Protokolle 31–35 (2018–2020)

Protokolle der 31.–35. Tagung aus den Jahren 2018–2020:

Durch Ankli­cken des ent­spre­chen­den Links kön­nen Sie das Pro­to­koll der zuge­hö­ri­gen Tagung aufrufen.

31. Tref­fen am Cent­re Euro­pé­en d’Études Japo­nai­ses d’Alsace (CEEJA), Kay­sers­berg Vigno­ble, Kientzheim vom 15.–17. Juni 2018
32. Tref­fen an der Japa­no­lo­gie der Uni­ver­si­tät Leip­zig, 4.–5. Novem­ber 2018
33. Tref­fen an der Ruhr-Universität Bochum, 25.–26. Mai 2019
34. Tref­fen an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin, 30. Novem­ber & 1. Dezem­ber 2019
35. Tref­fen im Online-Format, 28.–29. Novem­ber 2020

31. Tref­fen am Cent­re Euro­pé­en d’Études Japo­nai­ses d’Alsace (CEEJA), Kay­sers­berg Vigno­ble, Kientzheim, Frank­reich, 15. – 17. Juni 2018:

Das 31. Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fand vom 15. bis 17. Juni 2018 am Cent­re Euro­pé­en d’Études Japo­nai­ses d’Alsace (CEEJA), Kay­sers­berg Vigno­ble, Kientzheim, Frank­reich statt.

Anwe­send waren: Aka­shi Tomo­no­ri (Fukuoka/Leuven), Anja Batram (Bochum), Ali­ne Dre­her (Bochum), Dani­el Gerich­hau­sen (Bonn), Lisa Ham­me­ke (Fried­richs­ha­fen), Nad­ja Kischka-Wellhäuser (Bochum), Vere­na Klein (Bochum), Till Knaudt (Hei­del­berg), Ste­fan Köck (Wien), Regi­ne Mathi­as (CEEJA), Hen­ri­et­te Mühl­mann (Ham­burg), Ono Hiro­shi (Kobe/Leuven), Erich Pau­er (CEEJA), Anke Sche­rer (Köln), Jan Schmidt (Leu­ven), Wolf­gang Sei­fert (Hei­del­berg), Mor­gai­ne Set­zer (Bochum), Lie­ven Som­men (Leu­ven), Det­lev Taran­c­zew­ski (Bonn), Yuka­wa Shirō (Bonn), Mat­thi­as Zach­mann (Ber­lin)

Vor­trä­ge:
Erich Pau­er (CEEJA): Begrü­ßung.
In der Begrü­ßung der Teil­neh­mer stell­te Erich Pau­er, der für den Bereich Japan­wis­sen­schaf­ten zustän­di­ge Vize-Präsident des CEEJA, die Insti­tu­ti­on kurz vor und erklär­te, wie aus einer ursprüng­lich von 1986 bis 2006 im Gebäu­de betrie­be­nen japa­ni­schen Mittel- und Ober­schu­le das jet­zi­ge Zen­trum her­vor­ging, zu dem auch eine schnell wach­sen­de Japan-Bibliothek gehört. Für das Initia­ti­ve­tref­fen war in der Biblio­thek eine Aus­stel­lung Edo-zeitlicher Holzdruck-Bücher auf­ge­baut wor­den, und wäh­rend der gan­zen Tagung konn­te und wur­de die Biblio­thek von den Tagungs­teil­neh­mern rege genutzt. Eine aus­führ­li­che Biblio­theks­füh­rung mit Mög­lich­kei­ten zur indi­vi­du­el­len Recher­che fand zudem am Sonn­tag­vor­mit­tag statt.

Dani­el Gerich­hau­sen (Bonn): Vom Gesche­hen zum Text. Mime­sis in China-Reisberichten japa­ni­scher Lite­ra­ten nach dem Zwei­ten Weltkrieg.
Nach der Begrü­ßung und Ein­füh­rung stell­te Dani­el Gerich­hau­sen von der Uni­ver­si­tät Bonn sein Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekt unter dem Titel „Vom Gesche­hen zum Text – Mime­sis in China-Reisberichten japa­ni­scher Lite­ra­ten nach dem Zwei­ten Welt­krieg“ vor. Zehn Jah­re nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs konn­ten japa­ni­sche Lite­ra­ten erst­mals die Volks­re­pu­blik Chi­na berei­sen. Obwohl noch mehr als zwei Deka­den bis zum Abschluss eines Frie­dens­ver­tra­ges zwi­schen Japan und Chi­na ver­gin­gen, besuch­ten in den 1950er und 1960er Jah­ren eini­ge nam­haf­te Autoren wie Inoue Yasu­shi und Naka­no Shi­ge­ha­ru das Land und leg­ten teils aus­führ­li­che Rei­se­be­rich­te vor. Anders als ihre fik­tio­na­len Wer­ke sind die­se jedoch bis­lang kaum Gegen­stand der For­schung gewor­den. In der japa­ni­schen Lite­ra­tur­wis­sen­schaft wer­den sie allen­falls als Quel­len für bio­gra­phi­sche Arbei­ten genutzt oder bei der Suche nach Rea­li­täts­re­fe­ren­zen in den lite­ra­ri­schen Wer­ken der Autoren her­an­ge­zo­gen. Meist liegt die­ser Betrach­tungs­wei­se eine unkri­ti­sche Gleich­set­zung von Rei­se­be­rich­ten mit blo­ßer fak­ten­ge­treu­er Wie­der­ga­be ver­gan­ge­nen Gesche­hens zugrun­de, die kom­po­si­to­ri­sche und ästhe­ti­sche Ver­fah­ren vernachlässigt.
Der Vor­trag pro­ble­ma­ti­sier­te die­se Her­an­ge­hens­wei­se und stell­te einen nar­ra­to­lo­gi­schen Ansatz vor, um die Wirk­lich­keits­dar­stel­lung in die­sen Wer­ken durch die Ana­ly­se rhe­to­ri­scher und nar­ra­ti­ver Stra­te­gien zu unter­su­chen. Die­ser Zugang kom­bi­niert die drei Ebe­ne der Prä­fi­gu­ra­ti­on, Kon­fi­gu­ra­ti­on und Refi­gu­ra­ti­on, die die Wech­sel­wir­kung zwi­schen Text und Wirk­lich­keit beschrei­ben, mit den vier Stu­fen der nar­ra­ti­ven Reprä­sen­ta­ti­on und Trans­for­ma­ti­on nach Nün­ning: [1] Gesche­hen (d.h. das tat­säch­li­che Erle­ben) – [2] Geschich­te (d.h. der­zeit­li­cher Aus­schnitt, bereits sinn­haft gedeu­tet) – [3] Erzäh­lung (d.h. die kom­po­si­to­ri­sche Formgebung/der Plot) – [4] Text (d.h. das Resul­tat). Anhand von Kri­te­ri­en zur typo­lo­gi­schen Dif­fe­ren­zie­rung wie Selek­ti­on von Refe­renz­be­rei­chen, Gestal­tung der Erzähl­ebe­ne, Zeit­be­zug und inten­dier­te Text­funk­ti­on prä­sen­tier­te Dani­el Gerich­hau­sen die fol­gen­den vier Typen von Rei­se­be­rich­ten, in die er im Anschluss aus­ge­wähl­te Bei­spie­le ein­ord­ne­te: Doku­men­ta­ri­scher Rei­se­be­richt („Gescheh­nis­se genau bele­gen“), Rea­lis­ti­scher Rei­se­be­richt („Erzäh­len“), Revi­sio­nis­ti­scher Rei­se­be­richt („Neu beschrei­ben“) und Selbst­re­fle­xi­ve Meta-Reisefiktion. Damit zeig­te er, dass ent­ge­gen der Vor­stel­lung von authen­ti­schen Augen­zeu­gen­be­rich­ten erst durch Selek­ti­on und Kon­fi­gu­ra­ti­on ein­zel­ner Ele­men­te gat­tungs­kon­for­me Aus­prä­gun­gen des Rei­se­be­richts entstehen.
In der Dis­kus­si­on wur­de die Fra­ge nach der Ziel­rich­tung der Dis­ser­ta­ti­on dis­ku­tiert. Dabei wur­de in Fra­ge gestellt, ob es tat­säch­lich noch das Pro­blem in der japa­ni­schen Lite­ra­tur­wis­sen­schaft gibt, dass Rei­se­be­rich­te als objek­ti­ve Quel­le gese­hen wer­den. Außer die­ser Nach­fra­ge nach dem heu­ris­ti­schen Wert der Dis­ser­ta­ti­on wur­den Aspek­te wie die Dar­stel­lung Chi­nas im Licht der Vor­be­las­tung des sino-japanischen Ver­hält­nis­ses durch die Ereig­nis­se vor und wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs vermisst.

Erich Pau­er (CEEJA): Vom Stu­den­ten der chi­ne­si­schen Klas­si­ker zum moder­nen Inge­nieur – Die „Ōhara-Papers“.
Im zwei­ten Vor­trag mit dem Titel „Vom Stu­den­ten der chi­ne­si­schen Klas­si­ker zum moder­nen Inge­nieur – Die ‚Ōhara-Papers‘“ sprach Erich Pau­er vom CEEJA über Mit­schrif­ten und Praktika-Berichten eines Bergbau-Studenten (Ōha­ra Jun­no­suke) des Impe­ri­al Col­lege of Engi­nee­ring (工部大学校) aus den Jah­ren 1878- 1882, die er durch Zufall vor eini­ger Zeit erwer­ben konn­te. Die­ser ein­zig­ar­ti­ge Fund ermög­licht es, den Bildungs- und Kar­rie­re­ver­lauf eines aus dem Stand der Samu­rai kom­men­den Stu­den­ten hin zum moder­nen Inge­nieur exem­pla­risch nach­zu­zeich­nen. Die sel­te­nen Doku­men­te erlau­ben es, erst­mals den Unter­richt und die Inhal­te von Vor­le­sun­gen, die die eng­li­schen und schot­ti­schen Leh­rer am Col­lege of Engi­nee­ring abhiel­ten, zu ana­ly­sie­ren. Die Mit­schrif­ten zei­gen zudem, wie das west­li­che Wis­sen rezi­piert wur­de und auf wel­chem tech­ni­schen Niveau sich die Stu­den­ten beim Abschluss befan­den. Eben­falls deut­lich wird aus den Unter­la­gen z.B. auch der kon­kre­te Ver­lauf von Prak­ti­ka. In den Berich­ten zeich­net der Stu­dent ein genau­es Bild der Lage ver­schie­de­ner Gold‑, Silber- und Koh­le­berg­wer­ke, deren Lage, die betrieb­li­chen Ver­hält­nis­se, die tra­di­tio­nel­len wie moder­nen Gerä­te, die Arbeits­kräf­te etc. Dar­in spie­gelt sich auch ein bis­lang so nicht gekann­tes ein­drucks­vol­les Bild der Moder­ni­sie­rung in einem für Japan äußerst wich­ti­gen Indus­trie­be­reich. So zeigt ein Prak­ti­kums­be­richt über das Berg­werk in Iku­no, wie dort noch tra­di­tio­nel­le Gerät­schaf­ten und Prak­ti­ken neben tech­ni­schen Neue­run­gen und moder­nen Maschi­nen zum Ein­satz kamen. Da aus der Zeit zwi­schen 1868 und 1885 nur weni­ge Unter­la­gen aus dem Berg­bau erhal­ten sind, erlau­ben die Auf­zeich­nun­gen von Ōhara die Ver­hält­nis­se in japa­ni­schen Berg­wer­ken in einer wich­ti­gen Umbruch­pha­se zu ver­ste­hen, über die es ansons­ten weni­ge Quel­len gibt. Die Ana­ly­se der Auf­zeich­nun­gen von Ōhara zeigt, dass die japa­ni­schen Berg­wer­ke in der frü­hen Meiji-Zeit moder­ner waren als bis­lang ange­nom­men. Auch las­sen sei­ne Auf­zeich­nun­gen über Löh­ne und Kos­ten in den Berg­wer­ken wich­ti­ge Rück­schlüs­se über betriebs­wirt­schaft­li­che Aspek­te im dama­li­gen japa­ni­schen Berg­bau zu.
Im Anschluss an den Vor­trag wur­de über den Ein­fluss der aus­län­di­schen Pro­fes­so­ren und der Ver­wen­dung von Eng­lisch als Aus­bil­dungs­spra­che auf die Prä­gung von Ōhara und ande­ren Inge­nieu­ren sei­ner Gene­ra­ti­on dis­ku­tiert. Zwar las­sen sich kei­ne umfas­sen­den Erkennt­nis­se über den Ein­fluss die­ser Fak­to­ren aus den Quel­len gewin­nen, aber die Tat­sa­che, dass Ōhara eini­ge Zeit brauch­te, um sich von einem mit­tel­mä­ßi­gen zu einem sehr guten Stu­den­ten zu ent­wi­ckeln, zeigt, dass er einen län­ge­ren Anpas­sungs­pro­zess an die Unter­richts­spra­che und Arbeits­wei­se der aus­län­di­schen Dozen­ten, die sich ihrer­seits kaum an japa­ni­sche Ver­hält­nis­se anpass­ten, durch­lau­fen hat.

Ono Hiro­shi (Kobe): The­men und Nut­zen von Stu­di­en zur Militärgerichtsbarkeit.
Im ers­ten Kurz­be­richt des Nach­mit­tags sprach Ono Hiro­shi von der Uni­ver­si­tät Kobe auf Japa­nisch über The­men und den Nut­zen von Stu­di­en zur Mili­tär­ge­richts­bar­keit. Da es sich um ein erst kürz­lich begon­ne­nes For­schungs­vor­ha­ben han­delt, hat­te der Bericht eher einen Werk­statt­cha­rak­ter. Sein Fokus lag dabei nicht auf dem, was der Begriff der Mili­tär­ge­richts­bar­keit gemein­hin beinhal­tet (z.B. Recht­spre­chung inner­halb des Mili­tärs), son­dern auf der vom japa­ni­schen Mili­tär in besetz­ten Gebie­ten bis zum Ende des Zwei­ten Welt­krieg aus­ge­üb­te Gerichts­bar­keit. Die­se hat­te in den besetz­ten Gebie­ten die Auf­ga­be der Auf­recht­erhal­tung von Ruhe und Ord­nung, wes­halb neben dem Kern­be­reich der vor Mili­tär­ge­rich­ten zu ver­han­deln­den Ver­ge­hen im mili­tä­ri­schen Bereich vor allem zahl­rei­che Geset­ze zur zivi­len Ver­wal­tung der besetz­ten Gebie­te im Zen­trum der Erfor­schung der dor­ti­gen Mili­tär­ge­richts­bar­keit ste­hen. Am Bei­spiel der von der japa­ni­schen Armee im besetz­ten Hong­kong aus­ge­üb­ten Gerichts­bar­keit zeig­te Hiro­shi Ono, dass es sich hier­bei nicht wie häu­fig ange­nom­men um eine Herr­schaft ohne Geset­ze (rule wit­hout law) han­del­te, son­dern dass es im Ver­lauf der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts einen Pro­zess gab, in dem sich die Idee einer auf Geset­zen basie­ren­den Herr­schaft (rule by law) in den vom japa­ni­schen Mili­tär besetz­ten Gebie­ten entwickelte.

Aka­shi Tomo­no­ri (Fuku­o­ka): Zur Geschich­te der Gefäng­nis­se in der Meiji-Zeit. Die Unab­hän­gig­keit der Gefäng­nis­ver­wal­tung und ihr Einfluss.
Im zwei­ten japa­nisch­spra­chi­gen Kurz­be­richt des Nach­mit­tags „Zur Geschich­te der Gefäng­nis­se in der Meiji-Zeit. Die Unab­hän­gig­keit der Gefäng­nis­ver­wal­tung und ihr Ein­fluss“ sprach Aka­shi Tomo­no­ri von der Kyūshū-Universität in Fuku­o­ka über die Ergeb­nis­se sei­ner Dis­ser­ta­ti­on. Dar­in zeig­te er die Ver­än­de­run­gen im japa­ni­schen Gefäng­nis­sys­tem von der Edo-Zeit bis zur Meiji-Zeit. Da es in der Edo-Zeit kein lan­des­weit ein­heit­li­ches Sys­tem von Gefäng­nis­sen, son­dern eine Mischung aus Prak­ti­ken wie Hin­rich­tung, Ver­ban­nung, Täto­wie­rung etc. für die Ahn­dung von Straf­ta­ten gab, bezeich­ne­te er die Meiji-Zeit als eine Art „Stun­de Null“ für den Auf­bau eines moder­nen Gefäng­nis­sys­tems. In sei­ner Dis­ser­ta­ti­on zeich­net er die Her­aus­bil­dung die­ses pro­fes­sio­nel­len Sys­tems und der Ein­flüs­se auf sei­ne Ent­wick­lung nach. Dabei ging er auch auf die Pro­ble­ma­tik der Finan­zie­rung von Gefäng­nis­sen sowie den Ein­fluss von Reli­gi­on und Gesell­schaft bei der Her­aus­bil­dung einer moder­nen Gefäng­nis­ver­wal­tung ein.

Jan Schmidt (Leu­ven): Kam­mern der Macht? Eine Politik- und Kul­tur­ge­schich­te der Industrie- und Han­dels­kam­mern Japans, 1878–1960er Jahre.
Kurz­vor­stel­lung Num­mer drei von Jan Schmidt von der KU Leu­ven hat­te den Titel „Kam­mern der Macht? Eine Politik- und Kul­tur­ge­schich­te der Industrie- und Han­dels­kam­mern Japans, 1878–1960er Jah­re“. Dem The­ma der Industrie- und Han­dels­kam­mern (IHK) Japans wur­de in der For­schung zur Neue­ren und Neu­es­ten Geschich­te Japans bis dato ver­gleichs­wei­se wenig Beach­tung geschenkt. Das ist erstaun­lich, wenn man deren Rol­le in poli­tik­ge­schicht­li­cher Per­spek­ti­ve bedenkt. Auch ihre Funk­tio­nen als wesent­li­ches Organ zur Ver­tei­lung von Infor­ma­tio­nen, die weit über den öko­no­mi­schen Bereich hin­aus­ge­hen, sowie als Stät­ten – natür­lich stets inter­es­sen­ba­sier­ter – kul­tu­rel­ler Ver­an­stal­tun­gen oder phil­an­thro­pi­scher Initia­ti­ven, die häu­fig in einem Span­nungs­ver­hält­nis zur (post)imperialen Metro­po­le Tokyo stan­den, wur­den nur unzu­rei­chend beleuch­tet. Die bis­he­ri­ge For­schung betont die Funk­ti­on der IHKen als Orte des Aus­tauschs und der Dis­kus­si­on zum Zwe­cke der Wei­ter­ent­wick­lung der loka­len Wirt­schaft. Das Pro­jekt von Jan Schmidt wird dar­über hin­aus den Zusam­men­hang mit natio­na­len sowie den impe­ria­len öko­no­mi­schen Zie­len erfor­schen. Die IHKen waren als Spon­so­ren und Ver­an­stal­ter zahl­rei­cher Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen und als Samm­ler von Sta­tis­ti­ken und Her­aus­ge­ber auf die­sen Sta­tis­ti­ken basie­ren­der Publi­ka­tio­nen eine Pres­su­re Group, die die loka­len wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen inner­halb der Regi­on und / oder dem Gesamt­staat gegen­über ver­tra­ten und damit auch poli­ti­schen Ein­fluss aus­üb­ten. Als eine Fall­stu­die stell­te er die IHK von Ota­ru vor, einem Ort, der in der Meiji-Zeit als Tor zu Hok­kai­dō gese­hen wur­de. Dort wur­de 1895 eine IHK gegrün­det, die in den 1910er und 1920er Jah­re eine Schar­nier­funk­ti­on zwi­schen loka­ler Wirt­schaft und Natio­nal­staat hat­te, unter ande­rem durch die Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Infor­ma­ti­ons­ge­win­nung und die Ein­rich­tung von Abtei­lun­gen, in denen Zah­len gesam­melt und Sta­tis­ti­ken erstellt wurden.

Nad­ja Kischka-Wellhäußer (Bochum): Frau­en­ver­ei­ne und weib­li­che Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on im Japan der Meiji-Zeit: Star­ke Bindungen.
Der zwei­te Teil des Nach­mit­tags begann mit der Kurz­vor­stel­lung von Nad­ja Kischka-Wellhäußer von der Ruhr-Universität Bochum. In ihrem Vor­trag über „Frau­en­ver­ei­ne und weib­li­che Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on im Japan der Meiji-Zeit: star­ke Bin­dun­gen“ the­ma­ti­sier­te sie die frü­hen japa­ni­schen Frau­en­ver­ei­ne etwa zwi­schen den 70er und 90er Jah­ren des 19. Jahr­hun­derts. Dabei leg­te sie den Fokus auf die Ver­bin­dun­gen zwi­schen den Haupt­ak­teu­rin­nen sowie eini­gen Insti­tu­tio­nen, die auf ver­schie­de­nen Wegen für die Eman­zi­pa­ti­on der japa­ni­schen Frau ein­tra­ten. Das Haupt­au­gen­merk des im Vor­trag vor­ge­stell­ten Teil­be­reichs des For­schungs­pro­jekts liegt auf dem Ver­bin­dungs­ge­flecht zwi­schen eini­gen aus­ge­wähl­ten Per­so­nen, Ange­hö­ri­gen eines der Frau­en­ver­ei­ne und Per­so­nen aus ande­ren Insti­tu­tio­nen wie bestimm­te Mäd­chen­schu­len oder Print­me­di­en, das auf die Exis­tenz eines sozia­len Netz­wer­kes schlie­ßen lässt. Im Pro­jekt soll die­ses Netz­werk näher beschrie­ben und auf ver­schie­de­ne Wei­se visu­ell dar­ge­stellt wer­den, je nach­dem, wel­che inhalt­li­chen Schwer­punk­te durch die Gra­phik beleuch­tet wer­den. Durch ein­zel­ne Bei­spie­le von Bio­gra­phien gesell­schaft­lich enga­gier­ter Frau­en soll die Trag­fä­hig­keit die­ses Bezie­hungs­kom­ple­xes her­aus­ge­stellt wer­den. Ziel dabei ist es, die Bedeu­tung des Personen- und Inter­or­ga­ni­sa­ti­ons­netz­wer­kes her­aus­zu­stel­len und die zeit­li­che Aus­deh­nung und Bestand des Netz­wer­kes zu doku­men­tier­ten. In der Dis­kus­si­on kri­tisch hin­ter­fragt wur­de die Ziel­rich­tung der Netz­werk­ana­ly­se all­ge­mein sowie das kon­kre­te Ziel der Erfor­schung der prak­ti­schen Aspek­te der Lehrer-Schüler-Beziehung in der Frau­en­grup­pe. Auch wur­de die Fra­ge nach der Rol­le des Chris­ten­tums in den dar­ge­stell­ten Netz­wer­ken diskutiert.

Ste­fan Köck (Wien): Mul­ti­di­men­sio­na­li­tät von shintō-uke und den Quel­len und Inter­pre­ta­ti­ons­an­sät­ze zur reli­giö­sen Kon­trol­le im Okayama-han.
Der nächs­te Vor­trag von Ste­fan Köck von der Öster­rei­chi­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten in Wien beschäf­tig­te sich mit der Mul­ti­di­men­sio­na­li­tät von shintō-uke und den Quel­len und Inter­pre­ta­ti­ons­an­sät­ze zur reli­giö­sen Kon­trol­le im Okayama-han. Obwohl das Sys­tem der reli­giö­sen Kon­trol­le der Bevöl­ke­rung durch Shintō-Schreine (shintō-uke) im Okayama-han von 1666 an rund 25 Jah­re prak­ti­ziert wur­de, sind ver­gleichs­wei­se weni­ge zeit­ge­nös­si­sche Quel­len über­lie­fert, aus denen sich Infor­ma­tio­nen über die Umset­zung von shintō-uke gewin­nen las­sen. Im Ikeda-Familienarchiv der Uni­ver­si­tät Oka­ya­ma und im Prä­fek­tur­ar­chiv des Okayama-ken fin­den sich jeweils ver­schie­de­ne Quel­len­kor­po­ra mit Bezug zu die­sem The­ma. Nur weni­ges davon liegt in edier­ter Fas­sung vor. Im Vor­trag stell­te Ste­fan Köck vor, wel­che Dimen­sio­nen von >em>shintō-uke>/em> sich auf Basis der Quel­len bei­der Archi­ve beschrei­ben las­sen. Dabei zeig­te er, wie sich durch Kom­bi­na­ti­on von Quel­len bei­der Archi­ve und durch die for­ma­le Viel­falt der vor­han­de­nen Quel­len zeit­ge­nös­si­sche Erschei­nun­gen beschrei­ben las­sen und dis­ku­tier­te den Bei­trag von shintō-uke zu Ent­wick­lungs­pro­zes­sen lang­fris­ti­ger Natur, die bis ins 19. Jahr­hun­dert reich­ten. Im Anschluss an den Vor­trag wur­de die Fra­ge bespro­chen, ob es sich beim vor­ge­stell­ten Phä­no­men um eine loka­le, auf Oka­ya­ma bezo­ge­ne Maß­nah­me han­del­te. Nach Aus­sa­ge eines japa­ni­schen Wis­sen­schaft­lers war das shintō-uke-Sys­tem von Oka­ya­ma Vor­bild für ähn­li­che Maß­nah­men der Tempel- und Schrein­re­du­zie­rung der Meiji-Zeit.

Till Knaudt (Hei­del­berg): Mai­kon in Maihōmu.
Der letz­te Vor­trag von Till Knaudt von der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg mit dem Titel „Mai­kon in Maihōmu“ war ein Werk­statt­be­richt zu einer Geschich­te des Heim­com­pu­ters in Japan. Ende der 1970er Jah­re bis Anfang der 1990er Jah­re ent­stand in Japan ein spe­zi­el­les Öko­sys­tem der elek­tro­ni­schen Daten­ver­ar­bei­tung, das auf­grund u.a. der tech­no­lo­gi­schen und öko­no­mi­schen Schwie­rig­kei­ten bei der Umset­zung des sino-japanischen Schrift­sys­tems von ein­hei­mi­schen Kon­zer­nen wie NEC, Fuji­tsu, Sharp und Sony domi­niert wur­de. Jen­seits von Büro­sys­te­men zur Text- und Daten­ver­ar­bei­tung, sowie Spiel­kon­so­len, setz­ten sich drei ver­schie­de­ne Hardware- Platt­for­men durch: Per­so­nal­com­pu­ter (paso­kon), Heim­com­pu­ter (mai­kon), und Text­pro­zes­so­ren (waa­puro). Gegen­über allen die­ser Sys­te­me gab es von Anfang an Erwar­tungs­hal­tun­gen und Ängs­te; von der Ver­wand­lung von Grund­schü­lern in BASIC-Programmierer, der Auto­ma­ti­sie­rung von (Büro-)Arbeit (OA=office auto­ma­tiza­ti­on) bis zum ver­meint­li­chen Unter­gang der japa­ni­schen Spra­che. Zu den sozio­kul­tu­rel­len Aus­wir­kun­gen der Ankunft von Com­pu­tern in Fami­li­en, Schu­len, Büros und Klein­be­trie­ben lie­gen kaum For­schungs­er­geb­nis­se vor. Der Werk­statt­be­richt befass­te sich mit der ers­ten Pha­se der Heim­com­pu­ter zwi­schen 1977 und 1985 und dis­ku­tier­te das Poten­ti­al die­ses The­mas als sozio­kul­tu­rel­le Tech­nik­ge­schich­te. In den spä­tern 1970er und frü­hen 1980er Jah­ren hat­te sich eine „Hob­by­is­ten­sze­ne“ her­aus­ge­bil­det. Danach begann die Mas­sen­ver­mark­tung zuerst mit sexua­li­sier­ter Wer­bung, die männ­li­che Com­pu­ter­freaks anspre­chen soll­te. Dies wich aller­dings schnell ziel­grup­pen­spe­zi­fi­schen Wer­be­stra­te­gien für alle Tei­le der japa­ni­schen Gesell­schaft. Mög­li­che For­schungs­fra­gen für das Pro­jekt umfas­sen die Ver­än­de­rung sozia­ler Bezie­hun­gen in Schu­le, Fami­lie, Arbeit durch mai­kon, die Ver­än­de­rung von Geschlech­ter­rol­len, der Ein­fluss der Auto­ma­ti­sie­rung auf Arbeits­ver­hält­nis­se, die Ver­mitt­lung von Pro­gram­mier­wis­sen in Schu­len, die Ver­än­de­rung des Ver­ständ­nis­ses von elek­tro­ni­scher Tech­no­lo­gie durch Home­com­pu­ter und BASIC. Auch die Fra­gen, ob sich eine Art Nihon­jin­ron rund um „japa­ni­sche Com­pu­ter“ ent­wi­ckel­te, wel­che poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Wider­stän­de gegen Glo­ba­li­sie­rung von Tech­no­lo­gie erkenn­bar waren und ob die Funk­ti­on von Heim­com­pu­ter eher inte­gra­tiv oder spal­tend war, sol­len im Pro­jekt the­ma­ti­siert werden.

Ver­schie­de­nes:
Der Sonn­tag­vor­mit­tag bot allen Tagungs­teil­neh­mern die Mög­lich­keit, an einer aus­führ­li­chen Biblio­theks­füh­rung teil­zu­neh­men und die Biblio­thek danach für indi­vi­du­el­le Recher­chen zu nut­zen. Wei­ter­hin gab es die Mög­lich­keit, ein Video aus einer Sen­de­rei­he der Abtei­lung Edu­ca­ti­on Tele­vi­si­on von NHK über den Phi­lo­so­phen Maru­ya­ma Masao anzu­se­hen. Bei die­sem Video han­del­te es sich um einen Überblick über Maru­ya­mas Ent­wick­lung zum poli­ti­schen Den­ker der japa­ni­schen Demo­kra­tie. Außer­dem fin­den sich dar­in meh­re­re Inter­views und Stel­lung­nah­men zum The­ma ANPO 1959 /60, zur Stu­den­ten­be­we­gung und ihren Zie­len, wie sie die japa­ni­schen 1968er ver­tra­ten. Meh­re­re Wis­sen­schaft­ler, dar­un­ter Mita­ni Tai’ichirō und Sasa­ki Take­shi, kom­men­tie­ren. Auch eine Rei­he kri­ti­scher Stim­men sind zu hören, dar­un­ter der Kul­tur­kri­ti­ker und Lite­rat Yoshi­mo­to Takaa­ki, der Max Weber-Forscher Ori­ha­ra Hiro­shi, und beson­ders Maru­ya­mas Sohn, Maru­ya­ma Aki­ra (heu­te Mathematik-Professor), der Ende der 1960er Jah­re sel­ber in der Zenkyōtō-Studentenbewegung an der Nihon dai­ga­ku (Nichi­dai) aktiv war. Auf­grund eines detail­lier­ten Hand­outs, das Wolf­gang Sei­fert eigens für die Vor­füh­rung mit anschlie­ßen­der Dis­kus­si­on ange­fer­tigt hat­te, erhiel­ten die Teil­neh­mer des Tref­fens einen sehr guten Ein­blick in das Schaf­fen und Wir­ken von Maru­ya­ma Masao.

Das Tref­fen ende­te mit einer kur­zen Dis­kus­si­on über die nächs­ten Tagungs­or­te. Für das ers­te Novem­ber­wo­chen­en­de (3. und 4. Novem­ber 2018) hat sich Robert Kraft aus Leip­zig zur Aus­rich­tung des Tref­fens bereit erklärt. Unter­stützt wird er von Tino Schölz.

(Anke Sche­rer)

zurück

32. Tref­fen an der Japa­no­lo­gie der Uni­ver­si­tät Leip­zig, 3. — 4. Novem­ber 2018:

Das 32. Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fand am 4. bis 5. Novem­ber in der Japa­no­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Leip­zig statt und wur­de von Robert Kraft und Tino Schölz organisiert.

Vor­trä­ge:
Micha­el Faci­us: Mit­suku­ri Gen­pachi, Tsu­boi Kume­zō und die West­li­che Geschich­te in der Meiji-Zeit
Den ers­ten Vor­trag hielt Micha­el Faci­us zum The­ma Mit­suku­ri Gen­pachi, Tsu­boi Kume­zō und die West­li­che Geschich­te in der Meiji-Zeit. Mit­suku­ri Gen­pachi 箕作元八 (1862–1919) und Tsu­boi Kume­zō 坪井九馬三 (1858–1936) gehör­ten gemein­sam mit dem gleich­alt­ri­gen Lud­wig Riess (1861–1921) zur ers­ten Gene­ra­ti­on von His­to­ri­kern, die sich an der Uni­ver­si­tät Tokyo mit der Geschich­te des Wes­tens (西洋史 Seiyō-shi) befass­ten. Anders als bei Riess, der häu­fig als Begrün­der nicht nur der west­li­chen Geschich­te, son­dern auch der moder­nen Geschichts­wis­sen­schaft in Japan über­haupt ange­se­hen wird, sind Bio­gra­fie und Wir­ken der Erst­ge­nann­ten kaum erschlos­sen. Auf Japa­nisch lie­gen neben einer Edi­ti­on von Mit­suku­ris Rei­se­ta­ge­buch zwar vor allem Kurz­bio­gra­fien, Nach­ru­fe und per­sön­li­che Erin­ne­run­gen ihrer Schü­ler, aber in euro­päi­schen Spra­chen bis­lang noch gar kei­ne For­schung vor.
Des­halb gab der Vor­trag zuerst einen Über­blick über die zen­tra­len bio­gra­fi­schen Sta­tio­nen Mit­suku­ris und Tsu­bo­is. Bei­den began­nen mit natur­wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en, bevor sie sich der in Japan noch nicht voll eta­blier­ten Dis­zi­plin der Geschichts­wis­sen­schaft zuwand­ten. Bei­de ver­brach­ten meh­re­re Jah­re im Aus­lands­stu­di­um in Deutsch­land, wo sie pro­mo­vier­ten, und bei­de wur­den nach ihrer Rück­kehr nach Japan sehr schnell auf Pro­fes­so­ren­stel­len beru­fen: Tsu­boi erhielt 1893 den Lehr­stuhl für Geschichts­wis­sen­schaft und Geo­gra­fie, Mit­suku­ri folg­te Lud­wig Riess 1902 als Pro­fes­sor für die Geschich­te des Wes­tens nach.
Im Anschluss an die bio­gra­fi­schen Daten stell­te Micha­el Faci­us kurz die wich­tigs­ten fach­li­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen der bei­den His­to­ri­ker vor. Etwas ver­ein­facht gespro­chen ent­stand dar­aus ein Pro­fil von Mit­suku­ri als Fach­his­to­ri­ker für euro­päi­sche und spe­zi­ell für fran­zö­si­sche Geschich­te. Dem­ge­gen­über war Tsu­boi brei­ter ori­en­tiert, zeig­te in sei­nen Publi­ka­tio­nen theo­re­ti­sches Inter­es­se und ver­such­te ord­nen­de Prin­zi­pi­en in der Geschich­te auf­zu­zei­gen. Die Idee, dass Geschich­te natur­wis­sen­schaft­li­chen Gesetz­mä­ßig­kei­ten unter­liegt, war dabei ein völ­lig neu­er, moder­ner Ansatz in der Wis­sen­schaft in Japan.
Ein Grund für die in Japan neue Beschäf­ti­gung mit west­li­cher Geschich­te war ein eben­falls neu­es Ver­ständ­nis von Geschich­te als Glo­bal­ge­schich­te. Dies beinhal­te­te, dass Mit­suku­ri und Tsu­boi davon aus­gin­gen, dass man die japa­ni­sche Geschich­te nur mit Kennt­nis­sen über west­li­che Geschich­te ver­ste­hen kann. Da Glo­bal­ge­schich­te aber nicht von den im Wes­ten ent­wi­ckel­ten The­men und Her­an­ge­hens­wei­sen allei­ne bestimmt sein dürf­te, wie­sen bei­de His­to­ri­ker auf die Wich­tig­keit des Bei­trags zur Glo­bal­ge­schich­te aus ande­ren Tei­len der Welt hin. Die ver­än­der­te Sicht von Japans Rol­le in der Glo­bal­ge­schich­te zeigt zum Bei­spiel ein von Tsu­boi 1904 her­aus­ge­ge­be­ner Sam­mel­band zur Ori­en­tie­rung in Kriegs­zei­ten. Dar­in ist im Gegen­satz zum bis­lang vor­herr­schen­den Bild vom akti­ven Wes­ten, der die Geschich­te vor­an­treibt, jetzt Japan eine trei­ben­de Kraft der geschicht­li­chen Ent­wick­lung und wich­ti­ger Teil der Weltgeschichte.
In der an den Vor­trag anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on ging es dann unter ande­rem dar­um, die Bedeu­tung der bei­den His­to­ri­ker für die moder­ne japa­ni­sche Geschichts­wis­sen­schaft ein­zu­schät­zen. Hier­zu merk­te Micha­el Faci­us an, dass hier häu­fig die Rol­le von Lud­wig Riess in den Vor­der­grund gestellt wür­de, obwohl die­ser durch sei­ne Lehr­tä­tig­keit ledig­lich sei­ne direk­ten Stu­den­ten an der Uni­ver­si­tät Tokyo erreicht hat­te. Dem­ge­gen­über präg­ten die von Mit­suku­ri und Tsu­boi ver­fass­ten Lehr­bü­cher gan­ze Gene­ra­tio­nen von Mit­tel­schü­lern in Japan. 
Auch über die Über­nah­me west­li­cher Theo­rien und Metho­den in der japa­ni­schen Geschichts­wis­sen­schaft wur­de dis­ku­tiert. So stamm­te die Idee, dass es Gesetz­mä­ßig­kei­ten in der geschicht­li­chen Ent­wick­lung gibt, höchst­wahr­schein­lich aus dem Kon­takt, den bei­de Wis­sen­schaft­ler mit deut­scher Phi­lo­so­phie bzw. dem his­to­ri­schen Mate­ria­lis­mus wäh­rend des Stu­di­ums in Deutsch­land hat­ten. Bei bei­den im Vor­der­grund stan­den aber weni­ger die Gesetz­mä­ßig­kei­ten von his­to­ri­scher Ent­wick­lung als mehr die Über­zeu­gung, dass Geschich­te ein glo­ba­les Phä­no­men ist.
Die Ori­en­tie­rung am deut­schen Vor­bild war für bei­de Wis­sen­schaft­ler sehr prä­gend, aber Micha­el Faci­us rela­ti­vier­te die über Lud­wig Riess gezo­ge­ne direk­te Linie der Nach­fol­ge als „Enkel­schü­ler“ des deut­schen His­to­ri­kers Leo­pold von Ran­ke. So wird Lud­wig Riess zwar häu­fig dis­kur­siv als Schü­ler Ran­kes prä­sen­tiert, er hat­te die­sen aber nur zwei­mal getrof­fen und sein „Schü­ler­sein“ stütz­te sich vor allem dar­auf, dass er Ran­kes Ansich­ten ver­trat. Tsu­boi und Mit­suku­ri haben sich von Ran­ke inso­fern etwas abge­setzt, als dass Tsu­boi die von Ran­ke ver­tre­te­ne Idee, dass Geschich­te von gro­ßen Män­nern gemacht wer­de, ablehn­te und Mit­suku­ri von sich sag­te, dass er zwar ein Ver­eh­rer von Ran­ke, aber kein blin­der Gefolgs­mann sei.

Lutz Damm­beck: Bru­no & Bet­ti­na – Ein Gespräch über Kunst und Revo­lu­ti­on (Filmvorführung und Gespräch)
Als zwei­ter Pro­gramm­punkt am Sams­tag­nach­mit­tag wur­de der Doku­men­tar­film „Bru­no & Bet­ti­na – Ein Gespräch über Kunst und Revo­lu­ti­on“ gezeigt, in dem Lutz Damm­beck (Lutz Damm­beck Film­pro­duk­ti­on, Ham­burg) mit Adachi Masao ein Inter­view führt. Adachi Masao ist einer der bekann­tes­ten Autoren und Regis­seu­re des japa­ni­schen Kinos. 1971 fuhr er mit sei­nem Kol­le­gen Wakamatsu Koji vom Film­fes­ti­val in Can­nes in den Liba­non und dreh­te für die „Volks­front zur Befrei­ung Paläs­ti­nas“ (PFLP) einen Dokumentar- und Pro­pa­gan­da­film. Drei Jah­re spä­ter, 1974, schloss er sich der von Shi­ge­no­bu Fusako im Liba­non in der Bekaa-Ebene gegrün­de­ten „Japa­ni­schen Roten Armee“ an. Nach drei­und­zwan­zig Jah­ren in der Ille­ga­li­tät wur­de er ver­haf­tet, vor Gericht gestellt und wegen eines Pass­ver­ge­hens ver­ur­teilt. Heu­te lebt Adachi in Tokyo und enga­giert sich gegen die japa­ni­sche Atomindustrie.
In der Doku­men­ta­ti­on spricht Lutz Damm­beck mit Adachi Masao über sein Leben, wie er in Kon­takt kam mit der „Japa­ni­schen Roten Armee“, was er im Liba­non mach­te, wel­che Fil­me er dreh­te und wel­ches Ver­hält­nis der Regis­seur zu Kunst, Revo­lu­ti­on und Ter­ro­ris­mus hat. Dabei wer­den nicht alle im Film gestell­ten Fra­gen beant­wor­tet, beson­ders nicht die nach der Rol­le von Adachi und Shi­ge­no­bu als von der Sta­si als „Bru­no“ und „Bet­ti­na“ geführ­ten Personen.
Im Anschluss an den Film ent­spann sich eine sehr kon­tro­ver­se Dis­kus­si­on dar­über, wie ein sol­cher Doku­men­tar­film mit sei­nem Sujet umgeht. Gefragt wur­de danach, ob nicht eine sol­che Doku­men­ta­ti­on jeman­dem wie Adachi eine Büh­ne gibt, Gewalt wie sie die „Japa­ni­sche Rote Armee“ aus­üb­te, zu legi­ti­mie­ren. Bemän­gelt wur­de das Feh­len einer ech­ten Dis­kus­si­on die­ser Pro­ble­me im Film. Der Fil­me­ma­cher erklär­te dar­auf­hin, dass ein Doku­men­tar­film als Zeit­do­ku­ment sei­ner Ansicht nach nicht die Auf­ga­be habe, den inter­view­ten Prot­ago­nis­ten zu belehren.
Dis­ku­tiert wur­de auch die Fra­ge, was klei­ne bewaff­ne­te Grup­pen wie die „Japa­ni­sche Rote Armee“ antrieb und ob sol­che Bewe­gun­gen ihre Zie­le errei­chen konn­ten; denn die japa­ni­sche Ent­wick­lung ist ein gutes Bei­spiel dafür, wie Aktio­nen sol­cher Grup­pen eigent­lich nur den Staa­ten etwas nüt­zen, die ihre Über­wa­chung von Men­schen mit dem Kampf gegen ter­ro­ris­ti­sche Aktio­nen legitimieren.

Wolf­gang Sei­fert: War die Expan­si­on des moder­nen Japan „nor­mal“ für eine auf­stre­ben­de Macht? – Die Anne­xi­on Kore­as 1910, ihre Recht­fer­ti­gun­gen und die Folgen
Den ers­ten Vor­trag am Sonn­tag­mor­gen hielt Wolf­gang Sei­fert. Sein The­ma lau­te­te: „War die Expan­si­on des moder­nen Japan ‚nor­mal‘ für eine auf­stre­ben­de Macht? – Die Anne­xi­on Kore­as 1910, ihre Recht­fer­ti­gun­gen und die Fol­gen“. Er ging dar­in der Fra­ge nach, ob Poli­ti­ker und Völ­ker­recht­ler in den west­li­chen Groß­mäch­ten als Befür­wor­ter einer völ­ker­recht­li­chen Kon­flikt­lö­sung auf der korea­ni­schen Halb­in­sel eine Mit­ver­ant­wor­tung für das Ver­schwin­den Kore­as von der Land­kar­te der Diplo­ma­tie und in den inter­na­tio­na­len poli­ti­schen Bezie­hun­gen hat­ten. Neben der völ­ker­recht­li­chen Dimen­si­on sprach er auch wei­te­re Dimen­sio­nen an, die für die Legi­ti­mie­rung der Anne­xi­on und die anschlie­ßen­de Kolo­ni­al­herr­schaft durch Japan bedeut­sam waren.
Zuerst zeich­ne­te er nach, wie in den Jah­ren bis 1910 die Anne­xi­on Kore­as von Sei­ten der japa­ni­schen Regie­rung in völ­ker­recht­li­cher Hin­sicht vor­be­rei­tet wur­de. Da sich der moder­ne japa­ni­sche Staat in die von den west­li­chen Mäch­ten gepräg­te Staa­ten­ord­nung auch recht­lich inte­grie­ren muss­te, spiel­te das dama­li­ge Völ­ker­recht eine ent­schei­den­de Rol­le bei der Lega­li­sie­rung der Anne­xi­on. So stellt sich zum Bei­spiel die Fra­ge, ob der so genann­te Anne­xi­ons­ver­trag vom 22.08.1910 legal und völ­ker­recht­lich bin­dend war, da der korea­ni­sche Kai­ser mit phy­si­scher Gewalt zur Unter­zeich­nung gezwun­gen wur­de und das kai­ser­li­che Sie­gel von einem japa­ni­schen Gesand­ten unter den Ver­trag gesetzt wurde.
Das Völ­ker­recht muss Rege­lun­gen zur Lösung schwie­ri­ger Pro­ble­me fin­den, wie zum Bei­spiel zur Fra­ge, wo die Aneig­nung von Ter­ri­to­ri­um anfängt und ob dies bereits damit geschieht, dass sich ein­zel­ne Ein­wan­de­rer auf dem Ter­ri­to­ri­um eines ande­ren Lan­des nie­der­las­sen, das Gebiet als ter­ra nul­li­us („Nie­mands­land“) dekla­rie­ren und es urbar machen. Hier liegt in der Regel auf Sei­ten des Aneig­nen­den kein Unrechts­be­wusst­sein vor, aber die­se Art der Besied­lung dien­te Kolo­ni­al­mäch­ten oft als Beginn der Aneig­nung von Ter­ri­to­ri­um. Die­ser Fall war bei Korea natür­lich nicht gegeben.
Wolf­gang Sei­fert beton­te, dass die ers­ten Schrit­te der japa­ni­schen Expan­si­on in Asi­en von der Suche nach Aner­ken­nung durch die west­li­chen Groß­mäch­te moti­viert waren. Die Ansich­ten der ande­ren Staa­ten in Ost­asi­en wur­den als neben­säch­lich betrach­tet. Japan grenz­te sich im spä­ten 19. Jahr­hun­dert von dem bis dahin in Ost­asi­en herr­schen­den Prin­zip der Suze­rä­ni­tät ab, bei dem Chi­na im Zen­trum stand. Die chi­ne­si­sche Vor­macht­stel­lung wur­de bis zum Auf­tre­ten des moder­nen Japan von den ande­ren Staa­ten in der Regi­on durch tri­but­ä­re Bezie­hun­gen aner­kannt, mit denen sich die­se Staa­ten Chi­na unterordneten.
Das Infra­ge­stel­len die­ser Suze­rä­ni­täts­be­zie­hung von Korea zu Chi­na begann unter japa­ni­schem Druck mit dem Ver­trag von Kangh­wa (1876); denn dar­in wird Korea als ein „inde­pen­dent sta­te“ (自主の国) mit glei­chen Rech­ten (平等の権) wie Japan bezeich­net. Chi­na ver­stand unter „unab­hän­gig“ jedoch, dass die tri­but­ä­re Bezie­hung bei­be­hal­ten wird. Mit dem Ver­trag von Shi­mo­no­se­ki (1895) soll­te Korea dann end­gül­tig aus dem china-zentrierten Umkreis her­aus­ge­löst wer­den, wes­halb Japan in die­sem Ver­trag für Korea den Ter­mi­nus „unab­hän­gi­ger und auto­no­mer Staat“ (独立自主の国) (doku­rit­su / inde­pen­dent: aus dem west­li­chen Völ­ker­rechts­dis­kurs) benutzte.
Danach folg­te aller­dings die gra­du­el­le Über­nah­me von Befug­nis­sen in der korea­ni­schen Regie­rung und Ver­wal­tung nach ver­trag­li­chen Fest­le­gun­gen in den Jah­ren 1904 und 1905 durch japa­ni­sche Bera­ter. 1905 wur­de Korea zu einem japa­ni­schen Pro­tek­to­rat; in den Ver­trä­gen ist fest­ge­legt, dass ohne das Zura­te­zie­hen japa­ni­scher Bera­ter z.B. kei­ne finan­zi­el­len und inter­na­tio­na­len Ange­le­gen­hei­ten des korea­ni­schen Staa­tes ent­schie­den wer­den dür­fen. Gerecht­fer­tigt wur­de das unter ande­rem durch Itō Hiro­bu­mi, der von 1905 bis 1909 ers­ter japa­ni­scher Gene­ral­re­si­dent in Korea war, damit, dass das Land noch nicht den Grad der Zivi­li­sa­ti­on (民度 min­do) erreicht habe, der die Unab­hän­gig­keit ermög­licht. Die Ermor­dung Itōs 1909 durch einen korea­ni­schen Natio­na­lis­ten und Unab­hän­gig­keits­kämp­fer wur­de von japa­ni­scher Sei­te dann als Vor­wand für die Anne­xi­on des Lan­des genom­men. Das Ergeb­nis des Aus­grei­fens Japans auf Korea war damit die Aus­lö­schung eines Staa­tes, der in der tra­di­tio­nel­len Ord­nung Ost­asi­ens durch­aus aner­kannt gewe­sen war.
In der Dis­kus­si­on wur­de die Fra­ge danach dis­ku­tiert, was denn in der dama­li­gen Zeit „nor­mal“ war, bzw. was mit den dama­li­gen völ­ker­recht­li­chen Nor­men über­ein­stimm­te. Da Japan die Begriff­lich­kei­ten in den Ver­trä­gen, die schließ­lich zur Anne­xi­on führ­ten, setz­te, sorg­te die japa­ni­sche Sei­te durch die­se Dis­kurs­ho­heit dafür, dass das Vor­ge­hen nicht mit den west­li­chen Vor­stel­lun­gen von Völ­ker­recht kol­li­dier­te und in eine „zivi­li­sa­to­ri­sche Mis­si­on“ Japans in Korea ein­ge­bun­den war.

Maik Hen­drik Sprot­te: Ex ori­en­te lux — Über das Nar­ra­tiv eines Lebens und Ster­bens von Moses und Jesus Chris­tus in Japan
In „Ex ori­en­te lux“, dem zwei­ten Vor­trag des Sonn­tags, sprach Maik Hen­drik Sprot­te „Über das Nar­ra­tiv eines Lebens und Ster­bens von Moses und Jesus Chris­tus in Japan“. So befin­det sich in Japan neben einem Moses-Grab in Hōdatsu-Shimizu in der Prä­fek­tur Ishi­ka­wa auch ein Christus-Grab im Dorf Shin­go (ehe­mals Herai) in der Prä­fek­tur Aom­ori. Der Legen­de nach, auf der die­ses Grab beruht, über­leb­te Jesus die Kreu­zi­gung und ver­brach­te sei­nen Lebens­abend in Japan. Eine Fami­lie im Dorf Shin­go beruft sich auf die Abstam­mung von Jesus Chris­tus. Die mut­maß­li­che „Ent­de­ckun­gen“ der Grä­ber von Jesus und Moses in den 1930er Jah­ren sind aber nicht etwa in einem christ­li­chen Kon­text ver­ständ­lich, son­dern hän­gen zusam­men mit einem grö­ße­ren Kor­pus von Tex­ten und Arte­fak­ten, den Takeuchi-Dokumenten (Takeuchi mon­jo 竹内文書), von denen eine brei­te­re japa­ni­sche Öffent­lich­keit in den 1920er Jah­ren Kennt­nis erhielt.
In den Takeuchi-Dokumenten ist unter ande­rem ein neu­er Schöp­fungs­my­thos für Japan und eine ande­re Kul­tur­ge­schich­te des Lan­des ent­hal­ten. Die Doku­men­te beschrei­ben Ent­wick­lun­gen, die vor dem statt­ge­fun­den haben sol­len, was in Auf­zeich­nun­gen wie Koji­ki und Nihon­gi auf­ge­führt ist. Die­ser Text­kor­pus lie­fer­te die Begrün­dung für eine, den durch die Macht­ha­ber pro­pa­gier­ten Über­zeu­gun­gen der Zeit völ­lig zuwi­der­lau­fen­de „Reichs­ge­schich­te“ Japans, die sich auf­grund ihrer Inhal­te weit eher als „Welt­ge­schich­te“ offen­bar­te. Die etwa 4000 Tex­te und Arte­fak­te sind ein Kom­pen­di­um von Doku­men­ten und Gegen­stän­den, das die gesam­te Span­ne der japa­ni­schen Geschich­te, von der Schöp­fung der Welt bis in die Anfangs­jah­re der Meiji-Zeit, abzu­de­cken scheint. Neben Auf­zeich­nun­gen auf Baum­rin­de, Leder oder Papier gehör­ten zu der Samm­lung eben­so Stei­ne mit ver­schie­de­nen, vor­nehm­lich in „Schrift­zei­chen der Göt­ter­zeit“ (kami­yo moji, auch jin­dai moji 神代文字) aus­ge­führ­ten Inschriften.
Als hei­li­ge Schrif­ten einer in Shintō-Tradition ste­hen­den Neu­en Reli­gi­on (shintō-kei shin-shūkyō 神道系新宗教) las­sen sich die Takeuchi-Dokumente in ihrer religions- und poli­tik­wis­sen­schaft­li­chen Exege­se unter dem Dach des reli­giö­sen Fun­da­men­ta­lis­mus und Natio­na­lis­mus, hier des Shintō-Nationalismus, verorten.
Die welt­ge­schicht­li­che Dimen­si­on der Doku­men­te besteht u.a. dar­in, dass dar­in behaup­tet wird, dass alle Reli­gi­ons­stif­ter der Welt in Japan geschult wur­den. Auch auf die Zehn Gebo­te gab es laut der Takeuchi-Dokumente einen japa­ni­schen Ein­fluss; denn nach­dem die ers­te Ver­si­on der Gebo­te nicht vom japa­ni­schen Kai­ser abge­seg­net wor­den war, soll Moses sie zer­stört und dann eine zwei­te Ver­si­on erhal­ten haben, die heu­te als die Zehn Gebo­te gelten.
Obwohl die Doku­men­te als Fäl­schun­gen zu klas­si­fi­zie­ren sind, sind sie nichts­des­to­trotz inter­es­sant in ihrem Bei­trag zur Ent­ste­hung der orga­ni­sa­to­ri­schen Struk­tur einer auf ihnen basie­ren­den Neu­en Reli­gi­on, die bis heu­te noch besteht. Inter­es­sant ist auch der zeit­ge­nös­si­sche Umgang mit ihrem Ver­fas­ser Takeuchi Kiyo­ma­ru, der in der Showa-Zeit eine gro­ße Anzahl von Anhän­gern für sei­ne neue Reli­gi­on um sich ver­sam­melt hat­te. Ab den 1930er Jah­ren geriet Takeuchi mit dem Gesetz in Kon­flikt, weil ihm Majes­täts­be­lei­di­gung und die miss­bräuch­li­che Benut­zung von Sym­bo­len der Kai­ser­fa­mi­lie vor­ge­wor­fen wur­de. Auch wur­de ihm wegen sei­ner von der offi­zi­el­len Dik­ti­on abwei­chen­den Schöpfungs- und Welt­ge­schich­te Ket­ze­rei vor­ge­wor­fen, und sein Kult wur­de ver­bo­ten. In der Nach­kriegs­zeit gelang es Takeuchi dann aber, sei­ne Neue Reli­gi­on wie­der­zu­be­le­ben, die nach sei­nem Tod von sei­nem Sohn wei­ter­ge­führt wird.

Das Tref­fen ende­te mit einer kur­zen Dis­kus­si­on über den nächs­ten Tagungs­ort. Das nächs­te Tref­fen wird am 25. und 26. Mai 2019 in Bochum statt­fin­den und von Dani­el Woll­nik und Tino Schölz organisiert.

(Anke Sche­rer)

zurück

33. Tref­fen an der Ruhr-Universität Bochum, 25.–26. Mai 2019:

Das 33. Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fand am 25. und 26. Mai 2019 orga­ni­siert von Dani­el Woll­nik und Tino Schölz an der Ruhr-Universität in Bochum statt. 

Vor­trä­ge:
Maj Hart­mann: Japan und die Glo­ba­li­sie­rung geis­ti­ger Eigen­tums­rech­te – Nicht­staat­li­che Akteu­re in inter­na­tio­na­len Urhe­ber­rechts­ver­hand­lun­gen, 1897–1939
Nach einer Vor­stel­lungs­run­de hielt Maj Hart­mann (KU Leu­wen) den ers­ten Vor­trag zum The­ma „Japan und die Glo­ba­li­sie­rung geis­ti­ger Eigen­tums­rech­te — Nicht­staat­li­che Akteu­re in inter­na­tio­na­len Urhe­ber­rechts­ver­hand­lun­gen, 1897–1939“. Im Zen­trum des Vor­trags stand die so genann­te Ber­ner Über­ein­kunft zum Schutz von Wer­ken der Lite­ra­tur und Kunst, die 1886 auf Initia­ti­ve inter­na­tio­na­ler Berufs­ver­bän­de gegrün­det wor­den war. Seit der Grün­dung streb­te das inter­na­tio­na­le Büro der Ber­ner Uni­on eine glo­ba­le Aus­wei­tung des Ver­tra­ges an, wofür die Anzahl der Mit­glie­der erwei­tert und der Schutz der Rech­te wei­ter aus­ge­baut wer­den soll­te. Die Unter­zeich­ner hat­ten von Anfang an ein gro­ßes Inter­es­se dar­an, dass auch Japan der Kon­ven­ti­on bei­trat, da in die­sem Land vie­le Tex­te aus euro­päi­schen Spra­chen ohne Abspra­che mit den Tex­tur­he­bern über­setzt und ver­öf­fent­licht wur­den. Zwar waren japa­ni­sche Ver­le­ger anfangs gegen einen sol­chen Bei­tritt, da sie dadurch Gewinn­ein­bu­ßen befürch­te­ten, aber den­noch trat Japan am 18. April 1899 der Über­ein­kunft bei.
Die his­to­ri­sche For­schung kon­zen­trier­te sich lan­ge Zeit weit­ge­hend auf die den euro­päi­schen Buch­han­del domi­nie­ren­den Staa­ten wie Frank­reich, Deutsch­land und Eng­land und die Moder­ni­sie­rung, die die Ber­ner Kon­ven­ti­on und ihre Glo­ba­li­sie­rung aus euro­zen­tri­scher Per­spek­ti­ve betrach­tet mit sich brach­te. In der jün­ge­ren For­schung zur Geschich­te des Urhe­ber­rechts wird die­se ein­sei­ti­ge Betrach­tung zuneh­mend kri­ti­siert und die Not­wen­dig­keit betont, pri­va­te Akteu­re sowie Regio­nen außer­halb Euro­pas ver­stärkt in den Fokus zu rücken. Wäh­rend sich eine Anzahl von neue­ren Stu­di­en mit der Betei­li­gung des japa­ni­schen Staa­tes am Glo­ba­li­sie­rungs­pro­zess der Ber­ner Kon­ven­ti­on beschäf­tigt, bleibt die Mit­wir­kung japa­ni­scher nicht­staat­li­cher Akteu­re (ins­be­son­de­re Ver­le­ger, Über­set­zer und juris­ti­sche Sach­ver­stän­di­ge) bis­her unbe­ach­tet. Obgleich pri­va­te Akteu­re wie Oyaizu Kana­me, Hori­guchi Dai­ga­ku oder Yama­da Sabu­rō in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts nicht per­sön­lich auf den inter­na­tio­na­len Revi­si­ons­kon­fe­ren­zen der Ber­ner Kon­ven­ti­on anwe­send sein konn­ten und daher auf der Welt­büh­ne prak­tisch unsicht­bar waren, tru­gen die Peti­tio­nen, schrift­li­chen Mei­nungs­äu­ße­run­gen und das Fach­wis­sen, das sie im Zeit­raum zwi­schen 1897 und 1939 mit Büro­kra­ten, pri­va­ten Ver­bän­den und inter­na­tio­na­len sowie nicht­staat­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen teil­ten, maß­ge­bend dazu bei, die inter­na­tio­na­len Urhe­ber­rechts­nor­men im Ein­klang mit den sich stän­dig ändern­den sozia­len und poli­ti­schen Ver­än­de­run­gen auf natio­na­ler und inter­na­tio­na­ler Ebe­ne zu for­men und zu moder­ni­sie­ren. Die Unter­su­chung der Akti­vi­tä­ten nicht­staat­li­cher Akteu­re im Bereich der geis­ti­gen Eigen­tums­rech­te stellt nicht nur das staats­zen­trier­te Para­dig­ma in Fra­ge, in dem der japa­ni­sche Staat ab der Meiji-Zeit als Haupt­ak­teur des Wan­dels und Fort­schritts ver­stan­den wird, son­dern dezen­tra­li­siert zugleich die Rol­le euro­päi­scher Akteu­re als Haupt­ak­teu­re in der Glo­ba­li­sie­rung des inter­na­tio­na­len Urheberrechts. 
In der Dis­kus­si­on wur­de bespro­chen, dass die Rich­tung der Über­set­zung vor allem von euro­päi­schen Spra­chen ins Japa­ni­sche statt­fand und dass des­halb japa­ni­sche Ver­le­ger Inter­es­se an einer Son­der­be­hand­lung Japans hat­ten, wäh­rend die west­li­chen Akteu­re das Gegen­teil favo­ri­sier­ten. Von west­li­cher Sei­te wur­de Japan vor allem als ein Markt gese­hen, wo Über­set­zun­gen west­li­cher Wer­ke ver­trie­ben wur­den, wofür Gebüh­ren zu zah­len sein soll­ten. Wei­ter­hin the­ma­ti­siert wur­den die im Vor­trag ver­wand­ten Kate­go­rien „staat­lich, zivil­ge­sell­schaft­lich, pri­vat“, deren Defi­ni­ti­on und Abgren­zung schwie­rig ist. Schwie­rig ist dabei vor allem auch die Fest­le­gung von Zuge­hö­rig­kei­ten von Ein­zel­per­so­nen zu den jewei­li­gen Akteurs­krei­sen, da die wich­ti­gen Akteu­re oft sowohl als Unter­neh­mer als auch als Poli­ti­ker tätig waren.

Tris­tan Pfeil und Kat­ja Schmidt­pott: Kniff­ler Brie­fe – Die Online-Edition der inter­na­tio­na­len Geschäfts­kor­re­spon­denz von L. Kniff­ler & Co., 1859–1876
Den zwei­ten Vor­trag hiel­ten Tris­tan Pfeil und Kat­ja Schmidt­pott (bei­de Ruhr-Universität Bochum) zum The­ma der „Kniff­ler Brie­fe: Die Online-Edition der inter­na­tio­na­len Geschäfts­kor­re­spon­denz von L. Kniff­ler & Co., 1859–1876“. Vor­ge­stellt wur­de dar­in das Pro­jekt der Digi­ta­li­sie­rung, Ver­öf­fent­li­chung und Über­set­zung von Brie­fen aus dem deut­schen Han­dels­un­ter­neh­men L. Kniff­ler & Co. Zuerst skiz­zier­te Kat­ja Schmidt­pott die his­to­ri­schen Hin­ter­grün­de der Fir­ma, die von Lou­is Kniff­ler (1827–1888) als wahr­schein­lich ers­tes deut­sches Unter­neh­men 1859 in Naga­sa­ki gegrün­det wor­den war. Das Unter­neh­men ist die lang­le­bigs­te deut­sche Fir­ma in Japan und war das größ­te deut­sche Japan-Handelshaus im 19. Jahr­hun­dert und eines der ers­ten euro-amerikanischen Han­dels­häu­ser, das sich nach der Auf­ga­be der Iso­la­ti­ons­po­li­tik in Japan nie­der­ließ. Eine Erklä­rung für den Erfolg der Fir­ma könn­te sein, dass die Fir­ma sich als Import­haus für aus­län­di­sche Pro­duk­te nach Japan sah und den Schwer­punkt auf den Han­del mit staat­li­chen Stel­len, zum Bei­spiel im Bereich der Rüs­tung, legte.
Zur Rekon­struk­ti­on der Fir­men­ge­schich­te soll im Rah­men des Pro­jek­tes ein nahe­zu ein­zig­ar­ti­ges Quel­len­kon­vo­lut bestehend aus der Geschäfts­kor­re­spon­denz der Fir­ma in Brie­fen aus dem Japan­ge­schäft in Form einer digi­ta­len Edi­ti­on online publi­ziert wer­den. Dabei geht es nicht allein dar­um, die digi­ta­li­sier­ten Quel­len online zugäng­lich zu machen, son­dern auch um die Tran­skrip­ti­on der Brie­fe in XML / TEI. Dadurch wird nicht nur dem an eine Edi­ti­on (ana­log oder digi­tal) gestell­ten Anspruch ent­spro­chen, ein gewis­ses Mehr an Infor­ma­ti­on über den Text hin­aus bereit­zu­stel­len, son­dern die Edi­ti­on ist auch dau­er­haft und platt­form­un­ab­hän­gig spei­cher­bar und erweiterbar.

Mor­gai­ne Set­zer: Das Siebold-Archiv der Ruhr-Universität Bochum
Im Anschluss an die Vor­trä­ge stell­te Mor­gai­ne Set­zer (Ruhr-Universität Bochum) das Siebold-Archiv der Ruhr-Universität Bochum vor, in dem ein umfang­rei­ches Kor­pus von Mate­ria­li­en aus dem Japan der Edo- und der Meiji-Zeit auf­be­wahrt wird. Die­se Doku­men­te stam­men aus den Nach­läs­sen des deut­schen Japan­for­schers Phil­ipp Franz v. Sie­bold (1796–1866) und sei­nes Soh­nes Alex­an­der (1846–1911). Die Samm­lung umfasst die von Sie­bold für sei­ne For­schun­gen genutz­ten Noti­zen, Manu­skrip­te von ihm und sei­nen japa­ni­schen Mit­ar­bei­tern, Lis­ten von Pflan­zen und Tie­ren, Rech­nun­gen, Zeich­nun­gen und Kar­ten. Anhand aus­ge­wähl­ter Ein­zel­stü­cke konn­ten sich die Teilnehmer*innen des Initia­ti­ve­tref­fens einen Über­blick ver­schaf­fen über das brei­te Spek­trum von Natur­wis­sen­schaf­ten, Geo­gra­phie, Geschich­te, Eth­no­gra­phie, Sprach­wis­sen­schaft und Reli­gi­on, das die Doku­men­te abde­cken. Sie sind Ori­gi­nal­quel­len aus dem frü­hen 19. Jahr­hun­dert und bie­ten ein­zig­ar­ti­ge Ein­bli­cke in das damals noch weit­ge­hend ver­schlos­se­ne Japan.

Tino Schölz: Zur Ent­ste­hung der shōkon-Zeremonien im 19. Jahrhundert
Den ers­ten Vor­trag des Sonn­tag­vor­mit­tags hielt Tino Schölz „Zur Ent­ste­hung der shōkon-Zere­mo­nien im 19. Jahr­hun­dert“. Ziel des Vor­trags war die Erläu­te­rung der Ent­ste­hung der shōkon-Zere­mo­nien, also ritua­li­sier­ter Toten­ge­denk­fei­ern für Gefal­le­ne an offi­zi­el­len Stät­ten, und der dafür vor­ge­se­he­ne Schrei­ne in der Bakumatsu- und frü­hen Meiji-Zeit im Kon­text der moder­nen Natio­nal­staats­bil­dung. Beson­de­res Augen­merk leg­te er dabei auf die vor- und früh­mo­der­nen Tra­di­ti­ons­be­stän­de des Umgan­ges mit Kriegs­to­ten, um die Kon­ti­nui­tä­ten und Brü­che der staat­li­chen Pra­xis seit der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts sicht­bar zu machen.
Zu Beginn des Vor­trags beleuch­te­te Tino Schölz all­ge­mein die Pro­ble­ma­tik des poli­ti­schen Toten­kults als eines kom­ple­xen sozia­len Han­delns poli­ti­scher und gesell­schaft­li­cher Akteu­re zur sinn­haf­ten Deu­tung des Ster­bens im Krieg. Der Toten­kult erfüllt dabei unter ande­rem die Funk­ti­on der Iden­ti­täts­stif­tung für die Über­le­ben­den, für die der Tod der Sol­da­ten sinn­haft gedeu­tet, legi­ti­miert und mora­lisch über­höht wird. Damit wer­den staat­lich orga­ni­sier­te Gewalt­an­wen­dung sowie das Ster­ben und Töten für das Gemein­we­sen als zen­tra­ler Bereich moder­ner Staat­lich­keit defi­niert. Die Form des Toten­kults in einer Gesell­schaft ver­weist damit auf das Ver­hält­nis von Indi­vi­du­um und Kol­lek­tiv sowie das Selbst­ver­ständ­nis die­ses Kollektivs.
Das staat­li­che Gefal­len­en­ge­den­ken ist dar­über hin­aus ein zen­tra­les Kon­flikt­feld der japa­ni­schen Ver­gan­gen­heits­the­ma­ti­sie­rung in der Gegen­wart, das ins­be­son­de­re durch die jähr­lich auf­tre­ten­den Aus­ein­an­der­set­zun­gen um den Yasukuni-Schrein in Tōkyō sym­bo­li­siert wird. Dabei beru­hen eini­ge der heu­ti­gen innen­po­li­ti­schen Kon­flikt­li­ni­en auf der Tat­sa­che, dass der poli­ti­sche Toten­kult im 19. Jahr­hun­dert – im Gegen­satz zu sei­nen pri­mär säku­la­ren west­li­chen Pen­dants – in Form der soge­nann­ten shōkon-Zere­mo­nien als religiös-jenseitige Sinn­stif­tung kon­zi­piert und eta­bliert wurde.
Tino Schölz erläu­ter­te die Pra­xis der shōkon-Zere­mo­nien anhand von Foto­gra­fien und Beschrei­bun­gen aus Tex­ten zu den Prak­ti­ken der Zere­mo­nien, die sich seit dem spä­ten 19. Jahr­hun­dert kaum geän­dert haben und noch heu­te durch­ge­führt wer­den. Nach einer aus­führ­li­chen Dis­kus­si­on der Ele­men­te der Zere­mo­nie wand­te er sich der Fra­ge zu, war­um die shōkon-Zere­mo­nien im Kon­text des Shin­tō ent­stan­den sind, wo die­ser doch eigent­lich wenig mit Tod zu tun hat bzw. sich vom Tod als ulti­ma­ti­ver Unrein­heit fern­hält. Ein klas­si­scher Erklä­rungs­an­satz für die Ent­wick­lung der shō­kon-Zere­mo­nien ist der Glau­be an „rächen­de Geis­ter“ (goryō bzw. onryō-Glau­be), die man dadurch besänf­ti­gen kann, dass man sie in den Sta­tus einer Gott­heit erhebt. Tino Schölz betont dane­ben aber wei­te­re Tra­di­ti­ons­li­ni­en wie die Ent­wick­lung shin­tois­ti­scher Toten- und Begräb­nis­ri­ten, tra­di­tio­nel­le Legi­ti­ma­ti­ons­mus­ter von Krieg oder die früh­neu­zeit­li­che Hel­den­ver­eh­rung etwa für Kusuno­ki Masa­shi­ge. Die shin­tois­ti­schen Toten­ri­ten sind tat­säch­lich eine Mischung aus neo-konfuzianischen und bud­dhis­ti­schen Prak­ti­ken mit den Kern­ele­men­ten einer Erd­be­stat­tung in der Nacht, dem Her­bei­ru­fen der Toten­see­le und Ein­schrei­nung in einen Kult­ge­gen­stand, der Errich­tung eines Ahnen­schreins über dem Grab, der Erge­bung der See­le zum Schutz­gott der Fami­lie, und schließ­lich der kon­ti­nu­ier­li­chen Ver­eh­rung durch die Familie.
Im Anschluss an den Vor­trag ent­spann sich eine Dis­kus­si­on über die Ein­tei­lung der Kriegs­to­ten nach der Meiji-Restauration in kan­gun (kai­ser­treue Trup­pen) und zoku­gun (Rebel­len) und der Defi­ni­ti­on davon, wer der jewei­li­gen Kate­go­rie zuzu­rech­nen sei. Die­se Ein­tei­lung wur­de von den Gewin­nern der Aus­ein­an­der­set­zung vor­ge­nom­men und erfolg­te nicht nur ideell, son­dern vor allem auch in der Pra­xis, wie die Gewin­ner mit den Toten der Ver­lie­rer in bestra­fen­der Absicht umgin­gen. Hier zeigt sich ein wei­te­rer deut­li­cher Bruch mit den Tra­di­tio­nen der Vormoderne.

Ali­ne Dre­her: Pan-Asianismus in den Anfän­gen der Kolo­ni­al­ar­chäo­lo­gie Japans in Korea und der Man­dschu­rei 1900–1930 – Archäo­lo­gi­sche Kon­zep­te vor dem Hin­ter­grund der Expan­si­ons­po­li­tik Japans am Bei­spiel Yagi Sōzaburōs (1866–1942)
Den zwei­ten Vor­trag am Sonn­tag hielt Ali­ne Dre­her (Ruhr-Uni Bochum) zum The­ma „Pan-Asianismus in den Anfän­gen der Kolo­ni­al­ar­chäo­lo­gie Japans in Korea und der Man­dschu­rei 1900–1930 – Archäo­lo­gi­sche Kon­zep­te vor dem Hin­ter­grund der Expan­si­ons­po­li­tik Japans am Bei­spiel Yagi Sōzaburōs (1866–1942)“. Die ers­ten Jahr­zehn­te des 20. Jahr­hun­derts gel­ten als ent­schei­den­de Pha­se für die Insti­tu­tio­na­li­sie­rung der japa­ni­schen Archäo­lo­gie als wis­sen­schaft­li­che Dis­zi­plin, da sich zu die­ser Zeit neue metho­di­sche Stan­dards eta­blier­ten und die Archäo­lo­gie sich einen fes­ten Platz im uni­ver­si­tä­ren Sys­tem sichern konn­te. Vor­an­ge­trie­ben wur­de die­se Ent­wick­lung in beson­de­rem Maße durch das wach­sen­de Inter­es­se kultur- und bil­dungs­po­li­ti­scher Ein­rich­tun­gen an archäo­lo­gi­schen For­schungs­ar­bei­ten in den Kolo­ni­al­ge­bie­ten Japans. Trotz die­ser unbe­strit­te­nen Bedeu­tung trans­na­tio­na­ler Ent­wick­lungs­zu­sam­men­hän­ge in ihrer for­ma­ti­ven Pha­se des frü­hen 20. Jahr­hun­derts ist die bis­he­ri­ge wis­sen­schafts­his­to­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der Früh­ge­schich­te der Archäo­lo­gie in Japan defi­zi­tär: Neben Publi­ka­tio­nen, die sich mit dem rein metho­disch Aspekt der Kolo­ni­al­for­schung aus­ein­an­der­set­zen, ste­hen Ansät­ze, die zwar die Trag­wei­te kolo­ni­al­po­li­ti­scher Ein­fluss­fak­to­ren auf ein­zel­ne Insti­tu­tio­nen unter­su­chen, jedoch ohne der Bedeu­tung von ideo­lo­gi­schen Ele­men­ten für die Moti­va­ti­on und Pra­xis der For­schung und der Ver­wo­ben­heit mit poli­ti­schen Dis­kur­sen aus­rei­chend Rech­nung zu tra­gen. Für ein umfas­sen­des Ver­ständ­nis der Ent­wick­lung der Archäo­lo­gie in Japan ist jedoch die Aus­ein­an­der­set­zung sowohl mit den Struk­tu­ren und Ziel­set­zun­gen der betei­lig­ten Insti­tu­tio­nen als auch der Moti­va­ti­on ein­zel­ner Wis­sen­schaft­ler vor dem Hin­ter­grund der Kolo­ni­al­po­li­tik Japans und der damit ein­her­ge­hen­den ideo­lo­gi­schen Aus­rich­tun­gen essenziell. 
Um der Fra­ge nach­zu­ge­hen, wel­che Rol­le die Anfang des 20. Jahr­hun­derts noch rela­tiv jun­ge wis­sen­schaft­li­che Dis­zi­plin der Archäo­lo­gie inner­halb der Expan­si­ons­po­li­tik Japans gespielt hat und inwie­weit sich ideo­lo­gi­sche Ele­men­te des „Pan-Asianismus“ sowie „ras­sen­theo­re­ti­sche Ansät­ze“ in den wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten im Bereich der Archäo­lo­gie wider­spie­geln, beschäf­tigt sich die Mas­ter­ar­beit von Ali­ne Dre­her, die in die­sem Vor­trag vor­ge­stellt wur­de, mit den Unter­su­chun­gen und For­schungs­ar­bei­ten des ein­fluss­rei­chen Kolo­ni­al­ar­chäo­lo­gen Yagi Sōzaburō (1866–1942) und ana­ly­siert die­se mit Berück­sich­ti­gung des im Hin­ter­grund agie­ren­den insti­tu­tio­nel­len Sys­tems sowie des archäologisch-politischen Diskurses. 
Dabei wird ins­be­son­de­re auch unter­sucht, inwie­weit sich die zu jener Zeit unter den füh­ren­den Gelehr­ten eta­blier­te Idee des Nis­sen dōsoron (Theo­rie der gemein­sa­men Vor­fah­ren von Japa­nern und Korea­nern) sowie Ergeb­nis­se der Man­sen­shi-Stu­di­en (For­schun­gen zur gemein­sa­men Geschich­te von Man­dschu­ren und Korea­nern) in den Schrif­ten Yagis wie­der­fin­den. In der Vor­stel­lung eines gemein­sa­men „ras­si­schen“ und kul­tu­rel­len Ursprungs von Korea­nern, Man­dschu­ren und Japa­nern und einer kul­tu­rell beding­ten Über­le­gen­heit der Japa­ner, sowohl aus his­to­ri­scher als auch aus archäo­lo­gi­scher Per­spek­ti­ve, sind ein­deu­tig Ele­men­te der Ideo­lo­gie des Pan-Asianismus auszumachen. 
Die anschlie­ßen­de Dis­kus­si­on ver­tief­te die The­ma­tik der Nut­zung archäo­lo­gi­scher Ergeb­nis­se für poli­ti­sche Zie­le. Yagi nahm Teil am inter­na­tio­na­len Aus­tausch von Kolo­ni­al­ar­chäo­lo­gen, in deren Krei­sen sich im spä­ten 19. und frü­hen 20. Jahr­hun­dert von der Anthro­po­lo­gie beein­fluss­te Ras­sen­theo­rien eta­bliert hat­ten. In sei­ner Schrift zur Archäo­lo­gie in der Man­dschu­rei (Mans­hū kōkogaku) aus dem Jahr 1928 lehnt Yagi die Theo­rie einer gemein­sa­men Ursprungs­ras­se zwar kon­se­quent ab. Aller­dings geht die Ent­wick­lung der Archäo­lo­gie in Japan mit der Erfor­schung der Ainu ein­her, die im 19. Jahr­hun­dert in das japa­ni­sche Nar­ra­ti­ve des Koku­tai inte­griert wer­den muss­ten. Anthro­po­lo­gi­sche und eth­no­gra­phi­sche Metho­den und Ergeb­nis­se wur­den von der sich neu ent­wi­ckeln­den japa­ni­schen Archäo­lo­gie als Hin­ter­grund­wis­sen genutzt und in der Erfor­schung der orts­an­säs­si­gen Bevöl­ke­rung in den Gebie­ten außer­halb Japans ein­ge­setzt. Sowohl die Insti­tu­tio­nen als auch die For­schungs­in­hal­te der Archäo­lo­gie waren in hohem Maße an die Poli­tik des japa­ni­schen Natio­nal­staa­tes gebun­den. Zudem nah­men vie­le Archäo­lo­gen die neu geschaf­fe­nen Kar­rie­re­mög­lich­kei­ten im Dienst der Kolo­ni­al­re­gie­run­gen war, ver­leg­ten ihr Betä­ti­gungs­feld auf die im Fokus der expan­sio­nis­ti­schen Bestre­bun­gen Japans ste­hen­den Gebie­te in Nord­ost­asi­en und ver­such­ten durch den archäo­lo­gi­schen Beweis einer gemein­sa­men Ursprungs­zi­vi­li­sa­ti­on in Korea und der Man­dschu­rei die Expan­si­ons­po­li­tik auf dem asia­ti­schen Fest­land zu legitimieren. 

Shin Kimo­to: Die Kul­tur­his­to­ri­sche Pro­ble­ma­tik in der Rezep­ti­on Nietz­sches in Japan
Beim letz­ten Vor­trag des Tref­fens sprach Shin Kimo­to (Rit­sumei­kan Uni­ver­si­tät Kyōto/Ōsaka) über „Die Kul­tur­his­to­ri­sche Pro­ble­ma­tik in der Rezep­ti­on Nietz­sches in Japan“. Dar­in ging er der Fra­ge nach den Grün­den für die Popu­la­ri­tät des Den­kers Nietz­sche nach. In Japan, wo seit der Meiji-Zeit eine brei­te Auf­nah­me euro­päi­scher Kul­tur­gü­ter begann und vie­le im Wes­ten wich­ti­ge Autoren ins Japa­ni­sche über­setzt wur­den, sind die Wer­ke von Nietz­sche bei nam­haf­ten japa­ni­schen Ver­la­gen erschie­nen und erfreu­en sich nach wie vor gro­ßer Beliebt­heit. Dabei konn­te das Welt­bild Nietz­sches in Ost­asi­en gar nicht so pro­vo­zie­rend wie in Euro­pa wir­ken. Dort hat­te sei­ne Phi­lo­so­phie, in der er die ele­men­ta­ren Kom­po­nen­ten der euro­päi­schen Geis­tes­ge­schich­te wie Gott, Sub­stanz und Moral in Fra­ge stell­te und sich statt­des­sen einer alt­grie­chi­schen Auf­fas­sung vom Wer­den und stän­di­ger Ver­än­de­rung wie in Hera­klits „Pan­ta rhei“ (alles fließt) anschloss, gro­ße Spreng­kraft und mani­fes­tiert die Exis­tenz einer gott­lo­sen Wahr­heit. In Ost­asi­en hin­ge­gen herrscht ohne­hin eine his­to­risch gewach­se­ne Auf­fas­sung vom Wer­den, zum Bei­spiel in der bud­dhis­ti­schen Leh­re vom „Alles ist ver­gäng­lich“ vor. Aus die­ser hat sich in Japan eine ästhe­ti­sche Sen­si­bi­li­tät ent­fal­tet, mit der man heu­te noch ergrif­fen über die Eitel­keit der Welt klagt.
Unter die­sen Umstän­den liegt es nahe, dass Nietz­sches “Pan­ta rhei” in Japan unbe­wusst mit “Alles ist ver­gäng­lich” ver­wech­selt wird. Aller­dings sind die Kon­zep­te des “Pan­ta rhei” und des “Alles ist ver­gäng­lich” in ihrer Ver­nei­nung von Sub­stanz nur nach außen hin ähn­lich. Im Fal­le von Nietz­sches Rezep­ti­on in Japan bedeu­tet das, dass sei­ne Phi­lo­so­phie in Japan „bud­dhis­tisch ästhe­tisch ver­harm­lost“ wird. Zur Unter­stüt­zung für die­se The­se dis­ku­tier­te Kimo­to die Nietzsche-Rezeption ver­schie­de­ner wich­ti­ger japa­ni­scher Intel­lek­tu­el­ler wie Nat­su­me Sōse­ki, Mori Ōgai, Wat­su­ji Tets­urō und schließ­lich den Dich­ter Hagi­wa­ra Saku­t­arō , die sich alle in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts mit Nietz­sche aus­ein­an­der­ge­setzt haben. Gera­de Hagi­wa­ra bie­te ein kla­res Bei­spiel dafür, wie schwer Nietz­sche als sol­cher in Japan zu begrei­fen sei. Er lässt in einer Bear­bei­tung von Zara­thus­tras Vor­re­de sei­nen Hel­den sagen, wo es im Ori­gi­nal “Gott ist tot” heißt: “Die Göt­ter sind tot.” Die Abwe­sen­heit des christ­li­chen Got­tes hat für ihn kei­nen Sinn, eben­so wenig der Gedan­ke des “Pan­ta rhei” als Ver­nei­nung Got­tes. So schloss Kimo­to, dass die Intel­lek­tu­el­len im moder­nen Japan in den meis­ten Fäl­len an Nietz­sches Kern­ge­dan­ken vor­bei argu­men­tier­ten, denn ihnen feh­le der Boden, auf dem sie sich mit ihm wirk­lich aus­ein­an­der­set­zen konn­ten. Als ein­zi­gen Aus­nah­me­fall nann­te Kimo­to Nis­hita­ni Kei­ji, der auf der Beschäf­ti­gung mit Nietz­sche sei­ne Phi­lo­so­phie des Nihi­lis­mus aufbaute.

Das nächs­te 34. Tref­fen der Initia­ti­ve wird im Novem­ber an der FU Ber­lin statt­fin­den und von Mat­thi­as Zach­mann orga­ni­siert, der genaue Ter­min wird noch bekannt gegeben.

(Anke Sche­rer)

zurück

34. Tref­fen an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin, 30. Novem­ber & 1. Dezem­ber 2019:

Sobald er vor­liegt, wird der Bericht die­ser Tagung hier veröffentlicht.

(Pro­to­koll: Maik Hen­drik Sprotte)

zurück

35. Tref­fen im Online-Format, 28.–29. Novem­ber 2020:

Das 35. Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fand am 28. und 29. Novem­ber 2020 orga­ni­siert von Tomo­hi­de Ito und Dani­el Gerich­hau­sen (bei­de Uni­ver­si­tät Bonn) in digi­ta­ler Form statt.

Vor­trä­ge:
Patrick Elmer (Wien / Ōsa­ka): Auf­schlüs­se über die Lage von Yama­tai durch For­schung zu den Kuma­so und Hayato
Nach der Begrü­ßung und Ein­füh­rung stell­te Patrick Elmer von der Uni­ver­si­tät Wien sein Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekt vor. Yama­tai, die ers­te in schrift­li­chen Quel­len erwähn­te japa­ni­sche Haupt­stadt, ein­deu­tig zu loka­li­sie­ren, sei bis­her nicht gelun­gen. Eine Weg­be­schrei­bung der See­rou­te zur Stadt Yama­tai, die im chi­ne­si­schen Gishi-Wajinden beschrie­ben wird, führ­te in der For­schung zu zwei vor­herr­schen­den Theo­rien bezüg­lich ihrer Lage: Die Stadt wird zumeist ent­we­der auf Kyūs­hū oder aber in der Gegend des heu­ti­gen Nara ver­mu­tet. Auf­grund von­ein­an­der abwei­chen­der Län­gen­ein­hei­ten im Gishi-Wajinden und even­tu­el­ler Feh­ler im Doku­ment sei eine räum­li­che Ver­or­tung allein auf Grund­la­ge der Weg­be­schrei­bung schwie­rig. In sei­nem Vor­trag erläu­ter­te Patrick Elmer sei­nen neu­en Ansatz, Yama­tai in Rela­ti­on zu dem, eben­falls in Schrift­stü­cken erwähn­ten, ver­fein­de­ten Stamm der Kona zu loka­li­sie­ren. Hier­bei iden­ti­fi­ziert er durch eine neue, lin­gu­is­ti­sche Inter­pre­ta­ti­on der Mate­ria­li­en das Gebiet der Kona mit dem Kuma-Gebiet im Süden der heu­ti­gen Prä­fek­tur Kuma­mo­to. Die Sich­tung des Nihon-Shoki ergibt, dass in die­sem Gebiet wäh­rend der spä­ten Yayoi-Zeit der Volk­s­tamm der Kuma­so ver­tre­ten war. Die­ser wur­de nach der Ein­glie­de­rung von Süd-Kyūshū in das Yamato-Reich in der Kofun-Zeit als Haya­to bezeich­net. Auf­grund einer archäo­lo­gi­schen Unter­su­chung der Grab­stät­ten der Kuma­so bzw. Haya­to, wel­che ergab, dass die Kuma im Wes­ten Kyūs­hūs zu ver­or­ten sind, stellt Patrick Elmer die Theo­rie auf, Yama­tai habe in Nordwest-Kyūshū gele­gen. Als Aus­blick auf sei­ne wei­te­re For­schung nennt er die ein­ge­hen­de­re Beschäf­ti­gung mit den Kuma­so und Haya­to auf his­to­ri­scher und historisch-sprachwissenschaftlicher Ebe­ne, die zum Ver­ständ­nis der Ent­wick­lung des japa­ni­schen Staa­tes bei­tra­gen soll. 
In der Dis­kus­si­on wur­de die Fra­ge nach den Metho­den der Unter­su­chung dis­ku­tiert. Ein beson­de­res Augen­merk lag hier­bei auf der Fra­ge nach der Ver­ein­bar­keit archäo­lo­gi­scher Fun­de mit den Schrift­quel­len und auf der Ver­läss­lich­keit his­to­ri­scher Doku­men­te. Außer­dem wur­de in Bezug auf die wei­te­ren For­schungs­an­sät­ze Patrick Elmers nach des­sen geplan­ten Metho­den zur lin­gu­is­ti­schen Ein­ord­nung des Volk­s­tam­mes der Kumaso/Hayato gefragt. 

Melina Wache (Bochum): Die japa­ni­sche Insel Oki­no­shi­ma und mari­ti­me Bezie­hun­gen in Ost­asi­en im 9. und 10. Jahrhundert
Anschlie­ßend stell­te Melina Wache von der Uni­ver­si­tät Bochum in ihrem Bei­trag das The­ma ihrer Mas­ter­ar­beit vor, in der sie sich mit dem Ritu­al­we­sen auf der Insel vor Fuku­o­ka beschäf­tig­te. Ihr Fokus liegt dabei auf den Grün­den für das Ver­schwin­den die­ses Brauchtums.
Oki­no­shi­ma wur­de vom 4. bis 9. Jahr­hun­dert als Ritu­al­stät­te genutzt, um dort für siche­re See­fahrt zu beten. Auf der Insel fin­den sich zahl­rei­che archäo­lo­gi­sche Fun­de in Form von Votiv­ga­ben, was Oki­no­shi­ma 2017 den Sta­tus als UNESCO-Welterbe ein­brach­te. Das Ende der Ritua­le fällt etwa mit dem Ende der Gesandt­schaf­ten in der Tang-Dynastie (607–838) zusam­men und wird häu­fig mit die­sem in Ver­bin­dung gesetzt. In ihrer Arbeit dis­ku­tiert Melina Wache wei­te­re Fak­to­ren für den Bedeu­tungs­ver­lust der Insel als Ritu­al­stät­te. Eine ent­schei­den­de Rol­le habe hier­bei der Wan­del der Küs­ten­re­gi­on gespielt, die an poli­ti­scher Bedeu­tung ver­lor und sich als Han­dels­stät­te eta­blier­te. Dies lässt sich anhand von Ver­än­de­run­gen in den Votiv­ga­ben nach­voll­zie­hen. Der Fokus des neu ent­stan­de­nen Han­dels lag auf dem Import. Da also weni­ger eige­ne Schif­fe in See sta­chen, ver­lor die Insel zuneh­mend an Bedeu­tung. Zugleich ver­la­ger­te sich das poli­ti­sche Zen­trum Japans; die See­rou­ten für poli­ti­sche Gesandt­schaf­ten führ­ten nun über die Seto-Inlandsee. Oki­no­shi­ma wei­ter­hin anzu­steu­ern hät­te einen enor­men Umweg bedeutet. 
In der Dis­kus­si­on wur­de die Tren­nung von wirt­schaft­li­cher und poli­ti­scher Rele­vanz der Küs­ten­ge­gend Fuku­o­kas kri­ti­siert. Wei­ter­hin wur­den die Rol­le der Insel Oki­no­shi­ma in der Moder­ne und aktu­el­le For­schungs­an­sät­ze diskutiert. 

Bas­ti­an Voigt­mann (Frank­furt): Jahr eins: Kom­men­ta­re zum Kai­ser­li­chen Erzie­hungs­edikt, 1890–91
In sei­nem Bei­trag stell­te Bas­ti­an Voigt­mann von der Uni­ver­si­tät Frank­furt sein Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekt vor. Mit­hil­fe einer quan­ti­ta­ti­ven Ana­ly­se soll hier­bei die Kom­men­tar­li­te­ra­tur zum Kai­ser­li­chen Erzie­hungs­edikt unter­sucht wer­den, wel­ches etwa in der Mit­te der Meiji-Zeit als Grund­la­ge für den Moral­kun­de­un­ter­richt ange­fer­tigt wur­de. Die­ses besteht zu Tei­len aus den Kai­ser­li­chen Anwei­sun­gen für Sol­da­ten und wird als eine Ursa­che des japa­ni­schen Mili­ta­ris­mus bewer­tet, des­sen Ein­flüs­se bis zum Ende des Pazi­fik­krie­ges rei­chen. Dem japa­ni­schen Volk wer­den dar­in in knap­pen 315 Zei­chen eini­ge Tugen­den wie die Treue gegen­über dem Herr­scher, die Lie­be zu den Eltern und die Auf­op­fe­rungs­be­reit­schaft für das Vater­land nahe­ge­legt. Von der Ver­öf­fent­li­chung des Edikts bis zum Ende der Meiji-Zeit wur­den min­des­tens 168 Kom­men­ta­re zu die­sem ver­öf­fent­licht, wobei beson­ders die Diver­si­tät der Autor­schaft ins Auge fie­le. Um in der Kom­men­tar­li­te­ra­tur ideo­lo­gi­sche Strö­mun­gen und Autoren­grup­pen aus­zu­ma­chen, unter­sucht Bas­ti­an Voigt­mann das seman­ti­sche Netz­werk und die rela­ti­ve Ver­wen­dung bestimm­ter Wor­te. Hier­bei bedient er sich ver­schie­de­ner Algo­rith­men, wel­che die Tex­te in Clus­ter unter­tei­len und gemein­sa­me sprach­li­che Merk­ma­le und ver­bin­den­de Topics inner­halb der Clus­ter her­vor­he­ben. Er betont hier­bei, die­ser neue Ansatz der Geschichts­wis­sen­schaft sei nicht unbe­dingt dafür da, nur Fra­gen zu beant­wor­ten, son­dern bie­te viel­mehr durch das Auf­wer­fen neu­er Fra­ge­stel­lun­gen eine Erwei­te­rung zu bis­he­ri­gen Herangehensweisen.
In der Dis­kus­si­on wur­de nach dem Erkennt­nis­in­ter­es­se des Refe­ren­ten gefragt. Wei­ter­hin wur­de kri­ti­siert, die Ergeb­nis­se der quan­ti­ta­ti­ven Aus­wer­tung sei­en die Erwart­ba­ren gewe­sen. Außer­dem wur­de die Fra­ge dis­ku­tiert, ob die Wer­ke alle als gleich­wer­tig zu behan­deln sei­en, da nicht zu allen Kom­men­tar­wer­ken Daten über die Auf­la­ge­stär­ke oder Ver­brei­tung vor­han­den seien.

Fritz Schu­mann (Ber­lin): Gift­gas und Kanin­chen – Japa­ni­sche Che­mie­waf­fen im 2. Welt­krieg und die Geschich­te von Ōku­no­shi­ma (Stand 2020)
Zum Abschluss des Vor­trags­pro­gramms am Sams­tag stell­te der Jour­na­list, Regis­seur und Autor Fritz Schu­mann sei­ne Nach­for­schun­gen über die Geschich­te der Insel Ōku­no­shi­ma in der Seto-Inlandsee vor. Auf die­ser wur­de im Ver­lauf des zwei­ten Welt­krie­ges ein Groß­teil der etwa 9000 Ton­nen che­mi­scher Kampf­stof­fe Japans her­ge­stellt. Mit einem Höchst­wert von etwa 6000 Arbei­tern, die zum Teil aus Zwangs­ar­bei­tern und Kin­dern bestan­den, beher­berg­te die Insel die mit Abstand größ­te Gift­gas­fa­brik Asi­ens. Im Lau­fe sei­ner Recher­che gelang es Fritz Schu­mann, eini­ge Zeit­zeu­gen des Gesche­hens aus­fin­dig zu machen und zu inter­view­en. Da die Vor­komm­nis­se in Ōku­no­shi­ma wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges der Geheim­hal­tung unter­la­gen, stel­len die­se Zeit­zeu­gen­be­rich­te eine umso wich­ti­ge­re Quel­le dar. Zwi­schen­er­geb­nis sei­ner fort­lau­fen­den Arbeit ist der 2019 fer­tig­ge­stell­te Dokumentar-Kurzfilm Ōku­no­shi­ma – Japans Gift, in dem Fritz Schu­mann die Begeg­nun­gen mit die­sen Inter­view­part­nern fest­hält. Sein Fokus liegt dabei unter ande­rem auf dem Ein­satz der Che­mie­waf­fen in Chi­na, den Japan bis heu­te abstrei­tet. Noch immer lie­gen schät­zungs­wei­se 300.000 Behält­nis­se mit Gift­gas in Chi­na ver­gra­ben. Die japa­ni­sche Regie­rung erklär­te sich 1999 für den Trans­port die­ser Waf­fen ver­ant­wort­lich und ver­pflich­te­te sich zu ihrer Ent­sor­gung. Einen wei­te­ren Punkt in Schu­manns Recher­che stellt die Betei­li­gung Deutsch­lands an der Ent­wick­lung von Che­mie­waf­fen in Japan dar. 
1963 wur­de die Ōku­no­shi­ma von Regie­rungs­sei­te aus als Feri­en­in­sel eröff­net. Es wur­den ein Hotel und meh­re­re Ten­nis­plät­ze ein­ge­rich­tet. Außer­dem wur­den fünf Kanin­chen aus­ge­setzt, die sich auf­grund man­geln­der Präda­to­ren stark ver­mehr­ten. Heut­zu­ta­ge lockt die mitt­ler­wei­le etwa 700 Tie­re umfas­sen­de Popu­la­ti­on vie­le Tou­ris­ten an und hat der Insel den Namen „Häschen-Insel“ ein­ge­bracht. Durch sei­ne Doku­men­ta­ti­on möch­te Fritz Schu­mann auf die zum Teil unge­nau kom­mu­ni­zier­te Ver­gan­gen­heit des Ortes auf­merk­sam machen und Betrof­fe­nen eine Stim­me verleihen. 
In der Dis­kus­si­on wur­den dem Jour­na­lis­ten wei­te­re Ansät­ze für sei­ne Recher­che nah­ge­legt. Des Wei­te­ren wur­de dar­über dis­ku­tiert, inwie­fern die Aus­ein­an­der­set­zung mit neu­en Kriegs­me­tho­den sei­tens der japa­ni­schen Regie­rung im zwei­ten Welt­krieg eine Beson­der­heit darstellte.

Jana Ares­in (Erlangen-Nürnberg): Demo­kra­tie, Kon­sum und Frau­en­bil­der in Japa­ni­schen und US-amerikanischen Frau­en­zeit­schrif­ten im frü­hen Kal­ten Krieg (1945–1960)
Im ers­ten Vor­trag am Sonn­tag stell­te Jana Ares­in einen Zwi­schen­stand ihres Dis­ser­ta­ti­ons­vor­ha­bens vor, das sie im Rah­men des For­schungs­pro­jekts „Ree­du­ca­ti­on Revi­si­ted: Trans­na­tio­nal and Com­pa­ra­ti­ve Per­spec­ti­ves on the Post-World War II Peri­od in the US, Japan, and Ger­ma­ny“ durch­führt.
Zu Beginn defi­nier­te sie den in der Wis­sen­schaft kon­tro­ver­sen Begriff der „Umer­zie­hung“ (ree­du­ca­ti­on) sei­tens der US-Besatzung Japans als Pro­jekt, um mili­ta­ris­ti­sche Ideo­lo­gien in der Bevöl­ke­rung zu ent­fer­nen und das Bil­dungs­sys­tem sowie die Medi­en zu refor­mie­ren. Hier­bei nahm die Rol­le der Frau eine zen­tra­le Stel­lung ein. Ihre Dop­pel­funk­ti­on als Erzie­he­rin und Kon­su­men­tin, bzw. Haus­frau und Lohn­ar­bei­te­rin wird anhand von Frau­en­bil­dern in japa­ni­schen und US-amerikanischen Frau­en­zeit­schrif­ten im Zeit­raum 1945–1960 ana­ly­siert, um her­aus­zu­ar­bei­ten, inwie­weit sich der ame­ri­ka­ni­sche Dis­kurs der „dome­sti­ci­ty“ in japa­ni­schen Zeit­schrif­ten wider­spie­gel­te. Ins­be­son­de­re wird dabei die Ver­knüp­fung von Demo­kra­tie und Kon­sum ana­ly­siert, der die Über­le­gen­heit des Kapi­ta­lis­mus gegen­über dem Kom­mu­nis­mus repräsentierte. 
Ers­te Aus­wer­tun­gen von Zeit­schrif­ten der 1940er Jah­re zei­gen, dass das Frau­en­bild in US-amerikanischen Zeit­schrif­ten vor allem das der Haus­frau war. Ein häu­fi­ges Nar­ra­tiv ist die Frau in ihrer Rol­le als Erzie­he­rin. Obgleich ihr ein wirt­schaft­li­ches Han­deln über den Kon­sum im Haus zuge­spro­chen wird, basie­re die­ser auf dem Lohn des Man­nes. In japa­ni­schen Zeit­schrif­ten wird eben­falls die pazi­fis­ti­sche Gesin­nung der Frau sowie ihre Rol­le als Erzie­he­rin der Kin­der her­vor­ge­ho­ben. Libe­ra­le Zeit­schrif­ten hin­ge­gen the­ma­ti­sie­ren die Arbeits­tei­lung zwi­schen Haus- und Lohn­ar­beit. Im nächs­ten Schritt wird die Unter­su­chung eines Anglei­chungs­pro­zes­ses japa­ni­scher Arti­kel an die US-amerikanischen Arti­kel in den 1950er Jah­ren erfolgen.

Boje­na Div­ae­va (Bonn): Stirb mit mir, Schwes­ter – Shin­jū als Aus­weg uner­füll­ter Liebe?
Die Stu­den­tin an der Uni­ver­si­tät Bonn stell­te das The­ma ihrer Mas­ter­ar­beit vor. Mit­tels einer Dis­kurs­ana­ly­se und einer qua­li­ta­ti­ven Inhalts­ana­ly­se wird eine kri­ti­sche Bewer­tung der dar­ge­stell­ten Art der Bezie­hung zwei­er Frau­en, die Dop­pel­selbst­mord (shin­jū) bege­hen, in ver­schie­de­nen Medi­en erar­bei­tet. Aus­ge­hend von einem real vor­ge­fal­le­nen Dop­pel­selbst­mord zwei­er Ober­schü­le­rin­nen einer Mäd­chen­schu­le in der Stadt Niiga­ta und der Dar­stel­lung ihrer Bezie­hung pla­to­ni­scher, rein freund­schaft­li­cher Art unter­sucht Boje­na Div­ae­va unter Zuhil­fe­nah­me von Dar­stel­lun­gen u.a. in Lite­ra­tur und Film homo­se­xu­el­le Lie­be in Japan von der Meiji- bis zur frü­hen Shōwa-Zeit. Neben der Ana­ly­se der Dar­stel­lun­gen ist die Inter­pre­ta­ti­on von Schlüs­sel­be­grif­fen, ihren Kon­no­ta­tio­nen und zen­tra­len Kon­zep­ten not­wen­dig, um die­se in das kul­tu­rel­le Ver­ständ­nis die­ser Epo­chen ein­ord­nen zu können.
Mit ihrer Mas­ter­ar­beit ergänzt Boje­na Div­ae­va das The­ma aus der Per­spek­ti­ve der Gen­der­for­schung und „Queer“-studien, deren Ansät­ze bis­her wenig Beach­tung in die­ser The­ma­tik erhiel­ten. Dar­über hin­aus leis­tet sie einen Bei­trag zur Erfor­schung gleich­ge­schlecht­li­cher Lie­be zwi­schen Frau­en, die weit weni­ger erforscht sei als die gleich­ge­schlecht­li­che Lie­be zwi­schen Männern.
Eine Dis­kus­si­ons­teil­neh­me­rin erklär­te aus psy­cho­ana­ly­ti­scher Per­spek­ti­ve, dass weib­li­che Homo­se­xua­li­tät nie im Fokus ste­he, weil sie die Geschlech­ter­iden­ti­tät nicht so stark gefähr­de, wie es bei Män­nern der Fall sei.

Klaus J. Frie­se (Zürich / Mün­chen): Japa­ni­sche Kriegsmotiv-Kimonos: Spie­gel einer natio­na­len Identität?
Im drit­ten Vor­trag beschäf­tig­te sich Klaus J. Frie­se mit Kriegs­mo­ti­ven bedruck­ter Klei­dungs­stü­cke, die zwi­schen 1894–1942 her­ge­stellt wur­den. Getra­gen wur­den die Tex­ti­li­en von Män­nern, Frau­en und beson­ders in der Shōwa-Zeit von Kin­dern. Er distan­ziert sich mit sei­ner Arbeit von ihrer Bedeu­tung als Mit­tel der Pro­pa­gan­da (nach Dr. Jac­que­line Atkins) und sieht statt­des­sen ihre Bedeu­tung in der Iden­ti­täts­dar­stel­lung und als Teil der All­tags­kul­tur. „Iden­ti­tät“ ist dabei sei­ner Auf­fas­sung nach ein Begriff, der im Plu­ral zu ver­ste­hen sei. Anhand exem­pla­ri­scher Klei­dungs­stü­cke zu jeweils dem Chinesisch-Japanischen Krieg (1894–95), dem Russisch-Japanischen Krieg (1904–1905) und dem Asiatisch-Pazifischen Krieg (1931–1945) erklär­te er ver­schie­de­ne Iden­ti­täts­dar­stel­lun­gen: his­to­ri­sche Iden­ti­tät, Helden‑, Konsumenten- und Gender-Identität sowie spa­cial iden­ti­ty. Aus­druck des­sen sind diver­se Moti­ve auf tra­di­tio­nel­len japa­ni­schen Kleidungsstücken. 
Die Beson­der­heit von Tex­ti­li­en sei, dass sie inner­halb der mate­ri­el­len Kul­tur eine eige­ne agen­cy auf­wie­sen. Das Tra­gen am Kör­per bil­de nicht nur eine Iden­ti­tät ab, son­dern ver­stär­ke, ver­än­de­re und schaf­fe zudem eine Iden­ti­tät. Damit dien­ten japa­ni­sche Kriegsmotiv-Kimonos als Fall­bei­spiel, um auf die Aus­wir­kung von mate­ri­el­ler Kul­tur auf die Gesell­schaft auf­merk­sam zu machen.
Die Dis­kus­si­on im Anschluss zeig­te Inter­es­se dar­an, wel­cher Teil der Bevöl­ke­rung die­se Tex­ti­li­en gekauft habe, jedoch ließ sich die Fra­ge anhand der Quel­len­la­ge nicht beant­wor­ten. Den­noch iden­ti­fi­ziert Klaus J. Frie­se die­se Klei­dungs­stü­cke als Mode­ar­ti­kel, die auf die Mit­tel­schicht abziel­ten. Dar­über hin­aus wur­de ihm nahe­ge­legt, Medi­en­ka­pi­ta­lis­mus und par­al­le­le Ent­wick­lun­gen zu beach­ten. Es sei wich­tig zu betrach­ten, wel­che Ver­kaufs­lo­gik und Ver­net­zung hin­ter der Pro­duk­ti­on die­ser Klei­dung stehe.

Chris­toph End (Rot­ten­burg am Neckar): Deutsch-japanische forst­wis­sen­schaft­li­che Begeg­nun­gen zwi­schen 1868 und 1914 im Spie­gel ihrer Protagonisten
Im vier­ten Vor­trag stell­te Chris­ti­an End vor, war­um deutsch-japanische forst­wis­sen­schaft­li­che Begeg­nun­gen zwi­schen 1868 und 1914 von gegen­wär­ti­ger forst­wis­sen­schaft­li­cher Rele­vanz sei­en und wie die bis­lang unzu­läng­lich unter­such­te Forst­wirt­schaft in Japan einen Bei­trag zur his­to­ri­schen Japan­for­schung lie­fern kön­ne. Hier­für ana­ly­siert er unter­schied­li­che japa­ni­sche Quel­len, wie wis­sen­schaft­li­che Arti­kel, Regis­ter von Aka­de­mien und Uni­ver­si­tä­ten, Akten etc., um anhand bio­gra­phi­scher Infor­ma­tio­nen zu Akteu­ren der Forst­wirt­schaft Aus­tausch­be­zie­hun­gen und Wis­sens­trans­fer aufzuzeigen. 
Die bis­he­ri­ge Unter­su­chung zeig­te, dass Mit­te des 19. Jahr­hun­derts die Forst­wirt­schaft in Frank­reich, Öster­reich und beson­ders Deutsch­land sei­tens Japans als fort­schritt­lich wahr­ge­nom­men wur­de und eine nöti­ge Exper­ti­se für die Nut­zung eige­ner Wäl­der lie­fern konn­te. Im Zuge des­sen lehr­ten vor­nehm­lich deut­sche Wis­sen­schaft­ler (Mayr, 1888–1891; Gras­mann, 1887–1895 und Hefe­le, 1900–1903) von der Uni­ver­si­tät Mün­chen an japa­ni­schen Aka­de­mien und der Kai­ser­li­chen Uni­ver­si­tät Tokyo. Der preu­ßi­sche Forst­be­am­te Her­mann Schil­ling war sogar als Bera­ter für die kai­ser­li­chen Wäl­der zwi­schen 1899 und 1903 ein­ge­stellt. Eben­so kamen Japa­ner für ein forst­wis­sen­schaft­li­ches Stu­di­um nach Deutsch­land, wie bei­spiels­wei­se der ehe­ma­li­ge Rek­tor der Land- und Forst­wirt­schaft­li­chen Aka­de­mie in Koma­ba (Tōkyō) Uemu­ra Kat­su­ji. Die­ser wis­sen­schaft­li­che Aus­tausch zeigt sich in auf Deutsch ver­fass­ten wis­sen­schaft­li­chen Arti­keln oder deut­schen Lite­ra­tur­ver­wei­sen in japa­ni­schen Studien. 
Als Bei­spiel einer Auf­fors­tung nach dem „deut­schen“ Prin­zip des Dau­er­wal­des wur­de der Mei­ji Shri­ne Inner Pre­cinct Forest Plan von 1921 für ein Wald­stück am Meiji-Schrein vor­ge­stellt, der jedoch weni­ger forst­lich rele­van­te Bestän­de auf­weist. Chris­ti­an Ends Anlie­gen ist die Ver­bin­dung die­ser his­to­ri­schen For­schung mit aktu­el­len The­men der Forst­wirt­schaft. An der Hoch­schu­le Rot­ten­burg, an der er seit 2014 tätig ist, arbei­tet er in japan­be­zo­ge­nen, forst­wis­sen­schaft­li­chen Pro­jek­ten in enger Zusam­men­ar­beit mit vier japa­ni­schen Part­ner­schu­len zur Ent­wick­lung der Wälder.
In der Dis­kus­si­on wur­de die Fra­ge gestellt, wes­halb Deutsch­land Schwer­punkt die­ses Aus­tau­sches war und ob auch Adels­fa­mi­li­en Exper­ten anstell­ten, weil sie viel in Forst­wirt­schaft inves­tier­ten. Bis­her berich­ten die Quel­len von kei­nem Deut­schen, der bei einer Adels­fa­mi­lie ange­stellt gewe­sen sei, jedoch sei­en u.a. Spröss­lin­ge des Adels Stu­den­ten in Deutsch­land gewe­sen. Den Grund für die füh­ren­de Rol­le deut­scher Aus­bil­dung sieht Chris­toph End in der hohen Anzahl der Aus­bil­dungs­stät­ten in Deutsch­land. Auch kolo­nia­le Forst­wirt­schaft kam in der Dis­kus­si­on zur Spra­che. Hier ori­en­tier­te sich Japan an deut­schen Kolo­nien, wie etwa Tsingtao.

Bern­hard Mann (Koblenz): Die Public-Health-Entwicklung in Japan. Ant­wor­ten auf die zeit­ge­schicht­li­chen Her­aus­for­de­run­gen einer Demo­kra­tie in der Krise?
Im letz­ten Vor­trag trug Bern­hard Mann, Pro­fes­sor für Gesundheits- und Sozi­al­ma­nage­ment, sei­nen Vor­trag zur Ent­wick­lung des Gesund­heits­we­sens in Japan und des­sen Wir­kung auf die Demo­kra­tie vor. Hier­bei unter­stützt er die The­se vom Zusam­men­hang von Wohl­stand, Gesund­heit und Demo­kra­tie (James W. McGui­re) und ori­en­tiert sich am sys­tem­theo­re­ti­schen Ansatz von Mori­ka­wa Tak­emit­su, wonach u.a. Gesund­heit ein Mit­tel zur För­de­rung der Demo­kra­tie sei. 
Bern­hard Mann arbei­tet mit dem eng­li­schen Begriff Public Health, den er als sys­te­ma­ti­sier­te und auf Fak­ten basier­te Bevöl­ke­rungs­me­di­zin defi­niert. In Japan wur­de die Public Health Asso­cia­ti­on (JPHA) 1925 gegrün­det. Die­se Ver­ei­ni­gung hat­te ihre Vor­läu­fer bereits 1881. Dass Japan die inter­na­tio­nal gesün­des­te Gesell­schaft sei, stell­te er am Bei­spiel der 38 Zie­le der WHO vor, die Japan seit ihrem Bei­tritt 1951 ganz beson­ders ernst umset­ze. Als ein wei­te­res Argu­ment dien­ten die Höf­lich­keit und Wert­schät­zung im All­tag, die als gesund­heits­för­dern­der, psycho-soziologischer Ansatz der japa­ni­schen Gesell­schaft fungiere.
In der nach­fol­gen­den Dis­kus­si­on wur­de Bern­hard Mann dar­auf hin­ge­wie­sen, dass an eini­gen Stel­len sei­nes Vor­trags kri­ti­sche Unter­tö­ne fehl­ten. Sein Fokus auf die Rhe­to­rik der japa­ni­schen Regie­rung spie­ge­le sich weni­ger in der geleb­ten Rea­li­tät wider.

Das nächs­te, 36. Tref­fen der Initia­ti­ve wird am 5. und 6. Juni 2021 in einem digi­ta­len For­mat statt­fin­den und von Tino Schölz und Maik Hen­drik Sprot­te (bei­de FU Ber­lin) organisiert.

(Jas­min Pour Fathieh und Melina Wache)

zurück