Protokolle der 25. bis 30. Tagung aus den Jahren 2015 bis 2017:
26. Treffen im Siebold-Museum in Würzburg am 31. Oktober und 1. November 2015
Anwesend waren in Würzburg: Tenko Glenn Bauer (Heidelberg), Udo Beireis (Würzburg), David Chwila (Bochum), Sybille Girmond (Würzburg), Itô Tomohide (Wiesbaden), Nadja Kischka-Wellhäußer (Bonn), Till Knaudt (Heidelberg), Martha-Christine Menzel (Berlin/Heidelberg), Morikawa Yoshiko (Fukuoka), Cornelia Morper (Würzburg), Ulrike Nennstiel (Sapporo), Daniel Schley (München), Jan Schmidt (Leuven), Maik Hendrik Sprotte (Halle), Alexander Thomas (Regensburg), Reinhard Weth (Erfurt).
Der Kurzvorstellung der Teilnehmer folgte ein einführender Vortrag von Udo Beireis, dem 1. Vorsitzenden der Siebold-Gesellschaft e.V. (Würzburg), zum Siebold-Museum.
Vorträge:
Sybille Girmond (Universität Würzburg): Die „Ausstellung japanischer Metallindustrie“ in Nürnberg 1885: Rückblick nach 130 Jahren
In ihrem Vortrag thematisierte die Ostasien-Kunsthistorikerin Girmond die Teilnahme Japans an der in der heutigen historischen Forschung weitgehend in Vergessenheit geratenen „Internationale[n] Ausstellung von Arbeiten aus edlen Metallen und Legirungen [sic]“ (Kinkô bankoku hakurankai), die unter der Schirmherrschaft des bayerischen Königs Ludwig II. vom 15. Juni bis zum 30. September 1885 in der über Jahrhunderte für das hohe Niveau ihres Metallhandwerks bekannten europäischen Metropole Nürnberg abgehalten wurde. In der „Kollektivausstellung japanischer Metallindustrie, veranstaltet unter der Leitung der kaiserl. Japanischen Regierung“ präsentierten 99 Aussteller annähernd eintausend japanische Metall- und Emaillearbeiten. Unter den in Nürnberg vertretenen Nationen stellte Japan nach dem Deutschen Reich das zweitgrößte Kontingent an Ausstellern. Ziel der Meiji-Regierung war es, durch die Teilnahme auf das hohe Niveau des Kunstschmiede- und Emailhandwerks Japans aufmerksam zu machen und auf diesem Wege die japanische als eine der dem zeitgenössischen Verständnis nach „führenden“ kulturschaffenden Nationen gleichwertige Kulturnation mit einer eigenständigen und zugleich innovationsfähigen Tradition zu inszenieren. Im Spiegel des damaligen medialen Interesses ein Ereignis, welches für die weitere Entwicklung von Kunst und Kunsthandwerk sowohl in Japan als auch im zunehmend vom Japonismus erfassten Westen prägend gewesen sei, von dem richtungweisende Impulse speziell auf die Metall- und Emailhandwerker ausgingen. Die „Erfahrung Nürnberg“ könne daher in der kunsthistorischen Rückschau in Japan als generationenprägend und epochemachend eingestuft werden.
Hinsichtlich der Erwartung, die Ausstellung solle zu einer Plattform zur Demonstration der künstlerischen Leistungsfähigkeit Japans gereichen („Kulturoffensive“), war den dort auftretenden Exponenten des japanischen Kunsthandwerks ein großer Erfolg beschieden: Ein Großteil der durch die Jury verliehenen Auszeichnungen entfiel auf japanische Aussteller, und deren Exponate wurden in der Tages- und Fachpresse mit enthusiastischen Berichten bedacht. Differenziertere Einschätzungen über den Gesamterfolg (auch wirtschaftlich) erschließen sich aus der Analyse der zeitgenössischen Berichte, wobei ein offizieller Abschlussbericht zu Nürnberg nur in Japan publiziert wurde. Die Beteiligung Japans sei nicht lediglich aus Prestige-Erwägungen erfolgt, sondern es lagen auch konkrete wirtschaftliche Interessen zugrunde: die Erzeugnisse des japanischen Kunstschmiedehandwerks sollten kommerziell beworben und neue Absatzmärkte gewonnen werden. (Mit dem Zusammenbruch des inländischen Marktes zu Beginn der Meiji-Zeit – die Metallwerkstätten der Edo-Zeit hatten sich auf die Fertigung überwiegend von Kultgegenständen für Tempel und Prestigeobjekten für die Daimyô spezialisiert – stellte sich die Notwendigkeit ein, innovativ tätig zu werden.) Besonderes Potential wurde u.a. in der zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Japan erstmals für größere Gegenstände angewandten Technik des émail cloisonné gesehen. Mit dem Japonismus-Boom, der im deutschsprachigen Raum spätestens mit der Wiener Weltausstellung 1873 losbrach, avancierte Nagoya rasch zum Zentrum der exportorientierten japanischen Emaille-Produktion. Die innerhalb weniger Jahrzehnte überaus innovationsreiche Entwicklung habe bereits in Nürnberg 1885 ein Niveau erreicht, das den Beginn des „Goldenen Zeitalters“ dieser Kunst markiere. Auch im Metallhandwerk war der Innovationswille deutlich, wurde etwa in den dort ausgestellten Stücken erstmals Bronze mit Porzellan kombiniert, gleichsam eine handwerkstechnische – und kurzlebige — tour de force. Die Regierung Japans hatte 160.000 RM für die Teilnahme an der Ausstellung investiert, doch wurde die Investition nicht einmal annähernd durch Einnahmen aus Verkäufen kompensiert. Grund waren die für deutsche Verhältnisse überdurchschnittlich hoch angesetzten Preise. Dennoch könne, betrachte man die Folgewirkungen Nürnbergs, auch in Europa von Erfolg gesprochen werden, gebe es doch einzelne Künstler, die sich als direkt durch die japanische Ausstellung in Nürnberg inspiriert bezeichneten.
Girmond verortet ihre Arbeit im Schnittfeld der traditionsreichen Japonismus-Forschung und den neuerlich stark an Aktualität gewinnenden Untersuchungen zur Beteiligung Japans an den internationalen Ausstellungen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Ulrike Nennstiel (Hokusei Gakuen Universität, Sapporo): Uemura Takashi und der „Trostfrauen“-Diskurs in der Asahi Shinbun
Die Soziologin Nennstiel problematisierte den Umgang mit der „Trostfrauen“-Problemematik (ianfu mondai) und fokussierte dabei auf die Rolle Uemura Takashis, eines ehemaligen Asahi Shimbun-Journalisten (u.a. Auslandskorrespondent), welcher im Jahre 1991 einen der ersten japanischen Artikel auf der Grundlage von Aufzeichnungen des Interview mit einer Betroffenen publizierte. Obwohl andere Tageszeitungen ähnlich berichteten und nicht etwa Uemura, sondern das regionale Blatt Hokkaidô shinbun damals ein eigenes Interview veröffentlichte, richteten sich die Attacken geschichtsrevisionistischer Kreise unter der Federführung von Nishioka Tsutomu und Sakura Yoshiko ausschließlich gegen Uemura. Seit knapp zwei Jahren sehe sich dieser massiven Anfeindungen, Schmähungen und Drohungen ausgesetzt, welche nicht mehr lediglich auf seine eigene Person abzielten, sondern ebenso gegen seine Familie und schließlich auch seinen Arbeitgeber.
Einen vorläufigen Höhepunkt fanden diese Verleumdungs- und Hetzkampagnen in Bombendrohungen gegen die Hokusei Gakuen Universität (Hokuseidai kyôhaku jiken) im Sommer 2014. Als Reaktion auf diesen Angriff auf die Autonomie einer akademischen Einrichtung wurde im Oktober, dem Aufruf zahlreicher Intellektueller und Anwälte folgend, die „Gib nicht auf, Hokusei-Uni!-Vereinigung“ („Makeruna Hokusei! no Kai“) gegründet, um für eine Weiterbeschäftigung Uemuras einzutreten.
Einem konzisen und prägnanten Abriss zur Forschungsgeschichte schloss Nennstiel eine ausführliche Chronologie des „Trostfrauen“-Diskurses an; dabei werde immer wieder Rekurs auf die Frage nach der (politischen) Korrektheit der Ausdrucksweise und Details Uemuras in seinem Zeitungsartikel der Ôsaka Ausgabe der Asahi shinbun vom 11. August 1991 genommen, der auf den Erinnerungen der ehemaligen koreanischen Zwangsprostituierten Kim Hak-sun basierte und in dessen Nachgang sich immer mehr betroffene Frauen zu Wort meldeten. Zwar bekenne sich auch die Regierung unter Ministerpräsident Abe Shinzô formal zur Kôno-Erklärung (Kôno danwa) vom 4. August 1993, in der öffentlichen Debatte breche sich jedoch ein immer aggressiver gebärdender Geschichtsrevisionismus Bahn, welcher bereits zur Beginn der Kontroversen um Yoshida Seiji stark an Virulenz gewonnen habe und neuerlich im Widerruf von Zeitungsartikeln der Asahi shinbun im August 2014 kulminiert sei; zudem wurde auf die Aussage Abes aus dem Jahr 2005 verwiesen, „die Trostfrauen[-Debatte werde auf der Grundlage] fingierter Aussagen [geführt]“ („Ianfu wa tsukurareta hanashi“). Dagegen habe der Historiker Yoshimi Yoshiaki dafür plädiert, den zentralen Begriff der „Zwangsverschleppung“ (kyôsei renkô) weiter zu fassen, schieden sich die Meinungen zu sehr an den Phänomenen teishintai und ianfu, seien die Grenzen zwischen Freiwilligkeit und Zwang nicht unbedingt trennscharf. Nennstiel führte aus, der Fall Uemuras offenbare die Notwendigkeit zu verstärktem solidarischen Engagement, dem rechten Druck nicht etwa nachzugeben, die akademische wie journalistische Freiheit und Unabhängigkeit Japans zu schützen und zu bewahren. Abschließend verlieh sie ihrer Sorge vor einer Remilitarisierung der japanischen Gesellschaft Ausdruck.
In der Diskussion wurde zunächst auf die „Erklärung der Historiker- und Geschichtslehrerverbände Japans zur Trostfrauen-Frage“ („Ianfu mondai ni kansuru Nihon no rekishi gakkai, rekishi kyôikusha dantai no seimei“) vom 25. Mai 2015 verwiesen, durch welche die Existenz von zwangsrekrutierten „Trostfrauen“ als ein durch historische Forschung hinreichend gesichertes Faktum anerkannt, die Gültigkeit der Kôno-Erklärung bekräftigt wird. Alsdann wurde die Frage nach der Singularität des „Trostfrauen“-Phänomens erörtert, sei Zwangsprostitution in Kriegszeiten auch außerhalb Japans systematisch betrieben worden; daran schloss eine Diskussion um die Frage der Vergleichbarkeit der „Trostfrauen“-Debatte mit dem deutschen Historikerstreit an. Darüber hinaus hieß es, es sei übertrieben zu behaupten, das zeitgenössische Japan werde im Zuge der Abe’schen Politik für einen Militärstaat vorbereitet. Zuletzt wurde über die Beurteilung der Oral History als einem Instrument der historischen Arbeitsweise und deren Bedeutung für die zeitgeschichtliche Forschung diskutiert.
Martha-Christine Menzel (FU Berlin/ Universität Heidelberg): „Ich bin Künstler, kein Sozialist!‘ – Tayama Katais Erzählung „Tokoyo goyomi“ (1914) als literarischer Diskurs über Naturalismus, Sozialismus und die innere Sicherheitspolitik infolge der Hochverratsaffäre
In ihrem Vortrag widmete sich die Literaturwissenschaftlerin Menzel der Frage nach der literarischen Verarbeitung der „Hochverratsaffäre“ (Taigyaku jiken, 1910/11), d.h. der Eskalation des Konfliktes zwischen der autoritären Meiji-Regierung und diversen linksgerichteten Gruppierungen, in deren Nachgang die polizeiliche Überwachung mutmaßlich politisch Subversiver wie auch die Pressezensur landesweit verschärft wurden. Dies hatte auch starke Auswirkungen auf den Literaturbetrieb. Menzel thematisierte in diesem Zusammenhang die Erzählung „Tokoyo goyomi“ („Der ewige Kalender“, 1914) des Schriftstellers Tayama Katai (1871–1930), eines Hauptvertreters der literarischen Strömung des Naturalismus in Japan (Nihon shizenshugi bungaku).
Zunächst erfolgte eine historische Verortung des Werks, wobei Menzel auf die Literatur- und Pressezensur und insbesondere die Naturalismus-Kritik im Meiji-zeitlichen Japan verwies. Jene Maßnahmen hätten sich speziell gegen das politische Potential des Naturalismus gerichtet, realexistierende gesellschaftliche Probleme authentisch-kritisch zu thematisieren. Auch die für den Naturalismus typische Forderung nach Individualismus sei als der öffentlichen Moral abträgliche, dem kokutai-Gedanken zuwiderlaufende und damit vermeintlich staatszersetzende Idee angesehen worden. Zum Inhalt der Erzählung: Der Protagonist Yamada Yûkichi wird von den Auswirkungen der Hochverratsaffäre erfasst und steht nunmehr im Verdacht, ein Sozialist zu sein. In Hokkaidô versucht er, der strengen polizeilichen Überwachung zu entgehen, scheitert jedoch in seinem Bestreben, Unabhängigkeit in der bäuerlichen Lebensweise zu finden. Menzel führt aus, die Figur des Yûkichi zeige deutliche Anspielungen und Parallelen zur Vita eines Bekannten von Tayama Katai, der den Verfasser zu der Erzählung inspiriert habe. Fürderhin konzentrierte sich die Referentin auf eine Analyse der dem Werk zugrundeliegenden erzähltechnischen Verfahren, die bewusst dazu dienten, Anspielungen auf reale Personen und Ereignisse zu verschleiern, gleichzeitig aber auch eine neutrale Position der Erzählinstanz betonten und es auf diese Weise letztlich dem Leser selbst überließen, über die Inhalte zu urteilen. „Tokoyo goyomi“ lässt sich demnach als eine heikle Gratwanderung betrachten zwischen dem naturalistischen Authentizitätsanspruch und der notwendigen Verschleierung der Bezüge zu realen politischen und sozialen Vorgängen.
In der Diskussion kam zunächst die Frage auf, ob Katai nicht etwa daran gelegen gewesen sein mochte, weniger konkret die Hochverratsaffäre als viel abstrakter die Paranoia der Meiji-Regierung vor linksgerichteten Gruppierungen wie auch die Absurdität des Verdachts- und Überwachungsregimes zu thematisieren? Mori Ôgai appellierte beispielsweise im Jahr 1911 an die Regierung, klar zwischen Naturalismus, Sozialismus und Anarchismus zu differenzieren. Katai sei sich der politischen Brisanz des Themas durchaus bewusst gewesen, weshalb er sich explizit formulierter Kritik enthielt. Abschließend kam die Frage nach der Wahl Hokkaidôs als Ort des Exils auf, genauer: Ob dieser als ein Zufluchtsort gedacht werden, oder aber ob dadurch eine Scheinloyalität gegenüber der den Norden des japanischen Archipels kolonisieren-den Regierung suggeriert und der Verdachtsmoment neutralisiert werden sollte? Menzel verneinte letztere Interpretation mit Blick auf die Erzählung und entgegnete, dass nach subjektivem Empfinden Hokkaidô fernab des politischen und kulturellen Zentrums Tôkyô lag und daher nicht selten auch eine Projektionsfläche für Autarkievorstellungen darstellte, de facto jedoch mit am stärksten überwacht worden sei.
Itô Tomohide (Wiesbaden): Das Buch „Der totale Krieg“ von Erich Ludendorff und Japan
Der Historiker Itô referierte über seine Forschungen zur Rezeptionsgeschichte des Ludendorff’schen wehrkundlichen Traktats „Der totale Krieg“ im Japan der ausgehenden 1930er Jahre, genauer: zu dessen Einfluss auf Offizierskreise und die von diesen beförderten wehr- und kriegswissenschaftlichen Diskurse. Dank Itô liegt der zeithistorischen Forschung in Japan seit 2015 eine textkritische Übersetzung nach der deutschsprachigen Originalausgabe von 1935 vor, welche unter dem Titel „Rûdendorufu Sôryokusen‘ bei Hara Shobô erschien, eine Alternative zur veralteten unkommentierten, von einer von ideologischen Färbungen stark durchsetzten Sprache getragenen Ausgabe von 1939 zu bieten.
Im Hinblick auf den „totalen Krieg“ kehrte Ludendorff das Clausewitz’sche Diktum, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik, ins Gegenteil: Die Politik habe der Kriegsführung zu dienen, die Politik der Friedenszeit der Vorbereitung des „Lebenskampfes“ eines Volkes im Kriege; entsprechend hätten sich alle Kräfte eines Volkes zur Kriegsführung zu bündeln, stellte das Verständnis der breiten Bevölkerung als ebenso der Industriellen um die Notwendigkeit des und deren Mitwirkung am „totalen Krieg“ einen kriegsentscheidenden Faktor dar.
In Japan traten Angehörige der sogenannten Reformisten (kakushin-ha) des Heeres als Hauptexponenten der Ludendorff’schen Konzeption vom „totalen Krieg“ in Erscheinung, meinten darin ein adaptionswürdiges Vorbild zur Verwirklichung eines als notwendig imaginierten Systems der totalen nationalen Mobilisierung für die Zwecke der Kriegsführung und des Empire-Building entdeckt zu haben. Die frühe Ludendorff-Rezeption sei im Zuge der Auseinandersetzung japanischer Militärs mit dem Ersten Weltkrieg erfolgt, so etwa durch die „Außerordentliche Untersuchungskommission für militärische Angelegenheiten“ („Rinji Gunji Chôsa Iin“). Animiert durch die Kriegsvorbereitungen Japans im Fortschreiten der 1930er Jahre als speziell vor dem Hintergrund des Ausbruchs des Zweiten Sino-Japanischen Krieges tat sich schließlich der Heeresoffizier Mano Toshio hervor, eine erste Übersetzung des Ludendorff’schen Traktats ins Japanische vorzunehmen, welche 1939 bei Mikasa Shobô erschien; Mano prägte dadurch den japanischsprachigen Begriff „Kokka sôryokusen“ („totaler Krieg“). Mano und seine Mitstreiter Takashima Tatsuhiko und Tada Hayao waren der Überzeugung, eine Entwicklung hin zu einer „Staatsordnung des totalen Krieges“ sei angesichts der Kriegsvorbereitungen der anderen Großmächte unabdingbar; entsprechend initiierten sie eine großangelegte Propagandakampagne, profitierten dabei von einer ausgesprochenen Pluralität der Propagandamittel und — kanäle, suchten etwa durch die Radiosendung „Rûdendorufu no kokka sôryokusen“, welche zwischen November und Dezember 1939 in fünf Episoden ausgestrahlt wurde, eine Brücke zwischen den Ludendorff’schen Argumenten und der aktuellen Lage Japans herzustellen. Itô wies darauf hin, dass diesen das Radio aufgrund dessen hohen Verbreitungsgrades (1939: ca. 34% der Haushalte) als das geeignetste Medium erschien, ein Bewusstsein um die Notwendigkeit zur „totalen“ Kriegsführung in die Bevölkerung zu kommunizieren. Seine Fortführung erfuhr das Konzept vom „totalen Krieg“ durch die Publikationen Takashimas, beispielsweise dessen Werk „Kôsen“ („Der kaiserliche Krieg“), indem dieser für einen „totalen Krieg des kaiserlichen Weges“ („Kôdô sôryokusen“) plädierte.
Der Referent schloss mit der These, anhand von Selbstzeugnissen japanischer Offiziere werde offenbar, die Überführung des Paradigmas der „totalen“ Kriegsführung in die in Japan vorherrschenden politisch-ideologischen Kontexte mochte zwar auf einer individuell-subjektiv wirksamen Ebene erfolgreich gewesen sein, es jedoch auf strukturell-formaler Ebene nicht gelang, die gewünschte Massenwirkung zu erzielen, scheiterten doch alle Versuche, die daraus abgeleitete Programmatik auch institutionell zu implementieren; obgleich bedeutsam für die Weiterentwicklung der Wehrkunde jener Zeit, letztlich könne man einen lediglich begrenzten Einfluss auf das Heer konstatieren, das Streben um eine Massenmobilisierung der Bevölkerung unter Takashimas Banner des „Kôdô sôryokusen“ für gescheitert erklären.
Die abschließende Diskussion drehte sich zunächst um die Frage nach der Rezeption der sôryokusen-Propagada in der einfachen Bevölkerung, setzte sich in der Erörterung der besonderen Schwierigkeiten rezeptionsgeschichtlicher Studien fort. Auch wurde hinterfragt, worin das Bedürfnis zu einer neuerlichen Übersetzung bestanden habe; Itô verwies abermals auf die tendenziöse, stark ideologisch gefärbte Sprache der Erstübersetzung durch Mano. Zuletzt wurde diskutiert, weshalb das Werk aus der Feder eines Angehörigen ausgerechnet einer der Verlierernationen des Ersten Weltkriegs, nicht etwa ein solches französischer oder britischer Provenienz einen doch relativ prägnanten Eingang in die wehr- und kriegswissenschaftlichen Diskurse in Japan gefunden habe, der japanische sôryokusen-Diskurs nicht eventuell Querverschaltungen auch zu anderen Analysen aufweise.
Nadja Kischka-Wellhäußer (Universität Bonn): Soziale Netzwerke im Vergleich: Die frühe deutsche und japanische Frauenbewegung
Die Historikerin Kischka-Wellhäußer stellte ihr aktuelles Projekt einer sozialen Netzwerkanalyse als einen historischen Vergleich der frühen Frauenbewegungen in Deutschland und Japan vor.
Zunächst beleuchtete die Referentin die Entstehung unterschiedlicher Typen von Frauenvereinen sowohl im Deutschen Reich als ebenso im Meiji-zeitlichen Japan; dabei verwies sie auf die Ungleichzeitigkeit von Genderdebatten, Frauenrechtsdiskursen und Öffentlichkeit. So ließe sich die Entstehung von Frauenzeitungen und ‑vereinen, ließen sich die Anfänge einer Netzwerkbildung im Falle Deutschlands bis in den Vormärz hinein zurückverfolgen, in Japan habe sich eine vergleichbare Entwicklung erst seit Beginn der 1880er Jahre vollzogen; beiden sei jedoch gemein, dass Frauen um eine Standortbestimmung in den jeweils in Entstehung begriffenen Bürgergesellschaften vergleichsweise junger Nationalstaaten rangen. Auf beiden Seiten könne nicht von einer einheitlichen, geschlossenen Frauenbewegung ausgegangen werden, repräsentierten unterschiedliche Frauenvereine ein jeweils andersartiges soziales Spektrum mit jeweils eigener Programmatik und eigenen Klientelinteressen. Beiderorts habe sich die Entwicklung der Frauenbewegungen in Schüben vollzogen, welche wiederum an eine allgemeiner sich vollziehende Konjunktur sozialer Bewegungen geknüpft gewesen seien, so einerseits etwa jene der Märzrevolution als andererseits zuvörderst jene der „Bewegung für Freiheit und Bürgerrechte“ („Jiyû Minken Undô“), wobei Vernetzungsprozesse von den Metrolpolregionen auf die Peripherie ausgegangen seien.
Im Zentrum der Diskussion stand die Frage nach dem besonderen Erkenntnisgewinn, den sich Kischka-Wellhäußer vermittels eines historischen Vergleichs erhofft; ein solcher Vergleich zeichne sich in zeitlicher wie struktureller Hinsicht problematisch, ließen sich auch Parallelen und Divergenzen feststellen, so sei es wohl nur schwerlich machbar, über programmatische Aspekte hinausreichende Kohärenzen zu spezifizieren, seien die angelegten Parameter und Kriterien viel zu unbestimmt, als dass sie der jeweils spezifischen Komplexität der gesellschaftlich-historischen Wirklichkeit gerecht würden, hätten sich die Frauenbewegungen der beiden Vergleichsländer im Grunde doch weitgehend unabhängig voneinander und in ihrem jeweiligen Eigenrhythmus entwickelt. Besonders in organisatorischer Hinsicht sei ein Vergleich schwerlich sinnvoll, hätte die Zahl der deutscher Frauenvereine die der japanischen deutlich überwogen, sei von einer völlig andersartigen personellen Zusammensetzung auszugehen, wichen dabei die Faktoren Milieu und Bildungshintergrund allzu stark voneinander ab; daran schloss eine Diskussion um die Entstehung als ebenso die Charakteristika von Bürgergesellschaft im Deutschen Reich und im Meiji-zeitlichen Japan an. Aus dem Plenum erfolgte schließlich der Vorschlag, von einem historischen Vergleich abzusehen, sich stattdessen dem Projekt einer Gesamtdarstellung der Geschichte der Frauenbewegung in Japan zuzuwenden, liege eine solche bislang noch nicht vor.
Abschluss: Kurz vor Tagungsschluss präsentierte Jan Schmidt eine auf der Grundlage der in den vorausgegangenen fünfundzwanzig Initiativetreffen erhobenen Daten basierende statistische Auswertung über Teilnehmerzahlen, den – freilich in anonymisierter Form (!) – akademischen Background der jeweiligen Teilnehmer sowie deren individuelle, ebenso eine institutionenspezifisch differenzierende Teilnahmefrequenz.
Die Tagung endete mit einem herzlichen Dank an die Organisatoren des Initiativetreffens zu Würzburg, Maik Hendrik Sprotte und Till Knaudt, als vor allem an Udo Beireis und die Belegschaft des Siebold-Museums für die den Teilnehmern dort zuteilgewordene Gastfreundschaft.
(Protokoll: David Chwila)
27. Treffen an der Universität Halle-Wittenberg am 5./6. Juni 2016
Am Wochenende des 4. und 5. Juni 2016 fand das 27. Treffen der Initiative zur historischen Japanforschung in Halle statt. Insgesamt wurden vier Vorträge gehalten und lebhaft diskutiert. Zudem gab es Diskussionen zu einer möglichen Zusammenarbeit der Initiative mit einer Fachkollegenorganisation in Japan.
Vorträge:
Raji Steineck (Zürich): Das Hikohohodemi no mikoto emaki. Symbolische Konfiguration und soziale Konstellation eines Mythos im Wandel.
Der Vortrag geht der Fragestellung des Mythos als symbolischer Form im japanischen Mittelalter nach. Symbolische Konfiguration wird dabei verstanden als die Gestaltung der Instanzen der Kommunikation durch das Medium und seine symbolische Form. Nach Ernst Cassierer meint symbolische Form normativ spezifische und historisch entwickelte Arten der Sinngebung. Das bedeutet, dass Formen in verschiedenen Kontexten mit verschiedenen Sinngebungen verstanden werden: Eine Linie auf einem Bild in einem Museum wird anders verstanden als eine Linie in einem Koordinatensystem. Des Weiteren beeinflusst die soziale Konstellation, also das Verhältnis der an der Kommunikation beteiligten zueinander, die Sinngebung.
Untersucht wird diese Fragestellung anhand einer Bildrolle (emakimono), die als Hikohohodemi no mikoto emaki in einer Kopie aus dem 17. Jahrhundert überliefert ist. Das Original wurde in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in der Werkstatt des abgedankten Kaisers Go-Shirakawa (1127–1192, Amtszeit 1155–1158) produziert. Die Rolle greift eine Geschichte aus der ersten Reichschronik Nihon shoki über die göttlichen Vorfahren des Herrscherhauses auf. Die Rolle überträgt sie nicht nur in ein neues Medium, sondern wandelt sie auch in wesentlichen Punkten inhaltlich ab: Vom Original im Nihon shoki zur Bildrolle des Hikohohodemi no mikoto emaki wandelten sich Medium und symbolische Form von der imperialen Reichschronik (Recht) zur illustrierten Handschrift (Kunst). Verändert wurde auch die Konfiguration der Botschaft. So war im Original der Held kein „beschäftigungsloser Prinz“ wie im emakimono, sondern ein Jägerprinz. Sein Helfer im Original war der König des Meeres und die Prinzessin, nicht der Drachenkönig wie in der Bildrolle. Am Ende des Originals steht die Trennung der beiden Protagonisten und nicht wie im emakimono ein Ende in völliger Harmonie wie in einem Märchen.
Das ist auffällig, denn das Nihon shoki stellte im Altertum die verbindliche Fassung der Vor- und Frühgeschichte fest. Allerdings zeigt das emakimono, wie der Auftraggeber Go-Shirakawa mit der Bildrolle seine eigene Geschichte als ein jüngerer, überraschend auf den Thron gekommener Kaiser legitimiert. Die Bildrolle soll die Kompetenz Go-Shirakawas für die Aufgabe darstellen und seinen Ruf als Müßiggänger, den er in jungen Jahren hatte, konterkarieren. Damit weist die Bildrolle auf spätere Entwicklungen im Mittelalter hin, wo neue Mythologien entstanden, die zwar ältere Motive aus der Reichschronik aufgreifen, diese aber durch Erweiterungen, Kürzungen, Umbesetzungen von Figuren und Kombinationen mit anderen Traditionen abwandeln. Es handelt sich dabei um eine politische Strategie, bei der das mediale Spektrum und die Trägerschaft der Mythologie ausgeweitet werden. Mythen sind im Mittelalter nicht nur mehr wie im Altertum vornehmlich genealogisch-historische Narrationen, sondern wandern durch verschiedene Regionen Japans und in den Genres der darstellenden Künste.
Das Beispiel zeigt die konträren Befunde im mittelalterlichen Mythenbegriff in Japan. Dort koexistiert der Mythos mit anderen, entwickelten symbolischen Formen. Die Mythen inkorporieren elaborierte Produkte anderer Formate, z.B. Theologie, Naturkunde und ‑wissenschaft, Kunst oder Technik. Zudem werden Mythen ihrerseits inkorporiert in mythologische Techniken in Religion, Kunst, Wissenschaft.
In der Diskussion wurde dann die Frage nach der Glaubwürdigkeit von Mythen gestellt, die erkennbar abgewandelt werden. Die Frage danach, welche der Versionen als dann richtig angesehen werden, wurde dahingehende beantwortet, dass es bei der Abwandlung von Mythen im Mittelalter gang und gäbe war, bei einer Narration verschiedene Handlungsvarianten anzubieten. Diese Varianten erklären, das was da ist und was ohnehin schon gilt, verschiedene Versionen werden nicht hinterfragt, sondern nebeneinander akzeptiert.
Auf die Frage nach den Adressaten der Bildrolle wurde auf die Herausstellung der Legitimation von Go-Shirakawa gegenüber der kleinen Elite am Hof verwiesen. Die Frage danach, ob derartige Strategien häufiger von neuen Herrschern angewandt wurden, konnte nicht abschließend geklärt werden, aber es ist zu beobachten, dass Instanzen, die eine Statusveränderung anstrebten, dabei auch mit dem Mittel von Mythenveränderungen arbeiteten.
Thorsten Kerp (Bonn): Zwischen Koketterie und Galanterie. Männlichkeitsbilder im Japan des frühen 19. Jahrhunderts.
Der Vortrag beschäftigt sich mit Männlichkeitsbildern von Koketterie (iki) und Galanterie (kyô) im Japan des frühen 19. Jahrhunderts in Literatur, Theater und Farbholzschnitten und wie diese im Zusammenhang mit Gruppen wie den Städtern (chônin), den „Kindern Edos“ (edokko), der zivilen Brandwacht (machibikeshi) und den Ehrbahren/Unruhestiftern (otokodate) zu betrachten sind.
Ende der japanischen Frühneuzeit war die aufstrebende Bürgerkultur der Kriegermetropole Edo auf der Suche nach neuen subversiven Instrumenten für den Widerstand gegen die Restriktionen von Seiten des Kriegerstandes. Im Kampf um Boden der sozialen und kulturellen Felder manifestieren sich dabei zwei ikonische Männerbilder, welche den Diskurs der Zeit beeinflussen. Dabei stammt das erste Bild, das mit dem Begriff iki bezeichnet wird, aus den Rotlichtvierteln, wo der Begriff als eine Art endloser Flirt verstanden wird. Iki wird als eine Eigenschaft definiert, die den edokko eigen ist. Diese Koketterie beinhaltete eine gewisse rebellische Haltung, die sich gegen die Krieger richtete. Der Begriff wird verwendet für einen virilen Mann, ursprünglich entstanden im unverbindlichen erotischen Spiel zwischen Prostituierten und Besuchern der Vergnügungsviertel. Er spiegelt den von Männern ersehnten weiblichen Habitus ebenso wider wie das männliche Verhalten gegenüber dem anderen Geschlecht.
Die Galanterie (kyô) basiert auf den konfuzianischen Konzepten von ren (仁) und yi (儀). Sie wird gelebt von ehrbaren Männern (otokodate). Diese ehrbaren Außenseiter werden in der Literatur und auf der Bühne gefeiert und teils von den bunt tätowierten Feuerwehrmännern gelebt. Diese Verhaltensform wurde unter Männern kultiviert, diente der Förderung von Männerbünden und war vom Geist der Rebellion durchdrungen.
Beide Ideale waren hoch performative Aspekte bürgerlicher Identität, abhängig von Status, Beziehung und Anlass. Sie traten entweder in alltäglichen Begegnungen akut in Erscheinung oder blieben bloßes Gedankenspiel eines schweifenden Verstandes, vertieft in fantasievolle Theaterstücke oder Romane. In allen Fällen beeinflussen diese beiden halbfiktionalen Ideale zwischen heterosozial erotischem Spiel und homosozialen Männerbünden das Bild des zivilen Mannes von Edo und dienten als Werkzeug des Self-Empowerment in Antwort auf die diesen Männern verwehrten Kriegerprivilegien.
In der Diskussion wurde der Begriff des iki noch einmal beleuchtet: Iki ist etwas, das jemand „hat“ und nicht „ist“, es ist ein Habitusbegriff. Weiterhin wurde der im Vortrag verwendete Begriff des Bürgers problematisiert; denn chônin sind nicht gleich Bürger. Bemerkt wurde, dass Quellen, die sich damit befassen, was in Traktaten über Kabuki als „männlich“ und „weiblich“ bezeichnet wird, sehr weiterhelfen können zur Definition des Begriffs iki.
K.-Ulrike Nennstiel: (Sapporo): Die Bedeutung von Wald als Erholungsquelle von der Meiji-Zeit bis heute
In diesem Vortrag wurde ein Projekt vorgestellt, in dem das Thema Wald als Erholungsquelle anhand einer Analyse der Forstgesetzgebung der Meiji-Zeit sowie der Aktivitäten des Amts für Wissenschaft und Technologie (科学技術庁) in den 1960er Jahren exemplifiziert und in seinen Auswirkungen bis in die Gegenwart erörtert werden.
Holz- und Forstwirtschaft spielte in Japan bereits im Altertum eine wichtige Rolle. Spätestens seit der Edo-Zeit dienten die Waldbestände in Schrein- und Tempelanlagen auch als „Erholungsquelle“. Andererseits stieg während der Edo-Zeit der Holzverbrauch vor allem wegen aufwändiger Hausbauten enorm an. Dies brachte die Gefahren umfangreicher Abholzungen ins Bewusstsein.
Der Beginn neuzeitlicher Forstadministration wird auf die Zeit der Meiji-Restauration datiert. 1897 wurde das Forstgesetz (森林法) erlassen, das die Grundlage bildete für die Ausweisung von 風致保安林(„landschaftlich attraktiven Schutzwäldern“) und 公衆衛生林 („Wäldern für die öffentliche Gesundheit“). Seither lässt sich ein Tauziehen zwischen verschiedenen Ministerien und Interessengruppen um die Erholungsfunktion japanischer Wälder beobachten. Eine Analyse der historischen Entwicklung über die Waldnutzung in Japan seit Ende des 19. Jahrhundert bis heute zeigt hierbei, dass das zentrale Anliegen der Forstwirtschaft die Holzwirtschaft ist, und für den Erholungstourismus nur ein nachgeordneter Stellenwert bleibt.
Besonderes betont werden sollte, dass sich mittlerweile drei verschieden Akteure bzw. Akteursgruppen gegenüberstehen: 1. Das rinyachô (nationales Amt für Forst- und Landwirtschaft), 2. diverse Ministerien (Transportministerium, Sozial- und Gesundheitsministerium, Bildungsministerium usw.), die „Walderholung“ im Sinne „touristischer Erschließung“ verfolgen, und 3. sog. „Naturschützer“, die den Wald in möglichst „naturnahem Zustand“ erhalten wollen.
In der Diskussion wurden Fragen gestellt zur Definition von Waldbesitz, zum Akteur „Holzwirtschaft“, zum Begriff des eisei (衛生), also der öffentlichen Gesundheit im Zusammenhang mit der Erholungsfunktion des Waldes, nach Zeitpunkt und Intention der Errichtung von Nationalparks, und zur touristischen Nutzung des Waldes. Generell wurde dabei festgestellt, dass die Tendenz zu Beginn der Meiji-Zeit war, soviel Wald wie möglich in Staatsbesitz statt in Privatbesitz zu bekommen, zur Not mit Enteignungen. Die im Vortrag vereinfachend „Holzwirtschaft“ genannten Akteure sollen im Projekt in ihren Partikularinteressen näher untersucht werden. Oft handelt es sich dabei um einflussreiche Familien, die die ökonomische Nutzung von seit langem in ihrem Besitz befindlichem Wald durch politischen Lobbyismus verteidigten. Im Sinne der Schaffung von Erholungsraum, der touristisch genutzt wird, wurden besonders die Naturparks in der Nähe von Tokyo und die Naturparks auf Hokkaido erwähnt, die heutzutage auch sehr stark von Touristen aus dem asiatischen Ausland genutzt werden.
Fynn Holm (Zürich): Japans konfliktreicher Weg zur Walfangnation
Der Vortrag konzentriert sich auf den Küstenwalfang besonders in Ayukawa (in der Nähe von Sendai), wo es eine Walfangstation gibt, die vom Tsunami 2011 zerstört wurde. Dort wurde der Walfang erst 1906 eingeführt, allerdings gegen den starken Widerstand der örtlichen Fischer. Deshalb stellt sich die Frage, wie eine Region, in der Walfang stark abgelehnt wurde, später zu einem Zentrum des japanischen Walfangs werden konnte. Die Dissertation, die in diesem Vortrag vorgestellt wurde, stellt die Frage danach, wie sich die Sicht auf Wale und Walfang in den Fischereigemeinschaften der Sanrikuküste zwischen 1600 und 2011 geändert hat.
Während der Edo-Zeit bildete der Walfang einen festen Bestandteil der westjapanischen Fischerei. Alle Teile der Tiere wurden verwertet. Walfleisch galt als wichtige Proteinquelle, Walknochen eigneten sich für das Düngen von Reisfeldern und Walöl war zudem das einzig bekannte wirksame Mittel gegen Schädlingsbefall auf den Feldern. Doch alle Versuche, den Walfang auch im Nordosten des Landes einzuführen, scheiterten. Zwar gab es in den nördlichen Gewässern große Bestände an Meeressäugern, doch gefährliche Strömungen verhinderten deren Bewirtschaftung. Obwohl die Fischer die Wale von ihren Booten aus sehen konnten, blieben diese unerreichbar. Des Weiteren glaubten sie, dass die Tiere Fische an die Küste treiben würden. Für die Fischer stellte daher der Wal die Inkarnation des wohlstandbringenden Gottes Ebisu-sama dar. Deshalb galt dessen Bejagung als Tabu.
Erst als in der Meiji-Zeit neue Technologien aus Europa importiert wurden, wurden die Walbestände im Nordosten für große Unternehmen aus Westjapan interessant. Doch die lokalen Fischer protestierten gegen die Eröffnung von Walfangstationen in ihren Dörfern. Neben den religiösen Gründen führte insbesondere die Verschmutzung des Meeres durch Fabrikabfälle wie Walblut zu Unzufriedenheit. Die Situation eskalierte schließlich in Same bei Hachinohe im Jahr 1911, als ein Mob von über tausend wütenden Fischern die gerade geöffnete Walfangstation in Brand setzte. Für die Obrigkeit war dieser Gewaltexzess ein Schock und sie bemühte sich in der Folge um eine bessere Integration der lokalen Bevölkerung in die neue Industrie. Viele arbeitslose Fischer fanden dadurch eine neue Anstellung.
Nach dem Ende des traditionellen Küstenwalfangs Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich nämlich in Japan ein industrieller Walfang in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einerseits in Konkurrenz zu amerikanischen Walfängern, andererseits als Ausdruck der japanischen Regionalhegemonie mit Walfangstationen auch in Korea, Taiwan etc. Produkte aus Walen, insbesondere Walöl, wurden zu einem wichtigen Handelsgut mit Europa.
Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten die Unternehmen in den Dorfgemeinschaften jährliche Walfestivals nach westjapanischem Vorbild, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu steigern. Tatsächlich wurde der Walfang in den 1950ern als Teil der regionalen Identität angesehen, vergessen waren die Konflikte aus der Anfangszeit. Insbesondere in Ayukawa auf der Oshika-Halbinsel setzten sich die Fischer in der Folge stark für einen Erhalt des Walfanges ein. Dies geschah trotz sinkender Erträge aufgrund der Überfischung und Protesten von Umweltverbänden aus Europa. Aus der anfänglich Walfang ablehnenden Region im Nordosten Japans entwickelte sich die am stärksten befürwortende Gegend. Sie war dadurch maßgeblich an der Bildung der gegenwärtigen japanischen Walfangnation beteiligt.
In der Diskussion wurde dann besprochen, wie die dominierenden Familien in den abgeschiedenen Dörfern an der Sanrikuküste in den industriellen Walfang integriert wurden, um die Ansiedlung von großen Walfangunternehmen zu ermöglichen. Diese Unternehmen gingen im Verlauf des Zweiten Weltkriegs in der Regel zwar unter, aber man kann von einem Wiederanfang des Walfangs an der Küste insofern sprechen, als dass die Akteure nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls aus der Walfangindustrie stammten und einen Aufschwung besonders in den 1960er Jahren erzielten. An diese Zeit denken die Menschen in Ayukawa heute mit Nostalgie zurück. Walfang ist dort heutzutage eine Invented Tradition, die nicht nur durch die lokalen Feste gepflegt wird. Es gibt einen Film aus den 1950ern mit einem Walfangthema, der Walfang taucht durchweg positiv in den regionalen Schulbüchern auf und wird im Tourismus vermarktet. Die Auswirkungen des Walfangs auf die Umwelt werden nur durch äußere Akteure wie Greenpeace und Sea Shepherd seit den 1990er Jahren problematisiert, in Japan gibt es keine offen auftretende Anti-Walfang-Lobby.
Weiterhin besprochen wurde die Frage nach den Quellen für die Dissertation. Hier taucht das Problem der Zerstörung von lokalen Primärquellen durch den Tsunami 2011 auf. Die Arbeit stützt sich deshalb u.a. auf nachgedruckte Quellen aus der Edo-Zeit, regionale Zeitungen aus dem 20. Jahrhundert, Unterlagen aus der Dorfpolitik zur Errichtung von Walfangstationen und Interviews mit Akteuren aus der Region. Vorgeschlagen wurde zusätzlich bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer nach Quellen zu suchen und der Frage nachzugehen, ob in der Edo-Zeit in Nordostjapan nicht einfach das Kapital für den Walfang gefehlt hat.
Diskussion:
Im Anschluss an die Vorträge berichtete Wolfgang Seifert über einen Vorschlag des japanischen Kollegen Prof. Miyake Akimasa (Chiba daigaku). Er möchte die Zusammenarbeit der Mitglieder der Dōjidai-shi gakkai (同時代史学会, englischer Name: Japanese Association for Contemporary Historical Studies / JACHS) und deutschen Japanhistorikern stärken. (Zu dieser 2002 gegründeten Vereinigung und ihren Forschungsthemen siehe deren Internetseite) Konkret wird vorgeschlagen, erstens, dass in der jährlich erscheinenden Zeitschrift der JACHS, im „Japanese Journal of Contemporary History“, ein Artikel eines/r deutschen/r Japanhistoriker/in veröffentlicht wird, und zwar in japanischer Übersetzung. Diese Übersetzung wird von JACHS übernommen. Umgekehrt sollte ein japanischer Beitrag in englischer Übersetzung in dieser ansonsten auf Japanisch publizierten Zeitschrift erscheinen, wobei sich die deutsche Seite um die Übersetzung kümmert. Zweitens wird vorgeschlagen, dass an der Jahrestagung der JACHS im Dezember eine Person aus der deutschen historischen Japanforschung als Referent oder als Kommentator teilnimmt. (Es wurde nicht erwähnt, ob die Kosten von japanischer Seite übernommen werden.) Die anschließende Diskussion setzte sich kontrovers damit auseinander, wie diese Art des Austauschs praktisch umgesetzt werden könnte. Die Idee eines Austauschs wurde generell begrüßt, verwiesen wurde aber auch auf die praktischen Probleme, die entstehen, wenn jemand gesucht wird, der japanische Artikel ins Englische übersetzt (Wer hat dazu Zeit? Wie wird die Qualität der Übersetzung in die Fremdsprache Englisch sichergestellt?). Deutlich wurde, dass unsere locker organisierte „Initiative zur historischen Japanforschung“ nicht als Pendant zu JACHS gelten kann. Da die Realisierung eines solchen Austauschs nur durch persönliche Kontakte und persönlichen Einsatz erreicht werden kann, endete die Aussprache zum Thema damit, dass Wolfgang Seifert dazu aufrief, die Idee weiter zu verbreiten und sich ggf. zur Mitarbeit in einem solchen Austausch bei ihm zu melden.
(Protokoll: Anke Scherer)
28. Treffen an der Freien Universität Berlin am 12./13. November 2016
Am 12. und 13. November 2016 fand das 28. Treffen der Initiative zur historischen Japanforschung am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin statt. Die Initiative dankt der Gesellschaft für Japanforschung für die finanzielle Unterstützung des Treffens sehr herzlich.
Anwesend waren in Berlin: Niels Bader (Berlin), Michael Facius (Berlin), Detlef Foljanty (Berlin), Maj Hartmann (Leuven), Oliver Hartmann (Berlin), Robert Kraft (Leipzig), Gerhard Krebs (Berlin), Martha Menzel (Berlin), Dolf-Alexander Neuhaus (Frankfurt), Alessa Peters (Berlin), Jakub Poprawa (Bochum/Berlin), Fabian Schäfer (Erlangen-Nürnberg), Katja Schmidtpott (Berlin), Tino Schölz (Halle-Wittenberg), Momoko Segawa (Berlin), Detlev Taranczewski (Bonn), Wolfgang Thiele (Berlin), Daniel Wollknik (Bochum), Urs Matthias Zachmann (Berlin), Dinah Zank (Berlin)
Das Treffen wurde eingeleitet durch Grußworte von Prof. Katja Schmidtpott und Prof. Urs Matthias Zachmann, die beide die japanische Geschichte am Ostasiatischen Seminar der Freien Universität Berlin vertreten. Beide berichteten kurz über den erfreulichen Ausbau geschichtsbezogener Forschung an der lokalen Japanologie in den letzten Jahren, der sich unter anderem in steigenden Zahlen von Abschlussarbeiten und dem Ausbau der historischen Bestände in der Bibliothek niederschlägt. Ko-Veranstalter Michael Facius ließ Grüße von Prof. Sebastian Conrad und Jun.-Prof. Nadin Heé ausrichten, die am Friedrich-Meinecke-Institut ebenfalls unter anderem zur japanischen Geschichte forschen, sich zum Zeitpunkt des Treffens aber nicht in Berlin aufhielten. Vor dem Einstieg in die Fachvorträge gab es wie in diesem Format üblich eine kurze Vorstellungsrunde.
Vorträge:
Daniel Wollnik (Bochum): Zur Frühgeschichte des Telefons in Japan — Der Diskurs um seine Einführung in Politik und Medien im 19. Jahrhundert.
Zum Ausgangspunkt seines Vortrags, der auf einer kürzlich abgeschlossenen Masterarbeit basiert, nahm Daniel Wollnik die in der Technikgeschichte verbreitete Irritation darüber, dass Japan zwar von Beginn an mit der Technologie des Telefons vertraut war (der Japaner Kaneko Kentarō besuchte Alexander Graham Bells Vorlesungen), diese aber erst um die Jahrhundertwende ernsthafte Verbreitung erfuhr. Wollnik kritisierte, dass dem ein stark vereinfachendes Fortschrittsnarrativ zugrunde liege, das zudem häufig mit kulturalistischen Erklärungsmustern einhergehe, die dazu neigen, bestimmte Charakteristika der Japaner für den „Fehlstart“ verantwortlich zu machen. Er ging stattdessen von der umgekehrten Annahme aus: es reicht nicht aus, dass neue Technologien komplexer und mächtiger sind als ihre Vorgänger. Um sich durchzusetzen, haben sie sich in verschiedenen Bereichen – politisch, ökonomisch, kulturell, etc. zu beweisen.
Um die Ursachen der vergleichsweise späten Verbreitung nuancierter zu verstehen, widmete sich Wollnik in seiner Masterarbeit insbesondere zwei Quellenarten: bürokratischer Korrespondenz über das Telefon in den Ministerien und Artikel in den großen Tageszeitungen Asahi und Yomiuri Shinbun. In seinem Vortrag bettete er diese Quellenanalysen jedoch in vielschichtige Überlegungen dazu ein, wie verschiedene Faktoren kultureller, ökonomischer, technologischer und politischer Natur ineinandergriffen. Eines seiner Kernergebnisse war, dass die Innovationsschwelle zur Verbreitung des Telefons in Japan höher war als anderswo: die Kosten für den Aufbau einer telefongerechten Infrastruktur waren hoch, während der zusätzliche Nutzen gegenüber dem Telegrafen als gering eingestuft wurde. Wie die frühe Bezeichnung denwa denshinki (etwa gesprächsübertragender Telegraf) andeutet, wurde es zuerst eher als ein Telegraf 2.0 denn als eine eigenständige Technologie wahrgenommen. Zudem war der Telegraf von Anfang an eng mit politischen und militärischen Funktionen verknüpft, so dass potenzielle „early adopters“ in der Geschäftswelt oder den wohlhabenden Schichten fehlten.
Die Diskussion brachte weitere Facetten der Frühgeschichte des Telefons ins Spiel. So kamen auch kulturelle Einstellungen zum Telefon zur Sprache, wie etwa die Angst, per Telefongespräch mit Cholera angesteckt zu werden oder das Gerücht, Telefone würden Brände verursachen. Solcherlei Sorgen wendeten sich mit zunehmender Präsenz und wachsendem sozialen Status der Technologie um die Jahrhundertwende in positive Zuschreibungen, wie etwa die Behauptung in nun erstmals erscheinenden human interest stories in der Zeitung, das Telefon sei ein Wundermittel gegen Ehebruch.
Alessa Peters (Berlin): Geschichte und Tourismus auf der Tōkaidō-Straße.
Alessa Peters berichtete ausführlich von ihrer Reise auf der Tōkaidō-Straße, des wichtigsten Landverkehrswegs der Tokugawa-Zeit. Auf ihrem Fußmarsch von etwa 100 Kilometern auf dem Straßenabschnitt zwischen Tokyo und Hakone spürte sie den materiellen Überbleibseln der ursprünglichen Straße wie auch den Paraphernalia der heutigen Erinnerungskultur – Gedenksteine, Informationstafeln, kulinarische Spezialitäten – nach. In ihrem Vortrag schnitt sie ihr gewissermaßen ethnografisches Material mit Informationen über die historischen Charakteristika der Straße gegen: auf der einen Seite die Welt von Eilboten, Meilensteinen und Reiseerlaubnissen, auf der anderen Seite Rekonstruktionen von Wachtürmen, Garagentore, die mit Bildern der berühmten Serie über die Straße von Hiroshige bemalt sind oder lokal organisierte Symposia von Anwohnern und Gewerbetreibenden.
Auffällig war dabei, wie sehr der Zustand der Straße, Bemühungen zur Bewahrung ihrer Geschichte und seine kulturelle und touristische Erschließung sich lokal unterschieden. Während Städte wie Hakone sich mit Nachbildungen ganzer Gebäudegruppen (im Fall Hakones einer der wichtigsten Grenzposten des Tokugawa-Staats) schmücken, ist in Teilen von Shinagawa nicht einmal ein Hinweisschild auf den ursprünglichen Straßenverlauf zu finden. Um diesen nachzuvollziehen, nahm Frau Peters einen der zahlreichen Spezial-Reiseführer für historische Spaziergänge zur Hand. Diese und andere Medien mit Tokaidō-Bezug, darunter den Twitter-Account @kaido_now und eine Smartphone-App, stellte sie abschließend knapp vor.
Die Diskussion kreiste hauptsächlich um die Frage, wie mit dieser reichen Materialsammlung, die Frau Peters als Basis für ihre BA-Arbeit dienen wird, weiter zu verfahren sei. Ihre Teilnahme an einem Symposium in Hodogaya und der Besuch zahlreicher Begegnungszentren (kōryūkan) legte einen ethnologischen Zugang nahe, bei dem etwa die Frage im Vordergrund stehen könnte, wie die Geschichte der Tokaidō-Straße lokal erlebt und bewahrt wird, welche Personengruppen mit welchen Interessenslagen daran beteiligt sind und wie sie den Umgang mit dem historischen Erbe in konkreten kulturellen Praxen von der Garagenbemalung bis zum Aufstellen von Hinweisschildern umsetzen. Andere Diskussionsteilnehmer schlugen einen komplementären Zugang vor, der den Anschluss an rezente Debatten zu japanischen Geschichtsbildern suchen würde und bei dem eher die diskursiven und symbolischen Funktionen der Edo-Zeit und der Tokaidō-Straße im Vordergrund stünden.
Jakub Poprawa (Bochum/Berlin): Kōshin/Erneuerung? Der konfuzianische Gelehrtenverein Shibunkai nach dem Krieg, 1945–64
Jakub Poprawa brachte den TeilnehmerInnen in seinem Vortrag, der ebenfalls auf einer kürzlich abgeschlossenen Masterarbeit basiert, die Aktivitäten des Gelehrtenvereins Shibunkai und insbesondere seine Neuausrichtung nach der japanischen Niederlage im zweiten Weltkrieg näher. Dazu warf er zuerst einen Blick auf die Gründungszeit des Vereins, der im Jahr 1918 aus dem Zusammenschluss seines Vorgängers Shibun gakkai mit weiteren konfuzianischen Vereinen hervorging. Die 800‑1000 Mitglieder rekrutierten sich aus Elitenkreisen von Adligen, Politikern und Industriellen bis hin zu Sinologen und Kanbun-Lehrern.
Die Staatsnähe der Shibunkai und der Einsatz konfuzianischer Versatzstücke als ideologisches Werkzeug in Japans imperialer Expansion und während des zweiten Weltkriegs ließen den Verein nach der japanischen Niederlage in einem schlechten Licht dastehen. Anhand eines eingehenden Studiums der Nachkriegsausgaben der Vereinszeitschrift Shibun, die ab 1948 wieder erschien, analysierte Poprawa, wie die Mitglieder der Shibun mit diesem Bruch umgehen. Er kam dabei zu dem Schluss, dass von einer wirklichen Erneuerung, die im Vereinsmagazin häufig beschworen wurde, nur sehr eingeschränkt die Rede sein konnte. Zwar begegnet dem Leser entsprechendes Vokabular und zahlreiche Beschwörungen. Doch zugleich wiesen die Mitglieder die Kriegsverantwortung von sich. Im Gegenteil perpetuierten sie noch den Missionsgedanken der Vorkriegszeit, dass es Japan zufalle, in der Welt Frieden zu schaffen, und dass konfuzianische Moral das passende Werkzeug dazu sein könne.
Dem ausgeprägten Missionsbewusstsein, das die Mitglieder in zahllosen Reden und Kommentaren erkennen ließen, stand ein institutioneller Wandel entgegen, der die Shibunkai schrittweise von einem einflussreichen Interessensverband und Transmissionsriemen staatlich gelenkter moralischer Erziehung schrumpfen ließ zum vornehmlich lokal in Tokyo wirksamen Sachwalter des sinitischen kulturellen Erbes, der hauptsächlich mit der Erhaltung der Heiligen Halle von Yushima, der Ausrichtung einer konfuzianischen Zeremonie und dem Anbieten von Kanbun-Kursen betraut war.
Die Diskussion brachte weitere Aspekte hervor, die den Begriff der Erneuerung in Frage stellten. Viele Mitglieder sahen unter Bezugnahme auf die vom Shōwa-Kaiser bei der japanischen Kapitulation gesprochenen Worte die „Bewahrung des Volkskörpers“ als wichtigste Aufgabe des Vereins an. Auf die Frage nach der inneren Organisation des Vereins in der Nachkriegszeit machte Poprawa deutlich, dass hier keineswegs demokratische Strukturen Einzug hielten, sondern bis auf die Entfernung einzelner besonders kompromittierter Mitglieder aus den Leitungsorganen an der hierarchischen Verfasstheit der Vorkriegszeit festgehalten wurde.
Projektvorstellung und Organisatorisches:
Detlev Taranczewski (Bonn) stellte die Themensetzung des Sonderforschungsbereichs 1167 „Macht und Herrschaft“ (siehe Internetseite) vor, der vor Kurzem in Bonn seine Arbeit aufgenommen hat. Taranczewski zeigte sich erfreut, dass in dem SFB die Regionalwissenschaften und die Geschichtswissenschaften produktiv zusammenkommen. Er selbst verantwortet das japanbezogene Projekt, dass zum Ziel hat, die Reproduktion von Eliten im Übergang von der späten Heian- zur Kamakura-Zeit zu beleuchten. Die erste große Aufgabe des Projekts ist es, diese Eliten prosopografisch, das heißt durch Ausleuchtung ihrer Netzwerke und Beziehungen, zu erfassen. Dazu wird in Kürze auch ein Workshop in Bonn stattfinden, bei dem KollegInnen aus Deutschland und Japan zusammenkommen.
Robert Kraft (Leipzig) skizzierte die Idee für seine gerade begonnene Masterarbeit. Sie soll das Denken der einflussreichen Intellektuellen Miyake Setsurei und Uchimura Kanzō untersuchen. Kraft ist es insbesondere um ihr, wie er es nennt, Missionsdenken zu tun, das heißt, ihre Vorstellung davon, was Japans Beitrag zur Welt sein könne. Der erste Schritt in seiner diskurstheoretisch und ideengeschichtlich begründeten Arbeit wird darin bestehen, ein relevantes Begriffskorpus zu erstellen.
Wolfgang Thiele (Berlin), der vor kurzem von einem Archivaufenthalt aus Tokyo zurückgekehrt war, berichtete von seinem gerade laufenden Masterprojekt. Dieses untersucht die Aktivitäten von Taiwanern, die sich in Opposition zur Herrschaft der Kuomintang befanden und nach dem zweiten Weltkrieg und insbesondere dem Beginn des „Weißen Terrors“ im Jahr 1947 aus Taiwan flohen und unter anderem in Japan ins Exil gingen. Ein wichtiger Quellenkorpus für Thiele ist die von Exiltaiwanern um Ong Iok-tek (Wang Yude) herausgegebene Zeitschrift Taiwan seinen.
Im Herbst fand ein Wechsel der Betreuung des Internetauftritts der Initiative statt. Die Initiative dankt Maik H. Sprotte sehr herzlich für sein langjähriges und vorbildhaftes Engagement beim Aufbau und der Betreuung der Homepage. Diese Aufgabe geht nach nunmehr 14 Jahren an Tino Schölz über, der sich über die Mithilfe weiterer Interessierter freuen würde. Schölz rief außerdem die Bibliografie der deutschsprachigen historischen Japanforschung (siehe Internetseite) in Erinnerung, die inzwischen 1700 Datensätze aufweist und weiterhin von Maik H. Sprotte betreut wird, und bittet um Mitarbeit durch die Einsendung relevanter Titel.
Das nächste Treffen der Initiative wird am 6./7. Mai an der Katholischen Universität Leuven und damit zum ersten Mal im nahen nicht-deutschsprachigen Ausland stattfinden. Um potenziellen TeilnehmerInnen vor Ort entgegenzukommen, wird ein Teil des Treffens auf Englisch abgehalten werden. Die Organisation wird von Maj Hartmann ( majantonie.hartmann(AT)kuleuven.be ) und Jan Schmidt ( jan.schmidt(AT)kuleuven.be ) übernommen.
Führung
Der letzte Programmpunkt des Treffens war ein gemeinsamer Besuch der Mori-Ōgai-Gedenkstätte (siehe Internetseite) in Berlin-Mitte. Die Gedenkstätte befindet sich gerade im Umbau und in der Vorbereitung auf eine neue Dauerausstellung. Die Kuratorin, Beate Wonde, nahm sich viel Zeit, um in die Geschichte des Ortes und die dort stattfindenden zahlreichen Veranstaltungen einzuführen. Ihre Führung begann mit der Nutzung durch den bedeutenden Mediziner, Intellektuellen und Schriftsteller Mori Ōgai (1862–1922) selbst, der einige Zeit in Berlin wohnhaft und tätig war und führte über die Gründung der Gedenkstätte zur Zeit der DDR bis hin zur finanziell und organisatorisch nicht immer einfachen Situation einer „Nischen“-Gedenkstätte in der Gegenwart.
Wonde gab auch einen Einblick in die Pläne für die Neugestaltung der Dauerausstellung, die durch ihre Formatierung in Zukunft mehr auf die Bedürfnisse und Betrachtungsgewohnheiten eines jüngeren Publikums eingehen soll. Sie soll auch erstmals komplett zweisprachig in Deutsch und Japanisch angeboten werden und damit den interkulturellen Dialog zwischen Deutschland und Japan, für den Mori Ōgai steht, in die Gegenwart fortführen.
(Protokoll: Michael Facius)
29. Treffen an der Japanologie der Katholischen Universität Leuven am 6. und 7. Mai 2017
Das 29. Treffen der Initiative zur historischen Japanforschung fand diesmal am 6. und 7. Mai 2017 an der Japanologie der Katholischen Universität Leuven statt.
Anwesend waren: Anja Batram (Bochum), Yannick Brack (Leuven), Francesco Campagnola (Ghent), Bert Collin (Leuven), David De Cuoman (Leuven), Felix Deuries (Leuven), Eva-Lotta Deveyler (Leuven), Leonardo Guerra (Leuven), Maj Hartmann (Leuven), Nadja Kischka-Wellhäuser (Bonn), Till Knaudt (Heidelberg), Stefan Köck (Wien), Jonathan Krautter (Berlin), Regine Mathias (CEEJA), Erich Pauer (CEEJA), Thorben Pelzer (Bochum), Anke Scherer (Köln), Daniel Schley (Bonn), Jan Schmidt (Leuven), Tino Schölz (Halle), Lieven Sommen (Leuven), Willi Vande Walle (Leu-ven), Dimitri Vanovenbeke (Leuven), Melina Wache (Bochum), Daniel Wollnik (Bochum), Shiro Yukawa (Bonn), Stephanie Zgouridi (Berkeley)
Vorträge:
Thorben Pelzer (Bochum): The School of Natural Justice. Chinese Anarchists in Tokyo in the First Decade of the Twentieth Century.
Nach einer Vorstellungsrunde beschäftigte sich Thorben Pelzer im ersten Vortrag mit der sogenannten Schule der natürlichen Gerechtigkeit chinesischer Anarchisten, die sich in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts in Tokyo aufgehalten haben. Der Name der Gruppe geht zurück auf die Zeitschrift „Natürliche Gerechtigkeit“ (Tiānyì), die 1907–1908 von den beiden chinesischen Anarchisten Héyīn Zhèn (ca. 1884–ca. 1920) und ihrem Mann Liú Shīpéi (1884–1919) in Tokyo herausgegeben wurde. Die Ideologie dieser Schule verlangte eine Rückkehr zu einem Zustand natürlicher Gerechtigkeit, bei der durch eine Wiederherstellung der ursprünglichen Natur Familie und Geschlechterunterschiede abgeschafft werden sollten. Eine der beiden Herausgeber von Tiānyì, Héyīn Zhèn, wurde in den letzten Jahrzehnten von der Forschung als eine Pionierin des sozio-konstruktiven Feminismus identifiziert, eine systematische Analyse der intellektuellen Einflüsse auf diese Denkrichtung wurde aber noch nicht vorgenommen.
Diese Analyse hat Thorben Pelzer in seiner gerade abgeschlossenen Masterarbeit vorgenommen und dabei u.a. die Einflüsse von Denkern wie den Sozialisten Kōtoku Shūsui (1871–1911) und Sakai Toshihiko (1871–1933) sowie den buddhistischen Denkern Zhāng Tàiyán (1868–1936) und Sū Mànshū (1884–1918) ausgemacht. Insgesamt stellte Thorben Pelzer fünf große Einflussfaktoren auf das Denken der Schule der natürlichen Gerechtigkeit fest: Sozialismus in seiner westlichen und japanischen Ausprägung ebenso wie westliche und japanische Vorstellungen von Feminismus, literarische Traditionen wie die Romantik, unorthodoxe Vorstellungen aus dem Bereich des Neokonfuzianismus der Ming-Zeit (z.B. Vergleiche von Wang Yangming mit Bakunin) und Konzepte aus der Kokusui-Schule.
Die Diskussion nach dem Vortrag begann mit der Frage danach, warum die Autoren der Zeitschrift Tiānyì auf Traditionen zurückgriffen, um die Zerstörung von Traditionen zu verlangen. Dies führte Pelzer darauf zurück, dass Liú Shīpéi eine klassische Bildung im konfuzianischen Sinn genossen hatte. Schon in der chinesischen Antike taucht die Vorstellung vom einem lange vergangenen Goldenen Zeitalter auf, in dem die Welt in einem naturbelassenen Zustand in Ordnung war und zu dem die Anhänger der Schule zurückkehren wollten. Es wird angemerkt, dass die Anhänger auf historischen Fotos sehr traditionell und wenig revolutionär aussehen.
Die in Tokyo lebenden Aktivisten hatten den vorliegenden Erkenntnissen nach keine Verbindungen zu koreanischen Feministinnen. Einige der Artikel in der Zeitschrift Tiānyì befassten sich mit zeitgenössischen sozialen Fragen der japanischen Gesellschaft, denn die Zeitschrift erschien in einer Zeit in Japan, in der viele verschiedene soziale Themen und Bewegungen die Öffentlichkeit beschäftigten, so zum Beispiel eine Diskussion über die Todesstrafe.
Weiterhin diskutiert wurde, wie der mögliche Widerspruch zwischen Anarchismus und sehr genauen Plänen der Realisierung desselbigen, wie zum Beispiel kollektiver Kindererziehung, zu verstehen sei. Diese Pläne haben sehr kollektivistische Vorgaben, die aber den mit Anarchismus oft assoziierten individualistischen Ansprüchen widersprächen.
Jonathan Krautter (Berlin): Business-Government Interaction in Japan’s High Growth Era, 1955–1973. The Industrial Politics of International Technology Transfer.
Den zweiten Vortrag hielt Jonathan Krautter über die von ihm geplante Dissertation, in der es um japanischen Industriepolitik und die Interaktion zwischen der japanischen Regierung und Firmen in der Hochwachstumsphase (1955–1973) gehen soll. Zu Beginn seines Vortrags stellte er den Forschungsstand vor. Viele Forscher sehen einen direkten Zusammenhang zwischen der Industriepolitik des Ministeriums für Internationalen Handel und Industrie (Ministry of International Trade and Industry/MITI) und dem wirtschaftlichen Erfolg Japans in der Hochwachstumsphase. Bis vor kurzem gab es zwei große Erklärungsansätze über diesen Zusammenhang und damit die Auswirkungen der japanischen Industriepolitik. Der Ansatz, der auf Chalmers Johnson zurückgeht, hat den so genannten Entwicklungsstaat im Fokus. Hier greift der Staat (z.B. durch Lizenzvergabe, Zölle, Subventionen etc.) lenkend in die Wirtschaftsentwicklung ein und erreicht damit hohe Wachstumsraten. Diese Erklärung lehnen einige Wirtschaftswissenschaftler aber mit dem Hinweis daraufhin ab, dass das Eingreifen des Staates vertreten durch das MITI die Entwicklung in Wirklichkeit behindert hat.
Ein oft als typisch japanisch bezeichnetes Instrument der Industriepolitik ist die so genannte Administrative Guidance (gyōsei shidō), womit rechtlich unverbindliche Weisungen und Leitlinien gemeint sind, die das MITI an japanische Firmen ausgegeben hat. In einigen Studien wurden die diesem Ansatz zugrundeliegenden Konzepte sowie ihre institutionelle Verankerung untersucht, aber der wichtige Aspekt der tatsächlichen Durchführung dieser Art von Industriepolitik auf der Firmenebene wurde bislang von der Forschung vernachlässigt. So haben Volkswirtschaftler, die den quantitativen Aspekt der Subventionen untersucht haben, die schwer zu quantifizierbaren Auswirkungen von Administrative Guidance meist ignoriert. Sozialwissenschaftler, die sich mit dem polit-ökonomischen System oder dem MITI beschäftigen, vernachlässigen die Rolle der Unternehmen. In beiden Fällen werden Unternehmen als eine Art Black Box betrachtet, die entweder als passive Adressaten Industriepolitik aus-führen oder als Akteure Industriepolitik aktiv hintertreiben. Da aber Firmen im kapitalistischen japanischen Wirtschaftssystem eine wichtige Rolle als Grundeinheit der Produktion spielen, kann Industriepolitik nur in Zusammenarbeit mit ihnen umgesetzt werden. Ziel der vorgestellten Dissertation soll es deshalb sein, diese Forschungslücke zu füllen und die Frage danach zu beantworten, wie die Umsetzung von Industriepolitik konkret auf der Firmenebene aussah und welchen Effekt diese Umsetzung die Firmen hatte. Vorgesehen sind umfangreiche Archivstudien in Europa, den USA und Japan, bei denen Quellen zum Entscheidungsprozess in Firmen, die von der Industriepolitik des MITI betroffen waren, aus dem Bereich des Technologietransfers untersucht werden sollen. Fallstudien anhand dieser Quellen sollen Aufschluss darüber geben, wie konkrete Vorgaben des MITI auf der Firmenebene umgesetzt wurden.
In der Diskussion über das Dissertationsvorhaben ging es zuerst um die Frage nach der Zugänglichkeit von Archiven, besonders von Firmenarchiven, in Japan. Hier wurde vor allem auf die Gesellschaft japanischer Archivare verwiesen, die Informationen über Zugangsmöglichkeiten zur Verfügung stellen könnte, sowie auf Institutionen wie die Industrie- und Handelskammern oder andere Industrieverbände, die bei der Quellensuche ebenfalls behilflich sein können. Als ein generelles Problem der Arbeit wurde dann aber der Studienumfang besprochen. Da schon einzelne Vorgänge in den Firmenakten erfahrungsgemäß viele Quellen an verschiedenen Stellen hinterlassen, scheint eine umfassende Zusammenstellung vieler verschiedener Vorgänge als zu ambitioniert im Rahmen einer auf drei Jahre angelegten Studie. Auch Begrifflichkeiten können bei der Quellensuche zu Problemen führen, da zum Bei-spiel der ins Zentrum der Studie gestellte Begriff des Technologietransfers zwar in europäischen Quellen verwendet wird. In Japan aber wurde durch das Devisenkontrollgesetz gesteuert, welche Art von Technologie eingeführt werden konnte. Da hier das Hauptaugenmerk auf der Freigabe der zum Ankauf der Technologie notwendigen Devisen lag, wird Technologietransfer in japanischen Quellen in der Regel unter dem Begriff Kapitalimport subsumiert.
Francesco Campagnola (Ghent): Brief introduction of Conference Project „Paradigms of Change in Modernising Asia and America“
Als dritten Punkt am ersten Tag des Treffens stellte dann Francesco Campagnola eine an der Universität Ghent für den Oktober 2017 geplante Tagung mit dem Titel „Paradigms of change in modernising Asia and America“ vor. Ergebnisse der Tagung sollen in der von Francesco Campagnola und Li Man gemeinsam herausgegeben nächsten Nummer der Zeitschrift Jour-nal of Global History veröffentlich werden. Die Tagung will die Terminologie des Wandels im außereuropäischen Kontext untersuchen, weil die Organisatoren davon ausgehen, dass im 18. und 19. Jahrhundert außerhalb von Europa durch die jeweils anderen Umstände neue Bedeutungsfelder des Begriffes entstanden sind. Beispiele sind Auffassungen von Revolution in China oder der amerikanische Modernisierungsbegriff, aber auch die japanischen Vorstellungen von Revolution, Restauration, Evolution usw. Zielsetzung der Konferenz ist die Erforschung von Begriffen und Narrativen, die von Intellektuellen und Politikern aus Nordamerika und Asien zur Diskussion über die in den jeweiligen Ländern eingeschlagen Entwicklungswege benutzt wurden. Als Keynote Speaker eingeladen sind Wang Hui von der Qinghua Universität und Jon Davidann von der Universität Hawai’i. Weitere Informationen über die Tagung befinden sich auf der Internetseite.
Stefan Köck (Wien): „Grown weary of Buddhism?“ – A Report on the FWF Project Shintō-uke – Religious Control via Shintō-Shrines.
Den ersten Vortrag am Sonntag hielt Stefan Köck zum Thema “Grown weary of Buddhism?“, in dem er von einem Projekt an der Universität Wien zur Erforschung der Praxis der Kontrolle von Religionszugehörigkeit durch Shinto-Schreine, dem so genannten shintō-uke, berichtet. Ausgangspunkt des Projekts ist die systematische Verfolgung so genannter häretischer Gruppen im frühen 17. Jahrhundert durch das Tokugawa-bakufu und die dadurch entstandenen neuen Elemente in der japanischen Religions- und Politikgeschichte. Zu Beginn der Tokugawa-Zeit wurden Maßnahmen eingeführt, die vor allem der Überwachung von christlichen Aktivitäten dienen sollten. Diese entwickelten sich aber in der Mitte des 17. Jahrhunderts zu Maßnahmen, mit denen alle religiösen Aktivitäten kontrolliert wurden. Das daraus resultierende Kontrollsystem, das auf Japanisch tera-uke genannt wird (System der Tempel-Zertifikate, das durch die Zwangsmitgliedschaft in buddhistischen Tempelgemeinden gekennzeichnet war), führte in der Folge zu einer stärkeren Bindung buddhistischer Institutionen an das bakufu. Einige Zeit nach der Etablierung dieses Kontrollmechanismus ist aber dann die Einführung einer neuen Praxis zu beobachten, bei der diese Erfassung der Rechtgläubigkeit durch Shinto-Schreine anstatt in buddhistischen Tempeln stattfand, das so genannte shintō-uke. Dieses wurde von Mitte der 1660er Jahre bis in die späten 1680er Jahre in mindestens drei bedeutenden Daimyaten (Mito, Aizu und Okayama) systematisch angewandt. Allerdings wurde die Praxis dann als Abweichung vom Standard kritisiert und wieder aufgegeben.
Das Forschungsprojekt untersucht die bislang weitgehend unbekannte Praxis des shintō-uke. Dabei wurden für seine Entstehung ein neo-konfuzianisch informierter, stark anti-buddhistischer Diskurs ausgemacht. Dieser wurde befeuert durch die Kritik am Zugewinn von Reichtum und Macht buddhistischer Tempel und sowie innerbuddhistische Konflikte mit als „häretisch“ bezeichneten Gruppen. Im Zuge der Einführung des shintō-uke wurde die institutionelle Trennung von Tempeln und Schreinen vorgenommen, und es kam zu anti-buddhistischen Ausschreitungen, wie wir sie auch vom Beginn der Meiji-Zeit kennen. Stefan Köck zeigte an einigen Beispielen, wie nach der Zerstörung buddhistischer Tempel die zugehörigen Priester ohne Weiteres zu Kami-Priestern nahegelegener Shinto-Schreine gemacht wurden, was aber auch darauf hinweist, dass es im 17. Jahrhundert keine klare Trennung zwischen Buddhismus und dem, was heute Shinto genannt wird, gab, sondern dass man entsprechend vorgebildeten Menschen die Ausübung religiöser Praktiken in beiden Bereichen zutraute.
Insgesamt steht das Projekt im Zusammenhang mit der Frage, wie sich Shinto als eigenständige Religionsform etablierte. Während z.B. viele heutige Forscher die Meiji Zeit als den Zeitpunkt ansehen, zu dem Shinto als unabhängige Religion entstand, weist das Projekt auf Präzedenzfälle hin, die mehr als 200 Jahre davor stattfanden.
In der Diskussion ging es u.a. darum, wie sich der Wechsel der religiösen Affiliation der Priester auf deren Alltagspraxis auswirkte und in wie weit Shinto als Konzept zur fraglichen Zeit überhaupt schon greifbar war. So finden sich in den Quellen vor allem Begrifflichkeiten aus dem Buddhismus und Neo-Konfuzianismus. Es wurde angezweifelt, dass der Begriff des shintō-uke aus der Zeit stammt. Vielmehr wird eine spätere Entstehung der Begrifflichkeit in Anlehnung an den Begriff des tera-uke vermutet.
Projektvorstellung und Nachrichtliches:
Im letzten längeren Vortrag des Treffens stellte Regine Mathias die Japan-Bibliothek des Centre Européen d’Études Japonaises d’Alsace (CEEJA) vor. Das CEEJA genannte Institut geht auf einen privaten Verein zurück, der sich die akademische Japanforschung und die Verbreitung von Kenntnissen über japanische Kultur in Europa zur Aufgabe gemacht hat. Es ist untergebracht in einem Gebäude, das eine Geschichte als religiöse Einrichtung und später als Mädcheninternat hat. Von 1986 bis 2006 wurde das Gebäude als Internat für japanische Schüler genutzt. Aus diesem Zusammenhang heraus wurde 2001 das CEEJA gegründet. Aus der Zeit als japanisches Internat hat das Institut eine Bibliothek mit englischen, französischen und japanischen Büchern über Japan. In diese existierende Bibliothek werden derzeit die Privatbestände von Regine Mathias und Erich Pauer überführt. Nach der Fertigstellung wird die Bibliothek um die 100.000 Büchern zu allen japanbezogenen Themen enthalten, besonders zur japanischen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Technikgeschichte, Bergbaugeschichte, Geschichte von Arbeit und Gewerkschaften, Biographien, historische Karten, historische Demographie, Bevölkerungsgeschichte und japanologische Fachzeitschiften, dazu Spezialsammlungen wie Holzschnittdrucke aus der Edo-Zeit, die deutsch-japanischen Beziehungen und Japanliteratur). Ziel der Schenkung ist, dass sich die Bibliothek zu einem Zentrum entwickelt, in dem sich wissenschaftliche Aktivitäten wie Konferenzen zu Japan entwickeln. Das Institut bietet deshalb neben der Bibliothek auch Unterkunftsmöglichkeiten für Symposien und Forschungsaufenthalte an.
Im Anschluss wies Willi Vande Walle, Gründer und Emeritus der Japanologie in Leuven, auf eine Tagung der EAJRS (European Association of Japanese Resource Specialists) vom 13. bis 17. September in Oslo hin und erläuterte, wie wichtig Kenntnisse über den Umgang mit allen Arten von Quellen – der Fokus dieser jährlich stattfindenden Fachtagung – gerade auch für Japanhistoriker sind. Näheres findet sich unter Internetseite.
Die nächste, 30. Tagung der „Initiative zur historischen Japanforschung“ findet am 25. & 26. November 2017 an der Ostasienabteilung der Staatsbibliothek Berlin und am Ostasiatischen Seminar bei der Japanologie der Freien Universität Berlin statt. Sie wird von Christian Dunkel (StaBi, Christian.Dunkel(AT)sbb.spk-berlin.de) und Maik Hendrik Sprotte (FU, maik(AT)sprotte.name) organisiert werden. Für die Treffen im Jahr 2018 gibt es bereits Pläne, sich im Mai im CEEJA zu treffen und im November 2018 wieder in Bochum zu tagen.
(Protokoll: Anke Scherer)
30. Treffen an der Staatsbibliothek zu Berlin und an der Japanologie der FU Berlin am 25. und 26. November 2017
Das 30. Treffen der Initiative zur historischen Japanforschung fand am 25. und 26. November 2017 an der Staatsbibliothek zu Berlin und der Freien Universität Berlin statt.
Anwesend waren: Niels H. Bader (Berlin), Glenn Bauer (Heidelberg), Ulrich Brandenburg (Zürich), Lena Bultmann (Hamburg), Aline Dreher (Bochum), Christian Dunkel (Berlin), Michael Facius (Berlin), Lisette Gebhardt (Frankfurt), Elena Giannoulis (Berlin), Oliver Benjamin Hemmerle (Grenoble / Mannheim), Irmela Hijiya-Kirschnereit (Berlin), Nadja Kischka-Wellhäußer (Bonn), Verena Klein (Bochum), Antje Klippstein (Berlin), Franziska Klorer (Baden-Baden), Ami Kobayashi (Berlin), Matthias Koch (Berlin), Stefan Köck (Wien), Robert Kraft (Leipzig), Barbara Markert (Berlin), Vera Markert (Berlin), Martha-Christine Menzel (Berlin), Fuyuko Miwa (Berlin), Henriette Mühlmann (Hamburg), Miya Nakamura (Berlin), Jakub Poprawa (Bochum / Berlin), Steffi Richter (Leipzig), Matthias K. Scheer (Hamburg), Anke Scherer (Köln), Katja Schmidtpott (Bochum), Tino Schölz (Halle), Fritz Schumann (Berlin), Wolfgang Seifert (Heidelberg), Maik Hendrik Sprotte (Berlin), Julia Süße (Berlin), Rei Tanaka (Berlin), Wolfgang Gerhard Thiele (Berlin), Alexander Toby Wolf (Berlin), Urs Matthias Zachmann (Berlin), Dinah Zank (Berlin)
Vorträge:
Christian Dunkel (Berlin): Der Fachinformationsdienst CrossAsia.
Zu Beginn der Veranstaltung stellte Christian Dunkel, Fachreferent für Japan an der Staatsbibliothek Berlin, den Fachinformationsdienst CrossAsia vor. Nach der Abschaffung der durch die DFG geförderten Sondersammelgebiete im deutschen Bibliothekswesen betreut die Ostasienabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin zusammen mit ihren Kooperationspartnern, der Universitätsbibliothek und dem Südasien-Institut der Universität Heidelberg, seit Januar 2016 den von der DFG geförderten Fachinformationsdienst „CrossAsia – FID Asien“. Das bestehende Dienstleistungsangebot umfasst neben der Fernleihe von originalsprachlicher Literatur aus Ostasien über den so genannten „Blauen Leihverkehr“ u.a. den Zugang zu lizenzpflichtigen Datenbanken über das Portal crossasia.org für registrierte Nutzer*innen, die Lizenzierung neuer Datenbanken, einen nachfrageorientierten Digitalisierungsservice, die Integration der NDL-OPAC Daten und die Möglichkeit direkter Anschaffungsvorschläge. Da die Ostasienabteilung ihren Bestandsaufbau auch an den Interessen der Nutzerinnen und Nutzer orientiert, ermutigt Christian Dunkel die Anwesenden ausdrücklich, benötigte Literatur in Form von Anschaffungsvorschlägen oder Bestellungen über den Blauen Leihverkehr zu machen.
Robert Kraft (Leipzig): Das Missionsdenken des Philosophen Miyake Setsurei.
Robert Kraft (Universität Leipzig) hielt den zweiten Vortrag über das Missionsdenken des Philosophen Miyake Setsurei (*1860-†1945) in den 20er Jahren der Meiji-Zeit (1887–1896). Bei diesem Missionsdenken („Mission“ als Übersetzung der japanischen Ausdrücke tenshoku 天職/ ninmu 任務/ shimei 使命/ shokubun 職分) handelt es sich der Definition Robert Krafts zufolge um die Idee, die Japaner müssten einen Beitrag zur Welt leisten, zu dem sie aufgrund bestimmter japanischer Charakteristika befähigt und zugleich verpflichtet seien. In Anlehnung an die sprachphilosophisch inspirierte Ideengeschichte Quentin Skinners und die Diskurstheorie Michel Foucaults geht Robert Kraft in seiner Untersuchung den Fragen nach, was bestimmte Akteure in konkreten historischen Konstellationen mit der Artikulation dieser Missionsidee zu tun intendierten (Skinner: Illokution), in welche diskursiven Strukturen das Ganze eingebettet war, und wie sich das trotz weitgehend gleichbleibender inhärenter Logik der Idee im historischen Verlauf veränderte. Ziel ist es, mithilfe einer Verknüpfung ideengeschichtlicher und diskurstheoretischer Ansätze das Denken individualisierter Akteure in diskursiven Zusammenhängen zu erfassen, wobei Robert Kraft sein Vorgehen ausdrücklich weder als Ideengeschichte à la Skinner noch als Diskursanalyse à la Foucault versteht. Vielmehr erarbeite er sich im Rekurs auf die Arbeiten dieser beiden einen Begriffskorpus, der es ihm ermöglichen soll, das Missionsdenken entsprechend seiner Fragestellungen zu greifen und zu begreifen.
Nach einem kurzen Überblick über diese theoretisch-methodologischen Erwägungen stellte Robert Kraft zunächst anhand ausgewählter Texte das Missionsdenken Miyake Setsureis inhaltlich vor und widmete sich dann einer Zusammenfassung des sprachlichen Kontextes. Im Zuge seiner Ausführungen wies er auf den einen zivilisierten Westen und einen unzivilisierten Orient dichotomisch gegenüberstellenden Sprachgebrauch in Europa und den USA hin (Orientalismus), der im Japan der frühen und mittleren Meiji-Zeit in ähnlicher Form übernommen wurde (orientalistische Heteronomie des Selbstverständnisses) und sich realpolitisch in den Verwestlichungsbemühungen der Meiji-Regierung ausdrückte. Die Seikyōsha, in der Miyake eine leitende Position innehatte, vertrat in Opposition dagegen einen nationalistischen Standpunkt, der u. a. mithilfe des Missionskonzepts artikuliert wurde. Robert Kraft identifizierte daher die Herausforderung der hegemonialen Position im Zivilisationsdiskurs als Illokution des Missionskonzepts Mitte der Meiji 20er Jahre. Jedoch wurde der Nationalismus der Seikyōsha spätestens ab 1891 zu einem Asianismus erweitert, der Japan eine führende Rolle in Asien zugestand und eine Expansion des Landes zwecks Erfüllung seiner Mission implizierte. Schließlich verschob sich Robert Kraft zufolge die Illokution des Missionskonzepts weg von der Herausforderung eines orientalistisch geprägten Zivilisationsdiskurses hin zur Rechtfertigung des Krieges Japans gegen China in den Jahren 1894/95. Abschließend gab Robert Kraft einige Einblicke in die Umstände der Ausbildung Miyakes Missionsdenkens sowie seiner Artikulation bzw. Kommunikation nach außen, um den zuvor herausgestellten sprachlichen Kontext weiter gesellschaftlich und politisch zu kontextualisieren.
In der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion wurde zunächst kontrovers diskutiert, ob die vorgestellte Untersuchung grundsätzlich zu deskriptiv sei. Dazu erklärte Robert Kraft, dass sich sein Vorgehen mitnichten auf eine bloße Beschreibung dessen beschränke, was in den historischen Quellen geschrieben steht, sondern darüber hinaus der Frage nachgehe, was Miyake mit seinen Aussagen zu tun gedacht haben könnte. Die Kritik, dem Anspruch einer Diskursanalyse nicht gerecht zu werden, wies er zurück, indem er nochmals betonte, dass er keine Diskursanalyse machen wolle, wie Foucault sie vorschlug, sondern er seine Arbeit als eine im Kern ideengeschichtliche verstehe, die versuche, frühere Ansätze Foucaults wie auch Skinners produktiv für die eigenen Fragestellungen zu verarbeiten. Die Nachfrage, ob die Missionsidee Miyakes tatsächlich im Kontext von Zivilisationsdiskurs und Nationalismus zu verstehen sei oder nicht doch vielmehr im Kontext von Imperialismus, beantwortete Robert Kraft mit dem Verweis auf seinen Betrachtungszeitraum. Demnach sei das Missionsdenken Miyakes in den Meiji 20er Jahren wie beschrieben zunächst in einen Zivilisationsdiskurs einzuordnen. Imperialistische Tendenzen seien erst mit der Zeit stärker hervorgetreten. Angesprochen auf viele im Vortrag geäußerte Mutmaßungen über das Denken Miyake Setsureis erklärte Robert Kraft, dass sich diese auf die Lektüre zahlreicher Texte (und die Arbeit an der Übersetzung eines dieser Texte) des Philosophen stützten, die zwar nicht in jedem Fall mit letzter Sicherheit, aber doch zu einem gewissen Grad Aufschluss über sein Denken und rezipierte Einflüsse geben könnten. Dem Hinweis, dass eben solche Einflüsse auch aus der östlichen und nicht nur der westlichen Philosophie gestammt haben könnten, stimmte Robert Kraft seinerseits mit dem Hinweis zu, in seinem Vortrag nicht das Gegenteil behauptet zu haben. Auf die Frage, ob Miyake nur allgemein vom „Westen“ gesprochen oder sich auch konkret zu einzelnen Ländern geäußert habe, erklärte Robert Kraft, dass es zwar einer erneuten, gezielten Analyse der entsprechenden Quellen bedürfe, um zu ermitteln, welche Aussagen sich dort in concreto zu einzelnen Ländern finden und wie selbige einzuordnen sind, für seine Untersuchung jedoch zunächst der Befund genüge, dass Miyake beim Vergleich der „östlichen“, besonders der „chinesischen und indischen Philosophie“ (so nennt Miyake den Konfuzianismus und den Buddhismus) mit dem, was er als „westliche Philosophie“ bezeichnete, zahlreiche europäische Länder unter dem Begriff „Westen“ subsumierte.
Fritz Schumann (Berlin): Giftgas und Kaninchen: Die Geschichte von Ōkunoshima
Den dritten Vortrag hielt der Journalist Fritz Schumann (Berlin) zum Thema „Giftgas und Kaninchen: Die Geschichte von Ōkunoshima“. Über die Insel Ōkunoshima in der Präfektur Hiroshima heißt es, diese Insel habe drei Kriege erlebt, da sie bereits für den Russisch-Japanischen Krieg als Verteidigungsanlage ausgebaut, im Zweiten Weltkrieg für die Herstellung von Giftgas und im Koreakrieg als Versorgungsbasis genutzt wurde. Von 1929 bis 1944 wurden dort Giftgas und chemische Kampfstoffe für den Einsatz in China hergestellt. Die Basis war geheim, selbst die Mitarbeiter schwiegen bis in die 1980er Jahre über ihre Arbeit. Auch wenn die japanische Regierung bis heute den damaligen Einsatz tödlichen Gases abstreitet, so finden sich bis heute in China und in Japan Spuren der Chemikalien und befüllte Sprengkörper, die in beiden Ländern Menschen krank machen.
Das Gas, welches auf Ōkunoshima gelagert wurde, hatte das Potential mehrmals so viele Menschen zu töten, wie im heutigen Tōkyō leben. Es war die größte Fabrik ihrer Art in Asien. 1946 wurden die Restbestände vergraben, im Meer versenkt oder im Land verteilt. Dabei ist Giftgas wie Uran oder radioaktive Kampfstoffe noch Jahrzehnte nach der Entsorgung gefährlich. Bis 2008 sind Fälle dokumentiert, in denen Menschen in Japan Überreste entdeckten und anschließend erkrankten oder sogar starben. Im 19. Jahrhundert entstand hier eine Basis für den Russisch-Japanischen Krieg. Im 2. Weltkrieg rüstet man auf, um zunächst Giftgas nach deutschen und französischen Design zu produzieren, und später auch nach eigenen Rezepten. 1946 säuberten die Alliierten die Insel – nur um sie kurze Zeit später als Basis und Versorgungstation für die amerikanische Marine im Korea-Krieg zu nutzen.
Heute ist Ōkunoshima als die „Kaninchen-Insel“ bekannt. Durch zahlreiche Online-Videos, in denen hunderte Kaninchen auf die Besucher stürmen, erlangte die Insel eine erneute Berühmtheit, obwohl die dunkle Geschichte der Insel selten erwähnt wird. In den 1960er Jahren wurde Ōkunoshima zum Erholungsgebiet erklärt und die Kaninchen gezielt angesiedelt. Wo früher die Giftgas-Fabrik stand, ist heute ein Hotel. Über der Abteilung, wo nach deutschen Rezept gebraut wurde, steht heute ein Tennisplatz. Erst Ende der 80er Jahre wurde auf Drängen von lokalen Aktivisten ein Museum eingerichtet, das durch Spenden finanziert werden konnte. Dort wird auch die Täterseite thematisiert und es gibt regelmäßige Seminare für die, die mehr über die Geschichte erfahren wollen.
Doch die wenigen, die sich an die Fabrik erinnern oder die dort sogar als Schüler arbeiteten, und die wenigen Freiwilligen, die über die Vergangenheit aufklären, gehören der älteren Generation an. Über die Geschichte der Insel ist Gras gewachsen — über das Kaninchen hüpfen. Fritz Schumann plant einen Dokumentarfilm über die Problematik des Umgangs mit Giftgas im Nachkriegsjapan, zu dem er in der Diskussion ermutigt wird.
Weitere Informationen zu Herrn Schumann und seinem Projekt finden sich auf seiner Internetseite.
Glenn Bauer (Heidelberg): Die beginnende deutschsprachige Japanforschung im 19. Jahrhundert.
Zum Abschluss des ersten Tages hielt Glenn Bauer (Heidelberg) einen Kurzvortrag zum Thema „Die beginnende deutschsprachige Japanforschung im 19. Jahrhundert“. Darin stellte er seine Masterarbeit vor, in der er sich detailliert mit der die frühe Japanforschung nach der erzwungenen „Öffnung“ Japans beschäftigen will; denn während die frühe Genese der Japanologie vor 1853 in der deutschsprachigen Forschung durchaus Aufmerksamkeit genießt, gibt es über die Folgezeit einige nur einige wenige Überblicksdarstellungen sowie das umfassende bibliographische Werk Wolfgang Hadamitzkys.
Im Rahmen dieses Projekts soll anhand von Zeitschriftenartikeln in wissenschaftlichen Journalen im deutschsprachigen Raum zwischen 1853 und 1900 das wachsende akademische Interesse an Japan und die sich daraus ergebende Japanforschung untersucht werden. Dabei sollen anhand von zwei Schwerpunktthemen – Forschung über die Geschichte Japans vor 1853 und Forschung über aktuelle politische Entwicklungen – zum einen Veränderungen der Artikel und Akteure im Laufe des Betrachtungszeitraums beleuchtet, sowie potentielle Unterschiede im Rahmen der Diskurs- und Argumentationsschwerpunkte herausgearbeitet werden. Aufgrund der großen Maße der Publikationen in Zeitschriften wird die Untersuchung auf den deutschsprachigen Raum, die zwei umrissenen Forschungsfelder und den genannten Betrachtungszeitraum begrenzt; denn ab 1900 liegt eine zu große Anzahl der Zeitschriftenartikel vor, um noch in der Masterarbeit berücksichtigt werden zu können.
Neben den diskursgeschichtlichen Punkten soll auch in den Blick genommen in wie weit sich Zeitschriftenartikel gegenseitig zitieren bzw. aufeinander Bezug nehmen, also ob sich Forschungszirkel beginnen herauszubilden. Auch ist dabei von Interesse, welche Rolle der Kontakt mit bzw. der Aufenthalt in Japan spielt und ob sich durch die Hinzunahme japanischer Quellen rasch Wissenshierarchien herausbilden. Von besonderem Interesse ist hierbei die Frage, ob sich die „Spaltung“ in frühe japanologische Forschung und „reguläre“ historische Forschung bereits aufzeigen lässt, wie sie auch heute in vielen Hochschulen und Forschungsstandorten tradiert wird.
In der Diskussion wird darauf verwiesen, dass in der Arbeit die Bücher außer Acht gelassen werden, die von Wissenschaftlern zu Japan verfasst wurden, die eher in den Sozialwissenschaften verortet als der Japanologie zugerechnet werden. Glenn Bauer erklärt dies mit der Notwendigkeit, das Quellenmaterial einzugrenzen.
Stefan Köck (Wien): Antisemitismus und Denunziantentum als einzige Option? – Ramming, Gundert und Handlungsmöglichkeiten für Japanologen in der NS-Diktatur.
Der Zweite Tag des Initiative-Treffens begann mit einem Vortrag von Stefan Köck (Wien) zum Thema „Antisemitismus und Denunziantentum als einzige Option? – Ramming, Gundert und Handlungsmöglichkeiten für Japanologen in der NS-Diktatur“. Spätestens seit Studien wie Worm (1994), Hack (1995), Schütte (2004) oder Bieber (2014) ist bekannt, dass der größte Teil der offiziellen Vertreter der deutschsprachigen Japanologie in der Zeit der NS-Diktatur das System mitgetragen haben und in unterschiedlicher Form zu Tätern wurden. In seinem Vortrag schilderte Köck einen Fall, der aus den Akten des ehemaligen Japan Instituts Berlin ersichtlich ist, die im Rahmen des Projekts „Reconstruction of the Holdings of the former Japan Institute Berlin (1926 – 1945)“ im Jahr 2016 an der Ruhr-Universität Bochum gesichtet werden konnten. Die Akten wurden der Fakultät für Ostasienwissenschaften in den 1970er Jahren von Martin Ramming überlassen. Dabei ging es konkret um einen Besuch des französischen Japanologen Charles Haguenauer in Deutschland im Jahr 1937, bei dem er auch seine deutschen Kollegen treffen wollte. In seinem Vortrag schilderte Stefan Köck, wie sich an dem Verhalten von Martin Ramming (1889 – 1988, deutscher Leiter des Japaninstituts) und Wilhelm Gundert (1888 – 1971, Professor in Hamburg als Nachfolger von Karl Florenz) unterschiedliche Haltungen zur NS-Diktatur offenbarten. Zwar waren beide Mitglied beim NSDDB, aber Gundert war 1934 in die NSDAP eingetreten. Ramming dagegen hielt sich politisch zurück, was auch in Kollegenkreisen bekannt war.
Charles Haguenauer hatte sich zunächst mit der Nachricht an Ramming gewandt, dass er eine Studienreise nach Deutschland plane, und bat diesen um Terminabstimmung. Diese Terminvermittlung wurde von Ramming vorangetrieben, doch zeigte sich bald, dass Wilhelm Gundert diese Gelegenheit nutze, Ramming politisch und ideologisch unter Druck zu setzen. Für Ramming entstand so die Notwendigkeit, sich in der Sache an das Auswärtige Amt zu wenden. Die dadurch erhaltenen Briefe zeigen, das Gundert sich deutlich mit nationalsozialistischem Gedankengut identifizierte. Ramming hielt eine distanzierte Haltung zum Regime, verteidigte Haguenauers Pläne (der Jude war) und vermied jeglichen Verweis auf diese religiöse Zugehörigkeit des Kollegen. Es ist allerdings nicht bekannt wie die Begebenheit schließlich ausging, da sich hierzu bisher keine Dokumente finden ließen.
Das Beispiel zeigt laut Köck, wie unterschiedlich ausgeprägt die Haltungen in der Japanologie der NS-Zeit sein konnten. So gab es auf der einen Seite parteitreue Antisemiten wie Gundert, auf der anderen Seite Kollegen wie Ramming, die Distanz zum Regime hielten – um Zugeständnisse allerdings auch nicht herumkamen.
Die Frage, wie sich die heutige Japanologie zu ihren Vertretern und Werken aus der NS-Zeit verhalten soll, beschäftige denn auch die Anwesenden in der anschließenden Diskussion, bei der man sich auch angeregt darüber austauschte, wie die einzelnen Institute und Standorte diese Thematik in Lehre und Forschung einfließen lassen bzw. auf die Agenda setzen könnten.
Wolfgang Gerhard Thiele (Berlin): Dekolonisations- und Menschenrechtsdiskurs im Taiwanischen Nationalismus, 1960–2002.
Den zweiten Vortrag des Sonntags bestritt Wolfgang Gerhard Thiele (Berlin) mit seinem Vortrag über „Dekolonisations- und Menschenrechtsdiskurs im Taiwanischen Nationalismus, 1960–2002“.
In Tōkyō formierte sich 1950 die Taiwanische Unabhängigkeitspartei (Taiwan dokuritsu tō) unter der Führung von Liao Wenyi, die 1955 in der selbsternannten Exilregierung der Republik Taiwan (Taiwan kyōwakoku rinji seifu) unter Führung desselben aufging. Seitdem war Japan das Zentrum der taiwanischen Unabhängigkeitsbewegung (TWU) im Exil. Ziele der Bewegung waren das Ende der Diktatur der (bis 1988 von Festlandchinesen dominierten) Chinesischen Nationalistischen Partei (KMT) in Taiwan und die Gründung eines taiwanischen Nationalstaates, so dass Taiwan unabhängig von der Volksrepublik China (VRC) bliebe. Seit der Rückkehr Liaos nach Taiwan 1965 (aufgrund von Drohungen der KMT gegen seine Familie, die noch in Taiwan war) bildete der Kreis um die 1960 in Tōkyō gegründete und interkontinental verteilte Studenten-Zeitschrift Taiwan Chinglian* (Taiwan seinen) den Mainstream der taiwanischen Unabhängigkeitsbewegung. Nach dem Vorbild von Taiwan Chinglian gründeten sich während der 1960er in Nordamerika und Westeuropa weitere nationale Verbände der taiwanischen Unabhängigkeitsbewegung, die sich 1970 zu World Formosans for Independence (Taiwan dokuritsu kenkoku renmei, WUFI) mit Sitz in New York vereinigten. Im Laufe der friedlichen Demokratisierung Taiwans nach 1987 kehrten die meisten Exil-Aktivisten nach Taiwan zurück, wobei sich ein Großteil der 1986 gegründeten (und derzeit regierenden) Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) anschloss und 1996 auch den ersten Präsidentschaftskandidaten der DPP, Peng Mingmin, stellten.
Schwerpunkt von Wolfgang Thieles Arbeit und Vortrag ist die Entwicklung der Doktrin des Taiwanischen Nationalismus innerhalb der Mainstream-Fraktion der Unabhängigkeitsbewegung in Japan, die er anhand der von 1960 bis 2002 publizierten Monatszeitschrift Taiwan Chinglian aufzeigt.
Dabei zeigt sich, dass sich die TWU mit anderen Antikolonialbewegungen identifizierte (z.b. in Algerien), woran ein bis in die 1990er anhaltenden anthi-chinesischer Ethno-Nationalismus Diskurs beitrug. Letzteres wurde in der bisherigen Forschung anders dargestellt. Beide Phänomene beeinflussten die Doktrin der TWU insbesondere in den späten 60er und frühen 70er Jahren stark. Ähnlich verhielt es sich mit einem zweiten Schub, ausgelöst durch die Revolution in den Philippinen und das Ende des Apartheid-Regimes in Südafrika in den 80er und 90er Jahren. Diese Ausrichtung der TWU an der sogenannten „Dritten Welt“ wurde bisher nur unzureichend beleuchtet. Im Anschluss an den Vortrag wurde die Frage aufgeworfen in wie weit denn Diskussionen zum Kommunismus innerhalb der TWU geführt wurden, was Thiele bejaht, aber im Vortrag ausgespart hatte um sich auf die anti-koloniale Thematik fokussieren zu können. Auch die Rolle der japanischen Regierung, die Thiele grade mit Blick auf die gegenwärtige Zeit mehrfach thematisierte mit Verweis auf die Verbindung zwischen DDP auf taiwanesischer und LDP auf japanischer Seite, wurde hinterfragt. Letztere tolerierte die Aktivitäten der TWU in Japan ja auch nach dem Nixon-Schock 1973 – warum? Thiele nahm dies als dankbare Anregung auf.
Lisette Gebhardt (Frankfurt a.M.): Die Historisierung moderner japanischer Literatur und ihrer Erforschung – Japanologische Fachgeschichte, zeitgeschichtliche Perspektiven, Zeitgeist.
Den dritten Vortrag des Sonntags bestritt Lisette Gebhardt (Frankfurt/Main) mit dem Thema: „Die Historisierung moderner japanischer Literatur und ihrer Erforschung – Japanologische Fachgeschichte, zeitgeschichtliche Perspektiven, Zeitgeist“.
Das Abstrakt skizziert die Situation, wie Gebhardt sie beschreibt: Der renommierte Literaturhistoriker Donald Keene ist seit vier Jahren temporäres Lebendausstellungsobjekt in seinem eigenen Museum in Niigata. Ōe Kenzaburō feiert 2018 seinen 83. Geburtstag und für Murakami Haruki, den literarischen Revolutionär der 1980er, wird bereits das 40. Jahr seines Wirkens registriert. Wird man sich als Japanologe der Geschichtlichkeit seiner Forschungen bewusst, stellt eine Bilanzierung den nächsten Schritt dar – man ist Teil dieser Phasenverschiebung ins Historische geworden. Als Zeitzeuge japanologisch-literaturwissenschaftlicher Forschung ist die Veränderung der Forschungslandschaft einer bewussten Beobachtung im Sinne zeitgeschichtlicher Betrachtung wert. Japanologie, eine Wissenschaft, die sich im Geiste altphilologischer Quellenkunde nach 1900 an deutschen Universitäten etablierte, gedieh nach 1945 als philologisches Bestreben in der alten BRD, um sich vielleicht erst nach der sozialwissenschaftlichen Wende der 1970er in den 1980er Jahren neuen Strömungen zu öffnen. Frei nach dem Motto „Historiker entdecken die eigene Zeit“ (Jan Eckel) setzt sich Gebhardts Projekt – dass sie auf dem Orientalistentag in Jena erstmals vorstellte — eine zeitgeschichtliche, kritisch argumentative Reflexion japanologischer Fachgeschichte zum Ziel – von den Entwicklungen nach 1945 bis hin zu den neueren und neuesten Entwicklungen im Zeichen von Bildungsreform und der Bologna-Reformen der frühen 2000er Jahre. Dabei skizzierte Gebhardt wie sich eine kritische Japanologie formieren könnte. So sollte eine moderne, reflektierte Literaturgeschichte, angereichert durch eine Fachgeschichte, welche die ideologischen Konjunkturen offenlegt, Teil der Seminare werden. Dazu gehöre auch die Frage nach Wechsel von Forschungsschwerpunkten (und Bewusstmachung nicht-behandelter Themen) und Begrifflichkeiten sowie die Hinterfragung der Forschung im Nachgang der Fukushima-Katastrophe. Gebhardt plädierte nachdrücklich dafür, dass sich die europäische Japanologie nicht von der Kritik, wie sie z.B. im 2017 erschienen Buch „Rethinking Japanese Studies“ (von Okano Kaori und Sugimoto Yoshio) formuliert wurde und den immer mehr von immer mehr von einem „akademischen Markt“ bestimmten Themensetzungen beindrucken lassen solle.
Es entbrannte im Anschluss eine kontroverse Diskussion über die Lage des Fachs, die in einigen Punkten nahtlos an den Vortrag von Köck am Morgen anschloss. Schwerpunkt der neuerlichen Diskussion wurde die Frage, in wie weit japanische Institutionen – meistens „Forschungsinstitute“ — versuchen die Japanologie in Europa (wobei sich aufgrund der Teilnehmer meistens auf deutsche Beispiele bezogen wurde) zu beeinflussen und deren Agenda auf die „richtigen“ Inhalte zu lenken. Insbesondere die Frage nach Religionsforschung, die in den letzten Jahren wieder sehr viel Fahrt aufnahm, ist dabei häufiges Thema von japanischer Seite aus.
Ami Kobayashi (Berlin): Der Gang als politische Choreographie – Politische Schulfeier zur Nationalstaatsbildung in Deutschland und Japan (1873–1945).
Der letzte Vortrag des Initiativetreffens beschäftigte sich wieder mit der Zeit vor 1945. Ami Kobayashi (Berlin) stellte dabei ihre Dissertation zum Thema „Der Gang als politische Choreographie – Politische Schulfeier zur Nationalstaatsbildung in Deutschland und Japan (1873–1945)“ vor.
In dieser wird der Gang als politische Choreographie, die eine (staats-) politische Bedeutung repräsentiert, analysiert. Im Kontext der Entstehung moderner Nationalstaaten wurde u.a. durch Einführung der Schulpflicht und des Militärdienstes der normierte Gang als pädagogische Praxis u.a. im Bereich des Turnunterrichts und militärischer Übungen (Marschieren) zum Gegenstand der Erziehung. Dabei beschäftigt sich Kobayashi vor allem mit der Frage, mit welchen Mitteln die modernen Staaten den unterschiedlichen individuellen Gang ihrer Staatsbürger zu vereinheitlichen und politisch zu „choreographieren“ versuchten und welche pädagogischen Diskurse und institutionalisierten Einübungspraktiken es dabei gab. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem in Turnstunden choreographierten Gang, dessen Zweck eine erfolgreiche Aufführung (schön und stolz aufmarschieren) bei politischen Veranstaltungen war. Bei politischen Schulfeiern war der Doppelcharakter des Gangs, nämlich zugleich individuelle Bewegung und Element einheitlicher Nationalstaatlichkeit, besonders sichtbar.
In ihrer Dissertation vergleicht Kobayashi Marschübungen und politische Schulfeiern der deutschen Gymnasien und japanischen Junior High Schools (kyūsei chūgakkō). Beispielhaft werden hierzu die Hauptstädte beider Länder, die auch Zentren politischer Feierlichkeiten, herangezogen.
Als Quellen werden hauptsächlich die Jahresberichte der Berliner Gymnasien, die Schul-Club-Zeitschriften der japanischen Sekundarschule (gakuyūkai zasshi) und weitere relevante Dokumente aus dem Brandenburgischen Landesarchiv (Akten des Provinzial Schulkollegiums) und aus den Tōkyō Metropolitan Archives berücksichtigt. Dabei zeigt sich, dass das Tragen von Kimono und Yukata sowie die Arbeit im Reisfeld in Japan eher für eine „abstützende“ Form des Laufens sorgen, die aber nicht in das Bild eines Nationalstaates nach „westlichem“ Vorbild passten. Daher wurden, v.a. nach preußisch-deutschem Vorbild, nach und nach Marschier- und Disziplinär-Übungen eingeführt. Besonders mythologisch nationalistisch erhöhte Termine wurden dabei besonders zu solchen Übungen und Zeremonien genutzt, die sukzessive immer weiter formalisiert wurden. Die Wurzeln dieser Zeremonien finden sich dabei z.B. in der Anrufung von Sugawara no Michizane (Als Tenman-Tenjin bzw. Tenjin im Shintō verehrt) in terakoya (寺子屋) und anderen religiösen Zeremonien der Edo-Zeit. Vor allem das Singen von Liedern war dann eine der Neuerunger der Meiji-Zeit, die auch von deutschen Beispielen beeinflusst wurde.
Ab den 30er Jahren fand eine zunehmende Radikalisierung statt (ähnlich in Deutschland durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten). So wurden Marschier- und Leibesübungen immer wichtiger und die Schulfeiern nahmen auch einen immer stärker militaristischen Charakter an. Dabei sollte das einheitliche Marschieren den patriotischen Geist verkörpern. Dieses Phänomen endete in beiden Ländern abrupt 1945 durch das Ende des Krieges.
Im Anschluss wurde nachgefragt in wie weit man schon in der Edo-Zeit von choreographierten Gang sprechen könne in Hinblick auf das sankin kōtai (参勤交代) Prinzip. Fr. Kobayashi verwies auf den Zweck dieser Regel als Machtdemonstration und Kontrolle durch das bakufu, weshalb hier die Art des Gangs nicht im Mittelpunkt stand, sondern die reglementierte Zusammensetzung der Reisegruppen und die Regelmäßigkeit der Reisen.
Organisatorisches:
Am Ende wurde noch folgende Organisatorische Punkte besprochen:
Maik Hendrik Sprotte erinnert daran, dass er weiterhin gerne Meldungen von Publikationen für die von ihm administrierte betriebenen Bibliographie zur historischen Japanforschung entgegennimmt. Außerdem wies er darauf hin, dass aufgrund einer internen Umgestaltung der Internetpräsenz der „Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens“ (OAG, Tokyo) gegenwärtig ca. 200 Verlinkungen zu Volltexten aus Publikationen der OAG auf deren Internetseite nicht mehr funktionieren. Der erforderliche Zeitaufwand für die Reparatur dieses Problems sei aber so groß, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig unklar sein, in welcher Weise und wann diese erfolgen kann.
Die nächste, 31. Tagung der Initiative wird am 16. und 17. Juni 2018 beim CEEJA (Centre Européen d’Études Japonaises d’Alsace) in Kintzheim im Elsaß stattfinden. Sie wird von Anke Scherer (Köln) und Regine Mathias (CEEJA) organisiert werden. Einzelheiten dazu werden auf der Internetseite der Initiative veröffentlicht, sobald sie vorliegen.
(Protokoll: Glenn Bauer & Anke Scherer)