Anwesend waren in Würzburg: Tenko Glenn Bauer (Heidelberg), Udo Beireis (Würzburg), David Chwila (Bochum), Sybille Girmond (Würzburg), Itô Tomohide (Wiesbaden), Nadja Kischka-Wellhäußer (Bonn), Till Knaudt (Heidelberg), Martha-Christine Menzel (Berlin/Heidelberg), Morikawa Yoshiko (Fukuoka), Cornelia Morper (Würzburg), Ulrike Nennstiel (Sapporo), Daniel Schley (München), Jan Schmidt (Leuven), Maik Hendrik Sprotte (Halle), Alexander Thomas (Regensburg), Reinhard Weth (Erfurt).
Der Kurzvorstellung der Teilnehmer folgte ein einführender Vortrag von Udo Beireis, dem 1. Vorsitzenden der Siebold-Gesellschaft e.V. (Würzburg), zum Siebold-Museum.
Vorträge:
Sybille Girmond (Universität Würzburg): Die „Ausstellung japanischer Metallindustrie“ in Nürnberg 1885: Rückblick nach 130 Jahren
In ihrem Vortrag thematisierte die Ostasien-Kunsthistorikerin Girmond die Teilnahme Japans an der in der heutigen historischen Forschung weitgehend in Vergessenheit geratenen „Internationale[n] Ausstellung von Arbeiten aus edlen Metallen und Legirungen [sic]“ (Kinkô bankoku hakurankai), die unter der Schirmherrschaft des bayerischen Königs Ludwig II. vom 15. Juni bis zum 30. September 1885 in der über Jahrhunderte für das hohe Niveau ihres Metallhandwerks bekannten europäischen Metropole Nürnberg abgehalten wurde. In der „Kollektivausstellung japanischer Metallindustrie, veranstaltet unter der Leitung der kaiserl. Japanischen Regierung“ präsentierten 99 Aussteller annähernd eintausend japanische Metall- und Emaillearbeiten. Unter den in Nürnberg vertretenen Nationen stellte Japan nach dem Deutschen Reich das zweitgrößte Kontingent an Ausstellern. Ziel der Meiji-Regierung war es, durch die Teilnahme auf das hohe Niveau des Kunstschmiede- und Emailhandwerks Japans aufmerksam zu machen und auf diesem Wege die japanische als eine der dem zeitgenössischen Verständnis nach „führenden“ kulturschaffenden Nationen gleichwertige Kulturnation mit einer eigenständigen und zugleich innovationsfähigen Tradition zu inszenieren. Im Spiegel des damaligen medialen Interesses ein Ereignis, welches für die weitere Entwicklung von Kunst und Kunsthandwerk sowohl in Japan als auch im zunehmend vom Japonismus erfassten Westen prägend gewesen sei, von dem richtungweisende Impulse speziell auf die Metall- und Emailhandwerker ausgingen. Die „Erfahrung Nürnberg“ könne daher in der kunsthistorischen Rückschau in Japan als generationenprägend und epochemachend eingestuft werden.
Hinsichtlich der Erwartung, die Ausstellung solle zu einer Plattform zur Demonstration der künstlerischen Leistungsfähigkeit Japans gereichen („Kulturoffensive“), war den dort auftretenden Exponenten des japanischen Kunsthandwerks ein großer Erfolg beschieden: Ein Großteil der durch die Jury verliehenen Auszeichnungen entfiel auf japanische Aussteller, und deren Exponate wurden in der Tages- und Fachpresse mit enthusiastischen Berichten bedacht. Differenziertere Einschätzungen über den Gesamterfolg (auch wirtschaftlich) erschließen sich aus der Analyse der zeitgenössischen Berichte, wobei ein offizieller Abschlussbericht zu Nürnberg nur in Japan publiziert wurde. Die Beteiligung Japans sei nicht lediglich aus Prestige-Erwägungen erfolgt, sondern es lagen auch konkrete wirtschaftliche Interessen zugrunde: die Erzeugnisse des japanischen Kunstschmiedehandwerks sollten kommerziell beworben und neue Absatzmärkte gewonnen werden. (Mit dem Zusammenbruch des inländischen Marktes zu Beginn der Meiji-Zeit – die Metallwerkstätten der Edo-Zeit hatten sich auf die Fertigung überwiegend von Kultgegenständen für Tempel und Prestigeobjekten für die Daimyô spezialisiert – stellte sich die Notwendigkeit ein, innovativ tätig zu werden.) Besonderes Potential wurde u.a. in der zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Japan erstmals für größere Gegenstände angewandten Technik des émail cloisonné gesehen. Mit dem Japonismus-Boom, der im deutschsprachigen Raum spätestens mit der Wiener Weltausstellung 1873 losbrach, avancierte Nagoya rasch zum Zentrum der exportorientierten japanischen Emaille-Produktion. Die innerhalb weniger Jahrzehnte überaus innovationsreiche Entwicklung habe bereits in Nürnberg 1885 ein Niveau erreicht, das den Beginn des „Goldenen Zeitalters“ dieser Kunst markiere. Auch im Metallhandwerk war der Innovationswille deutlich, wurde etwa in den dort ausgestellten Stücken erstmals Bronze mit Porzellan kombiniert, gleichsam eine handwerkstechnische – und kurzlebige — tour de force. Die Regierung Japans hatte 160.000 RM für die Teilnahme an der Ausstellung investiert, doch wurde die Investition nicht einmal annähernd durch Einnahmen aus Verkäufen kompensiert. Grund waren die für deutsche Verhältnisse überdurchschnittlich hoch angesetzten Preise. Dennoch könne, betrachte man die Folgewirkungen Nürnbergs, auch in Europa von Erfolg gesprochen werden, gebe es doch einzelne Künstler, die sich als direkt durch die japanische Ausstellung in Nürnberg inspiriert bezeichneten.
Girmond verortet ihre Arbeit im Schnittfeld der traditionsreichen Japonismus-Forschung und den neuerlich stark an Aktualität gewinnenden Untersuchungen zur Beteiligung Japans an den internationalen Ausstellungen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Ulrike Nennstiel (Hokusei Gakuen Universität, Sapporo): Uemura Takashi und der „Trostfrauen“-Diskurs in der Asahi Shinbun
Die Soziologin Nennstiel problematisierte den Umgang mit der „Trostfrauen“-Problemematik (ianfu mondai) und fokussierte dabei auf die Rolle Uemura Takashis, eines ehemaligen Asahi Shimbun-Journalisten (u.a. Auslandskorrespondent), welcher im Jahre 1991 einen der ersten japanischen Artikel auf der Grundlage von Aufzeichnungen des Interview mit einer Betroffenen publizierte. Obwohl andere Tageszeitungen ähnlich berichteten und nicht etwa Uemura, sondern das regionale Blatt Hokkaidô shinbun damals ein eigenes Interview veröffentlichte, richteten sich die Attacken geschichtsrevisionistischer Kreise unter der Federführung von Nishioka Tsutomu und Sakura Yoshiko ausschließlich gegen Uemura. Seit knapp zwei Jahren sehe sich dieser massiven Anfeindungen, Schmähungen und Drohungen ausgesetzt, welche nicht mehr lediglich auf seine eigene Person abzielten, sondern ebenso gegen seine Familie und schließlich auch seinen Arbeitgeber.
Einen vorläufigen Höhepunkt fanden diese Verleumdungs- und Hetzkampagnen in Bombendrohungen gegen die Hokusei Gakuen Universität (Hokuseidai kyôhaku jiken) im Sommer 2014. Als Reaktion auf diesen Angriff auf die Autonomie einer akademischen Einrichtung wurde im Oktober, dem Aufruf zahlreicher Intellektueller und Anwälte folgend, die „Gib nicht auf, Hokusei-Uni!-Vereinigung“ („Makeruna Hokusei! no Kai“) gegründet, um für eine Weiterbeschäftigung Uemuras einzutreten.
Einem konzisen und prägnanten Abriss zur Forschungsgeschichte schloss Nennstiel eine ausführliche Chronologie des „Trostfrauen“-Diskurses an; dabei werde immer wieder Rekurs auf die Frage nach der (politischen) Korrektheit der Ausdrucksweise und Details Uemuras in seinem Zeitungsartikel der Ôsaka Ausgabe der Asahi shinbun vom 11. August 1991 genommen, der auf den Erinnerungen der ehemaligen koreanischen Zwangsprostituierten Kim Hak-sun basierte und in dessen Nachgang sich immer mehr betroffene Frauen zu Wort meldeten. Zwar bekenne sich auch die Regierung unter Ministerpräsident Abe Shinzô formal zur Kôno-Erklärung (Kôno danwa) vom 4. August 1993, in der öffentlichen Debatte breche sich jedoch ein immer aggressiver gebärdender Geschichtsrevisionismus Bahn, welcher bereits zur Beginn der Kontroversen um Yoshida Seiji stark an Virulenz gewonnen habe und neuerlich im Widerruf von Zeitungsartikeln der Asahi shinbun im August 2014 kulminiert sei; zudem wurde auf die Aussage Abes aus dem Jahr 2005 verwiesen, „die Trostfrauen[-Debatte werde auf der Grundlage] fingierter Aussagen [geführt]“ („Ianfu wa tsukurareta hanashi“). Dagegen habe der Historiker Yoshimi Yoshiaki dafür plädiert, den zentralen Begriff der „Zwangsverschleppung“ (kyôsei renkô) weiter zu fassen, schieden sich die Meinungen zu sehr an den Phänomenen teishintai und ianfu, seien die Grenzen zwischen Freiwilligkeit und Zwang nicht unbedingt trennscharf. Nennstiel führte aus, der Fall Uemuras offenbare die Notwendigkeit zu verstärktem solidarischen Engagement, dem rechten Druck nicht etwa nachzugeben, die akademische wie journalistische Freiheit und Unabhängigkeit Japans zu schützen und zu bewahren. Abschließend verlieh sie ihrer Sorge vor einer Remilitarisierung der japanischen Gesellschaft Ausdruck.
In der Diskussion wurde zunächst auf die „Erklärung der Historiker- und Geschichtslehrerverbände Japans zur Trostfrauen-Frage“ („Ianfu mondai ni kansuru Nihon no rekishi gakkai, rekishi kyôikusha dantai no seimei“) vom 25. Mai 2015 verwiesen, durch welche die Existenz von zwangsrekrutierten „Trostfrauen“ als ein durch historische Forschung hinreichend gesichertes Faktum anerkannt, die Gültigkeit der Kôno-Erklärung bekräftigt wird. Alsdann wurde die Frage nach der Singularität des „Trostfrauen“-Phänomens erörtert, sei Zwangsprostitution in Kriegszeiten auch außerhalb Japans systematisch betrieben worden; daran schloss eine Diskussion um die Frage der Vergleichbarkeit der „Trostfrauen“-Debatte mit dem deutschen Historikerstreit an. Darüber hinaus hieß es, es sei übertrieben zu behaupten, das zeitgenössische Japan werde im Zuge der Abe’schen Politik für einen Militärstaat vorbereitet. Zuletzt wurde über die Beurteilung der Oral History als einem Instrument der historischen Arbeitsweise und deren Bedeutung für die zeitgeschichtliche Forschung diskutiert.
Martha-Christine Menzel (FU Berlin/ Universität Heidelberg): „Ich bin Künstler, kein Sozialist!‘ – Tayama Katais Erzählung „Tokoyo goyomi“ (1914) als literarischer Diskurs über Naturalismus, Sozialismus und die innere Sicherheitspolitik infolge der Hochverratsaffäre
In ihrem Vortrag widmete sich die Literaturwissenschaftlerin Menzel der Frage nach der literarischen Verarbeitung der „Hochverratsaffäre“ (Taigyaku jiken, 1910/11), d.h. der Eskalation des Konfliktes zwischen der autoritären Meiji-Regierung und diversen linksgerichteten Gruppierungen, in deren Nachgang die polizeiliche Überwachung mutmaßlich politisch Subversiver wie auch die Pressezensur landesweit verschärft wurden. Dies hatte auch starke Auswirkungen auf den Literaturbetrieb. Menzel thematisierte in diesem Zusammenhang die Erzählung „Tokoyo goyomi“ („Der ewige Kalender“, 1914) des Schriftstellers Tayama Katai (1871–1930), eines Hauptvertreters der literarischen Strömung des Naturalismus in Japan (Nihon shizenshugi bungaku).
Zunächst erfolgte eine historische Verortung des Werks, wobei Menzel auf die Literatur- und Pressezensur und insbesondere die Naturalismus-Kritik im Meiji-zeitlichen Japan verwies. Jene Maßnahmen hätten sich speziell gegen das politische Potential des Naturalismus gerichtet, realexistierende gesellschaftliche Probleme authentisch-kritisch zu thematisieren. Auch die für den Naturalismus typische Forderung nach Individualismus sei als der öffentlichen Moral abträgliche, dem kokutai-Gedanken zuwiderlaufende und damit vermeintlich staatszersetzende Idee angesehen worden. Zum Inhalt der Erzählung: Der Protagonist Yamada Yûkichi wird von den Auswirkungen der Hochverratsaffäre erfasst und steht nunmehr im Verdacht, ein Sozialist zu sein. In Hokkaidô versucht er, der strengen polizeilichen Überwachung zu entgehen, scheitert jedoch in seinem Bestreben, Unabhängigkeit in der bäuerlichen Lebensweise zu finden. Menzel führt aus, die Figur des Yûkichi zeige deutliche Anspielungen und Parallelen zur Vita eines Bekannten von Tayama Katai, der den Verfasser zu der Erzählung inspiriert habe. Fürderhin konzentrierte sich die Referentin auf eine Analyse der dem Werk zugrundeliegenden erzähltechnischen Verfahren, die bewusst dazu dienten, Anspielungen auf reale Personen und Ereignisse zu verschleiern, gleichzeitig aber auch eine neutrale Position der Erzählinstanz betonten und es auf diese Weise letztlich dem Leser selbst überließen, über die Inhalte zu urteilen. „Tokoyo goyomi“ lässt sich demnach als eine heikle Gratwanderung betrachten zwischen dem naturalistischen Authentizitätsanspruch und der notwendigen Verschleierung der Bezüge zu realen politischen und sozialen Vorgängen.
In der Diskussion kam zunächst die Frage auf, ob Katai nicht etwa daran gelegen gewesen sein mochte, weniger konkret die Hochverratsaffäre als viel abstrakter die Paranoia der Meiji-Regierung vor linksgerichteten Gruppierungen wie auch die Absurdität des Verdachts- und Überwachungsregimes zu thematisieren? Mori Ôgai appellierte beispielsweise im Jahr 1911 an die Regierung, klar zwischen Naturalismus, Sozialismus und Anarchismus zu differenzieren. Katai sei sich der politischen Brisanz des Themas durchaus bewusst gewesen, weshalb er sich explizit formulierter Kritik enthielt. Abschließend kam die Frage nach der Wahl Hokkaidôs als Ort des Exils auf, genauer: Ob dieser als ein Zufluchtsort gedacht werden, oder aber ob dadurch eine Scheinloyalität gegenüber der den Norden des japanischen Archipels kolonisieren-den Regierung suggeriert und der Verdachtsmoment neutralisiert werden sollte? Menzel verneinte letztere Interpretation mit Blick auf die Erzählung und entgegnete, dass nach subjektivem Empfinden Hokkaidô fernab des politischen und kulturellen Zentrums Tôkyô lag und daher nicht selten auch eine Projektionsfläche für Autarkievorstellungen darstellte, de facto jedoch mit am stärksten überwacht worden sei.
Itô Tomohide (Wiesbaden): Das Buch „Der totale Krieg“ von Erich Ludendorff und Japan
Der Historiker Itô referierte über seine Forschungen zur Rezeptionsgeschichte des Ludendorff’schen wehrkundlichen Traktats „Der totale Krieg“ im Japan der ausgehenden 1930er Jahre, genauer: zu dessen Einfluss auf Offizierskreise und die von diesen beförderten wehr- und kriegswissenschaftlichen Diskurse. Dank Itô liegt der zeithistorischen Forschung in Japan seit 2015 eine textkritische Übersetzung nach der deutschsprachigen Originalausgabe von 1935 vor, welche unter dem Titel „Rûdendorufu Sôryokusen‘ bei Hara Shobô erschien, eine Alternative zur veralteten unkommentierten, von einer von ideologischen Färbungen stark durchsetzten Sprache getragenen Ausgabe von 1939 zu bieten.
Im Hinblick auf den „totalen Krieg“ kehrte Ludendorff das Clausewitz’sche Diktum, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik, ins Gegenteil: Die Politik habe der Kriegsführung zu dienen, die Politik der Friedenszeit der Vorbereitung des „Lebenskampfes“ eines Volkes im Kriege; entsprechend hätten sich alle Kräfte eines Volkes zur Kriegsführung zu bündeln, stellte das Verständnis der breiten Bevölkerung als ebenso der Industriellen um die Notwendigkeit des und deren Mitwirkung am „totalen Krieg“ einen kriegsentscheidenden Faktor dar.
In Japan traten Angehörige der sogenannten Reformisten (kakushin-ha) des Heeres als Hauptexponenten der Ludendorff’schen Konzeption vom „totalen Krieg“ in Erscheinung, meinten darin ein adaptionswürdiges Vorbild zur Verwirklichung eines als notwendig imaginierten Systems der totalen nationalen Mobilisierung für die Zwecke der Kriegsführung und des Empire-Building entdeckt zu haben. Die frühe Ludendorff-Rezeption sei im Zuge der Auseinandersetzung japanischer Militärs mit dem Ersten Weltkrieg erfolgt, so etwa durch die „Außerordentliche Untersuchungskommission für militärische Angelegenheiten“ („Rinji Gunji Chôsa Iin“). Animiert durch die Kriegsvorbereitungen Japans im Fortschreiten der 1930er Jahre als speziell vor dem Hintergrund des Ausbruchs des Zweiten Sino-Japanischen Krieges tat sich schließlich der Heeresoffizier Mano Toshio hervor, eine erste Übersetzung des Ludendorff’schen Traktats ins Japanische vorzunehmen, welche 1939 bei Mikasa Shobô erschien; Mano prägte dadurch den japanischsprachigen Begriff „Kokka sôryokusen“ („totaler Krieg“). Mano und seine Mitstreiter Takashima Tatsuhiko und Tada Hayao waren der Überzeugung, eine Entwicklung hin zu einer „Staatsordnung des totalen Krieges“ sei angesichts der Kriegsvorbereitungen der anderen Großmächte unabdingbar; entsprechend initiierten sie eine großangelegte Propagandakampagne, profitierten dabei von einer ausgesprochenen Pluralität der Propagandamittel und — kanäle, suchten etwa durch die Radiosendung „Rûdendorufu no kokka sôryokusen“, welche zwischen November und Dezember 1939 in fünf Episoden ausgestrahlt wurde, eine Brücke zwischen den Ludendorff’schen Argumenten und der aktuellen Lage Japans herzustellen. Itô wies darauf hin, dass diesen das Radio aufgrund dessen hohen Verbreitungsgrades (1939: ca. 34% der Haushalte) als das geeignetste Medium erschien, ein Bewusstsein um die Notwendigkeit zur „totalen“ Kriegsführung in die Bevölkerung zu kommunizieren. Seine Fortführung erfuhr das Konzept vom „totalen Krieg“ durch die Publikationen Takashimas, beispielsweise dessen Werk „Kôsen“ („Der kaiserliche Krieg“), indem dieser für einen „totalen Krieg des kaiserlichen Weges“ („Kôdô sôryokusen“) plädierte.
Der Referent schloss mit der These, anhand von Selbstzeugnissen japanischer Offiziere werde offenbar, die Überführung des Paradigmas der „totalen“ Kriegsführung in die in Japan vorherrschenden politisch-ideologischen Kontexte mochte zwar auf einer individuell-subjektiv wirksamen Ebene erfolgreich gewesen sein, es jedoch auf strukturell-formaler Ebene nicht gelang, die gewünschte Massenwirkung zu erzielen, scheiterten doch alle Versuche, die daraus abgeleitete Programmatik auch institutionell zu implementieren; obgleich bedeutsam für die Weiterentwicklung der Wehrkunde jener Zeit, letztlich könne man einen lediglich begrenzten Einfluss auf das Heer konstatieren, das Streben um eine Massenmobilisierung der Bevölkerung unter Takashimas Banner des „Kôdô sôryokusen“ für gescheitert erklären.
Die abschließende Diskussion drehte sich zunächst um die Frage nach der Rezeption der sôryokusen-Propagada in der einfachen Bevölkerung, setzte sich in der Erörterung der besonderen Schwierigkeiten rezeptionsgeschichtlicher Studien fort. Auch wurde hinterfragt, worin das Bedürfnis zu einer neuerlichen Übersetzung bestanden habe; Itô verwies abermals auf die tendenziöse, stark ideologisch gefärbte Sprache der Erstübersetzung durch Mano. Zuletzt wurde diskutiert, weshalb das Werk aus der Feder eines Angehörigen ausgerechnet einer der Verlierernationen des Ersten Weltkriegs, nicht etwa ein solches französischer oder britischer Provenienz einen doch relativ prägnanten Eingang in die wehr- und kriegswissenschaftlichen Diskurse in Japan gefunden habe, der japanische sôryokusen-Diskurs nicht eventuell Querverschaltungen auch zu anderen Analysen aufweise.
Nadja Kischka-Wellhäußer (Universität Bonn): Soziale Netzwerke im Vergleich: Die frühe deutsche und japanische Frauenbewegung
Die Historikerin Kischka-Wellhäußer stellte ihr aktuelles Projekt einer sozialen Netzwerkanalyse als einen historischen Vergleich der frühen Frauenbewegungen in Deutschland und Japan vor.
Zunächst beleuchtete die Referentin die Entstehung unterschiedlicher Typen von Frauenvereinen sowohl im Deutschen Reich als ebenso im Meiji-zeitlichen Japan; dabei verwies sie auf die Ungleichzeitigkeit von Genderdebatten, Frauenrechtsdiskursen und Öffentlichkeit. So ließe sich die Entstehung von Frauenzeitungen und ‑vereinen, ließen sich die Anfänge einer Netzwerkbildung im Falle Deutschlands bis in den Vormärz hinein zurückverfolgen, in Japan habe sich eine vergleichbare Entwicklung erst seit Beginn der 1880er Jahre vollzogen; beiden sei jedoch gemein, dass Frauen um eine Standortbestimmung in den jeweils in Entstehung begriffenen Bürgergesellschaften vergleichsweise junger Nationalstaaten rangen. Auf beiden Seiten könne nicht von einer einheitlichen, geschlossenen Frauenbewegung ausgegangen werden, repräsentierten unterschiedliche Frauenvereine ein jeweils andersartiges soziales Spektrum mit jeweils eigener Programmatik und eigenen Klientelinteressen. Beiderorts habe sich die Entwicklung der Frauenbewegungen in Schüben vollzogen, welche wiederum an eine allgemeiner sich vollziehende Konjunktur sozialer Bewegungen geknüpft gewesen seien, so einerseits etwa jene der Märzrevolution als andererseits zuvörderst jene der „Bewegung für Freiheit und Bürgerrechte“ („Jiyû Minken Undô“), wobei Vernetzungsprozesse von den Metrolpolregionen auf die Peripherie ausgegangen seien.
Im Zentrum der Diskussion stand die Frage nach dem besonderen Erkenntnisgewinn, den sich Kischka-Wellhäußer vermittels eines historischen Vergleichs erhofft; ein solcher Vergleich zeichne sich in zeitlicher wie struktureller Hinsicht problematisch, ließen sich auch Parallelen und Divergenzen feststellen, so sei es wohl nur schwerlich machbar, über programmatische Aspekte hinausreichende Kohärenzen zu spezifizieren, seien die angelegten Parameter und Kriterien viel zu unbestimmt, als dass sie der jeweils spezifischen Komplexität der gesellschaftlich-historischen Wirklichkeit gerecht würden, hätten sich die Frauenbewegungen der beiden Vergleichsländer im Grunde doch weitgehend unabhängig voneinander und in ihrem jeweiligen Eigenrhythmus entwickelt. Besonders in organisatorischer Hinsicht sei ein Vergleich schwerlich sinnvoll, hätte die Zahl der deutscher Frauenvereine die der japanischen deutlich überwogen, sei von einer völlig andersartigen personellen Zusammensetzung auszugehen, wichen dabei die Faktoren Milieu und Bildungshintergrund allzu stark voneinander ab; daran schloss eine Diskussion um die Entstehung als ebenso die Charakteristika von Bürgergesellschaft im Deutschen Reich und im Meiji-zeitlichen Japan an. Aus dem Plenum erfolgte schließlich der Vorschlag, von einem historischen Vergleich abzusehen, sich stattdessen dem Projekt einer Gesamtdarstellung der Geschichte der Frauenbewegung in Japan zuzuwenden, liege eine solche bislang noch nicht vor.
Abschluss: Kurz vor Tagungsschluss präsentierte Jan Schmidt eine auf der Grundlage der in den vorausgegangenen fünfundzwanzig Initiativetreffen erhobenen Daten basierende statistische Auswertung über Teilnehmerzahlen, den – freilich in anonymisierter Form (!) – akademischen Background der jeweiligen Teilnehmer sowie deren individuelle, ebenso eine institutionenspezifisch differenzierende Teilnahmefrequenz.
Die Tagung endete mit einem herzlichen Dank an die Organisatoren des Initiativetreffens zu Würzburg, Maik Hendrik Sprotte und Till Knaudt, als vor allem an Udo Beireis und die Belegschaft des Siebold-Museums für die den Teilnehmern dort zuteilgewordene Gastfreundschaft. (Protokoll: David Chwila) |