Anwesend in Zürich waren: Eva Burzynski (Halle), Dietmar Ebert (Bochum), Judith Fröhlich (Zürich), Denis Gänkler (Halle), Adrian Gerber (Bern), Eva Giger (Zürich), Dirk Hasler (Regensburg), Hans Martin Krämer (Bochum), Stefania Lottanti (Zürich), Harald Meyer (Zürich), Peter Pantzer (Bonn), Heinrich Reinfried (Zürich), Franziska Saito (Yokosuka), Anke Scherer (Bochum), Jan Schmidt (Heidelberg), Tino Schölz (Halle), Urs Siegrist (Zürich), Wolfgang Seifert (Heidelberg), Maik Hendrik Sprotte (Heidelberg), Daniela Tan (Zürich), Detlev Taranczewski (Bonn)
Das Programm begann am Samstag mit einem Vortrag von Adrian Gerber zu seiner kürzlich erschienenen Dissertation „Gemeinde und Stand. Die zentraljapanische Ortschaft Ôyamazaki im Spätmittelalter. Eine Studie in transkultureller Geschichtswissenschaft“. Gerber verfolgte mit seiner Arbeit zwei Ziele, zunächst ein geschichtswissenschaftliches, nämlich den Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit anhand eines Fallbeispieles näher zu untersuchen, sodann ein erkenntnistheoretisches, nämlich ein heuristisches Konzept für transkulturelle Forschung zu entwickeln.
Der empirische Teil behandelte schwerpunktmäßig die Frage nach Organisationsstrukturen und Herrschaftsformen. Diese lässt sich für die südlich von Kyôto gelegene Ortschaft Ôyamazaki zunächst anhand von Quellen, die von religiösen Organisationen herrühren, beantworten. Drei Quellenkreise seit dem 14. Jahrhundert beschreiben Organisationen, die in einem kultischen Zusammenhang bestanden (lokaler Kult einer Prozession vom Tennô-Berg herab; unabhängige Grundherrschaft des als kenmon einzustufenden Iwashimizu Hachimangû-Schreines; lokaler Hachiman-Schrein). Mit dem Ônin-Krieg verschwanden diese drei Organisationen zugunsten des sôchû, was Gerber mit „Gemeinde“ übersetzte. Etwas abstrakter gefasst, fand auf Gemeindeebene ein Wandel von einer za-Struktur mit strengen formalen Regeln und traditionalem Rechtsdenken hin zu einer sô-Struktur mit flexibler Zusammensetzung von Gremien und rational-utilitaristischem Rechtsdenken statt. Dem entsprach der landesweite Wandel von einem kenmon-System zu einem daimyô-ryôgoku-System (Territorialisierung der Herrschaft). Im erkenntnistheoretischen Teil ging es Gerber insbesondere um die Übertragbarkeit von Begriffen aus dem europäischen Mittelalter auf japanische Gegebenheiten. Ein Vorgehen in vier Etappen sichere eine saubere Heuristik bei der transkultuellen Forschung: 1. Analyse der deutschen Begrifflichkeit; 2. Analyse der Grundbegriffe der japanischen Forschung; 3. Untersuchung der Erkenntnisse und Konzepte zu Forschungsfeldern; 4. lokalhistorische Forschung, im vorliegenden Fall zu Ôyamazaki. Aus den Ergebnissen seiner Studie folgten für Gerber sowohl Fragen an die deutsche Geschichtswissenschaften nach der Gültigkeit ihrer Kriterien und Begriffe als auch an die japanische.
Die anschließende Diskussion konzentrierte sich stark auf begriffsgeschichtliche Fragen. Ob man Begriffe eher für ein deutsches mediävistisches Publikum übersetze oder eher nah am Original zu bleiben versuche, sei eine grundsätzliche Frage der Japanologie überhaupt, bzw. die Vermittlung für ein deutsches Publikum sei ihre Aufgabe. Der Begriffsklärung komme deshalb eine zentrale Stellung zu, weil sie die Grundlage für den historischen Vergleich liefere. Auch in modernen, aneinander angenäherten Gesellschaften erübrige sich die Frage nach dem jeweils Individuellen keineswegs, weil gerade nach den historischen Erfahrungen der Neuzeit mit Imperialismus und Kolonialismus die zwischenstaatlichen Beziehungen komplizierter geworden seien. Ein zweiter Diskussionsstrang entsponn sich um die Bemerkung, dass man die Ausführungen zur eigenständigen Gemeindeverwaltung ja auch als frühes Beispiel für eine autochthone Entwicklung zur Demokratie begreifen könnte. Gegen diese Annahme spreche allerdings, dass Selbstverwaltung auf lokaler Ebene noch nicht mit Demokratie gleichzusetzen sei: Es gebe immer endogene Herrschaft, weil sich auch in kleinen Gruppen sogleich Mächtigere hervortäten und bestimmte Herrschaftsformen im Kleinen etablierten.
Dirk Hasler stellte ebenfalls seine kürzlich fertiggestellte und in naher Zukunft erscheinende Dissertation vor. Sein Vortrag trug den Titel „Völkerrechtliche Verträge Japans nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Bedeutung historischer Erfahrung und politischer Programmatik auf die Gestaltung rechtlicher Normen“. Das Erkenntnisinteresse Haslers lag primär auf der Frage nach der in Japan vorzufindenden Überlagerung der Rechtskreise, nämlich der kontinentaleuropäischen Rechtstradition und dem US-amerikanischen case law. Die konfligierenden Anschauungen würden im Völkerrecht z.B. in der Frage sichtbar, ob 1945 der besiegte Staat fortbestanden habe: Nach US-amerikanischer Auffassung sei dies der Fall gewesen, nach kontinentaleuropäischer und häufig auch japanischer jedoch nicht. Hasler skizzierte abwechselnd die juristischen und die politikwissenschaftlichen Aspekte der außenpolitischen Situation Japans in den Jahren bis zum Abschluss des zweiten Sicherheitsvertrages mit den USA 1960. Politisch gesehen habe Japan sich bemüht, eine Position zwischen Nähe und Distanz zu den USA zu entwickeln, aus der doppelten Sorge heraus begründet, aufgegeben oder hineingezogen zu werden. Dabei habe man sich letztlich eines instrumentellen Pazifismus im Umgang mit den USA bedient, der im Wesentlichen schon in den Debatten während der Besatzungszeit entwickelt worden sei.
Die Diskussion fragte zunächst nach der Dynamik der Vertragsschlüsse: Inwiefern war die japanische Handschrift in den Verträgen sichtbar? Hasler zufolge könne davon in den ersten Jahren nach Kriegsende keine Rede gewesen sein; erst im zweiten Sicherheitsvertrag und dann v.a. in den Defense Guidelines von 1971 sei der japanische Anteil sichtbar gewachsen. Dagegen wurde eingewandt, schon der Friedensvertrag von San Francisco möge ja auf US-amerikanischen Formulierung basiert haben, habe aber dennoch schon damals den Interessen der japanischen Eliten entsprochen. Sodann ging es darum, wo eigentlich die Kontroverse beim Thema liege, eigentlich sei doch die rechtliche Lage eindeutig. Hasler erwiderte, die Aushöhlung von Artikel 9 in der tatsächlichen politischen Praxis bedeute noch lange keine rechtliche Klarheit. Vielmehr werde der Artikel 9 bis heute von der Mehrheit der Kommentare so ausgelegt, dass er die Neutralität Japans garantiere. Außerdem beruhe die japanische Rechtsauffassung auf dem Prinzip ›Macht folgt Recht‹, und es sei interessant zu sehen, wie das Rechtswesen mit der umgekehrten Praxis ›Recht folgt Macht‹ umgehe. Ein abschließender Kommentar regte an, doch die Rechtskultur stärker zu berücksichtigen: In Japan sei es nun einmal üblich, Rechtstexte lieber ungeändert zu lassen, dafür aber nicht hundertprozentig wörtlich zu nehmen, was auch den vermeintlichen Widerspruch im Umgang mit Artikel 9 erklären könne.
Am Sonntag Vormittag stellte Harald Meyer seine kürzlich erschienene Habilitationsschrift „Die ›Taishô-Demokratie‹. Begriffsgeschichtliche Studien zur Demokratierezeption in Japan von 1900 bis 1920“ vor. Ausgangspunkt der Arbeit sei ein Buch von Abe Isoo zur Schweiz als idealem Land der Demokratie gewesen, das man als frühen Beitrag zum Demokratiediskurs der Taishô-Zeit lesen könne. Im Großen gesehen könne man sagen, in der Taishô-Zeit sei das Feld (nämlich der Demokratie) urbar gemacht worden, das dann später (nach 1945) bepflanzt werden konnte. Der Demokratiediskurs sei zwar um etwa 1920 abgebrochen, habe jedoch Erfahrungen und Orientierungshilfen für die Nachkriegszeit zur Verfügung gestellt. Japan könne durchaus als Beispiel für die erfolgreiche Übertragung des universellen westlichen Demokratie-Gedankens gelten. Von den drei üüblichen Feldern der Forschung zur Taishô-Demokratie (politische, soziale und geistige Demokratie) habe Meyer sich schwerpunktmäßig mit dem dritten befasst, also den Bewegungen von Intellektuellen. Inwiefern der Demokratiediskurs als Faktor außersprachlicher Entwicklungen in Erscheinung getreten sei, also die politische und soziale Entwicklung beeinflusst habe, sei schwer zu beantworten, könne aber zumindest für den Bereich der Politik besonders anhand der Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts von 1925 diskutiert werden.
In der Diskussion wurde zunächst die von Meyer getroffene zeitliche Abgrenzung kritisiert, sowohl nach vorne wie nach hinten. Insbesondere die Jiyû minken undô wurde als naheliegender Vorläufer einer demokratischen Tradition genannt, außerdem in Anknüpfung an den Vortag auch kommunale Selbstverwaltungs-Traditionen seit dem Mittelalter. Dem wurde entgegnet, dass Selbstverwaltung noch nicht gleichbedeutend mit Demokratie sei, und dass die Protagonisten des Demokratiediskurses der Taishô-Zeit sich ausdrücklich als Importeure westlichen Gedankenguts begriffen und auch nicht auf die Jiyû minken undô bezogen hätten. Von Interesse war auch der Vergleich mit der Weimarer Republik und Nachkriegs-Deutschland: Welche Bedeutung hatte die Taishô-Zeit als Bezugsereignis für die Nachkriegszeit aus der subjektiven Sicht der AkteurInnen Japans nach 1945? Zumindest für die Dimension der Grundrechte, die bei der Verfassungsgebung eine wichtige Rolle spielten, könne durchaus von einem positive Bezug auf die Taishô-Zeit gesprochen werden. Abschließend behandelte die Diskussion die Frage, inwieweit nicht die überwiegende Zahl der im behandelten Zeitraum für Demokratie Eintretenden ausgesprochene Befürworter eines Imperialismus nach außen gewesen seien, was Meyer nur für einzelne Ausnahmen zubilligte. Es wurde auch die Frage gestellt, ob nicht eine Kontinuität zwar nicht von Demokratie, aber von politischer Partizipation in anderer Form, auch durch die 1930er Jahre hindurch gegeben gewesen sei. Man war sich einig, dass Demokratie und Imperialismus bzw. Nationalismus keine Gegensätze seien und man diese Dimension bei der Untersuchung von Denkern aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besonders beachten müsse.
Unter dem Tagesordnungspunkt Berichte stellte Hans Martin Krämer eine Online-Datenbank von Quellen in Übersetzung vor. Diese läuft im Probebetrieb unter http://dbs.rub.de/japanquellen/home.php. Ziel ist, bibliographische Angaben zu japanischen historischen Quellen in westlichsprachiger Übersetzung (derzeit Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch) in einer Datenbank mit Suchfunktion verfügbar zu machen. Die Datenbank ist so konzipiert, dass jeder Beiträge leisten kann, Korrekturen oder Löschungen jedoch nur von einem Administrator vorgenommen werden können. BesucherInnen des Treffens und LeserInnen dieses Berichtes sind aufgerufen, in diese Datenbank Einträge einzuspeisen und Hinweise zu geben, wie die Kategorien (insbesondere für Schlagwörter und Quellentyp) noch verbessert werden können. In einer kurzen Diskussion wurde angeregt, diese Datenbank angesichts ihrer enormen Bedeutung professioneller mit Inhalten füllen zu lassen und zu versuchen, Mittel für diesen Zweck einzuwerben. Die Möglichkeit, etwa bei der DFG Mittel für eine Hilfskraft zur Pflege einer solchen Datenbank zu erhalten, soll bis zum nächsten Treffen eruiert werden.
Maik Hendrik Sprotte wies auf ein Kolloquium mit dem Titel „Der Russisch-Japanische Krieg (1904/05) — Anbruch einer neuen Zeit?“ hin, das vom 1. bis 3. Dezember 2005 in Heidelberg stattfinden wird. Sie umfasst Vorträge v.a. von Japan- und Russland- HistorikerInnen, berücksichtigt aber auch Perspektiven aus anderen Teilen der Welt.
Die Bibliographie zur historischen Japanforschung ist immer noch auf Meldungen von außen angewiesen. Wer immer einen deutschsprachigen, nach dem 1. Januar 2003 erschienenen Beitrag (Buch, Aufsatz, Zeitungsartikel) zur japanischen Geschichte kennt, ist aufgerufen, diesen zu melden. Die URL lautet http://www.historische-japanforschung.de. Die Seite wird derzeit auf eine Datenbanklösung umgestellt; außerdem ist in Zukunft eine Ausweitung des Berichtszeitraumes geplant. (Protokoll: Hans Martin Krämer) |