Das 31. Treffen der Initiative zur historischen Japanforschung fand vom 15. bis 17. Juni 2018 am Centre Européen d’Études Japonaises d’Alsace (CEEJA), Kaysersberg Vignoble, Kientzheim, Frankreich statt.
Anwesend waren: Akashi Tomonori (Fukuoka/Leuven), Anja Batram (Bochum), Aline Dreher (Bochum), Daniel Gerichhausen (Bonn), Lisa Hammeke (Friedrichshafen), Nadja Kischka-Wellhäuser (Bochum), Verena Klein (Bochum), Till Knaudt (Heidelberg), Stefan Köck (Wien), Regine Mathias (CEEJA), Henriette Mühlmann (Hamburg), Ono Hiroshi (Kobe/Leuven), Erich Pauer (CEEJA), Anke Scherer (Köln), Jan Schmidt (Leuven), Wolfgang Seifert (Heidelberg), Morgaine Setzer (Bochum), Lieven Sommen (Leuven), Detlev Taranczewski (Bonn), Yukawa Shirō (Bonn), Matthias Zachmann (Berlin)
Vorträge:
Erich Pauer (CEEJA): Begrüßung.
In der Begrüßung der Teilnehmer stellte Erich Pauer, der für den Bereich Japanwissenschaften zuständige Vize-Präsident des CEEJA, die Institution kurz vor und erklärte, wie aus einer ursprünglich von 1986 bis 2006 im Gebäude betriebenen japanischen Mittel- und Oberschule das jetzige Zentrum hervorging, zu dem auch eine schnell wachsende Japan-Bibliothek gehört. Für das Initiativetreffen war in der Bibliothek eine Ausstellung Edo-zeitlicher Holzdruck-Bücher aufgebaut worden, und während der ganzen Tagung konnte und wurde die Bibliothek von den Tagungsteilnehmern rege genutzt. Eine ausführliche Bibliotheksführung mit Möglichkeiten zur individuellen Recherche fand zudem am Sonntagvormittag statt.
Daniel Gerichhausen (Bonn): Vom Geschehen zum Text. Mimesis in China-Reisberichten japanischer Literaten nach dem Zweiten Weltkrieg.
Nach der Begrüßung und Einführung stellte Daniel Gerichhausen von der Universität Bonn sein Dissertationsprojekt unter dem Titel „Vom Geschehen zum Text – Mimesis in China-Reisberichten japanischer Literaten nach dem Zweiten Weltkrieg“ vor. Zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnten japanische Literaten erstmals die Volksrepublik China bereisen. Obwohl noch mehr als zwei Dekaden bis zum Abschluss eines Friedensvertrages zwischen Japan und China vergingen, besuchten in den 1950er und 1960er Jahren einige namhafte Autoren wie Inoue Yasushi und Nakano Shigeharu das Land und legten teils ausführliche Reiseberichte vor. Anders als ihre fiktionalen Werke sind diese jedoch bislang kaum Gegenstand der Forschung geworden. In der japanischen Literaturwissenschaft werden sie allenfalls als Quellen für biographische Arbeiten genutzt oder bei der Suche nach Realitätsreferenzen in den literarischen Werken der Autoren herangezogen. Meist liegt dieser Betrachtungsweise eine unkritische Gleichsetzung von Reiseberichten mit bloßer faktengetreuer Wiedergabe vergangenen Geschehens zugrunde, die kompositorische und ästhetische Verfahren vernachlässigt.
Der Vortrag problematisierte diese Herangehensweise und stellte einen narratologischen Ansatz vor, um die Wirklichkeitsdarstellung in diesen Werken durch die Analyse rhetorischer und narrativer Strategien zu untersuchen. Dieser Zugang kombiniert die drei Ebene der Präfiguration, Konfiguration und Refiguration, die die Wechselwirkung zwischen Text und Wirklichkeit beschreiben, mit den vier Stufen der narrativen Repräsentation und Transformation nach Nünning: [1] Geschehen (d.h. das tatsächliche Erleben) – [2] Geschichte (d.h. derzeitlicher Ausschnitt, bereits sinnhaft gedeutet) – [3] Erzählung (d.h. die kompositorische Formgebung/der Plot) – [4] Text (d.h. das Resultat). Anhand von Kriterien zur typologischen Differenzierung wie Selektion von Referenzbereichen, Gestaltung der Erzählebene, Zeitbezug und intendierte Textfunktion präsentierte Daniel Gerichhausen die folgenden vier Typen von Reiseberichten, in die er im Anschluss ausgewählte Beispiele einordnete: Dokumentarischer Reisebericht („Geschehnisse genau belegen“), Realistischer Reisebericht („Erzählen“), Revisionistischer Reisebericht („Neu beschreiben“) und Selbstreflexive Meta-Reisefiktion. Damit zeigte er, dass entgegen der Vorstellung von authentischen Augenzeugenberichten erst durch Selektion und Konfiguration einzelner Elemente gattungskonforme Ausprägungen des Reiseberichts entstehen.
In der Diskussion wurde die Frage nach der Zielrichtung der Dissertation diskutiert. Dabei wurde in Frage gestellt, ob es tatsächlich noch das Problem in der japanischen Literaturwissenschaft gibt, dass Reiseberichte als objektive Quelle gesehen werden. Außer dieser Nachfrage nach dem heuristischen Wert der Dissertation wurden Aspekte wie die Darstellung Chinas im Licht der Vorbelastung des sino-japanischen Verhältnisses durch die Ereignisse vor und während des Zweiten Weltkriegs vermisst.
Erich Pauer (CEEJA): Vom Studenten der chinesischen Klassiker zum modernen Ingenieur – Die „Ōhara-Papers“.
Im zweiten Vortrag mit dem Titel „Vom Studenten der chinesischen Klassiker zum modernen Ingenieur – Die ‚Ōhara-Papers‘“ sprach Erich Pauer vom CEEJA über Mitschriften und Praktika-Berichten eines Bergbau-Studenten (Ōhara Junnosuke) des Imperial College of Engineering (工部大学校) aus den Jahren 1878- 1882, die er durch Zufall vor einiger Zeit erwerben konnte. Dieser einzigartige Fund ermöglicht es, den Bildungs- und Karriereverlauf eines aus dem Stand der Samurai kommenden Studenten hin zum modernen Ingenieur exemplarisch nachzuzeichnen. Die seltenen Dokumente erlauben es, erstmals den Unterricht und die Inhalte von Vorlesungen, die die englischen und schottischen Lehrer am College of Engineering abhielten, zu analysieren. Die Mitschriften zeigen zudem, wie das westliche Wissen rezipiert wurde und auf welchem technischen Niveau sich die Studenten beim Abschluss befanden. Ebenfalls deutlich wird aus den Unterlagen z.B. auch der konkrete Verlauf von Praktika. In den Berichten zeichnet der Student ein genaues Bild der Lage verschiedener Gold‑, Silber- und Kohlebergwerke, deren Lage, die betrieblichen Verhältnisse, die traditionellen wie modernen Geräte, die Arbeitskräfte etc. Darin spiegelt sich auch ein bislang so nicht gekanntes eindrucksvolles Bild der Modernisierung in einem für Japan äußerst wichtigen Industriebereich. So zeigt ein Praktikumsbericht über das Bergwerk in Ikuno, wie dort noch traditionelle Gerätschaften und Praktiken neben technischen Neuerungen und modernen Maschinen zum Einsatz kamen. Da aus der Zeit zwischen 1868 und 1885 nur wenige Unterlagen aus dem Bergbau erhalten sind, erlauben die Aufzeichnungen von Ōhara die Verhältnisse in japanischen Bergwerken in einer wichtigen Umbruchphase zu verstehen, über die es ansonsten wenige Quellen gibt. Die Analyse der Aufzeichnungen von Ōhara zeigt, dass die japanischen Bergwerke in der frühen Meiji-Zeit moderner waren als bislang angenommen. Auch lassen seine Aufzeichnungen über Löhne und Kosten in den Bergwerken wichtige Rückschlüsse über betriebswirtschaftliche Aspekte im damaligen japanischen Bergbau zu.
Im Anschluss an den Vortrag wurde über den Einfluss der ausländischen Professoren und der Verwendung von Englisch als Ausbildungssprache auf die Prägung von Ōhara und anderen Ingenieuren seiner Generation diskutiert. Zwar lassen sich keine umfassenden Erkenntnisse über den Einfluss dieser Faktoren aus den Quellen gewinnen, aber die Tatsache, dass Ōhara einige Zeit brauchte, um sich von einem mittelmäßigen zu einem sehr guten Studenten zu entwickeln, zeigt, dass er einen längeren Anpassungsprozess an die Unterrichtssprache und Arbeitsweise der ausländischen Dozenten, die sich ihrerseits kaum an japanische Verhältnisse anpassten, durchlaufen hat.
Ono Hiroshi (Kobe): Themen und Nutzen von Studien zur Militärgerichtsbarkeit.
Im ersten Kurzbericht des Nachmittags sprach Ono Hiroshi von der Universität Kobe auf Japanisch über Themen und den Nutzen von Studien zur Militärgerichtsbarkeit. Da es sich um ein erst kürzlich begonnenes Forschungsvorhaben handelt, hatte der Bericht eher einen Werkstattcharakter. Sein Fokus lag dabei nicht auf dem, was der Begriff der Militärgerichtsbarkeit gemeinhin beinhaltet (z.B. Rechtsprechung innerhalb des Militärs), sondern auf der vom japanischen Militär in besetzten Gebieten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieg ausgeübte Gerichtsbarkeit. Diese hatte in den besetzten Gebieten die Aufgabe der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, weshalb neben dem Kernbereich der vor Militärgerichten zu verhandelnden Vergehen im militärischen Bereich vor allem zahlreiche Gesetze zur zivilen Verwaltung der besetzten Gebiete im Zentrum der Erforschung der dortigen Militärgerichtsbarkeit stehen. Am Beispiel der von der japanischen Armee im besetzten Hongkong ausgeübten Gerichtsbarkeit zeigte Hiroshi Ono, dass es sich hierbei nicht wie häufig angenommen um eine Herrschaft ohne Gesetze (rule without law) handelte, sondern dass es im Verlauf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Prozess gab, in dem sich die Idee einer auf Gesetzen basierenden Herrschaft (rule by law) in den vom japanischen Militär besetzten Gebieten entwickelte.
Akashi Tomonori (Fukuoka): Zur Geschichte der Gefängnisse in der Meiji-Zeit. Die Unabhängigkeit der Gefängnisverwaltung und ihr Einfluss.
Im zweiten japanischsprachigen Kurzbericht des Nachmittags „Zur Geschichte der Gefängnisse in der Meiji-Zeit. Die Unabhängigkeit der Gefängnisverwaltung und ihr Einfluss“ sprach Akashi Tomonori von der Kyūshū-Universität in Fukuoka über die Ergebnisse seiner Dissertation. Darin zeigte er die Veränderungen im japanischen Gefängnissystem von der Edo-Zeit bis zur Meiji-Zeit. Da es in der Edo-Zeit kein landesweit einheitliches System von Gefängnissen, sondern eine Mischung aus Praktiken wie Hinrichtung, Verbannung, Tätowierung etc. für die Ahndung von Straftaten gab, bezeichnete er die Meiji-Zeit als eine Art „Stunde Null“ für den Aufbau eines modernen Gefängnissystems. In seiner Dissertation zeichnet er die Herausbildung dieses professionellen Systems und der Einflüsse auf seine Entwicklung nach. Dabei ging er auch auf die Problematik der Finanzierung von Gefängnissen sowie den Einfluss von Religion und Gesellschaft bei der Herausbildung einer modernen Gefängnisverwaltung ein.
Jan Schmidt (Leuven): Kammern der Macht? Eine Politik- und Kulturgeschichte der Industrie- und Handelskammern Japans, 1878–1960er Jahre.
Kurzvorstellung Nummer drei von Jan Schmidt von der KU Leuven hatte den Titel „Kammern der Macht? Eine Politik- und Kulturgeschichte der Industrie- und Handelskammern Japans, 1878–1960er Jahre“. Dem Thema der Industrie- und Handelskammern (IHK) Japans wurde in der Forschung zur Neueren und Neuesten Geschichte Japans bis dato vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt. Das ist erstaunlich, wenn man deren Rolle in politikgeschichtlicher Perspektive bedenkt. Auch ihre Funktionen als wesentliches Organ zur Verteilung von Informationen, die weit über den ökonomischen Bereich hinausgehen, sowie als Stätten – natürlich stets interessenbasierter – kultureller Veranstaltungen oder philanthropischer Initiativen, die häufig in einem Spannungsverhältnis zur (post)imperialen Metropole Tokyo standen, wurden nur unzureichend beleuchtet. Die bisherige Forschung betont die Funktion der IHKen als Orte des Austauschs und der Diskussion zum Zwecke der Weiterentwicklung der lokalen Wirtschaft. Das Projekt von Jan Schmidt wird darüber hinaus den Zusammenhang mit nationalen sowie den imperialen ökonomischen Zielen erforschen. Die IHKen waren als Sponsoren und Veranstalter zahlreicher Kulturveranstaltungen und als Sammler von Statistiken und Herausgeber auf diesen Statistiken basierender Publikationen eine Pressure Group, die die lokalen wirtschaftlichen Interessen innerhalb der Region und / oder dem Gesamtstaat gegenüber vertraten und damit auch politischen Einfluss ausübten. Als eine Fallstudie stellte er die IHK von Otaru vor, einem Ort, der in der Meiji-Zeit als Tor zu Hokkaidō gesehen wurde. Dort wurde 1895 eine IHK gegründet, die in den 1910er und 1920er Jahre eine Scharnierfunktion zwischen lokaler Wirtschaft und Nationalstaat hatte, unter anderem durch die Professionalisierung der Informationsgewinnung und die Einrichtung von Abteilungen, in denen Zahlen gesammelt und Statistiken erstellt wurden.
Nadja Kischka-Wellhäußer (Bochum): Frauenvereine und weibliche Selbstorganisation im Japan der Meiji-Zeit: Starke Bindungen.
Der zweite Teil des Nachmittags begann mit der Kurzvorstellung von Nadja Kischka-Wellhäußer von der Ruhr-Universität Bochum. In ihrem Vortrag über „Frauenvereine und weibliche Selbstorganisation im Japan der Meiji-Zeit: starke Bindungen“ thematisierte sie die frühen japanischen Frauenvereine etwa zwischen den 70er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts. Dabei legte sie den Fokus auf die Verbindungen zwischen den Hauptakteurinnen sowie einigen Institutionen, die auf verschiedenen Wegen für die Emanzipation der japanischen Frau eintraten. Das Hauptaugenmerk des im Vortrag vorgestellten Teilbereichs des Forschungsprojekts liegt auf dem Verbindungsgeflecht zwischen einigen ausgewählten Personen, Angehörigen eines der Frauenvereine und Personen aus anderen Institutionen wie bestimmte Mädchenschulen oder Printmedien, das auf die Existenz eines sozialen Netzwerkes schließen lässt. Im Projekt soll dieses Netzwerk näher beschrieben und auf verschiedene Weise visuell dargestellt werden, je nachdem, welche inhaltlichen Schwerpunkte durch die Graphik beleuchtet werden. Durch einzelne Beispiele von Biographien gesellschaftlich engagierter Frauen soll die Tragfähigkeit dieses Beziehungskomplexes herausgestellt werden. Ziel dabei ist es, die Bedeutung des Personen- und Interorganisationsnetzwerkes herauszustellen und die zeitliche Ausdehnung und Bestand des Netzwerkes zu dokumentierten. In der Diskussion kritisch hinterfragt wurde die Zielrichtung der Netzwerkanalyse allgemein sowie das konkrete Ziel der Erforschung der praktischen Aspekte der Lehrer-Schüler-Beziehung in der Frauengruppe. Auch wurde die Frage nach der Rolle des Christentums in den dargestellten Netzwerken diskutiert.
Stefan Köck (Wien): Multidimensionalität von shintō-uke und den Quellen und Interpretationsansätze zur religiösen Kontrolle im Okayama-han.
Der nächste Vortrag von Stefan Köck von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien beschäftigte sich mit der Multidimensionalität von shintō-uke und den Quellen und Interpretationsansätze zur religiösen Kontrolle im Okayama-han. Obwohl das System der religiösen Kontrolle der Bevölkerung durch Shintō-Schreine (shintō-uke) im Okayama-han von 1666 an rund 25 Jahre praktiziert wurde, sind vergleichsweise wenige zeitgenössische Quellen überliefert, aus denen sich Informationen über die Umsetzung von shintō-uke gewinnen lassen. Im Ikeda-Familienarchiv der Universität Okayama und im Präfekturarchiv des Okayama-ken finden sich jeweils verschiedene Quellenkorpora mit Bezug zu diesem Thema. Nur weniges davon liegt in edierter Fassung vor. Im Vortrag stellte Stefan Köck vor, welche Dimensionen von >em>shintō-uke>/em> sich auf Basis der Quellen beider Archive beschreiben lassen. Dabei zeigte er, wie sich durch Kombination von Quellen beider Archive und durch die formale Vielfalt der vorhandenen Quellen zeitgenössische Erscheinungen beschreiben lassen und diskutierte den Beitrag von shintō-uke zu Entwicklungsprozessen langfristiger Natur, die bis ins 19. Jahrhundert reichten. Im Anschluss an den Vortrag wurde die Frage besprochen, ob es sich beim vorgestellten Phänomen um eine lokale, auf Okayama bezogene Maßnahme handelte. Nach Aussage eines japanischen Wissenschaftlers war das shintō-uke-System von Okayama Vorbild für ähnliche Maßnahmen der Tempel- und Schreinreduzierung der Meiji-Zeit.
Till Knaudt (Heidelberg): Maikon in Maihōmu.
Der letzte Vortrag von Till Knaudt von der Universität Heidelberg mit dem Titel „Maikon in Maihōmu“ war ein Werkstattbericht zu einer Geschichte des Heimcomputers in Japan. Ende der 1970er Jahre bis Anfang der 1990er Jahre entstand in Japan ein spezielles Ökosystem der elektronischen Datenverarbeitung, das aufgrund u.a. der technologischen und ökonomischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung des sino-japanischen Schriftsystems von einheimischen Konzernen wie NEC, Fujitsu, Sharp und Sony dominiert wurde. Jenseits von Bürosystemen zur Text- und Datenverarbeitung, sowie Spielkonsolen, setzten sich drei verschiedene Hardware- Plattformen durch: Personalcomputer (pasokon), Heimcomputer (maikon), und Textprozessoren (waapuro). Gegenüber allen dieser Systeme gab es von Anfang an Erwartungshaltungen und Ängste; von der Verwandlung von Grundschülern in BASIC-Programmierer, der Automatisierung von (Büro-)Arbeit (OA=office automatization) bis zum vermeintlichen Untergang der japanischen Sprache. Zu den soziokulturellen Auswirkungen der Ankunft von Computern in Familien, Schulen, Büros und Kleinbetrieben liegen kaum Forschungsergebnisse vor. Der Werkstattbericht befasste sich mit der ersten Phase der Heimcomputer zwischen 1977 und 1985 und diskutierte das Potential dieses Themas als soziokulturelle Technikgeschichte. In den spätern 1970er und frühen 1980er Jahren hatte sich eine „Hobbyistenszene“ herausgebildet. Danach begann die Massenvermarktung zuerst mit sexualisierter Werbung, die männliche Computerfreaks ansprechen sollte. Dies wich allerdings schnell zielgruppenspezifischen Werbestrategien für alle Teile der japanischen Gesellschaft. Mögliche Forschungsfragen für das Projekt umfassen die Veränderung sozialer Beziehungen in Schule, Familie, Arbeit durch maikon, die Veränderung von Geschlechterrollen, der Einfluss der Automatisierung auf Arbeitsverhältnisse, die Vermittlung von Programmierwissen in Schulen, die Veränderung des Verständnisses von elektronischer Technologie durch Homecomputer und BASIC. Auch die Fragen, ob sich eine Art Nihonjinron rund um „japanische Computer“ entwickelte, welche politischen und wirtschaftlichen Widerstände gegen Globalisierung von Technologie erkennbar waren und ob die Funktion von Heimcomputer eher integrativ oder spaltend war, sollen im Projekt thematisiert werden.
Verschiedenes:
Der Sonntagvormittag bot allen Tagungsteilnehmern die Möglichkeit, an einer ausführlichen Bibliotheksführung teilzunehmen und die Bibliothek danach für individuelle Recherchen zu nutzen. Weiterhin gab es die Möglichkeit, ein Video aus einer Sendereihe der Abteilung Education Television von NHK über den Philosophen Maruyama Masao anzusehen. Bei diesem Video handelte es sich um einen Überblick über Maruyamas Entwicklung zum politischen Denker der japanischen Demokratie. Außerdem finden sich darin mehrere Interviews und Stellungnahmen zum Thema ANPO 1959 /60, zur Studentenbewegung und ihren Zielen, wie sie die japanischen 1968er vertraten. Mehrere Wissenschaftler, darunter Mitani Tai’ichirō und Sasaki Takeshi, kommentieren. Auch eine Reihe kritischer Stimmen sind zu hören, darunter der Kulturkritiker und Literat Yoshimoto Takaaki, der Max Weber-Forscher Orihara Hiroshi, und besonders Maruyamas Sohn, Maruyama Akira (heute Mathematik-Professor), der Ende der 1960er Jahre selber in der Zenkyōtō-Studentenbewegung an der Nihon daigaku (Nichidai) aktiv war. Aufgrund eines detaillierten Handouts, das Wolfgang Seifert eigens für die Vorführung mit anschließender Diskussion angefertigt hatte, erhielten die Teilnehmer des Treffens einen sehr guten Einblick in das Schaffen und Wirken von Maruyama Masao.
Das Treffen endete mit einer kurzen Diskussion über die nächsten Tagungsorte. Für das erste Novemberwochenende (3. und 4. November 2018) hat sich Robert Kraft aus Leipzig zur Ausrichtung des Treffens bereit erklärt. Unterstützt wird er von Tino Schölz.
(Anke Scherer) |