Protokolle der 1. bis 6. Tagung aus den Jahren 2003 bis 2005:
1. Treffen am Japanologischen Seminar der Universität Heidelberg am 10. und 11. Mai 2003
Anwesend in Heidelberg waren: Thomas Büttner (Heidelberg), Hans Martin Krämer (Bochum), Peter Lutum (Hamburg), Marc Matten (Bonn), Harald Meyer (Zürich), Birgit Pansa (Heidelberg), Wolfgang Schamoni (Heidelberg), Anke Scherer (Bochum), Jan Schmidt (Heidelberg), Tino Schölz (Halle), Wolfgang Seifert (Heidelberg), Maik Hendrik Sprotte (Heidelberg), Detlev Taranczewski (Bonn), Christian Uhl (Heidelberg)
Auf dem Programm stand am Samstag zunaechst ein Vortrag von Tino Schölz zum Thema „Ishiwara Kanji und Deutschland“. Durch gründliche Archivstudien konnte er die gängige Auffassung berichtigen, Ishiwara habe deutsche Diskussionen bei der Erarbeitung seiner Position zum totalen Krieg nur oberflächlich rezipiert. Ishiwara hatte während seines Deutschlandaufenthaltes vielmehr Kontakt zu hohen Offizieren und las das deutsche Schrifttum intensiv. Seine Auseinandersetzung mit der deutschen Diskussion ist auch in seinen eigenen Werken an zahlreichen Stellen zu belegen. Die sich an den Vortrag anschliessende Diskussion konzentrierte sich auf die Frage nach Ishiwaras Repräsentativität und mögliche Einflüsse auf Ishiwaras Haltung zum Krieg gegen China 1937, den er ablehnte, was zu seinem Sturz führte.
Der zweite Block des Samstagnachmittages widmete sich einer Diskussion zum Thema „Abgrenzung von Zeitgeschichte und Politikwissenschaft“. Dem kurzen Inputreferat von Hans Martin Krämer folgte ein reger Meinungsaustausch, an dem sich alle Anwesenden beteiligten. Die Diskussion kreiste einerseits um mögliche Abgrenzungskriterien hinsichtlich verschiedener Methoden, Gegenstände oder Ziele von Geschichtswissenschaft auf der einen und Sozialwissenschaften auf der anderen Seite. Andererseits wurde diese Fragestellung selbst als künstliche Trennung kritisiert, woraufhin sich die Diskussion mehr um die Frage der Abgrenzung von Zeitgeschichte zur Geschichte bzw. Zeitgeschichte zur Gegenwart drehte. Natürlich konnte die Frage nicht abschließend geklärt werden; allein der Austausch aber sensibilisierte den einen oder die andere vielleicht für Fragestellungen, denen man bislang nicht die erforderliche Aufmerksamkeit gewidmet hatte.
Die angenehme Atmosphäre der Diskussionen wurde beim gemeinsamen Abendessen fortgesetzt. Am Sonntag stand dann ein Vortrag von Christian Uhl zum Thema „Die Symposien der Kyôto-Schule“ auf dem Programm. Christian Uhl stellte drei zadan-kai der Nishida-Schüler Nishitani Keiji, Suzuki Shigetaka, Kôyama Iwao und Kôsaka Masaaki vor, die 1942 und 1943 in „Chûô kôron“ veröffentlicht wurden. Sein Vortrag klärte zunächst detailliert die ideengeschichtlichen Erbschaften, auf denen die Ausführungen der Teilnehmer der zadan-kai gründeten. Hinsichtlich der politischen Wertung dieser zur Zeit des totalen Krieges stattfindenden Gespräche zeigte Uhl sich skeptisch über die in letzter Zeit veröffentlichten apologetischen Interpretationen. Die anschließende Diskussion thematisierte sowohl diese Frage der politischen Bewertung als auch die allgemeinere des Einflusses von Intellektuellen im Japan der Kriegszeit.
Ein weiterer Block am Sonntag war der Frage gewidmet, wie mit der Initiative zur historischen Japanforschung weiter zu verfahren sei. Maik Hendrik Sprotte erklärte sich bereit, eine laufende Bibliografie deutschsprachiger Veröffentlichungen zur japanischen Geschichte zu erstellen. Dazu sind alle mit der japanischen Geschichte Befaßten aufgefordert, ihm Funde zukommen zu lassen. Das Spektrum aufzunehmender Daten reicht von Monografien und wissenschaftlichen Aufsätzen bis hin zu (schwerer zu recherchierenden) Zeitungsartikeln. Gesammelt werden sollen zunächst Veröffentlichungen ab dem 1. Januar 2003. Die Bibliografie wird in geeigneter Form veröffentlicht werden.
Fuer die Zukunft wurde einvernehmlich festgehalten, sich zunächst einmal im Semester in vergleichsweise informeller Atmosphäre (benkyô-kai-Charakter) zu treffen. Diskussionen soll, wie an diesem Wochenende auch, breiter Raum gewährt werden. Zu diesem Zweck sollen, wenn möglich, vor dem nächsten Treffen rechtzeitig an alle TeilnehmerInnen Thesen zu den Vorträgen und Diskussionen verschickt werden.
(Protokoll: Hans Martin Krämer)
2. Treffen bei der Sektion Geschichte Japans der Ruhr-Universität Bochum am 1. und 2. November 2003
Anwesend in Bochum waren: Günter Distelrath (Bonn), Ulrich Goch (Bochum), Andre Hertrich (München), Hans Martin Krämer (Bochum), Peter Lutum (Hamburg), Regine Mathias (Bochum), Marc Matten (Bonn), Andreas Niehaus (Köln), Oda Kenji (Erfurt), Erich Pauer (Marburg), Anke Scherer (Bochum), Jan Schmidt (Heidelberg), Katja Schmidtpott (Bochum), Tino Schölz (Halle), Wolfgang Seifert (Heidelberg), Maik Hendrik Sprotte (Heidelberg), Edith Wagner (Erlangen-Nürnberg), Anneli Wallentowitz (Bonn) sowie mehrere Studierende aus Bochum
Das Treffen begann am Samstag Nachmittag mit einem Vortrag von Andreas Niehaus mit dem Titel „ ‚Die Bissstellen der Blutegel jucken‘ — Überlegungen zum Körper im Edo-zeitlichen Japan“. Ausgehend von dem im Titel genannten Ausschnitt aus einem Gedicht von Bashô stellte Niehaus die Frage, ob und wie das Körperempfinden der Edo-Zeit heute nachempfunden werden kann. Gestützt u.a. auf Michel Foucault und Philipp Sarasin erläuterte Niehaus zunächst, dass ‚der Körper‘ historisch und kulturell relativ ist. Von Interesse seien in diesem Zusammenhang insbesondere Körpertechniken und die Frage, wie diese übernommen werden. Dies geschehe durch unbewusste Übernahmen; Körpertechniken seien aber auch durch Macht codiert und würden durch disziplinierende und regulierende Vorschriften geformt.
Gesundheitsvorschriften zu Hygiene und Diätetik stünden dabei an der Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft und seien daher besonders interessant. Eine Quelle dieser Art stellt Niehaus dann ausführlich in Gestalt von Kaibara Ekkens „Yôjô-kun“ von 1713 vor. Problematisiert wurden von Niehaus dabei u.a. der Verbreitungsgrad der Schrift, ihre Wirkung bis in die Meiji-Zeit hinein sowie der Inhalt hinsichtlich der drei Perspektiven Koerpervorstellung allgemein, Gesundheitsvorsorge als Kampf und Gesundheitsvorsorge und Machtdiskurs. Gesundheitsvorsorge bei Kaibara sei ein Weg erlernbarer Techniken; Krankheiten seien zunächst eine auf eigenes Verschulden zurückzuführende Vernachlässigung dieser Techniken. Überdies verknüpfe Kaibara die Sorge um den eigenen Körper mit der Sorge um die Familie und den Herrn, wodurch Gesundheitsvorsorge zu einer Frage der Moral werde.
Die Diskussion konzentrierte sich auf die Frage der Aussagefähigkeit des „Yôjô-kun“. Obwohl es sich um eines der meistaufgelegten Bücher der Edo-Zeit handelte, sei doch klar, dass die LeserInnenschaft nur aus einem sehr kleinen Teil der Gesellschaft bestanden haben könne. Es sei fraglich, inwiefern überhaupt ein einzelnes Buch Grundlage für die Nachempfindung von Körperempfinden während der Edo-Zeit sein könnte — allenfalls legten die dort gesammelten Vorschriften Rückschlüsse auf im Volk gerade nicht praktizierten Techniken nahe. Eher als die direkte Lektüre des Textes sei vielleicht dessen Vermittlung, etwa in den terakoya, von Interesse.
Für den zweiten Block am Samstag stand eine „Diskussion zur Frage nach dem Verhältnis von Japanologie und Geschichtswissenschaft“ auf dem Programm. Tino Schölz hielt das Inputreferat, in dem er zunächst als Befund konstatierte, dass die historische Japanforschung trotz einer gewissen in letzter Zeit feststellbaren Hinwendung der allgemeinen Geschichtswissenschaft zu aussereuropäischen Themen ihre Präsenz und Sichbarkeit in der allgemeinen Geschichtswissenschaft nicht verstaerken konnte. Schölz führte dies nicht nur auf Widerstände auf Seiten der Geschichtswissenschaft zurück, sondern auch auf Probleme, die innerhalb der historischen Japanforschung bestehen. Hier nannte er zum einen die Struktur des Faches in der Lehre (Geschichte Japans meist als Teil der Japanologie) und den hohen Arbeitsaufwand der i.d.R. in kleinen organisatorischen Einheiten an Universitäten Tätigen, zum anderen die verspätete Rezeption aktueller Trends der geschichtswissenschaftlichen Diskussion und die nach wie vor häufig anzutreffende inhaltliche Schwerpunktsetzung, die einem Selbstverständnis als Regionalwissenschaft folge und nicht zum allgemeinen historischen Diskurs, sondern zum Wissen über Japan beitragen wolle.
Die selbstkritischen Aspekte wurden in der anschließenden Diskussion leider fast überhaupt nicht thematisiert, stattdessen beschränkte man sich auf weitere mögliche Ursachen auf Seiten der allgemeinen Geschichtswissenschaft. Als Indizien wurden genannt: Nichtberücksichtigung von Außereuropa-HistorikerInnen bei der Besetzung von Lehrstühlen, Ausgrenzung bei wissenschaftlichen Konferenzen, Ignorieren von Publikationen (z.B. selten Rezensionen von japanbezogenen Werken in allgemeinen Zeitschriften). Die Grundstimmung war skeptisch, und auch die Anregung Schölz‘, eine Besserung dadurch zu erreichen zu suchen, vergleichend zu arbeiten und sich verstärkt der Problemgeschichte zuzuwenden, blieb weitgehend ohne Resonanz.
Der Sonntag Vormittag galt der Vorstellung laufender Arbeiten und Projekte. Die TeilnehmerInnen machten von dieser Gelegenheit unterschiedlich intensiv Gebrauch; einige verteilten auch Handouts oder Thesenpapier zu ihren laufenden oder abgeschlossenen Qualifikationsarbeiten. Wolfgang Seifert stellte das Vorhaben zur Diskussion, in einem größeren Personenkreis Quellen zur neueren japanischen Geschichte sorgfältig ins Deutsche zu übersetzen und zu kommentieren und eine solche Quellensammlung zu publizieren, in Hinblick auf die Diskussion vom Vortag auch mit der Zielsetzung, diese der allgemeinen Geschichtswissenschaft zur Verfügung zu stellen. Berücksichtigung sollen sowohl bekanntere, bereits in (ungenügender) Übersetzung vorliegende Quellen finden, als auch solche, die zumal in der deutschen Diskussion bislang eher ungewohnte Perspektiven zu eröffnen vermögen. Ein mögliches Schwerpunktthema für eine solche Quellensammlung könnte die Zeit des Faschismus/Ultranationalismus sein.
Der Vorschlag wurde mit großer Zustimmung aufgenommen; einig war man sich aber, daß ein solches Projekt professionell und mit bezahlten MitarbeiterInnen durchgeführt werden müsse. Der in der Diskussion ebenfalls aufkommende Wunsch nach einer Bestandsaufnahme bereits bestehender Übersetzungen hingegen könnte grundsätzlich auch ehrenamtlich aus dem Personenkreis der Initiative heraus umgesetzt werden. Dabei wäre eine Vorgehensweise wie bei der „Bibliographie zur historischen Japanforschung“ möglich, die Maik Hendrik Sprotte und Jan Schmidt derzeit in Heidelberg aufbauen. Vorschläge für Aufnahmen in diese laufende Bibliographie von deutschsprachigen Erscheinungen zur japanischen Geschichte können auf einem Online-Formular unter http://www.historische-japanforschung.de/ eingetragen werden, wo sich auch die Liste der bis jetzt aufgenommenen Bücher, Aufsätze und Artikel findet.
Beide neuen Vorschläge, die Quellensammlung sowie die Bestandsaufnahme übersetzter Quellen, hofft die Initiative bis zum nächsten Treffen konkretisieren zu können.
Der zweite Teil des Sonntags gehörte dem Vortrag von Marc Matten zu „Zheng Chenggong — Tei Seikô (Koxinga) — Die Fabrikation eines doppelten Nationalhelden“. Matten ging von allgemeinen Überlegungen zum Nationalismus und der Bedeutung von Nationalhelden in Zeiten der Entstehung von Nationalhelden und insbeondere in postkolonialen Staaten aus. Seine Hypothese lautete, daß jeder Nationalheld genau einem Nationalstaat zuzuordnen sein müßte. Der von ihm vorgestellte Fall Koxingas sei in diesem Sinne die grosse Ausnahme, da dieser sowohl in China als auch in Japan verehrt werde.
Koxingas wurde als Sohn eines chinesischen Seehändlers und einer Japanerin in Hirado geboren, zog jedoch schon im Alter von neun Jahren mit seinem Vater nach China, wo er als Loyalist der Ming (gegen die Qing) und als Befreier Taiwans von den Holländern zu Ansehen gelangte. Die binationale Abstammung Koxingas habe ihn bereits in der Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts zu einer wichtigeren Figur sowohl in China als auch in Japan gemacht. In Chikamatsu Monzaemons Stück „Kokusenya kassen“ von 1715 sei (gegen die historische Realität) die japanische Seite Koxingas betont worden: So schreibt Chikamatsu, die japanische Mutter habe Koxinga die Grundzüge des bushidô beigebracht, und japanische Götter greifen bei ihm in die Geschehnisse ein. In China sei Koxinga seit Ende des 19. Jahrhunderts zunächst v.a. als Vorbild einer Anti-Qing-Politik genutzt worden. Die Vertreibung der Holländer von Taiwan sei hingegen erst in der Volksrepublik thematisiert worden. Die japanische Abstammung sei in der frühen Volksrepublik zudem gar nicht erwähnt worden.
Die Diskussion widmete sich zum einen der Frage, wie ungewöhnlich tatsächlich ein Nationalheld ist, der in verschiedenen Nationen jeweils als eigener Held verehrt wird. Dem Publikum fielen zahlreiche Beispiele ein; wenn man den Begriff „Held“ weniger eng faßt, lassen sich zumindest in Mitteleuropa sehr viele Beispiele finden. Fuer Ostasien scheint es sich aber in der Tat bei Koxinga um einen Einzelfall zu handeln. Interesse äußerten die TeilnehmerInnen zum anderen daran, wie die weitere kulturelle Verarbeitung der Figur Koxinga in Japan im 20. Jahrhundert, insbesondere während des Zweiten Weltkriegs ausgesehen hat. Hier besteht noch Klärungsbedarf.
Insgesamt war es ein anregendes Wochenende, das auch für die nächsten Treffen spannende Diskussionen erhoffen läßt.
(Protokoll: Hans Martin Krämer)
3. Treffen am Japanologischen Seminar der Universität Halle am 8. und 9. Mai 2004
Anwesend in Halle waren: Silke Bromann (Halle), Eva Burzynski (Halle), Thomas Büttner (Heidelberg), Judith Fröhlich (Zürich), Denis Gänkler (Halle), Masako Hayashi (Gifu / Leipzig), Andre Hertrich (München), Denis Krämer (Göttingen), Hans Martin Krämer (Bochum), Robert Kramm (Erfurt), Marc Matten (Bonn), Andreas Niehaus (Köln), Christian Oberländer (Halle), Oda Kenji (Erfurt), Steffi Richter (Leipzig), Fabian Schäfer (Leipzig), Anke Scherer (Bochum), Jan Schmidt (Heidelberg), Tino Schölz (Halle), Mandy Schumann (Halle), Wolfgang Seifert (Heidelberg), Maik Hendrik Sprotte (Heidelberg), Detlev Taranczewski (Bonn), Edith Wagner (Erlangen), Anneli Wallentowitz (Bonn), Gesa Westermann (Hagen)
Das Treffen begann am Samstag Nachmittag mit einem Beitrag von Anneli Wallentowitz, die ihre vor kurzem abgeschlossene Magisterarbeit vorstellte. Ihr Vortrag mit dem Titel „Der Imperialismusdiskurs in Japan im 20. Jahrhundert vor dem Hintergrund der klassischen Imperialismustheorien in der deutschen Geschichtswissenschaft“ befasste sich mit der Frage nach den Parametern, die von japanischen Historikern herangezogen wurden, um die aktive Expansionspolitik Japans zwischen dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und der Teilnahme am Ersten Weltkrieg zu bewerten. Nach einer Vorstellung der von der deutschen Geschichtswissenschaft als „klassisch“ eingestuften Imperialismustheorien von Friedjung, Hobson, Schumpeter, Hilferding, Luxemburg und Lenin untersuchte sie den Stellenwert dieser Theorien in Japan bis in die 1930er Jahre. Sie kam dabei zu dem Ergebnis, dass — obwohl alle klassischen Imperialismustheorien in den 1920er Jahren in Japan bekannt waren — die Diskussion seit der Mitte der 20er Jahre ausschließlich von marxistisch-orientierten Theoretikern anhand von Lenins Definition des Imperialismus als höchstem Stadium des Monopolkapitalismus geführt wurde. Als Grund hierfür nannte sie die Struktur des japanischen Wissenschaftsbetriebs, ein Punkt der in der anschließenden Diskussion wieder aufgenommen wurde mit dem Hinweis, dass nicht-marxistisch ausgerichtete japanische Historiker der damaligen Zeit sich fast nur mit der Zeit vor 1868 beschäftigten und damit die Diskussion der nachfolgenden Geschehnisse einer auf eine einzige Ideologie ausgerichteten Gruppe überließen. Auch der berühmteste Kritiker des japanischen Imperialismus, Yanaihara Tadao, argumentierte letztendlich mit marxistischen Kategorien. In der japanischen Kolonialbürokratie, die sich vor allem um die pragmatischen Fragen von Herrschaft und Kontrolle kümmerte, wurde die theoretische Diskussion hingegen kaum rezipiert. Im Vergleich zu dem historischen Zugriff in Deutschland, in dessen Rahmen das Phänomen „Imperialismus“ sehr viel breiter untersucht wird, handelt es sich in Japan somit um einen rein marxistisch geführten Diskurs, der sich bis in die Begrifflichkeit hinein an der Imperialismussschrift Lenins orientiert.
Als zweiter Teil des Samstagsprogramms folgte die allgemeine Diskussionsrunde, diesmal zum Thema des Faschismus-Begriffs in der historischen Japanforschung. Eröffnet wurde die Runde durch zwei Input-Referate: Einmal machte sich Maik Hendrik Sprotte Gedanken über die Anwendbarkeit des Terminus ‚Faschismus‘ auf Japan zwischen 1937 und 1945, zum anderen klärte Wolfgang Seifert den Faschismus-Begriff, wie ihn Maruyama Masao in seinen Schriften verwandte. M. H. Sprotte klärte als Grundlage für die Diskussion zuerst Elemente, die laut verschiedener Theorien dem Faschismus zugrunde liegen, dann stellte er die Position des amerikanischen Politikwissenschaftlers Gregory Kasza zur Anwendung dieser Theorien auf Japan vor. W. Seifert thematisierte die Problematik des Vergleichs, hier von historischen Phänomenen in verschiedenen Ländern, und erläuterte das Vorgehen Maruyamas als „spezifizierenden Vergleich“, d.h. Vergleich auf einer mittleren Abstraktionsebene mit der Herausarbeitung von Länderbesonderheiten. Maruyama wandte sich sowohl gegen die marxistische Imperialismustheorie als auch gegen die klassische Faschismustheorie und untersuchte deshalb statt der ökonomischen Hintergründe des Faschismus dessen Trägerschichten und Ideen. Die Diskussion drehte sich vor allem um die Tatsache, dass Faschismus in erster Linie ein politischer Begriff ist. Wenn von einem analytischen Standpunkt aus Kategorien gebildet werden, anhand derer ein Phänomen faschistisch genannt werden kann oder nicht, so führt dies gleichzeitig auch immer zu einer politischen Anwendung, in der Faschismus als Kampfbegriff eine absolut inakzeptable Herrschaftsform bezeichnet. Bei der Untersuchung der japanischen Geschichte sollte sich die Diskussion über die Anwendbarkeit des Faschismusbegriffs auf Japan deshalb weniger auf eine absolute Ja-Nein-Feststellung, sondern vielmehr auf die verschiedenen Faschismusdefinitionen als heuristische Konzepte zur Untersuchung der Spezifika des japanischen Systems konzentrieren.
Am Sonntag Morgen stellte Judith Fröhlich ein Kapitel ihrer gerade fertig gestellten Dissertation zu Schriftlichkeit und Mündlichkeit im vormodernen Japan vor. Am Beispiel von gut dokumentierten, langwierigen Streitigkeiten um Besitzansprüche des Goshûin, eines Tempels auf dem Koyasan, ging sie der Frage nach, welchen Stellenwert einerseits die schriftlichen Dokumente und andererseits ihre mündliche Präsentation im Rechtsstreit hatten. An die Vorstellung dieser methodisch kniffeligen Aufgabe schloss sich eine Diskussion über die Nachvollziehbarkeit mündlicher Kommunikation in uns nur schriftlich vorliegendem Quellenmaterial an. Thematisiert wurden dabei vor allem verschiedene Sprachformen der vorliegenden Quellen, die teilweise protokollartigen Charakter haben oder in einer so schriftsprachlichen Form vorliegen, dass sie bei der Lesung vor Gericht explizit weiterer mündlicher Erläuterung bedurften. Die schriftlich vorliegenden Quellen machen so ein Nebeneinander von Schriftlichkeit und ihrer mündlichen Perfomanz sowie die Rolle von Vermittlern — d.h. Schreibern und des Lesens kundiger Vorträger von Schriftstücken — unabdingbar.
Letzter Programmpunkt des Treffens war die Möglichkeit zur Vorstellung laufender Arbeiten und Projekte. Dies nutzten André Hertrich, Gesa Westermann und Thomas Büttner zur Vorstellung ihrer jeweiligen Dissertationsvorhaben. A. Hertrich stellte hierbei kurz sein Projekt zur japanischen Wiederbewaffnung nach dem zweiten Weltkrieg vor. Darin fragt er u.a. nach den Kontinuitäten und dem Erbe der Kaiserlichen Armee in den Selbstverteidigungsstreitkräften. G. Westermann forscht zu Dekolonisationsbewegungen in Südostasien und der Rolle Japans in den entsprechenden kolonialen Emanzipationsdiskursen. Th. Büttner steht noch ganz am Anfang seines Dissertationsprojekts und gab deshalb erst einmal nur als Themenbereich die Geschichte der „Taisei Yokusankai“, der „Vereinigung zur Unterstützung der Kaiserherrschaft“ im Japan der 1940er an. Das Treffen endete mit einer kurzen Abstimmung über das weitere Vorgehen (weiterhin halbjährliche Treffen an verschiedenen japanologischen Instituten) sowie über Ort und Datum des nächsten Treffens.
(Protokoll: Anke Scherer)
4. Treffen am Japanologischen Seminar der Universität Bonn am 6. und 7. November 2004
Anwesend in Bonn waren: Kazuko Fujisaki (Freiburg), Shizuka Jäger (Bonn), Joel Joos (Leiden), Hans Martin Krämer (Bochum), Kerstin Lukner (Bonn), Peter Lutum (Münster), René M. Salmen (Bonn), Stefanie Schäfer (Tübingen), Anke Scherer (Bochum), Katja Schmidtpott (Bochum), Tino Schölz (Halle), Pawel Sickinger (Bonn), Maik Hendrik Sprotte (Heidelberg), Detlev Taranczewski (Bonn), Anneli Wallentowitz (Bonn), Gesa Westermann (Hagen), Roland Wingert (Bonn)
Das Treffen begann mit einem Vortrag von Gesa Westermann, die in ihrer Dissertation die Rezeption des Russisch-Japanischen Krieges von 1904/05 in Südostasien untersucht. In der bisherigen Forschung wurde dem Sieg Japans über Russland allgemein eine besondere Bedeutung für die Emanzipationsdiskurse in den südostasiatischen Kolonien zugeschrieben. Er sei, so das gängige Bild, geradezu mit Begeisterung aufgenommen worden, habe er doch einerseits die bis dato fraglos akzeptierte Annahme einer Überlegenheit des „Westens“ erschüttert, andererseits die Modernisierungsfähigkeit östlicher Zivilisationen eindrücklich demonstriert. Diese Sicht innerhalb der Südostasien-Forschung wurde von der Referentin nachdrücklich in Frage gestellt. So konnte sie etwa am Beispiel Vietnams belegen, dass hier zwar die politische Modernisierung Japans in der Tat eine gewichtige Rolle in den Emanzipations- und Reformdebatten der indigenen Eliten spielte, die Japanrezeption und die Vorbildfunktion Japans sich aber keineswegs auf den Russisch-Japanischen Krieg, sondern vielmehr auf die Rezeption der chinesischen Reformliteratur vor 1900 zurückführen lässt. Auch im Falle der Philippinen etwa ist eine begeisterte Aufnahme des Russisch-Japanischen Krieges nicht belegbar. Hier ließ das Interesse an Japan bereits nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg und der folgenden eher als liberal zu bewertenden Politik der USA gegenüber den Philippinen deutlich nach.
Die sich als zweiter Programmpunkt anschließende Diskussionsrunde befasste sich mit der Frage der Verwendung und Anwendbarkeit der Konzepte Moderne und Modernisierung auf die japanische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Zunächst stellte Hans Martin Krämer in seinem Inputreferat wichtige westliche und japanische theoretische Ansätze zum Thema „Modernisierung“ (Walt Rostow, Ulrich Beck, Katô Hidetoshi, Yamanouchi Yasushi, Yasuda Hiroshi) vor und arbeitete dabei ausführlich die unterschiedlichen Kriterien, mit denen Moderne jeweils beschrieben wird, heraus. Dabei warf er insbesondere die Frage auf, ob und inwieweit die Begriffe kindai und gendai zur Periodisierung der japanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts dienen können. In der sich an diese einführenden Bemerkungen anschließende Diskussion wurde vor allem thematisiert, wo der heuristische Wert solcher Großkonzepte / theoretischer Ansätze für die historische Japanforschung liegt und liegen kann. Außerdem wurde herausgearbeitet, wo Epochengrenzen zeitlich zu verorten wären. Schließlich verständigten sich die Teilnehmer darüber, dass die Verwendung der Begriffe kindai und gendai in den verschiedenen Teildisziplinen der japanischen Geschichte (etwa in der Alltagsgeschichte) eine durchaus andere Bedeutung haben kann.
Der Sonntag begann mit einem Vortrag von Peter Lutum zum Thema „Wakon yôsai und wayô setchu. Indigene Bewältigungsstrategien im modernen japanischen Denken.“ Dabei verwies der Referent zunächst beide Begriffe in den Kontext einer bereits seit dem Altertum vorhandenen Fähigkeit zu Assimilation und Integration als kulturelle Strategien der Aneignung des Fremden und Bewusstwerdung des Eigenen. Er legte dar, dass beide Strategien in der Bakumatsu- und Meiji-Zeit letztlich neu aufgegriffen wurden und verdeutlichte dies an der Begriffsgeschichte beider Konzepte. Dieser Aspekt wurde in der anschließenden Diskussion erneut aufgegriffen, indem nach einem weiteren Bedeutungswandel beider Begriffe gefragt wurde.
Schließlich betonte der Referent, dass eine Analyse indigener Kategorien — für die beide Begriffe hier exemplarisch stünden — für die Japanologie neue Perspektiven eröffne, da hierdurch der Gefahr einer Fehlinterpretation japanischer Geistesgeschichte — die durch eine alleinige Verwendung westlicher methodische Ansätze durchaus bestehe — begegnet werden könne.
Vierter Programmpunkt war die Gelegenheit zur Kurzvorstellung laufender Projekte und Arbeiten. Stefanie Schäfer berichtete dabei von ihrem Forschungsprojekt zu den Auseinandersetzungen um die Gestaltung der Ausstellung des Friedensmuseums von Hiroshima, für das sie bereits umfassende Materialrecherchen in Archiven in Hiroshima durchgeführt hat.
Tino Schölz stellte im Anschluss daran ein Unterrichtsprojekt zum Thema Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Japan im Vergleich vor, das seit letztem Jahr in Kooperation zwischen den Universitäten Halle und Tôkyô durchgeführt wird und dessen langfristiges Ziel der Aufbau eines binationalen Graduiertenkollegs zu diesem Themenkomplex ist.
Hans Martin Krämer wies nochmals darauf hin, dass von der Homepage der Parlamentsbibliothek Tôkyô inzwischen mehr als 54.000 Bände — und damit bereits ein wesentlicher Teil japanischer Texte — aus der Meiji-Zeit online zugänglich sind.
Maik Hendrik Sprotte schließlich stellte ein Buchprojekt „Mord und Selbstmord. Zum Phänomen der Gewalt in der politischen Geschichte Japans“ vor, berichtete von seinem Forschungsprojekt zu Ivar Lissner (1909–1967), einem Journalisten und Spion jüdischer Herkunft, der während des zweiten Weltkrieges für die deutsche Abwehr in der Mandschurei tätig war und hier im Umfeld der Sorge-Affäre eine nicht unerhebliche Rolle bei der Abberufung von Botschafter Ott gespielt haben soll, bevor er selbst unter dem Verdacht der Spionage für die Sowjetunion in die Mühlen der japanischen Justiz geriet.
(Protokoll: Tino Schölz)
5. Treffen am Japanologischen Seminar der Universität Tübingen am 7. und 8. Mai 2005
Anwesend in Tübingen waren: Nicole Altmeier (Tübingen), Klaus Antoni (Tübingen), Thomas Büttner (Heidelberg), Denis Gänkler (Halle), Patrick Heinrich (Duisburg), Robert Horres (Tübingen), Hans Martin Krämer (Bochum), Harald Meyer (Zürich), Bettina Rabe (Heidelberg), Stefanie Schäfer (Tübingen), Anke Scherer (Bochum), Jan Schmidt (Heidelberg), Tino Schölz (Halle), Maik Hendrik Sprotte (Heidelberg), Detlev Taranczewski (Bonn), Robin Weichert (Heidelberg)
Das Treffen begann mit einem Vortrag von Thomas Büttner, der als Dissertationsprojekt die Konkurrenz der politischen Eliten während der Kriegszeit am Beispiel der politischen Führung der Taisei yokusankai 1940–45 untersucht.
Die Gründung der Taisei yokusankai sollte explizit das Ziel verfolgen, die bis dahin konkurrierenden Teileliten innerhalb des politischen Systems (insbesondere Parteien, Bürokratie, Militär) unter dem Dach einer einheitlichen Organisation zu vereinigen, an deren Spitze der jeweilige Ministerpräsident stehen sollte. Gelang es nun aber in der Realität, diesen selbstgesetzten Anspruch umzusetzen?
Diese Frage soll im Dissertationsprojekt durch eine computergestützte Analyse einerseits biographischer Daten (Zugehörigkeit zu Gruppierungen, Karrieredaten), andererseits funktionaler Kriterien beantwortet werden, hierdurch wiederum sollen Strukturen und Netzwerke innerhalb der Teileliten sichtbar werden, die ihrerseits eine kritische Evaluation des Forschungsstandes zur Taisei yokusankai ermöglicht.
Die sich an die Vorstellung des Projektes anschließende angeregte Diskussion widmete sich vor allem methodischen Fragen, insbesondere dem Problem, inwieweit die Daten, die zur Analyse der Netzwerke dienen sollen, tatsächlich Rückschlüsse auf die eingangs formulierte Fragestellung — hier wiederum vor allem der qualitativen Dimension der Konflikte zwischen den Teileliten — zulassen.
Die sich als zweiter Programmpunkt anschließende Diskussionsrunde befasste sich mit den Arbeiten von Oguma Eiji. In einem Inputreferat stellten Patrick Heinrich und Hans Martin Krämer die wichtigsten Arbeiten Ogumas — hier v.a. „Tan’itsu minzoku shinwa no kigen“ und „‘Minshu’ to ‘aikoku’. Sengo Nihon no nashonarizumu to kôkyôsei“ — vor und erläuterten damit seine Sicht auf die japanische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Dabei wurde deutlich, in welchem Maße Oguma sich von traditionellen Auffassungen zur japanischen Geistesgeschichte distanziert. So zeigt er auf, dass der Panasianismus vor 1945 keineswegs nur propagandistische Funktionen erfüllte, sondern macht eine Vielzahl von Bemühungen zur Schaffung eines multiethnischen großjapanischen Reiches aus; im Gegenzug sei die These von der ethnisch homogenen japanischen Nation erst nach dem Ende des Imperiums dominierend in den japanischen Identitätsdiskursen dominant geworden. Für die politischen Diskurse der Nachkriegszeit zeigt Oguma an einer Vielzahl von Schlüsselkategorien und Begriffen auf, dass es um das Jahr 1960 eine Verschiebung gegeben hat, die rechtfertige, die Nachkriegszeit insgesamt in ein erstes und zweites sengo zu unterteilen.
Die anschließende Diskussion setzte sich kritisch mit den Thesen Ogumas auseinander, wobei insbesondere die konkreten Zuordnungen von einzelnen Autoren und/oder Begriffen zu Ogumas Kategorien hinterfragt wurden.
Der Sonntag begann mit einem Vortrag von Nicole Altmeier, die die vorläufigen Ergebnisse ihrer Dissertation zum Thema „Geschichtsdarstellung in Japans Staatsparks: Nationale Bühne und gefühlte Authentizität“ vorstellte. Dabei stellte sie nach einem Überblick über die Geschichte von Parks in Japan seit der Meiji-Zeit am Beispiel der drei Staatsparks Asuka, Yoshinogari und Okinawa sehr anschaulich heraus, welche Bedeutung das Konzept der Regionalförderung ursprünglich für die Anlage dieser Staatsparks hatte; entsprechend wichtig ist bis heute die Rolle der Zentralregierung als Geldgeber. Schließlich wurde verdeutlicht, dass bei der Konzeption der Anlagen — insbesondere den rekonstruierten Elementen — gefühlte Authentizität und thematische Geschlossenheit wichtiger sind als der Anspruch auf historische Genauigkeit.
Der vierte Programmpunkt schließlich widmete sich diesmal vor allem der Vorstellung von Projekten und der Diskussion organisatorischer Fragen:
Maik Hendrik Sprotte stellte einen Brief der Gesellschaft für Japanforschung vor, in dem diese eine Verlinkung der Homepage der Initiative mit der der GJF vorschlägt. Dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen; als Ansprechpartner der Initiative soll Maik Sprotte fungieren. Weiterhin wurde eine Überarbeitung des Internetauftritts der Initiative angeregt.
Hans Martin Krämer stellte ein Datenbankprojekt für das Internet vor, dass die Anregung des Bochumer Treffens zur bibliographischen Erfassung von japanischen Quellen in westlicher Übersetzung aufgreift. Dieses soll bis zum nächsten Treffen der Initiative im November eine Testphase durchlaufen und dann auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Maik Sprotte erinnerte in diesem Kontext noch einmal an die von ihm und Jan Schmidt gestaltete Bibliographie zur historischen Japanforschung und bat um die Zusendung weiterer Einträge. Erfasst werden alle deutschsprachigen Beiträge zur historischen Japanforschung, die nach dem 01.01.2003 erschienen sind.
Weiterhin berichtete Maik Sprotte von eine für den 1.–3. Dezember diesen Jahres geplante Tagung zum Russisch-Japanischen Krieg mit Beteiligung verschiedener Einrichtungen der Universität Heidelberg.
Die Geschichtssektion des Japanologentags in Bonn (12.–15. September 2006) wird sich mit dem Thema „Erinnern und Gedenken“ befassen. Es wird gebeten, möglichst früh Rücksprache zu halten und Vortragsvorschläge spätestens bis zum 31.12.2005 zusammen mit einer Zusammenfassung von nicht mehr als einer Seite an Herrn Prof. Dr. Zöllner zu senden.
(Protokoll: Tino Schölz)
6. Treffen am Ostasiatischen Seminar der Universität Zürich am 5. und 6. November 2005
Anwesend in Zürich waren: Eva Burzynski (Halle), Dietmar Ebert (Bochum), Judith Fröhlich (Zürich), Denis Gänkler (Halle), Adrian Gerber (Bern), Eva Giger (Zürich), Dirk Hasler (Regensburg), Hans Martin Krämer (Bochum), Stefania Lottanti (Zürich), Harald Meyer (Zürich), Peter Pantzer (Bonn), Heinrich Reinfried (Zürich), Franziska Saito (Yokosuka), Anke Scherer (Bochum), Jan Schmidt (Heidelberg), Tino Schölz (Halle), Urs Siegrist (Zürich), Wolfgang Seifert (Heidelberg), Maik Hendrik Sprotte (Heidelberg), Daniela Tan (Zürich), Detlev Taranczewski (Bonn)
Das Programm begann am Samstag mit einem Vortrag von Adrian Gerber zu seiner kürzlich erschienenen Dissertation „Gemeinde und Stand. Die zentraljapanische Ortschaft Ôyamazaki im Spätmittelalter. Eine Studie in transkultureller Geschichtswissenschaft“. Gerber verfolgte mit seiner Arbeit zwei Ziele, zunächst ein geschichtswissenschaftliches, nämlich den Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit anhand eines Fallbeispieles näher zu untersuchen, sodann ein erkenntnistheoretisches, nämlich ein heuristisches Konzept für transkulturelle Forschung zu entwickeln.
Der empirische Teil behandelte schwerpunktmäßig die Frage nach Organisationsstrukturen und Herrschaftsformen. Diese lässt sich für die südlich von Kyôto gelegene Ortschaft Ôyamazaki zunächst anhand von Quellen, die von religiösen Organisationen herrühren, beantworten. Drei Quellenkreise seit dem 14. Jahrhundert beschreiben Organisationen, die in einem kultischen Zusammenhang bestanden (lokaler Kult einer Prozession vom Tennô-Berg herab; unabhängige Grundherrschaft des als kenmon einzustufenden Iwashimizu Hachimangû-Schreines; lokaler Hachiman-Schrein). Mit dem Ônin-Krieg verschwanden diese drei Organisationen zugunsten des sôchû, was Gerber mit „Gemeinde“ übersetzte. Etwas abstrakter gefasst, fand auf Gemeindeebene ein Wandel von einer za-Struktur mit strengen formalen Regeln und traditionalem Rechtsdenken hin zu einer sô-Struktur mit flexibler Zusammensetzung von Gremien und rational-utilitaristischem Rechtsdenken statt. Dem entsprach der landesweite Wandel von einem kenmon-System zu einem daimyô-ryôgoku-System (Territorialisierung der Herrschaft). Im erkenntnistheoretischen Teil ging es Gerber insbesondere um die Übertragbarkeit von Begriffen aus dem europäischen Mittelalter auf japanische Gegebenheiten. Ein Vorgehen in vier Etappen sichere eine saubere Heuristik bei der transkultuellen Forschung: 1. Analyse der deutschen Begrifflichkeit; 2. Analyse der Grundbegriffe der japanischen Forschung; 3. Untersuchung der Erkenntnisse und Konzepte zu Forschungsfeldern; 4. lokalhistorische Forschung, im vorliegenden Fall zu Ôyamazaki. Aus den Ergebnissen seiner Studie folgten für Gerber sowohl Fragen an die deutsche Geschichtswissenschaften nach der Gültigkeit ihrer Kriterien und Begriffe als auch an die japanische.
Die anschließende Diskussion konzentrierte sich stark auf begriffsgeschichtliche Fragen. Ob man Begriffe eher für ein deutsches mediävistisches Publikum übersetze oder eher nah am Original zu bleiben versuche, sei eine grundsätzliche Frage der Japanologie überhaupt, bzw. die Vermittlung für ein deutsches Publikum sei ihre Aufgabe. Der Begriffsklärung komme deshalb eine zentrale Stellung zu, weil sie die Grundlage für den historischen Vergleich liefere. Auch in modernen, aneinander angenäherten Gesellschaften erübrige sich die Frage nach dem jeweils Individuellen keineswegs, weil gerade nach den historischen Erfahrungen der Neuzeit mit Imperialismus und Kolonialismus die zwischenstaatlichen Beziehungen komplizierter geworden seien. Ein zweiter Diskussionsstrang entsponn sich um die Bemerkung, dass man die Ausführungen zur eigenständigen Gemeindeverwaltung ja auch als frühes Beispiel für eine autochthone Entwicklung zur Demokratie begreifen könnte. Gegen diese Annahme spreche allerdings, dass Selbstverwaltung auf lokaler Ebene noch nicht mit Demokratie gleichzusetzen sei: Es gebe immer endogene Herrschaft, weil sich auch in kleinen Gruppen sogleich Mächtigere hervortäten und bestimmte Herrschaftsformen im Kleinen etablierten.
Dirk Hasler stellte ebenfalls seine kürzlich fertiggestellte und in naher Zukunft erscheinende Dissertation vor. Sein Vortrag trug den Titel „Völkerrechtliche Verträge Japans nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Bedeutung historischer Erfahrung und politischer Programmatik auf die Gestaltung rechtlicher Normen“. Das Erkenntnisinteresse Haslers lag primär auf der Frage nach der in Japan vorzufindenden Überlagerung der Rechtskreise, nämlich der kontinentaleuropäischen Rechtstradition und dem US-amerikanischen case law. Die konfligierenden Anschauungen würden im Völkerrecht z.B. in der Frage sichtbar, ob 1945 der besiegte Staat fortbestanden habe: Nach US-amerikanischer Auffassung sei dies der Fall gewesen, nach kontinentaleuropäischer und häufig auch japanischer jedoch nicht. Hasler skizzierte abwechselnd die juristischen und die politikwissenschaftlichen Aspekte der außenpolitischen Situation Japans in den Jahren bis zum Abschluss des zweiten Sicherheitsvertrages mit den USA 1960. Politisch gesehen habe Japan sich bemüht, eine Position zwischen Nähe und Distanz zu den USA zu entwickeln, aus der doppelten Sorge heraus begründet, aufgegeben oder hineingezogen zu werden. Dabei habe man sich letztlich eines instrumentellen Pazifismus im Umgang mit den USA bedient, der im Wesentlichen schon in den Debatten während der Besatzungszeit entwickelt worden sei.
Die Diskussion fragte zunächst nach der Dynamik der Vertragsschlüsse: Inwiefern war die japanische Handschrift in den Verträgen sichtbar? Hasler zufolge könne davon in den ersten Jahren nach Kriegsende keine Rede gewesen sein; erst im zweiten Sicherheitsvertrag und dann v.a. in den Defense Guidelines von 1971 sei der japanische Anteil sichtbar gewachsen. Dagegen wurde eingewandt, schon der Friedensvertrag von San Francisco möge ja auf US-amerikanischen Formulierung basiert haben, habe aber dennoch schon damals den Interessen der japanischen Eliten entsprochen. Sodann ging es darum, wo eigentlich die Kontroverse beim Thema liege, eigentlich sei doch die rechtliche Lage eindeutig. Hasler erwiderte, die Aushöhlung von Artikel 9 in der tatsächlichen politischen Praxis bedeute noch lange keine rechtliche Klarheit. Vielmehr werde der Artikel 9 bis heute von der Mehrheit der Kommentare so ausgelegt, dass er die Neutralität Japans garantiere. Außerdem beruhe die japanische Rechtsauffassung auf dem Prinzip ›Macht folgt Recht‹, und es sei interessant zu sehen, wie das Rechtswesen mit der umgekehrten Praxis ›Recht folgt Macht‹ umgehe. Ein abschließender Kommentar regte an, doch die Rechtskultur stärker zu berücksichtigen: In Japan sei es nun einmal üblich, Rechtstexte lieber ungeändert zu lassen, dafür aber nicht hundertprozentig wörtlich zu nehmen, was auch den vermeintlichen Widerspruch im Umgang mit Artikel 9 erklären könne.
Am Sonntag Vormittag stellte Harald Meyer seine kürzlich erschienene Habilitationsschrift „Die ›Taishô-Demokratie‹. Begriffsgeschichtliche Studien zur Demokratierezeption in Japan von 1900 bis 1920“ vor. Ausgangspunkt der Arbeit sei ein Buch von Abe Isoo zur Schweiz als idealem Land der Demokratie gewesen, das man als frühen Beitrag zum Demokratiediskurs der Taishô-Zeit lesen könne. Im Großen gesehen könne man sagen, in der Taishô-Zeit sei das Feld (nämlich der Demokratie) urbar gemacht worden, das dann später (nach 1945) bepflanzt werden konnte. Der Demokratiediskurs sei zwar um etwa 1920 abgebrochen, habe jedoch Erfahrungen und Orientierungshilfen für die Nachkriegszeit zur Verfügung gestellt. Japan könne durchaus als Beispiel für die erfolgreiche Übertragung des universellen westlichen Demokratie-Gedankens gelten. Von den drei üüblichen Feldern der Forschung zur Taishô-Demokratie (politische, soziale und geistige Demokratie) habe Meyer sich schwerpunktmäßig mit dem dritten befasst, also den Bewegungen von Intellektuellen. Inwiefern der Demokratiediskurs als Faktor außersprachlicher Entwicklungen in Erscheinung getreten sei, also die politische und soziale Entwicklung beeinflusst habe, sei schwer zu beantworten, könne aber zumindest für den Bereich der Politik besonders anhand der Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts von 1925 diskutiert werden.
In der Diskussion wurde zunächst die von Meyer getroffene zeitliche Abgrenzung kritisiert, sowohl nach vorne wie nach hinten. Insbesondere die Jiyû minken undô wurde als naheliegender Vorläufer einer demokratischen Tradition genannt, außerdem in Anknüpfung an den Vortag auch kommunale Selbstverwaltungs-Traditionen seit dem Mittelalter. Dem wurde entgegnet, dass Selbstverwaltung noch nicht gleichbedeutend mit Demokratie sei, und dass die Protagonisten des Demokratiediskurses der Taishô-Zeit sich ausdrücklich als Importeure westlichen Gedankenguts begriffen und auch nicht auf die Jiyû minken undô bezogen hätten. Von Interesse war auch der Vergleich mit der Weimarer Republik und Nachkriegs-Deutschland: Welche Bedeutung hatte die Taishô-Zeit als Bezugsereignis für die Nachkriegszeit aus der subjektiven Sicht der AkteurInnen Japans nach 1945? Zumindest für die Dimension der Grundrechte, die bei der Verfassungsgebung eine wichtige Rolle spielten, könne durchaus von einem positive Bezug auf die Taishô-Zeit gesprochen werden. Abschließend behandelte die Diskussion die Frage, inwieweit nicht die überwiegende Zahl der im behandelten Zeitraum für Demokratie Eintretenden ausgesprochene Befürworter eines Imperialismus nach außen gewesen seien, was Meyer nur für einzelne Ausnahmen zubilligte. Es wurde auch die Frage gestellt, ob nicht eine Kontinuität zwar nicht von Demokratie, aber von politischer Partizipation in anderer Form, auch durch die 1930er Jahre hindurch gegeben gewesen sei. Man war sich einig, dass Demokratie und Imperialismus bzw. Nationalismus keine Gegensätze seien und man diese Dimension bei der Untersuchung von Denkern aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besonders beachten müsse.
Unter dem Tagesordnungspunkt Berichte stellte Hans Martin Krämer eine Online-Datenbank von Quellen in Übersetzung vor. Diese läuft im Probebetrieb unter http://dbs.rub.de/japanquellen/home.php. Ziel ist, bibliographische Angaben zu japanischen historischen Quellen in westlichsprachiger Übersetzung (derzeit Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch) in einer Datenbank mit Suchfunktion verfügbar zu machen. Die Datenbank ist so konzipiert, dass jeder Beiträge leisten kann, Korrekturen oder Löschungen jedoch nur von einem Administrator vorgenommen werden können. BesucherInnen des Treffens und LeserInnen dieses Berichtes sind aufgerufen, in diese Datenbank Einträge einzuspeisen und Hinweise zu geben, wie die Kategorien (insbesondere für Schlagwörter und Quellentyp) noch verbessert werden können. In einer kurzen Diskussion wurde angeregt, diese Datenbank angesichts ihrer enormen Bedeutung professioneller mit Inhalten füllen zu lassen und zu versuchen, Mittel für diesen Zweck einzuwerben. Die Möglichkeit, etwa bei der DFG Mittel für eine Hilfskraft zur Pflege einer solchen Datenbank zu erhalten, soll bis zum nächsten Treffen eruiert werden.
Maik Hendrik Sprotte wies auf ein Kolloquium mit dem Titel „Der Russisch-Japanische Krieg (1904/05) — Anbruch einer neuen Zeit?“ hin, das vom 1. bis 3. Dezember 2005 in Heidelberg stattfinden wird. Sie umfasst Vorträge v.a. von Japan- und Russland- HistorikerInnen, berücksichtigt aber auch Perspektiven aus anderen Teilen der Welt.
Die Bibliographie zur historischen Japanforschung ist immer noch auf Meldungen von außen angewiesen. Wer immer einen deutschsprachigen, nach dem 1. Januar 2003 erschienenen Beitrag (Buch, Aufsatz, Zeitungsartikel) zur japanischen Geschichte kennt, ist aufgerufen, diesen zu melden. Die URL lautet http://www.historische-japanforschung.de. Die Seite wird derzeit auf eine Datenbanklösung umgestellt; außerdem ist in Zukunft eine Ausweitung des Berichtszeitraumes geplant.
(Protokoll: Hans Martin Krämer)