu kön­nen. Da der Russisch-Japanische Krieg nicht nur ein wich­ti­ger inter­na­tio­na­ler Auf­tritt des japa­ni­schen Kai­ser­rei­ches war und daher für die Meiji-Regierung gro­ße außen­po­li­ti­sche Wich­tig­keit mit sich brach­te, son­dern auch als ers­ter gro­ßer Krieg des neu­en Jahr­hun­derts ein Ereig­nis welt­wei­ter Bri­sanz dar­stell­te, hat­te der Ein­satz des JRK wäh­rend die­ses Kon­flik­tes ein inter­na­tio­na­les Publi­kum. Aus den her­an­ge­zo­ge­nen Quel­len geht eine Bewun­de­rung für das JRK her­vor, wel­che west­li­che Schwes­ter­ge­sell­schaf­ten, allen vor­an das Bri­ti­sche und das US-amerikanische Rote Kreuz, dazu beweg­te, ihre eige­nen Orga­ni­sa­tio­nen anhand des japa­ni­schen Vor­bil­des zu refor­mie­ren. Da die Rotkreuz-Idee ursprüng­lich aus Euro­pa über­nom­men wor­den war, kann die­se Rück­be­ein­flus­sung als gro­ßer Erfolg im Sin­ne der Meiji-Regierung gese­hen wer­den und dient als Bei­spiel für die Rezi­pro­zi­tät trans­na­tio­na­ler Prozesse.
In der Dis­kus­si­on über die Stel­lung des JRK gegen­über dem japa­ni­schen Staat wur­de vor­ge­schla­gen, dies anhand der Unter­su­chung der Hand­lungs­spiel­räu­me zu tun, die das JRK hat­te. Auf die­sem Wege lie­ßen sich das Ver­hält­nis von Staat und JRK sowie die gegen­sei­ti­gen Abhän­gig­kei­ten näher beleuchten.
Dis­ku­tiert wur­de auch der Aspekt des frei­wil­li­gen Ein­sat­zes der JRK-Mitglieder, die, wenn geru­fen, in der Regel kei­ne Ent­schei­dungs­spiel­räu­me hat­ten. Dazu wur­de aller­dings ange­merkt, dass die Mit­glied­schaft sehr wohl frei­wil­lig war, der Ein­satz eines Mit­glieds hin­ge­gen den Zie­len der Orga­ni­sa­ti­on die­nen muss­te und des­halb nach der frei­wil­li­gen Ent­schei­dung für eine Mit­glied­schaft nicht mehr optio­nal sein konnte.
Zum Aspekt der im Vor­trag erwähn­ten Dank­bar­keit von rus­si­scher Sei­te über die Behand­lung rus­si­scher Kriegs­ge­fan­ge­ner im Russisch-Japanischen Krieg wur­de ange­zwei­felt, dass die rus­si­sche Regie­rung sich direkt der japa­ni­schen Regie­rung gegen­über erklärt habe. Dazu wur­de ange­merkt, dass es Spen­den von rus­si­scher Sei­te an das JRK gab, was mit den Regie­run­gen bei­der Sei­ten nichts zu tun hatte.

Ste­fa­nie Maja Kin­der (Mün­chen): Yana­gi Mun­ey­o­shi als Kulturvermittler
Der letz­te Vor­trag stell­te Yana­gi Mun­ey­o­shi als Kul­tur­ver­mitt­ler vor. Der japa­ni­sche Phi­lo­soph und Kunst­kri­ti­ker Yana­gi Mun­ey­o­shi (1889–1961) ist bekannt als Vater des min­gei, der japa­ni­schen Volks­kunst. Yana­gi war ein Grün­dungs­mit­glied der Shirakaba-ha (1910–1923), einer Grup­pe jun­ger japa­ni­scher Lite­ra­ten und Künst­ler, die aus­ge­wähl­te euro­päi­sche Lite­ra­tur und Kunst — durch ihre gleich­na­mi­ge Zeit­schrift Shira­ka­ba sowie Kunst­aus­stel­lun­gen — in Japan ver­mit­tel­ten. Yana­gi Mun­ey­o­shi beschäf­tig­te sich ab dem Jahr 1914 zudem ein­ge­hend mit der korea­ni­schen Volks­kunst, beson­ders mit der Kera­mik der Joseon-Zeit (1392–1910). Für sei­ne Erfor­schung und Samm­lung der korea­ni­schen Volks­kunst reis­te er ab dem Jahr 1916 meh­re­re Male nach Korea. Zusam­men mit den Brü­dern Asaka­wa Norit­a­ka (1884–1964) und Taku­mi (1891–1931) sam­mel­te er dabei unzäh­li­ge Kul­tur­gü­ter. Sei­ne For­schung ver­mit­tel­te Yana­gi in Japan unter ande­rem durch sei­ne Arti­kel in der Shirakaba.
Durch sei­ne kri­ti­schen Schrif­ten zur japa­ni­schen Kolo­ni­al­re­gie­rung, als Reak­ti­on auf die bru­ta­le Nie­der­schla­gung der Bewe­gung zum 1. März 1919 in Korea ver­fasst, kam Yana­gi in direk­ten Kon­takt mit jun­gen korea­ni­schen Stu­den­ten in Japan. Durch die­sen Aus­tausch und sein Bemü­hen, mög­lichst viel der schnell ver­schwin­den­den korea­ni­schen Kul­tur zu ret­ten, beschlos­sen Yana­gi und Asaka­wa Taku­mi im Jahr 1920, das Chō­sen Minz­o­ku Bijut­sukan (1924) in Seo­ul zu grün­den. Zwi­schen Yana­gi, sei­ner in deut­schem Gesang aus­ge­bil­de­ten Frau Kan­eko, der Shirakaba-ha, den Asakawa-Brüdern sowie sei­nen korea­ni­schen Freun­den kam es in den fol­gen­den Jah­ren durch meh­re­re Tref­fen, Vor­trä­ge und Kon­zer­te zu einem leben­di­gen Kul­tur­aus­tausch. Die­ser Aus­tausch ist ein wich­ti­ger Aspekt in Yana­gis Ver­bin­dung zu Korea und wirk­te sich auch auf die Moder­ne Kore­as ab dem Jahr 1920 aus. Beson­ders die Mit­glie­der der korea­ni­schen Lite­ra­tur­grup­pe Pyeho-pa stan­den in engem Kon­takt mit Yana­gi. Yana­gis Tätig­keit hat­te somit weit­rei­chen­den Ein­fluss in Japan und Korea, der bis heu­te anhält und in den letz­ten Jah­ren erneut Beach­tung und Bewer­tung fand.
In der Dis­kus­si­on wur­de die Fra­ge erör­tert, ob Yana­gi die korea­ni­sche Kunst im kolo­nia­len Kon­text als pri­mi­tiv gese­hen hat. Tat­säch­lich beschreibt er korea­ni­sche Kunst als „ursprünglicher“/naturverbundener, was aller­dings nicht gleich­zu­set­zen ist mit einer Klas­si­fi­zie­rung die­ser Kunst als pri­mi­tiv. Yana­gi schau­te nicht her­ab auf korea­ni­sche Kunst und Kul­tur, schau­te aller­dings auch mit einem kolo­nia­len Blick auf das Land, wodurch ein gewis­ser Pater­na­lis­mus nicht zu leug­nen ist. Das Wir­ken Yana­gis soll­te im Kon­text der Shirakaba-ha gese­hen wer­den, die stark sozia­lis­ti­sche Ten­den­zen hat­te und sich als gan­ze Grup­pe dem Anar­chis­mus ver­bun­den fühl­te sowie gegen Mili­ta­ris­mus und Krieg ein­ge­stellt war.

(Anke Sche­rer)

38. Tref­fen im Online-Format am 03. & 04. Dezem­ber 2022

Die 38. Tagung der „Initiative zur historischen Japanforschung“ fand am 03. und 04. Dezember 2022 online an der Freien Universität Berlin statt.

Protokoll zu Sonntag, den 04. Dezember 2022

09:00 – 10:15 Uhr: Nobuhiro Yanagihara (Tokyo): „Zwei Geschichten des Bombenkrieges. Eine Forschung über Japan und Deutschland“

Im ersten Vortrag des Sonntages referierte Nobuhiro Yanagihara über die Erinnerungskultur des Zweiten Weltkrieges anhand einer vergleichenden Perspektive von Denkmälern in Deutschland und Japan. Ziel seiner Forschung ist zum einen die angestrebte „Glokalisierung“, indem Erinnerungen durch Forschung und Betrachtung verschiedener Länder miteinander verglichen werden. Zum anderen soll die Entmythologisierung der zentralen Erinnerungen des Bombenkrieges erfolgen. Zentrale Städte und Orte stehen zwar symbolisch für jene Erinnerungen, jedoch geraten mittels fehlender Kontextualisierung andere Orte und Städte in den Hintergrund. Die zentrale Frage ist, wie sich Erinnerungen an einzelne, lokale Ereignisse bewahren lassen.

In dem im Vortrag herausgearbeiteten Vergleich zwischen Deutschland und Japan wurde ein unterschiedlicher Umgang mit den Ereignissen deutlich. In Japan erinnern vor allem Steindenkmäler im öffentlichen Raum, wie in Parks und Tempeln, an den Bombenkrieg aus einer reinen Opferperspektive. Im Vordergrund stehen die auf Japan abgeworfenen Atombomben. Der Bombenkrieg wird hierdurch jedoch marginalisiert. Weniger bekannt sind nationale Einrichtungen sowie öffentliche, jährlich stattfindende Trauerzeremonien. Eine Besonderheit stellt in Japan die symbolische Verwendung von Bäumen dar, die als Mahnmal der Bombardierung vor Ort gepflanzt wurden, sowie Animationsfilme zu dieser Thematik.

Im Gegensatz sind in Deutschland Denkmäler häufig christlich konnotiert und Mahnmale, wie die Flugwache in Berlin, national bekannt. Während es in beiden Ländern Denkmäler zu den Lynchmorden an Piloten der Bomberkommandos gibt, geht in Deutschland die Erinnerungskultur über direkte Kriegsbeteiligte hinaus und gedenkt ebenfalls Zwangsarbeitern, die zur Beseitigung von Blindgängern eingesetzt wurden. Die Städtepartnerschaft zwischen Hannover und Hiroshima verbindet die Erinnerung an den Bombenkrieg in Hannover, jedoch gibt es in Japan nichts Vergleichbares. Auch auf juristischer Ebene zeigt sich ein bedeutender Unterschied beider Länder: In Deutschland wurden Bombenopfer entschädigt, in Japan scheiterte eine Bewegung, die sich für die Entschädigung von Bombenopfern einsetzte. Für eine vertiefende Betrachtung der Zeitzeugen sowie Betrachtung der Forschungsliteratur blieb in diesem Vortag keine Zeit.

In der anschließenden Fragerunde wurde die Rolle des Universitätscampus der Tokyo Woman’s Christian University, der sich auf dem ehemaligen Gelände von Nakajima befindet, einem ehemaligen Rüstungsbetrieb für Kampfflugzeuge, eingehender thematisiert. Ein weiteres zentrales Thema war der Transformationsprozess individueller Kriegserfahrungen zu individuellen Erinnerungen bis hin zu kollektiven Erinnerungen.

10:30 – 11:45 Uhr: Judith Vitale (Zürich): „Das Mittelalter in der Kunst der Meiji-Zeit: Die ‚Bewegung zur Errichtung eines Denkmals für die Mongoleneinfälle‘“

Judith Vitale berichtete aus dem sechsten und letzten Kapitel eines langjährigen Projekts, das innerhalb der kommenden zwei Jahre veröffentlicht werden soll. Dessen zentrale Frage ist der Einfluss von Historikern auf die Geschichtskultur sowie die Mythenbildung am Beispiel der Mongoleneinfälle und die Bewegung um Yuchi Takeo (1847-1913). Im Mittelpunkt stehen dabei die im 19. Jahrhundert aufkommende Historienmalerei, Lieder, Architektur und schließlich das im Higashi-Park in Fukuoka errichtete Denkmal des Kameyama-Tennō (1249-1305).

In Jahr 1888 gründete Yuchi Takeo eine Bewegung zur Errichtung eines Denkmals mit Bezug zu den mongolischen Einfällen während des Mittelalters mit dem Ziel, die nationale Souveränität und patriotische Erziehung zu betonen. Hierfür nutzte er multimediale Wanderausstellungen, in denen er Ölgemälde, Broschüren und bewegte Bilder, die den Verlauf der Mongoleneinfälle darstellten, zeigte. Hinsichtlich des historischen Realismus der Gemälde zeigte Judith Vitale, dass diese auf konventionalisierten Darstellungsweisen der späten Edo-Zeit basierten. Diese „Illusion“ der Darstellung sei den Künstlern der Zeit bewusst gewesen, jedoch sei keine korrekte historische Wiedergabe, sondern eine ästhetische Darstellung beabsichtigt gewesen.

Aufgrund der mythischen Überhöhung des Mittelalters und besonders der Mongoleneinfälle wurden die Steine des Mongolenwalls, die diesem zwischenzeitlich für den Bau der Burg Fukuoka entnommen worden waren, dem Wall wieder hinzugefügt. In diesem Zusammenhang wandelte sich auch die ursprüngliche Idee des geplanten Denkmals zu einer symbolträchtigeren Form: Beispielsweise wurde anstatt der eigentlich geplanten militärischen Reiterstatue auf Shikanoshima kurz vor der finalen Umsetzung im Jahr 1904 die Errichtung eines Denkmals des Kameyama-Tennō im Higashi-Park beschlossen. Dieser habe laut Mythos die göttlichen Winde (kamikaze) zur Zerstörung der Mongolen herbeigerufen.

Die Historienmalerei stellte einen ideologischen Rahmen mit Schwerpunkt auf eine individuelle Verbesserung, den nationalen Fortschritt und den Patriotismus dar. Zudem zeigte sich, dass ideologische Elemente lokaler Bewegungen übernommen wurden. Die Gemälde, Lieder und Vorträge der Wanderausstellungen zur Spendensammlung fanden bei der Bevölkerung großen Anklang, weil bereits vorhandene Traditionen genutzt wurden. 

In der Diskussionsrunde wurden Hinweise für weitere Literatur gegeben. Zudem wurde die Ausbildung der nationalen Identität diskutiert. Laut Judith Vitale ist wichtig hervorzuheben, dass Nationalismus ein modernes Konzept sei und sich die Frage stelle, welche Funktion die Geschichte der Vormoderne für den Nationalismus habe.

Des Weiteren wurde die Rolle des Mittelalters in der Meiji-Zeit diskutiert, da bei Judith Vitales Untersuchungen auffällig war, dass eine Rückbesinnung auf das Altertum abgelehnt wurde.

12:00 – 13:15 Uhr: Oleg Benesch (York): „Burgen, Ritter und Samurai: Globaler Mediävalismus und das moderne Japan“

Den dritten und letzten Vortrag am Sonntag hielt Oleg Benesch über die Entwicklung des „Mediävalismus“ in Japan des 19. und 20. Jahrhunderts, eingebettet in der Zeit des globalen Imperialismus und der Gründung von Nationalstaaten.

Im 19. Jahrhundert lebte im Westen das Mittelalter in einer idealisierten Mittelalterrezeption, d.h. losgelöst von historischen Ereignissen, auf und wurde neu interpretiert. So zeugten u.a. ritterliche Symbole und Burgen als Vorlage für moderne Architektur von Macht und Autorität. In Japan führte diese Rezeption des Mittelalters zu einem Zwiespalt, denn das feudale Japan wurde eigentlich als rückständig angesehen und seine Ästhetik demzufolge abgelehnt. Dennoch gründeten die Briten, ein Vorbild der militärischen Stärke des Westens, ihre Macht auf dem Rittertum. Die Iwakura-Mission (1871-1873), begeistert von europäischen und besonders britischen mittelalterlichen Relikten, beeinflusste beispielsweise den innerjapanischen Diskurs insoweit, dass einige japanische Burgen vor der Zerstörung bewahrt wurden, und entwickelte die Idee der Gründung eines Militärmuseums, das die großen militärischen Taten Japans darstellen sollte. Ab den 1890er Jahren wurde der Samurai zum Vorbild im Prozess der nationalen Identitätsbildung und wurde zum Sinnbild der Aufopferung und des Patriotismus. Während aber die feudale Vergangenheit schrittweise akzeptiert und später japanische Burgen und Samurai als den westlichen überlegen angesehen wurden, blieb das Mittelalter sowie auch dessen Epochengliederung umstritten.

Der Mediävalismus, d.h. die Mittelalterrezeption, diente den Menschen dazu, die Ursprünge ihrer nationalen Identität zu finden. Nicht zu unterschätzen ist in dieser Findungsphase auch die rückwirkende Beeinflussung der japanischen Rezeption auf die britische bzw. westliche Mittelalterrezeption. Darüber hinaus sind regional und national unterschiedliche Rezeptionsmuster zu beachten. Zur weiteren Erforschung des Mediävalismus erhofft sich Oleg Benesch eine verstärkt globale Erforschung des Phänomens.

An den Vortrag schloss sich eine rege Diskussion an, in deren Verlauf u.a. der Mediävalismus in China diskutiert und viele Literaturhinweise zur Rezeption des Mittelalters gegeben wurden. Eine Diskussion bezüglich der Rezeption von Altertum und Mittelalter in Japan fand ebenfalls statt. Darüber hinaus wurde die positive Rezeption des bushidō in zeitgenössischen militärischen Debatten in Europa thematisiert.

Zum Abschluss wurde angekündigt, dass die Tagung im kommenden Jahr ihr 20. Jubiläum feiert. Unklar ist bisher, ob die Tagung erneut online, hybrid oder vor Ort stattfinden wird.

Zum Ende der Tagung wurde nach der Stellung der Geschichtswissenschaft gefragt. Wenngleich die Geisteswissenschaften generell nicht wie die MINT-Fächer finanziell gefördert werden und die Relevanz der Geschichte im wissenschaftlichen Kontext sinke, sei gleichzeitig festzustellen, dass die Anzahl der Studierenden gleichbliebe. Es sei jedoch eine Verschiebung des Schwerpunkts auf Zeitgeschichte zu beobachten. Eine Fortsetzung der Diskussion wurde für die kommende Tagung vorgeschlagen.

Melina Wache

39. Tref­fen im Online-Format am 21. Okto­ber 2023

Das 39. Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fand am 21. Okto­ber 2023 in einem Online-Format statt und wur­de von Julia Bea­trix Süße, Tino Schölz und Maik Hen­drik Sprot­te (Freie Uni­ver­si­tät Ber­lin) organisiert.

Vor­trä­ge:
Kawa­ki­ta Atsuko (Tōkyō): Die japa­ni­sche Erin­ne­rungs­land­schaft. Umgang mit nega­ti­ven Vergangenheiten
Im ers­ten Vor­trag „Die japa­ni­sche Erin­ne­rungs­land­schaft. Umgang mit nega­ti­ven Ver­gan­gen­hei­ten“ the­ma­ti­sier­te Kawa­ki­ta Atsuko die unter­schied­li­che Wahr­neh­mung von Krie­gen vor Beginn des 20. Jahr­hun­derts im Ver­gleich zu moder­nen Krie­gen, ins­be­son­de­re zum Asiatisch-Pazifischen Krieg in Japan. Dabei wur­de die Bil­dung des Bewusst­seins eines „schmut­zi­gen Kriegs“ sowie das Ver­hält­nis die­ses Bewusst­seins zur japa­ni­schen Erin­ne­rungs­kul­tur her­aus­ge­ar­bei­tet. In der Vor­kriegs­zeit wur­de Kriegs­to­ten und Kriegs­hel­den unter­schied­lich gedacht. Obwohl wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs über Hel­den­ta­ten an der japa­ni­schen Front berich­tet wur­de, herrscht über die Ver­eh­rung von Kriegs­to­ten nach 1945 kein Kon­sens. So wer­den in Bezug auf den Zwei­ten Welt­krieg kei­ne Hel­den erin­nert, und dar­über hin­aus gilt er als „schmut­zi­ger Krieg“, da das Kriegs­völ­ker­recht sys­te­ma­tisch durch Japan gebro­chen wur­de. Die­se Ver­bre­chen wur­den nach 1952 durch Zeit­zeu­gen wie ehe­ma­li­ge Sol­da­ten oder Mit­glie­der der Chi­na Retur­nees Liai­son Asso­cia­ti­on the­ma­ti­siert und bezeugt. Die­ser offe­ne Umgang wur­de ins­be­son­de­re durch die feh­len­de Straf­ver­fol­gung von Kriegs­ver­bre­chen durch japa­ni­sche Behör­den mög­lich. Obwohl jedoch die Kriegs­ver­bre­chen des Zwei­ten Welt­kriegs in Japan weit­hin bekannt sind, domi­niert im Land eine Erin­ne­rungs­kul­tur, die sich fast aus­schließ­lich auf das Leid an der Hei­mat­front bezieht und die Ereig­nis­se in Über­see weit­ge­hend ausblendet. 
Die anschlie­ßen­de Dis­kus­si­on befass­te sich mit der Fra­ge, war­um Kriegs­ver­bre­chen heu­te in Muse­en und Aus­stel­lun­gen kaum dar­ge­stellt wer­den und inwie­weit sich dies mit einem Opfer­be­wusst­sein (higai­sha ishi­ki) und Scham­ge­fühl in Japan begrün­den lässt. Eine mög­li­che Erklä­rung, war­um bei­spiels­wei­se im Frie­dens­mu­se­um Hiro­shi­ma (Hei­wa kinen shiryō­kan) die Kriegs­ver­bre­chen nicht Teil der Aus­stel­lung sind, ist die Aus­rich­tung der Muse­en auf die Frie­dens­er­hal­tung und – in die­sem kon­kre­ten Fal­le – einem Geden­ken an die Atom­bom­ben­op­fer. In die­sem Zusam­men­hang wur­de gefragt, ob man bei der For­schung in Japan auf Schwie­rig­kei­ten oder sogar Wider­stand sto­ße. Dies gebe es zwar ins­be­son­de­re bei zeit­ge­nös­si­schem mili­tä­ri­schem Mate­ri­al, auf das man nur schwer Zugriff erhiel­te, aber Anfein­dun­gen bei der For­schung sei­en sel­ten und wur­den zumin­dest sei­tens der Refe­ren­tin nicht erfah­ren. Wei­ter­hin wur­den die gemein­sam von Korea, Japan und Chi­na her­aus­ge­ge­be­nen, als ergän­zen­de Unter­richts­ma­te­ria­li­en kon­zi­pier­ten Geschichts­lehr­wer­ke dis­ku­tiert. Den Anstoß dafür habe die gemein­sa­me deutsch-polnische Schul­buch­kom­mis­si­on gege­ben. Die aktu­el­le poli­ti­sche Situa­ti­on erschwe­re zwar das Schrei­ben eines gemein­sa­men Geschichts­schul­buchs durch die drei asia­ti­schen Län­der stark, aber bereits her­aus­ge­ge­be­ne Lehr­wer­ke zei­gen, dass die Zusam­men­ar­beit zwi­schen His­to­ri­kern in Ost­asi­en wohl mög­lich und sinn­voll sei. Zuletzt wur­de der Ter­mi­nus „Krieg ohne Hel­den“ dis­ku­tiert. Für die Gegen­wart trä­fe die­ser Begriff zu, aber bis in die 1980er Jah­re wur­den Kriegs­hel­den in der japa­ni­schen Gesell­schaft durch­aus ver­ehrt. Eine auch heut­zu­ta­ge inten­siv statt­fin­den­de Dis­kus­si­on über die Hel­den­ver­eh­rung in der Öffent­lich­keit wir­ke sich auch auf die Gedenk­land­schaft aus und füh­re zu einer Spal­tung derselben.

David M. Malitz (Tōkyō): Die der­zei­ti­gen Thron­fol­ge­kri­sen in Japan und Thai­land und deren Wur­zeln in der Natio­nal­staats­bil­dung des 19. Jahrhunderts
Im nächs­ten Vor­trag „Die der­zei­ti­gen Thron­fol­ge­kri­sen in Japan und Thai­land und deren Wur­zeln in der Natio­nal­staats­bil­dung des 19. Jahr­hun­derts“ wid­me­te sich David M. Malitz den Ursa­chen der gegen­wär­ti­gen Thron­fol­ge­kri­sen in Japan und Thai­land (bis 1939 Siam). Nach einer Dar­stel­lung der aktu­el­len Thron­fol­ge­si­tua­ti­on sowie der Schil­de­rung der recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für die Thron­fol­ge in bei­den Län­dern wur­den anhand der his­to­ri­schen Ent­wick­lun­gen im 19. und frü­hen 20. Jahr­hun­dert die Ursa­chen der gegen­wär­ti­gen Kri­sen dar­ge­stellt. Drei grund­le­gen­de Gemein­sam­kei­ten bei­der Mon­ar­chien bis ins frü­he 19. Jahr­hun­dert bil­de­ten dabei den Aus­gangs­punkt für die nach­fol­gen­den Refor­men: So gab es weder fest­ge­leg­te Thron­fol­ge­re­geln noch eine Ver­wandt­schaft mit ande­ren Königs- oder Kai­ser­häu­sern, und durch die Poly­ga­mie der Herr­scher wur­den genü­gend mög­li­che Thron­fol­ger gebo­ren. Mit dem Umbruch in die Moder­ne änder­te sich dies. Mit dem „Gesetz über den kai­ser­li­chen Haus­halt“ (Kōs­hitsu ten­pan) von 1889 wur­de die Thron­fol­ge in Japan klar fest­ge­setzt. Ein ähn­li­ches Gesetz wur­de 1924 auch in Siam mit Blick auf Japan ver­ab­schie­det. Eben­so ver­hielt es sich mit dem suk­zes­si­ven Über­gang zur Mono­ga­mie. Bei­de Refor­men redu­zier­ten jedoch den thron­fol­ge­be­rech­tig­ten Nach­wuchs stark und führ­ten somit maß­geb­lich zu den aktu­el­len Thron­fol­ge­kri­sen. Auch die Kür­zung der Zahl der Neben­li­ni­en des Kai­ser­hau­ses in Japan sowie die gene­ra­ti­ons­wei­se Her­ab­stu­fung der Nach­kom­men des thai­län­di­schen Königs zu Bür­ger­li­chen nach dem Zwei­ten Welt­krieg ver­schärf­ten die­se Situa­ti­on. Ein gro­ßer Unter­schied zwi­schen dem aktu­el­len Japan und Thai­land liegt in der recht­mä­ßi­gen Thron­fol­ge, die per thai­län­di­schem Gesetz von 1974 auch durch eine Prin­zes­sin ange­tre­ten wer­den kann. In Japan ist dies nicht der Fall.
In der Dis­kus­si­on wur­de nach den Grün­den für die Wider­stän­de gegen eine Reform der japa­ni­schen Thron­fol­ge gefragt. Das Aus­schlie­ßen einer weib­li­chen Thron­fol­ge kön­ne in der nach wie vor in rech­ten bzw. kon­ser­va­ti­ven Krei­sen vor­herr­schen­den Ideo­lo­gie der unge­bro­che­nen Herr­scher­li­nie des Kai­ser­hau­ses (bans­ei ikkei) wur­zeln. Inter­es­sant ist, dass die heu­ti­gen Debat­ten denen im Japan des frü­hen 20. Jahr­hun­derts sehr ähneln. Ein wei­te­rer Grund wur­de im preu­ßi­schen Vor­bild für das „Gesetz über den kai­ser­li­chen Haus­halt“ gese­hen: In Preu­ßen gab es kein Wahl­recht für Frau­en und dies wur­de, ange­passt an die Rege­lun­gen zur Thron­fol­ge, von Japan über­nom­men. Da bei der Schaf­fung des Geset­zes euro­päi­sche Ver­fas­sungs­tex­te und Haus­ge­set­ze als Vor­bild dien­ten, sei dies durch­aus denk­bar. Auch die Unver­letz­lich­keit des Ten­nō stammt aus der euro­päi­schen Ver­fas­sungs­tra­di­ti­on und wur­de auf Japan über­tra­gen. Zuletzt wur­de auf die Fra­ge der metho­di­schen Unter­su­chung der Gemein­sam­kei­ten und Unter­schie­de zwi­schen Thai­land und Japan nach dem Zwei­ten Welt­krieg ein­ge­gan­gen. Für eine wei­ter­füh­ren­de, ver­glei­chen­de For­schung soll­ten Kri­te­ri­en fest­ge­legt wer­den, die sich ins­be­son­de­re auf die Rol­le der Mon­ar­chien für die natio­na­le Iden­ti­tät bei­der Län­der sowie die Funk­ti­on der Mon­ar­chien in bei­den Gesell­schaf­ten beziehen.

Imai Hiro­ma­sa (Fuku­o­ka): Ein klei­nes Deut­sches Reich in Japan. Deut­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne in Fukuoka/Kurume im Ers­ten Weltkrieg
Im anschlie­ßen­den Bei­trag „Ein klei­nes Deut­sches Reich in Japan. Deut­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne in Fukuoka/Kurume im Ers­ten Welt­krieg“ sprach Imai Hiro­ma­sa über das ers­te Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger Kuru­me in Fuku­o­ka, das als eines von 17 wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs errich­te­ten Lagern in Japan vor­ran­gig dazu dien­te, gefan­gen­ge­nom­me­ne deut­sche Sol­da­ten unter­zu­brin­gen. Als Lager mit den meis­ten Gefan­ge­nen und auf­grund sei­ner schlech­ten Lebens­be­din­gun­gen wur­de es auch „Japa­ni­sches KZ“ genannt. Die­ses und ande­re Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger die­ser Zeit wer­den häu­fig unter dem Aspekt der „deutsch-japanischen Freund­schaft“ unter­sucht, jedoch sei die­ser Ansatz unzu­rei­chend, um die Kon­flik­te zu ver­ste­hen, mit denen sich das japa­ni­sche Mili­tär in den Lagern kon­fron­tiert sah. Ein wich­ti­ger Ansatz bei der Unter­su­chung des Lagers ist die geo­gra­fi­sche Lage: Bei der Bela­ge­rung von Tsingtau fie­len cir­ca 1.000 japa­ni­sche Sol­da­ten, die mehr­heit­lich aus Kyūs­hū stamm­ten und dem­zu­fol­ge die deut­schen Sol­da­ten in dem in Fuku­o­ka (Kyūs­hū) gele­ge­nen Kriegs­ge­fan­gen­la­ger ten­den­zi­ell eher schlecht behan­del­ten. Der ste­ti­ge Aus­bau des Lagers trug eben­falls zum Hass gegen die Gefan­ge­nen bei. Den­noch fand ein Aus­tausch zwi­schen den deut­schen Sol­da­ten und der japa­ni­schen Bevöl­ke­rung statt, bei­spiels­wei­se durch Auf­trit­te des Kriegs­ge­fan­ge­nen­or­ches­ters. Neben dem eben genann­ten Fak­tor kann auch der Füh­rungs­eben des Lagers eine wich­ti­ge Rol­le bei der Ver­schär­fung von lager­in­ter­nen Kon­flik­ten zuge­schrie­ben wer­den. Ober­leut­nant Maza­ki Jinsa­burō (1876–1956) führ­te als Lei­ter des Lagers von Mai 1915 bis Novem­ber 1916 ein stren­ges Kontroll- und Bestra­fungs­sys­tem ein, wel­ches die Kon­flik­te zwi­schen der Füh­rungs­ebe­ne und den Gefan­ge­nen ver­schärf­te. Maza­ki befürch­te­te durch die Anwe­sen­heit von Gefan­ge­nen aus ande­ren Län­dern, wie bei­spiels­wei­se Polen, die Bil­dung eine „klei­nen Deut­schen Rei­ches“ in sei­nem Lager und ver­such­te, dem ent­ge­gen­zu­wir­ken. Zusam­men­fas­send muss bei der Erfor­schung des Lagers das kom­ple­xe Zusam­men­spiel von Impe­ria­lis­mus, Ras­sis­mus und Mili­ta­ris­mus sowie von eth­ni­schen Fra­gen inner­halb des Deut­schen Rei­ches stär­ker als bis­her beach­tet werden.
In der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on wur­de als wei­te­res Bei­spiel das Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger in Narashi­no erwähnt, wel­ches zwar eben­falls wie das Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger Ban­dō als „Vor­zei­ge­la­ger“ galt, sich aber in der Rea­li­tät ähn­li­chen Schwie­rig­kei­ten wie das Lager in Kuru­me aus­ge­setzt sah. Im Anschluss wur­de der inner­ras­sis­ti­sche Dis­kurs im Gefan­ge­nen­la­ger zwi­schen Preu­ßen und Polen dis­ku­tiert. In die­sem Zusam­men­hang wur­de die Fra­ge gestellt, ob es sich bewusst um eine Stra­te­gie der japa­ni­schen mili­tä­ri­schen Füh­rung zur Spal­tung der Deut­schen im Lager gehan­delt habe, den stren­gen Maza­ki mit der Lei­tung des Lagers zu betrau­en. Da es sich bei dem Gefan­ge­nen­la­ger in Kuru­me um das ers­te Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger in Japan han­del­te und somit auf kei­ne bestehen­de Ver­wal­tungs­er­fah­rung zurück­ge­grif­fen wer­den konn­te, wur­de dies ver­neint. Der Kon­flikt zwi­schen pol­ni­schen und deut­schen Sol­da­ten hät­te sei­nen Ursprung in euro­päi­schen eth­ni­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen. In die­sem Zusam­men­hang wer­den in der zukünf­ti­gen For­schung die vor­han­de­nen Quel­len unter dem Blick­punkt von Maza­kis Ein­stel­lung zu Preu­ßen, zum Kon­zept der Gefan­gen­schaft und zur Bestra­fung von Sol­da­ten unter­sucht. Dabei soll­ten auch die recht­li­chen Bedin­gun­gen der Bestra­fung sowie das Ver­hält­nis der Bestra­fung von japa­ni­schen und deut­schen Sol­da­ten betrach­tet werden. 

Det­lev Taran­c­zew­ski (Bonn): In schwe­rem Fahr­was­ser. Selbst­be­stim­mung und poli­ti­sche Teil­ha­be in Japans Mittelalter
Im vier­ten Vor­trag skiz­zier­te Det­lev Taran­c­zew­ski explo­ra­tiv unter dem Titel „In schwe­rem Fahr­was­ser. Selbst­be­stim­mung und poli­ti­sche Teil­ha­be in Japans Mit­tel­al­ter“ Ideen zu einer lang­fris­ti­gen Ana­ly­se zwei­er Kern­ele­men­te von Demo­kra­tie vor, näm­lich der „Selbst­be­stim­mung“ und der „poli­ti­schen Teil­ha­be“, und dis­ku­tier­te deren Bedeu­tung in der vor­mo­der­nen Geschich­te. Die Meta­pher „schwe­res Fahr­was­ser“ bezieht sich dabei auf die man­nig­fal­ti­gen Wider­stän­de gegen die Ver­wirk­li­chung der bei­den genann­ten politisch-sozialen Grund­be­dürf­nis­se der ein­zel­nen Mit­glie­der einer Gemein­schaft bzw. Gesell­schaft. Die­se Wider­stän­de erwuch­sen jedoch nicht nur aus Kon­flik­ten in der „Ver­ti­ka­len“, also zwi­schen sta­tus­mä­ßig Beherrsch­ten und Herr­schen­den, son­dern auch aus hori­zon­ta­len Kon­flik­ten, also unter Ange­hö­ri­gen der Beherrsch­ten. Im Zen­trum der Betrach­tun­gen stand die „loka­le Gesell­schaft“, die Gemein­den, Verbünde von Gemein­den oder auch Land­schaf­ten, also Kon­glo­me­ra­te aus Verbünden, umfasst. In die Unter­su­chung ein­be­zo­gen wur­den dabei nicht nur begriffs­ge­schicht­li­che Metho­den, son­dern auch sozi­al­struk­tu­rel­le, insti­tu­tio­nel­le und mentalitäts¬geschichtliche Ent­wick­lun­gen, die sich jedoch meist schwie­ri­ger erschlie­ßen las­sen. Einen wich­ti­gen Aus­gangs­punkt für die­ses Pro­jekt sind his­to­ri­sche Unter­su­chun­gen zu die­sem The­ma, ins­be­son­de­re Abhand­lun­gen zur „Demo­kra­tie“, bei­spiels­wei­se von Miura Hiroy­u­ki und Ami­no Yoshi­hi­ko. Auch der Eth­no­lo­ge Bro­nisław Mali­now­ski for­mu­lier­te einen wich­ti­gen Zugang zu die­sem Themenkomplex.
In der Dis­kus­si­on wur­de die Los­lö­sung von der Institutionen- und der damit ver­bun­de­nen Begriffs­ge­schich­te dis­ku­tiert. Statt­des­sen sei es wis­sen­schaft­lich berei­chern­der, gezielt nach sozia­len und loka­len poli­ti­schen Struk­tu­ren zu suchen und die­se als Aus­gangs­punkt für die Ana­ly­se zu neh­men. Wei­ter­hin wur­de die Suche nach neu­en Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­räu­men in der For­schung the­ma­ti­siert: Bei­spiels­wei­se erfolg­te, in Anknüp­fung an die Arbei­ten Ami­nos, in den 1990er Jah­ren eine Umdeu­tung der Edo-Zeit als feudal-absolutistische Epo­che, in der die Frei­heit des Mit­tel­al­ters ver­lo­ren gegan­gen sei. Eine gegen­sätz­li­che Mei­nung ver­trat unter ande­rem Kat­su­ma­ta Shi­zuo, der in die­ser Zeit wie­der­um die Grün­dung moder­ner gesell­schaft­li­cher und selbst­ver­wal­ten­der Struk­tu­ren sah. Einen wei­te­ren Dis­kus­si­ons­punkt bil­de­te der Ver­gleich der vor­ge­stell­ten Ideen­samm­lung mit moder­nen euro­päi­schen poli­ti­schen Theo­rien, deren Grund­la­ge der patri­ar­cha­li­sche Haus­halt dar­stellt. Dies las­se sich auch auf Japan über­tra­gen, wobei es auch eini­ge Aus­nah­men gab: In Fischer­dör­fern auf Hons­hū gab es Frau­en als Haus­halts­vor­stän­de und sie arbei­te­ten zugleich als Fische­rin­nen. Auch Ami­no habe die­se Frei­heit im weib­li­chen Geschlecht ver­kör­pert gese­hen. Zuletzt wur­de der Wan­del von Begrif­fen ab der frü­hen Meiji-Zeit the­ma­ti­siert. Die­ser deu­te auf eine Dif­fe­renz­er­fah­rung hin und zei­ge, dass bereits vor­han­de­ne Begrif­fe nicht mehr aus­reich­ten, um neue politisch-soziale Gege­ben­hei­ten zu beschrei­ben. Ein Bruch zur Edo-Zeit sei deut­lich sicht­bar, jedoch müss­ten bei der Erfor­schung der Begriffs­ge­schich­te neben geschlechts- auch schicht- und sta­tus­spe­zi­fi­sche Aus­prä­gun­gen beach­tet werden. 

Julia Bea­trix Süße (Ber­lin): Die For­mung eines ade­li­gen Habi­tus an der Gakushū-in. Eine Ana­ly­se von Lehr­plä­nen und Schul­ord­nun­gen der Jah­re 1877–1893
Julia Bea­trix Süße stell­te in ihrem Vor­trag ihre sozi­al­ge­schicht­li­che Mas­ter­ar­beit über „Die For­mung eines ade­li­gen Habi­tus an der Gakushū-in – Eine Ana­ly­se von Lehr­plä­nen und Schul­ord­nun­gen der Jah­re 1877–1893“ vor. Als wich­tigs­ter Ort der Erzie­hung der Söh­ne und Töch­ter des Adels und der Kai­ser­fa­mi­lie bis zum Ende des Zwei­ten Welt­kriegs wur­de das Augen­merk auf die Funk­ti­on und Son­der­stel­lung der Gakushū-in („Schu­le für den Adel“) gelegt, indem anhand von aus­ge­wähl­ten Lehr­plä­nen und Schul­ord­nun­gen die For­mung eines ade­li­gen Habi­tus auf­ge­zeigt wur­de. Dabei ging sie ins­be­son­de­re der Fra­ge nach, wel­che Geschlechts­spe­zi­fik bei Jun­gen und Mäd­chen zu beob­ach­ten ist und wie dadurch das ade­li­ge Selbst­ver­ständ­nis geprägt wur­de. Dafür wur­den der Sport­un­ter­richt, chi­ne­si­sche und japa­ni­sche Ein­flüs­se im Gegen­satz zu west­li­chen Ein­flüs­sen sowie aus­ge­wähl­te geschlechts­spe­zi­fi­sche Fächer und geschlechtsübergreifende Fächer als den ade­li­gen Habi­tus for­men­de Instan­zen her­aus­ge­ar­bei­tet. Über die grund­le­gen­de For­mung des Habi­tus hin­aus beton­te sie zudem die Ver­än­de­rung eines geschlechts­spe­zi­fi­schen Habi­tus im ange­ge­be­nen Zeit­raum. Dabei wur­de deut­lich, dass Jun­gen und Mäd­chen nach Eröff­nung der Schu­le im Jahr 1877 zunächst nach fast iden­ti­schen Lehr­plä­nen unter­rich­tet wur­den, sich jedoch vor allem ab Mit­te der 1880er Jah­re zeig­te, dass die Jun­gen nun pri­mär zum Ver­tei­di­ger des Lan­des sowie als „Boll­werk“ des Kai­ser­hau­ses, und die Mäd­chen gemäß des Ide­als der „guten Haus­frau, wei­sen Mut­ter“ (ryō­sai ken­bo) zur Haus­halts­füh­rung und dem Gebä­ren von Kin­dern erzo­gen wur­den. Die­se Dif­fe­ren­zie­rung wur­de durch die phy­si­sche Tren­nung des Unter­richts mit der Eröff­nung der Kazo­ku jogak­kō („Mäd­chen­schu­le für den Adel“) auf einem sepa­ra­ten Cam­pus im Jahr 1885 ver­stärkt. Den­noch fin­den sich auch zu die­ser Zeit vie­le Gemein­sam­kei­ten in den Lehr­plä­nen, bei­spiels­wei­se im Mathematik‑, Kalligraphie- und Moral­kun­de­un­ter­richt. Zur Erfor­schung des The­mas wur­de die Theo­rie des Habi­tus nach Pierre Bour­dieu (1930–2002) herangezogen.
In der Dis­kus­si­on wur­de das ade­li­ge Eli­ten­be­wusst­sein bespro­chen, wel­ches als Her­aus­bil­dung eines „Gefühls“ zwar schwie­rig nach­zu­wei­sen sei, aber von inter­view­ten ehe­ma­li­gen Schü­lern und Schü­le­rin­nen der Gakushū-in aus­führ­lich beschrie­ben wor­den sei. For­ciert wur­de die­ses Bewusst­sein haupt­säch­lich durch die Ver­ga­be von Adels­rän­gen mit der Pro­kla­ma­ti­on des kazoku-rei („Adels­ge­setz“) 1884, wonach an der Gakushū-in das Tra­gen ver­schie­den­far­bi­ger Tücher für den jewei­li­gen Rang ein­ge­führt wur­de. Neben der Erzie­hung und Bil­dung inner­halb der Schu­le für den Adel war auch die Aus­bil­dung der Jun­gen und Mäd­chen ins­be­son­de­re in den schö­nen (und tra­di­tio­nel­len) Küns­ten wie Tee­ze­re­mo­nie und Ike­ba­na sowie in west­li­chen wie japa­ni­schen Sport­ar­ten durch die Fami­lie beson­ders wich­tig. Auch dies wirk­te auf den ade­li­gen Habi­tus ein. Auch die Koedu­ka­ti­on mit nicht-adeligen Kin­dern präg­te den ade­li­gen und geschlechts­spe­zi­fi­schen Habi­tus. Dar­an anknüp­fend wur­de auch über die all­ge­mei­ne Geschlech­ter­tren­nung im Bil­dungs­we­sen und die Alpha­be­ti­sie­rung der japa­ni­schen Bevöl­ke­rung dis­ku­tiert. Zudem wur­den Nach­fra­gen zum Inhalt der Lehr­ma­te­ria­li­en gestellt, die jedoch auf­grund des ein­ge­schränk­ten Rah­mens der Mas­ter­ar­beit nur teil­wei­se beant­wor­tet wer­den konnten. 

Ali­ce Witt (Hei­del­berg): Dar­stel­lun­gen von Wider­stand im All­tag an der Hei­mat­front des Zwei­ten Welt­kriegs in Japan
Im sechs­ten Vor­trag „Dar­stel­lun­gen von Wider­stand im All­tag an der Hei­mat­front des Zwei­ten Welt­kriegs in Japan“ stell­te Ali­ce Witt ihre Mas­ter­ar­beit vor, in der sie sich mit der All­tags­ge­schich­te des Zwei­ten Welt­kriegs beschäf­tig­te. Dabei kon­zen­trier­te sie sich auf die Fra­ge, inwie­fern es For­men des Wider­stands gegen den Krieg im All­tag in der brei­ten Bevöl­ke­rung gab. Zu die­sem Zweck unter­such­te sie cir­ca 100 Zuschrif­ten von Per­so­nen an die Zei­tung Asahi shin­bun aus den Jah­ren 1986/87, in wel­chen Erleb­nis­se von Zeit­zeu­gen aus dem Zeit­raum 1937–1945 geschil­dert wer­den. Die­se Bei­trä­ge wur­den in drei ver­schie­de­ne For­men des Wider­stands ein­ge­ord­net – „lau­ten“, „lei­sen“ und „stil­len“ Wider­stand. „Lau­ter“ Wider­stand wird als akti­ver Wider­stand, der sich in direk­tem (wenn auch häu­fig anony­men) Pro­test gegen die Obrig­keit äußer­te, defi­niert. Die­se Art Wider­stand war immer mit Bestra­fung durch staat­li­che Instan­zen und meist mit poli­zei­li­cher Ver­fol­gung ver­bun­den. Der „lei­se“ Wider­stand umfasst kri­ti­sche Äuße­run­gen, etwa im engen Familien- und Freun­des­kreis. Im Gegen­satz dazu lässt sich der „stil­le“ Wider­stand ver­or­ten, der sich nur gedank­lich äußer­te. Auf­fäl­lig an der Betrach­tung der Zuschrif­ten ist die Hete­ro­ge­ni­tät, die sich unter ande­rem in unter­schied­li­chen Alters­stu­fen, beruf­li­chen Hin­ter­grün­den und sozia­ler Schicht­zu­ge­hö­rig­keit zeigt. Zudem wird zwi­schen Dar­stel­lun­gen von Wider­stand durch die Bei­trä­ger selbst und Fremd­be­schrei­bun­gen unter­schie­den: Die Selbst­dar­stel­lung ent­hält häu­fig Rela­ti­vie­run­gen und bleibt der Inter­pre­ta­ti­on durch die Leser­schaft offen, wohin­ge­gen Fremd­be­schrei­bun­gen deut­lich den Wider­stand ande­rer Per­so­nen auf­zei­gen. Gemein ist allen Bei­trä­gern, dass sie sich nicht als Opfer, son­dern als aktiv han­delnd betrachten. 
Die Dis­kus­si­on schloss sich an Ali­ce Witts Nach­be­mer­kung an, dass sie in ihrer künf­ti­gen For­schung einen grö­ße­ren Fokus auf die Defi­ni­ti­on von Wider­stand legen möch­te. Ein mög­li­cher Anknüp­fungs­punkt ist die Betrach­tung von zeit­ge­nös­si­schen Mate­ria­li­en. Auch wenn es noch kei­ne Wider­stands­ge­schich­te bezüg­lich des Zwei­ten Welt­kriegs in Japan gebe, sei die Betrach­tung von unter­schied­li­chem Quel­len­ma­te­ri­al aus den 1930er und 1940er Jah­ren sicher­lich erkennt­nis­reich. Auch Debat­ten, ob es über­haupt einen Wider­stand in Japan zu die­ser Zeit gege­ben hät­te, sei­en eine gute Grund­la­ge für eine Ver­tie­fung des The­mas. Die­se Erkennt­nis­se könn­ten wie­der­um mit den Ergeb­nis­sen aus der Mas­ter­ar­beit ver­gli­chen wer­den. Als wei­te­rer Betrach­tungs­punkt könn­ten metho­di­sche und theo­re­ti­sche Ange­bo­te der Erin­ne­rungs­for­schung, ins­be­son­de­re die Bedin­gungs­ana­ly­se, her­an­ge­zo­gen wer­den, da die Bei­trä­ge 40 Jah­re nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs ver­fasst wur­den. Zuletzt wur­de die Beein­flus­sung der Bei­trä­ger durch Wider­stands­for­men aus ande­ren Krie­gen oder inter­na­tio­na­le Bezü­ge zur Debat­te gestellt. In den unter­such­ten Bei­trä­gen wer­den kei­ne ande­ren (inter­na­tio­na­len) Bewe­gun­gen oder Wider­stän­de erwähnt, aber auch dies kann in der zukünf­ti­gen For­schung Beach­tung finden.

Jul­jan E. Bion­ti­no (Chi­ba): Ost­asi­en im neu­en Geschichts­un­ter­richt an japa­ni­schen Ober­schu­len seit 2022
Im letz­ten Vor­trag mit dem Titel „Ost­asi­en im neu­en Geschichts­un­ter­richt an japa­ni­schen Ober­schu­len seit 2022“ wid­me­te sich Jul­jan E. Bion­ti­no einer neu­en Form des Geschichts­un­ter­richts, die seit April 2022 an japa­ni­schen Ober­schu­len unter­rich­tet wird. Mit der Ein­füh­rung des ein­jäh­ri­gen Pflicht­kur­ses „Reki­shi sōgō“ ver­sucht das japa­ni­sche Bil­dungs­mi­nis­te­ri­um, den bis­her auf Aus­wen­dig­ler­nen basie­ren­den Unter­richt für Schü­ler inter­es­san­ter und gewinn­brin­gen­der zu gestal­ten. Der Kurs ver­bin­det das Fach „Japa­ni­sche Geschich­te“ (ehe­mals Nihon­shi) und das gene­rell unbe­lieb­te Fach „Welt­ge­schich­te“ (ehe­mals sekai­shi) mit­ein­an­der, beschränkt aber die Unter­richts­ma­te­ria­li­en auf die moder­ne und zeit­ge­nös­si­sche Geschich­te. Dabei steht die Schu­lung von Fähig­kei­ten wie dem his­to­ri­schen Den­ken sowie der Urteils- und Aus­drucks­kraft neben der Ver­mitt­lung von Inhal­ten durch schü­ler­zen­trier­te und fra­ge­ge­steu­er­te Metho­den im Vor­der­grund. Zudem wer­den ab dem zwei­ten Ober­schul­jahr seit April 2023 Wahl­kur­se zur Ver­tie­fung ange­bo­ten. Unter­stützt wird die Ein­füh­rung von 26 neu­en Lehr­bü­chern. Der neue Geschichts­un­ter­richt stellt jedoch nicht nur die Ler­nen­den, son­dern auch die Schu­len, Nach­hil­fe­schu­len (juku) und Lehr­kräf­te glei­cher­ma­ßen vor neue Her­aus­for­de­run­gen und Eltern vor neue Ängs­te, da sich an den Auf­nah­me­prü­fun­gen für die Uni­ver­si­tä­ten nichts ändern wird. Zudem müs­sen sich auch Uni­ver­si­tä­ten den neu­en Lehr­plä­nen stel­len und ihre all­ge­mei­ne Ein­tei­lung in die ori­en­ta­li­sche, west­li­che und japa­ni­sche Geschich­te über­den­ken. Pro­ble­ma­tisch in die­sem Kon­text ist außer­dem, dass die neu­en Geschichts­bü­cher kei­ne Auf­ar­bei­tung der his­to­ri­schen Bezie­hun­gen, ins­be­son­de­re vor und wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs, zwi­schen Korea, Chi­na und Japan beinhal­ten. Der Ansatz, japa­ni­sche Schü­ler zum „Nach­den­ken“ und „Reflek­tie­ren“ aus­zu­bil­den, stößt hier an eine Gren­ze. Auch die Tat­sa­che, dass erst ab 1945 eine glo­bal­ge­schicht­li­che Ten­denz aus­zu­ma­chen ist, stellt einen Kri­tik­punkt an der Reform dar.
In der Dis­kus­si­on wur­den haupt­säch­lich die Aus­wir­kun­gen der Umstel­lung des Geschichts­un­ter­richts auf das Cur­ri­cu­lum an den Uni­ver­si­tä­ten dis­ku­tiert. An eini­gen Hoch­schul­ein­rich­tun­gen fand bzw. fin­det die Anpas­sung des Geschichts­stu­di­ums an die neu­en Vor­ga­ben bereits statt, bei­spiels­wei­se an der Prä­fek­tur­uni­ver­si­tät Aichi (Aichi ken­rit­su dai­ga­ku), deren Geschichts­stu­di­um ab dem Früh­ling 2024 als reki­shi­ga­ku (anstatt Nihon shi­ga­ku) belegt wer­den kann. Eine Anpas­sung der über­grei­fen­den Zulas­sungs­prü­fun­gen der Uni­ver­si­tä­ten fin­det jedoch nicht statt. Die Prü­fun­gen fra­gen wei­ter­hin nur das Wis­sen ab und las­sen in ihrer Multiple-Choice-Struktur kei­nen Platz für die Anwen­dung der eige­nen Kennt­nis­se, wer­den jedoch an eini­gen Uni­ver­si­tä­ten zum Teil auf den neu­en Unter­richt an den Ober­schu­len ange­passt. Inwie­weit die Ver­än­de­rung des Geschichts­un­ter­richts eine Schwie­rig­keit für Leh­rer dar­stellt, möch­te Jul­jan E. Bion­ti­no im wei­te­ren Schritt durch Inter­views und die geziel­te Teil­nah­me am Unter­richt unter­su­chen. Ver­tie­fend könn­te auch die didak­ti­sche Ver­ein­bar­keit des Unter­richts mit neu­en Medi­en, wie bei­spiels­wei­se Video­spie­len, Man­ga und Ani­me, betrach­tet werden. 

Abschluss­dis­kus­si­on
Zum Abschluss wur­de im Ple­num dis­ku­tiert, ob die nächs­te Tagung der Initia­ti­ve erneut online oder in Prä­senz statt­fin­den soll. Dabei wur­de vor­ge­schla­gen, die Tagung im abwech­seln­den Tur­nus in Prä­senz und online aus­zu­rich­ten, und sich somit zwei Mal im Jahr zu tref­fen. Ins­be­son­de­re Teil­neh­mer, die zumeist auf­grund der geo­gra­phi­schen Distanz nicht in Prä­senz teil­neh­men kön­nen, hät­ten dadurch die Mög­lich­keit, zumin­dest ein­mal im Jahr mit dabei zu sein. Für das Online-Format sprä­che zudem, dass die Orga­ni­sa­ti­on weni­ger Auf­wand und Kos­ten erfor­dert. Jedoch sei die Teil­nah­me an Dis­kus­sio­nen ver­gleichs­wei­se nied­rig­schwel­lig, dies sei in Prä­senz anders. Eine Tagung in Prä­senz hät­te zudem den Vor­teil, Wis­sen­schaft­ler von ande­ren Lehr­stüh­len und aus ande­ren Insti­tu­ten ken­nen­zu­ler­nen und Kon­tak­te zu knüp­fen. Ins­be­son­de­re für Stu­den­ten wäre dies eine wert­vol­le Gele­gen­heit, sich mit Kom­mi­li­to­nen ande­rer Japa­no­lo­gien bzw. ande­rer Fach­be­rei­che zu ver­net­zen. Wei­ter­hin wur­de der Vor­schlag, die Tagung hybrid durch­zu­füh­ren, posi­tiv auf­ge­nom­men, jedoch wur­den Zwei­fel zur tech­ni­schen Umset­zung ange­mel­det, da hybri­de Ver­an­stal­tun­gen ein höhe­res Maß an tech­ni­scher Betreu­ung vor­aus­set­zen. Die Dis­kus­si­on um das For­mat wird bei der nächs­ten Tagung noch ein­mal aufgegriffen. 

Die nächs­te Tagung der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fin­det in Prä­senz an der Abtei­lung für Japa­no­lo­gie und Korea­nis­tik im Insti­tut für Orient- und Asi­en­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Bonn statt. Orga­ni­siert wird die Tagung von Dani­el Gerich­hau­sen und Tomo­hi­de Itō.

(Julia Süße & Tino Schölz)

40. Tref­fen an der Uni­ver­si­tät Bonn vom 15. & 16. Juni 2024

Das 40. Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fand am 15. und 16. Juni 2024 in Prä­senz an der Rhei­ni­schen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn statt und wur­de von Dani­el Gerich­hau­sen und Tomo­hi­de Itō organisiert.

Vor­trä­ge:
Chris­ti­an Wer­ner (Bonn): What Can We Not Know about Hōjō Masa­ko? Pro­le­go­me­na zu einer Per­so­nen­ge­schich­te als Problemgeschichte
Im ers­ten Vor­trag der Tagung stell­te Chris­ti­an Wer­ner sein For­schungs­vor­ha­ben einer Dar­stel­lung Hōjō Masa­kos (1157–1225) in Aus­ein­an­der­set­zung mit Theo­rien „weib­li­cher Herr­schaft“ (queen­ship) und einer kri­ti­schen Refle­xi­on von For­schungs­stand und ‑geschich­te vor. Hier­mit ver­folgt er das Ziel, einen Bei­trag zum Ver­ständ­nis des Kamakura-Bakufu im Wes­ten mit trans­kul­tu­rel­ler Anschluss­fä­hig­keit zu leisten.
Der Vor­trags­ti­tel ver­weist zugleich auf die der Arbeit zugrun­de­lie­gen­de Meta­fra­ge nach der (Un-)Möglichkeit his­to­ri­scher Bio­gra­phik und spielt auf die von dem His­to­ri­ker Jef­frey P. Mass gestell­te Fra­ge „What Can We Not Know about the Kama­ku­ra Baku­fu?“ an, wobei sich Chris­ti­an Wer­ner im Gegen­satz zu Mass nicht mit der Funk­ti­ons­wei­se des Baku­fu, son­dern mit der Stel­lung, Funk­ti­on und Bewer­tung von Frau­en in mon­ar­chi­schen Herr­schafts­for­men beschäf­tigt. Das hier­bei her­an­ge­zo­ge­ne, bereits ein­gangs erwähn­te Kon­zept queen­ship wur­de von der bis­he­ri­gen For­schung noch nicht in Bezug auf Japan angewandt.
Eine ers­te Ant­wort auf die im Vor­trags­ti­tel auf­ge­wor­fe­ne Fra­ge stellt dabei bereits der Name Masa­kos dar: Die­sen erhielt sie erst im Jah­re 1218 durch den Kai­ser­hof und auch der Name „Hōjō“ stellt einen Ana­chro­nis­mus dar, da er erst spä­ter, nach Masa­kos Tod, weit­hin benutzt wurde.
Es wird ange­nom­men, dass Masa­ko, nach­dem sie nicht nur ihren Ehe­mann Mina­mo­to no Yori­to­mo, son­dern auch ihre vier Kin­der, zu denen auch der zwei­te und drit­te Shō­gun Yori­ie und Sane­to­mo gehör­ten, über­lebt hat­te, die letz­ten Jah­re bis zu ihrem Tod selbst herrsch­te, was eine Dis­kus­si­on über eine Erwei­te­rung der Herr­sch­erfol­ge aus­lös­te. Masa­kos eige­ner Tod wird in ihrer Über­lie­fe­rung und Sinn­zu­schrei­bung (his­to­ria rer­um gesta­rum) in dem ihr zuge­schrie­be­nen Titel ama shō­gun 尼将軍 als Ende einer Ära monumentalisiert.
In der sich an den Vor­trag anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on wur­de unter ande­rem bestä­tigt, dass sich Chris­ti­an Wer­ners Reinter­pre­ta­ti­on des Azu­ma Kaga­mi – eine der wich­tigs­ten Quel­len für sei­ne Arbeit – durch das Gegen­le­sen ver­schie­de­ner Text­hier­ar­chien, die er im Lau­fe des Vor­trags an für ihn rele­van­ten Ein­trä­gen exem­pli­fi­ziert hat­te, im Sin­ne des Ange­bots einer neu­en Lese­art ten­den­zi­ell auch auf das gesam­te Werk anwen­den lässt. Fer­ner wur­de die Mög­lich­keit dis­ku­tiert, ob Masa­ko nicht in der Moder­ne eine Neu­be­wer­tung, etwa in Geschichts- und Erzie­hungs­wis­sen­schaf­ten, erfah­ren haben könn­te, wo sie, im Zuge der Aus­ein­an­der­set­zung mit west­li­chen Mäch­ten, als „Quo­ten­frau“ für star­ke Frau­en­fi­gu­ren in der Geschich­te fun­giert haben könnte.

Julia Mari­ko Jaco­by (Essen): Com­mons im Wan­del. Res­sour­cen­ma­nage­ment in Japan in der Edo- und Meiji-Zeit
Im zwei­ten Vor­trag am Sams­tag stell­te Julia Mari­ko Jaco­by ihr Pro­jekt zur Wirt­schafts­form der Com­mons – der gemein­sa­men Nut­zung und Ver­wal­tung von Gebie­ten und Res­sour­cen – vor, wel­ches sie zu ihrer Habi­li­ta­ti­on aus­zu­bau­en gedenkt. Mit die­sem sucht sie das in popu­lä­ren Dar­stel­lun­gen ver­brei­tet gezeich­ne­te, idea­li­sier­te Bild der Edo-Zeit als „Öko-Gesellschaft“, wel­che erst mit dem Ein­zug der west­lich gepräg­ten Moder­ne einen Umbruch von einer nach­hal­ti­gen hin zu einer aus­beu­te­ri­schen Res­sour­cen­nut­zung erfuhr, zu wider­le­gen. Hier­zu sol­len fünf Fall­stu­di­en in longue durée die Resi­li­enz der Wirt­schafts­form der Com­mons gegen den Wan­del in Umwelt und Wirt­schaft auf­zei­gen, der sich ins­be­son­de­re in den zwei Trans­for­ma­ti­ons­pha­sen um 1700 und in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts mani­fes­tier­te. Ers­te­re war durch Wirtschafts- und Bevöl­ke­rungs­wachs­tum, die Erschlie­ßung neu­er Fel­der und einen Ein­strom neo­kon­fu­zia­ni­scher Bil­dungs­wer­ke aus Chi­na, die auf­grund der hohen Alpha­be­ti­sie­rung auch auf dem Land breit rezi­piert wur­den, geprägt. Letz­te­re bedeu­te­te Japans Ein­tritt in die Welt­wirt­schaft, der unter ande­rem mit der Indus­tria­li­sie­rung durch die Über­nah­me von Wis­sen und Tech­no­lo­gie aus dem Wes­ten ver­bun­den war.
Da es bei der Wirt­schafts­form der Com­mons in der Regel zu einer Über­la­ge­rung unter­schied­li­cher Res­sour­cen­ge­fü­ge kommt, ent­ste­hen gemäß dem Kon­zept der Affor­danz, dem­zu­fol­ge ein Gegen­stand oder Gebiet auf unter­schied­li­che, zusam­men­spie­len­de oder auch sich wider­spre­chen­de Wei­sen genutzt wer­den kann, wodurch Kon­flikt­po­ten­zi­al ent­steht, Res­sour­cen­kon­flik­te, in denen das Manage­ment neu aus­ge­han­delt wird. In die­se kön­nen neben den Com­mon­ers – den betei­lig­ten Nut­zern der Com­mons – selbst, auch ande­re Akteu­re wie das Shōg­u­nat oder Tem­pel und Schrei­ne ein­ge­bun­den sein. Eini­gun­gen wur­den meist durch einen Aus­tausch von Rech­ten gegen Dienst­leis­tun­gen erzielt. Die­se Res­sour­cen­kon­flik­te ste­hen im Zen­trum der Ana­ly­se, wobei sich kon­kre­te Fra­gen zum einen auf die Stra­te­gien, mit­hil­fe derer die Com­mon­ers durch die­se bei­den Trans­for­ma­ti­ons­pha­sen navi­gier­ten, und zum ande­ren auf die Rol­le des sich wan­deln­den Wis­sens zu wirt­schaft­li­chen und öko­lo­gi­schen Zusam­men­hän­gen in die­sen Kon­flik­ten richten.
In der Dis­kus­si­on wur­de unter ande­rem auf die Rol­le der Genos­sen­schaf­ten hin­ge­wie­sen, wel­che sich im Kon­text der Res­sour­cen­kon­flik­te nicht sel­ten als hart­nä­cki­ger, wenn nicht gar unum­geh­ba­rer Fak­tor erwie­sen. Als ver­an­schau­li­chen­des Bei­spiel wur­de ein Kon­flikt um die Res­sour­cen­nut­zung eines Flus­ses in der Nähe Kyō­tos ange­führt. Die­se hät­te zwar mit moder­nen Tech­ni­ken effek­ti­ver gestal­tet wer­den kön­nen, doch da unklar war, inwie­weit dabei die Räu­me klei­ne­rer Akteu­re berück­sich­tigt wür­den, wur­de die Nut­zung moder­ner Tech­ni­ken unter­bun­den. Fer­ner wur­de gefragt, ob die neu über­nom­me­ne Tech­no­lo­gie auch als Res­sour­ce betrach­tet wur­de, wel­ches Kon­zept von Res­sour­cen die Com­mon­ers hat­ten, und ob sich die­ses Kon­zept im Lau­fe der zwei Trans­for­ma­ti­ons­pha­sen änderte.

Ben­ja­min Schmidt (Bonn): Kon­flikt­lö­sung in der länd­li­chen Gesell­schaft im Über­gang zur Frü­hen Neu­zeit. For­schungs­vor­ha­ben einer mikro­his­to­ri­schen Unter­su­chung des Dor­fes Ōso­ne im 17. Jahrhundert
Im drit­ten Vor­trag am Sams­tag stell­te Ben­ja­min Schmidt das For­schungs­vor­ha­ben im Rah­men sei­ner Mas­ter­ar­beit zur Kon­flikt­lö­sung in der länd­li­chen Gesell­schaft im Über­gang zur Frü­hen Neu­zeit vor. Damit fügt sich sein Vor­ha­ben in die unter ande­rem von Fuji­ki Hisa­shi aus­ge­hen­de Über­gangs­zeit­for­schung ein, wel­che eine Gegen­be­we­gung zu einer schar­fen Tren­nung durch Epo­chen­gren­zen dar­stellt. Da das hier auf­ge­wor­fe­ne Pro­blem­feld der loka­len Kon­flikt­lö­sung im Über­gang zur frü­hen Neu­zeit zwar bereits gut, aber noch nicht erschöp­fend behan­delt wur­de, sol­len drei, bis­her noch unzu­rei­chend bear­bei­te­te Ansatz­punk­te für wei­te­re For­schung durch Ben­ja­min Schmidts Arbeit abge­deckt wer­den. So lenkt er durch eine mikro­his­to­ri­sche Unter­su­chung des im Nor­den der Kantō-Region lie­gen­den Dor­fes Ōso­ne (heu­te Teil von Tsu­ku­ba in der Prä­fek­tur Iba­ra­ki) den Blick auf eine Regi­on außer­halb Zen­tral­ja­pans und auf die Ent­wick­lun­gen der spä­ten Über­gangs­zeit im 17. Jahr­hun­dert. Um dabei die Viel­falt an Insti­tu­tio­nen und Prak­ti­ken loka­ler Kon­flikt­re­gu­lie­run­gen, die nicht immer klar getrennt wer­den kön­nen, zu berück­sich­ti­gen, greift er auf das Kon­zept der „Infra­jus­tiz“ zurück. 
Bedeu­ten­de Quel­len, vor­nehm­lich der dörf­li­chen, aber auch der obrig­keit­li­chen Ver­wal­tung, stel­len Doku­men­te der Fami­lie Nemo­to dar, wel­che in der Edo-Zeit eine lei­ten­de Funk­ti­on inne­hat­te. Die hier beschrie­be­nen Kon­flik­te kate­go­ri­siert Ben­ja­min Schmidt nach Kon­flikt­ar­ten und ‑gegen­stän­den in Kon­flik­te zwi­schen der Obrig­keit und den Dorf­be­woh­nern, inner‑, über- und zwi­schen­dörf­li­che Kon­flik­te. Ein Bei­spiel für die letzt­ge­nann­te Kate­go­rie stellt ein Kon­flikt, der zwi­schen den Dör­fern Ōso­ne, Ōda und des­sen Zweig­dorf Ōta aus­ge­han­delt wur­de, dar. Die dabei ersicht­lich wer­den­de Rol­le der Nach­bar­dör­fer bei der Betei­li­gung an Kon­flik­ten wur­de bereits von Fuji­ki Hisa­shi her­vor­ge­ho­ben. Aus­lö­ser des Kon­flikts war die unzu­läs­si­ge Res­sour­cen­nut­zung durch einen Dorf­be­woh­ner Ōtas, der nach sei­ner Ver­haf­tung durch einen Wäch­ter aus Ōso­ne dem Ter­ri­to­ri­al­herrn gemel­det zu wer­den droh­te. Dar­auf­hin such­ten die Dorf­be­woh­ner in einem Tem­pel in Ōda Schutz, was eine weit­ver­brei­te­te Pra­xis bei länd­li­chen Kon­flik­ten dar­stell­te. Dank der durch den Tem­pel erbe­te­nen Ver­mitt­lung des Dorf­vor­ste­hers von Ōda konn­te letzt­lich eine inter­ne Eini­gung erzielt werden. 
In der Dis­kus­si­on wur­de in Anknüp­fung an die­ses Bei­spiel bemerkt, dass der Täter eigent­lich von den Obrig­kei­ten geschützt wur­de, da die­se dafür sorg­ten, dass sein Ver­ge­hen nicht gemel­det wur­de. Obwohl die Bezie­hung Ōdas zu Ōta als des­sen Zweig­dorf für Span­nun­gen sorg­te, wur­de es durch die Media­ti­on des Tem­pels mög­lich, dass Ōda hier den­noch als Stamm­dorf sei­ne Schutz­funk­ti­on ein­nahm. Fer­ner wur­de ange­merkt, dass es inter­es­sant sein könn­te, über die Kate­go­ri­sie­rung von Kon­flikt­ar­ten und ‑gegen­stän­den hin­aus ein­zel­ne Eska­la­ti­ons­stu­fen, zuzüg­lich der jeweils erfor­der­li­chen Maß­nah­men, zu analysieren. 

Anke Sche­rer (Bochum): Ton­den­hei. Die Erfin­dung des japa­ni­schen Pioniers
Den letz­ten Pro­gramm­punkt am Sams­tag bil­de­te der Vor­trag Anke Sche­rers zur Ent­wick­lung und Bedeu­tung der soge­nann­ten ton­den­hei – Wehr­bau­ern, die wäh­rend der Meiji-Zeit eine zen­tra­le Rol­le in der Besied­lung und Erschlie­ßung Hok­kai­dōs spiel­ten. Die­se Wehr­bau­ern wur­den ein­ge­setzt, um die nörd­li­chen Gebie­te Japans zu kul­ti­vie­ren und zu ver­tei­di­gen, was sie in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung zu einem neu­en Typus von japa­ni­schen Hel­den mach­te, der beson­ders in der impe­ria­lis­ti­schen Pha­se Japans mäch­tig wur­de und die Vor­stel­lun­gen von der Expan­si­on Japans, ins­be­son­de­re in die Man­dschu­rei in den 1930er Jah­ren, prägte.
Der Wan­del in der Wahr­neh­mung und Ver­wal­tung der Lan­des­gren­zen infol­ge der Öff­nung Japans Mit­te des 19. Jahr­hun­derts schuf die Grund­la­ge für die Ent­ste­hung des von Kur­o­da Kiyo­ta­ka initi­ier­ten tondenhei-Systems. Die­ses soll­te zusätz­lich zur Kom­bi­na­ti­on mili­tä­ri­scher und land­wirt­schaft­li­cher Auf­ga­ben auch sozia­le Pro­ble­me ent­schär­fen, indem es ehe­ma­li­gen Samu­rai eine neue Lebens­grund­la­ge bot. Da vie­le Samu­rai jedoch fürch­te­ten, ihren pri­vi­le­gier­ten Sta­tus zu ver­lie­ren, war die Umsied­lung oft erzwun­gen und stieß auf wenig Begeis­te­rung. Zudem führ­te die man­geln­de Erfah­rung der Sied­ler, gera­de ange­sichts der schwie­ri­gen kli­ma­ti­schen Bedin­gun­gen auf Hok­kai­dō, dazu, dass die im Pro­gramm gesetz­ten Zie­le trotz staat­li­cher Unter­stüt­zung oft nicht erreicht wur­den. So mach­ten die ton­den­hei bis 1904 ledig­lich 3,5% der Gesamt­be­völ­ke­rung Hok­kai­dōs aus und ihr Bei­trag sowohl zur wirt­schaft­li­chen und land­wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung als auch zur Ver­tei­di­gung gegen eine rus­si­sche Inva­si­on war mar­gi­nal. Statt­des­sen erfolg­te die tat­säch­li­che Besied­lung Hok­kai­dōs über­wie­gend durch pri­va­te Sied­lungs­ge­mein­schaf­ten. Neben Sträf­lin­gen aus einem auf Hok­kai­dō errich­te­ten Gefäng­nis­sys­tem waren es die­se nor­ma­len Sied­ler, wel­che die Infra­struk­tur auf­bau­ten und die land­wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung der Insel vorantrieben.
Die Rea­li­tät des gerin­gen mate­ri­el­len Erfolgs und Ein­flus­ses des Pro­gramms steht in star­ker Dis­kre­panz zur gro­ßen ideo­lo­gi­schen Bedeu­tung der ton­den­hei. Sie wur­den im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis Japans als heroi­sche, grenz­über­schrei­ten­de Pio­nie­re ver­ewigt, die den „Fron­tier Spi­rit“ ver­kör­per­ten. Die­se Bedeu­tung spie­gelt sich etwa in dem „Dekret für ton­den­hei und ihre Fami­li­en“ von 1890 wider, das mora­li­sche und mili­tä­ri­sche Ver­hal­tens­re­geln fest­leg­te, aber auch in der fort­wäh­ren­den Pfle­ge ihres Erbes durch Muse­en und His­to­ri­ke­rin­nen und Historiker. 
In der an den Vor­trag anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on kam unter ande­rem die Fra­ge auf, ob es bevor­zug­te Her­kunfts­ge­gen­den für die Auf­nah­me in das tondenhei-Programm gab. Anfangs wur­den bevor­zugt Men­schen aus der Tōhoku-Region auf­ge­nom­men, da man die­sen bereits Erfah­run­gen mit einem ähn­lich rau­en Kli­ma wie auf Hok­kai­dō unter­stell­te. Die schlech­te Annah­me des Pro­gramms führ­te aber nicht sel­ten dazu, dass ein­fach jeder, der sich für das Pro­gramm mel­de­te, unab­hän­gig von geo­gra­fi­scher oder stan­des­mä­ßi­ger Her­kunft in das Pro­gramm auf­ge­nom­men wur­de. Wei­ter­hin wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es rele­vant sein könn­te, auch die Fra­ge, wie die ton­den­hei in der Popu­lär­kul­tur, dem Medi­en­sys­tem und der Lite­ra­tur dar­ge­stellt und behan­delt wur­den, in die Ana­ly­se einzubeziehen.

Chris­toph Völ­ker (Mün­chen): Rei­sen als kul­tu­rel­le Erfah­rung. Oka­ku­ra Kaku­zō und sei­ne Euro­pa­rei­se von 1887
Im ers­ten Vor­trag am Sonn­tag stell­te Chris­toph Völ­ker sei­ne For­schungs­ar­beit zu Oka­ku­ra Kaku­zōs Euro­pa­rei­se im Jahr 1887 vor. Die­se stell­te eine staat­li­che Gesandt­schafts­rei­se im Auf­trag des japa­ni­schen Kul­tus­mi­nis­te­ri­ums dar. Da es sich dabei um die ers­te Aus­lands­rei­se von Oka­ku­ra han­del­te, kam ihr eine beson­de­re Bedeu­tung für sein Den­ken und Werk zu, wel­ches sich durch­weg kul­tu­rel­len Fra­gen wid­me­te. Oka­ku­ras Auf­trag sah vor, unter ande­rem durch die Besich­ti­gung von Kunst­mu­se­en, Aka­de­mien und wei­te­ren Insti­tu­tio­nen Infor­ma­tio­nen im Hin­blick auf die Fra­ge zu sam­meln, wie man die Kunst in Japan moder­ni­sie­ren sol­le. Dafür begut­ach­te­te er auch zahl­rei­che Wer­ke der euro­päi­schen Kunst und for­mu­lier­te schließ­lich eige­ne kunst­theo­re­ti­sche Über­le­gun­gen. Über sei­ne beruf­li­chen Ver­pflich­tun­gen hin­aus gelang es Oka­ku­ra, sich aus eige­nem Inter­es­se mit der Kunst und Kul­tur der von ihm bereis­ten Län­der zu beschäf­ti­gen und per­sön­li­che Kon­tak­te zu knüp­fen, was sein Euro­pa­bild stark beeinflusste.
Durch die Unter­su­chung der Rei­se als kul­tu­rel­le Erfah­rung ver­folgt Chris­toph Völ­ker das Ziel, eine neue Per­spek­ti­ve auf die Per­son Oka­ku­ra und sei­ne Rei­se zu ermög­li­chen. Dabei rich­tet sich sein Inter­es­se ins­be­son­de­re auf die Fra­ge nach der Art und Wei­se, wie Oka­ku­ra Kul­tur erleb­te und wie er die­se zu ver­ste­hen ver­such­te. Exem­pla­ri­sche Aus­schnit­te aus Oka­ku­ras Rei­se­ta­ge­buch und sei­nen Brie­fen zei­gen, dass er sich Frem­des inten­siv und selbst­stän­dig, etwa durch den Bezug zur eige­nen Kul­tur, erschlos­sen hat. 
Im Anschluss an den Vor­trag ent­spann sich unter ande­rem eine Dis­kus­si­on über die Tren­nung von Oka­ku­ras offi­zi­el­ler und pri­va­ter Beschäf­ti­gung mit Kul­tur wäh­rend der Rei­se. Auch kam die Fra­ge auf, ob Oka­ku­ra auf sei­ner Rei­se den Japo­nis­mus wahr­nahm und ob er die­sen ablehn­te. Zumin­dest Ers­te­res wird zwar ange­sichts der Zeit, zu der Oka­ku­ra Euro­pa bereis­te, mit Sicher­heit der Fall gewe­sen sein, jedoch beschrän­ken sich Oka­ku­ras schrift­lich fest­ge­hal­te­ne Äuße­run­gen dies­be­züg­lich nur auf kür­ze­re Bemer­kun­gen zur euro­päi­schen Mode.

Chan­tal Weber (Köln): Anna Ber­li­ner. Bio­gra­phie im Span­nungs­feld der deutsch-japanischen Bezie­hun­gen von 1914–1934
Als zwei­ten Pro­gramm­punkt am Sonn­tag stell­te Chan­tal Weber ihr aktu­el­les For­schungs­pro­jekt, die Rekon­struk­ti­on der Bio­gra­phie von Anna Ber­li­ner (1888–1977), vor, wel­che von der bis­he­ri­gen For­schung nur in Tei­len bear­bei­tet wur­de. Als zwei Leit­fra­gen fun­gie­ren dabei Ber­li­ners aka­de­mi­sche Stel­lung und ihre Iden­ti­tät als jüdi­sche Frau. 
Bedingt durch welt­his­to­ri­sche Ereig­nis­se war Anna Ber­li­ner immer wie­der dazu gezwun­gen, ihren Wohn­ort zu wech­seln – häu­fig über natio­na­le und kon­ti­nen­ta­le Gren­zen hin­weg. Eine ers­te Ver­bin­dung zu Japan stell­te Wil­helm Wundt dar, wel­cher sich mit Japan beschäf­tig­te und als Zweit­gut­ach­ter ihrer 1913 ein­ge­reich­ten Pro­mo­ti­on im Fach Psy­cho­lo­gie fun­gier­te. Im sel­ben Jahr trat sie ihren ers­ten Japan-Aufenthalt (1913–1915) an, wor­an sich nach fünf Jah­ren, wel­che sie in den USA ver­brach­te, ein zwei­ter Auf­ent­halt (1920–1925) anschloss. Über­schnei­dun­gen von Per­so­nen­krei­sen legen hier nahe, dass ihr wahr­schein­lich ins­be­son­de­re die Freund­schaft zu Nit­obe Ina­zō meh­re­re Kon­tak­te zur intel­lek­tu­el­len und aka­de­mi­schen Gesell­schaft der Taishō-Zeit eröff­ne­te, wel­che ihr zu den viel­fäl­ti­gen und pro­mi­nen­ten Stel­len ver­hal­fen, die sie wäh­rend ihres zwei­ten Japan­auf­ent­hal­tes beklei­de­te. In die­ser Zeit erlern­te sie auch den Tee-Weg, über wel­chen sie im Jahr 1930 das ers­te deutsch­spra­chi­ge Buch ver­öf­fent­lich­te. Nach ihrer Rück­kehr nach Deutsch­land im Jahr 1925 eröff­ne­te sie gemein­sam mit ihrem Mann die OAG-Geschäftsstelle in Leip­zig, wo sie ab dem Jahr 1929 bis zur Ver­le­gung der Geschäfts­stel­le nach Ham­burg im Jahr 1934 als offi­zi­el­le Reprä­sen­tan­tin fun­gier­te. Der Holo­caust, in des­sen Zuge unter ande­rem ihre Mut­ter und ihre jün­ge­re Schwes­ter depor­tiert und ermor­det wur­den, zwang sie im Jahr 1938 ein letz­tes Mal ihren Wohn­ort zu wech­seln und in die USA zu gehen, wo sie 1977 ermor­det wurde.
Schwie­rig­kei­ten bei der Rekon­struk­ti­on sind unter ande­rem dem Umstand geschul­det, dass Ber­li­ner kei­ne eige­nen Lebens­be­schrei­bun­gen hin­ter­las­sen hat und ihre Besitz­tü­mer in Deutsch­land von der Gesta­po beschlag­nahmt wur­den. Daher beschrän­ken sich ver­füg­ba­re Quel­len bis­her über­wie­gend auf das weni­ge vor­han­de­ne Archiv­ma­te­ri­al der Paci­fic Uni­ver­si­ty in Ore­gon, wo sie zuletzt (1949–1962) als Pro­fes­so­rin arbei­te­te, sowie auf Doku­men­te über und von drit­ten Personen. 
Die von Chan­tal Weber geäu­ßer­te Hoff­nung, über das Trautz-Archiv der Uni­ver­si­tät Bonn even­tu­ell auf wei­te­re rele­van­te Quel­len zu sto­ßen, konn­te im Anschluss an den Vor­trag durch viel­ver­spre­chen­de Hin­wei­se von Sei­ten meh­re­rer in das For­schungs­pro­jekt invol­vier­ter Per­so­nen aus dem Audi­to­ri­um gestärkt wer­den. Fer­ner kam die Fra­ge auf, war­um Ber­li­ner nach ihrer Rück­kehr nach Deutsch­land aus­ge­rech­net nach Leip­zig gekom­men sei. Denk­ba­re Grün­de wären hier, dass Leip­zig zu jener Zeit einen wirt­schaft­lich inter­es­san­ten Stand­ort dar­stell­te, an dem sie zudem bereits wäh­rend ihrer Stu­di­en­zeit gewohnt hatte.

Micha­el Albert (Bonn): Zwi­schen Diplo­ma­tie und Welt­re­vo­lu­ti­on. Der „Lenin“-Zwischenfall als Spie­gel der frü­hen japanisch-sowjetischen Bezie­hun­gen
Im letz­ten Vor­trag der Tagung stell­te Micha­el Albert sein For­schungs­pro­jekt vor, in wel­chem er das Zustan­de­kom­men und die Aus­wir­kun­gen des soge­nann­ten „Lenin“-Zwischenfalls unter­sucht. Die in Reak­ti­on auf das Gro­ße Kantō-Erdbeben ver­an­lass­ten Hilfs­maß­nah­men der Sowjet­uni­on umfass­ten neben Spen­den­samm­lun­gen auch die Ent­sen­dung des mit Hilfs­gü­tern bela­de­nen Damp­fers „Lenin“. Nach­dem die­ser am 12. Sep­tem­ber 1923 in Yoko­ha­ma ange­kom­men war, schür­te das pro­vo­kan­te Ver­hal­ten der Schiffs­crew auf japa­ni­scher Sei­te die bereits im Vor­feld durch Gerüch­te ver­brei­te­te Furcht vor kom­mu­nis­ti­scher Pro­pa­gan­da, wes­halb der Damp­fer schließ­lich ein Ent­la­de­ver­bot erhielt und unver­rich­te­ter Din­ge zurück­keh­ren muss­te. Die­se Ent­wick­lung kam für die sowje­ti­sche Regie­rung voll­kom­men uner­war­tet und lös­te auf Sei­ten bei­der Staa­ten die Sor­ge vor einer Zer­stö­rung der bis­he­ri­gen Fort­schrit­te in der Wie­der­auf­nah­me diplo­ma­ti­scher Bezie­hun­gen aus, die sich letzt­lich jedoch nicht bewahrheitete.
Die für den Zwi­schen­fall maß­geb­lich ver­ant­wort­li­che Fehl­kom­mu­ni­ka­ti­on ist dabei aber nicht erst auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne, son­dern bereits inner­halb der Sowjet­uni­on zu ver­or­ten. Die­se befand sich in einem inne­ren Wider­spruch zwi­schen dem Ziel einer Welt­re­vo­lu­ti­on und der Not­wen­dig­keit, nor­ma­le diplo­ma­ti­sche Bezie­hun­gen mit kapi­ta­lis­ti­schen Staa­ten zu unter­hal­ten. Auch Japan befand sich in einem Dilem­ma zwi­schen den wirt­schaft­li­chen Vor­tei­len einer diplo­ma­ti­schen Part­ner­schaft mit der Sowjet­uni­on und einer kon­se­quen­ten Ableh­nung des Kom­mu­nis­mus. Da die Hilfs­mis­si­on der „Lenin“ auch als Bei­trag zur erst kurz zuvor begon­ne­nen diplo­ma­ti­schen Annä­he­rung an Japan kon­zi­piert und dem­entspre­chend als von der sowje­ti­schen Regie­rung aus­ge­hend ange­kün­digt wor­den war, konn­te in die­sem Fall nicht auf die bezüg­lich sol­cher Kon­flik­te bewähr­te Ver­fah­rens­wei­se einer Aus­la­ge­rung poten­zi­ell heik­ler inter­na­tio­na­ler Aktio­nen auf die Kom­in­tern zurück­ge­grif­fen wer­den, was den „Lenin“-Zwischenfall zu einer typi­schen Aus­nah­me macht. 
In der Dis­kus­si­ons­run­de wur­de im Hin­blick auf den Vor­trags­ti­tel dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es sich bei Diplo­ma­tie eher um ein Mit­tel, bei der Welt­re­vo­lu­ti­on aller­dings eher um einen Zweck han­delt. Dar­auf beruht der Vor­schlag, statt­des­sen von einem diplo­ma­ti­schen und einem welt­re­vo­lu­tio­nä­ren Ansatz zu spre­chen. Auch wur­de die Bedeu­tung der pro­ble­ma­ti­schen wirt­schaft­li­chen Situa­ti­on, in wel­cher sich die Sowjet­uni­on zur Zeit des Zwi­schen­falls infol­ge des Bür­ger­kriegs selbst befand, dis­ku­tiert. Die Bedeu­tung der Tat­sa­che, dass die Sowjet­uni­on den­noch Hilfs­maß­nah­men ergriff, muss­te jedoch teil­wei­se rela­ti­viert wer­den, da die ent­spre­chen­den Res­sour­cen in der Sowjet­uni­on nicht knapp waren. Durch­aus denk­bar ist aller­dings, dass auch wirt­schaft­li­che Fak­to­ren dazu bei­getra­gen haben könn­ten, den Zwi­schen­fall eher her­un­ter­zu­spie­len als aufzubauschen. 

(Vien­na Lynn Baginski)


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