Protokolle 36–40 (2021–2024)

Protokolle der 36.–40. Tagung aus den Jahren 2021–2024:

Durch Ankli­cken des ent­spre­chen­den Links kön­nen Sie das Pro­to­koll der zuge­hö­ri­gen Tagung aufrufen.

36. Tref­fen im Online-Format vom 05. und 06. Juni 2021
37. Tref­fen im Online-Format vom 27. Novem­ber 2021
38. Tref­fen im Online-Format vom 3. und 4. Dezem­ber 2022
39. Tref­fen im Online-Format vom 21. Okto­ber 2023
40. Tref­fen an der Uni­ver­si­tät Bonn vom 15. und 16. Juni 2024

favicon0236. Tref­fen im Online-Format am 05. & 06. Juni 2021:

Das 36. Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fand am 5. und 6. Juni 2021 in einem Online-Format statt und wur­de von Tino Schölz, Julia Bea­trix Süße, Alex­an­der Toby Wolf und Maik Hen­drik Sprot­te (Freie Uni­ver­si­tät Ber­lin) organisiert.

Vor­trä­ge:
Maria Shi­no­to (Hei­del­berg / Beppu): 30 Jah­re archäo­lo­gi­sche For­schun­gen in Japan – von der Japa­no­lo­gie zur Archäologie
Im ers­ten Vor­trag berich­te­te Maria Shi­no­to von ihrer bereits drei Jahr­zehn­te wäh­ren­den archäo­lo­gi­schen For­schung in Japan. Anders als noch in ihrer Stu­di­en­zeit, als sie sich aus­schließ­lich auf schrift­li­che Quel­len stütz­ten muss­te, greift sie für ihre Arbeit auf dem Gebiet der Hayato-Archäologie in Süd-Kyūshū (Satsu­ma, Ōsu­mi) heut­zu­ta­ge auf mate­ri­el­le Hin­ter­las­sen­schaf­ten zurück und nutzt moder­ne Tech­nik wie Lidar zur Unter­su­chung von Fund­stät­ten und che­mi­sche Ana­ly­sen zur Pro­ve­ni­enz­for­schung. Das Volk der Haya­to lässt sich ab der zwei­ten Hälf­te des 7. Jahr­hun­derts nach­wei­sen und sei­ne Eth­no­ge­nese reicht wahr­schein­lich in die Yayoi- oder Kofun-Zeit zurück. Zeit­lich und regio­nal ist die Narikawa-Keramik – Irden­wa­re, die von Frau­en an ihre weib­li­chen Nach­kom­men wei­ter­ge­ge­ben wur­de und sich bis ins 9. Jahr­hun­dert eigen­stän­dig ent­wi­ckel­te – mit den Haya­to in Ver­bin­dung zu brin­gen, die Grab­sit­ten hin­ge­gen wei­chen ab. Im Brenn­ofen­zen­trum von Nakad­ake wur­den mit­tels Lidar eine über­ra­schend hohe Zahl von Kera­mi­k­ö­fen (ca. 60) pro­spek­tiert, trotz gro­ßer Ent­fer­nung von der Pro­vinz­ver­wal­tung, die nor­ma­ler­wei­se ein wich­ti­ger Abneh­mer von Kera­mik war. Da auch die vor Ort vor­han­de­nen Roh­stof­fe eine schlech­te Qua­li­tät auf­wei­sen und somit nicht der Grund für die Orts­wahl sein kön­nen, liegt die Ver­mu­tung nahe, dass die Öfen aus Han­dels­grün­den nahe an einem Hafen plat­ziert wur­den. Außer­dem bestand eine star­ke loka­le Unabhängigkeit. 
Einen Schwer­punkt der For­schung bil­den ver­zier­te Grab­tu­mu­li (sōs­ho­ku kofun), Bestat­tun­gen mit Rit­zun­gen und Bema­lun­gen in der Grab­kam­mer und am Ein­gang, von denen wahr­schein­lich über Tau­send exis­tie­ren. Zu ihrer Erfor­schung setzt Maria Shi­no­to Daten­mo­du­lie­rung in Form von aoris­ti­scher Ana­ly­se ein, die zeigt, dass der Bau die­ser kofun im 4. Jahr­hun­dert begann und im 6. Jahr­hun­dert sei­nen Höhe­punkt erreich­te. Ab der ers­ten Hälf­te des 6. Jahr­hun­derts sind figür­li­che Dar­stel­lun­gen, z. B. von Bogen­schüt­zen, zu fin­den, in Ost­ja­pan wer­den zudem vie­le Erzäh­lun­gen bild­lich dar­ge­stellt. Auch Ein­flüs­se aus Nord­ko­rea las­sen sich erkennen.
An den Vor­trag schloss sich eine rege Dis­kus­si­on an, in deren Ver­lauf u. a. dar­auf hin­ge­wie­sen wur­de, dass auf dem Feld der Archi­tek­tur teils ähn­li­che Schwie­rig­kei­ten bei der zeit­li­chen Ein­ord­nung von Bau­wer­ken bestehen wie in der Archäo­lo­gie. Meh­re­re Fra­gen wur­den zu den Ver­zie­run­gen der Grä­ber gestellt: So ist die Dar­stel­lung von Krö­ten wahr­schein­lich auf chi­ne­si­sche Ein­flüs­se zurück­zu­füh­ren, die genau­en Vor­stel­lun­gen vom Toten­reich zu jener Zeit sind jedoch unge­klärt. Häu­fig fin­den sich auch Son­nen­schei­ben bzw. Spie­gel­dar­stel­lun­gen, die sich aber je nach Ort unter­schei­den und bei den Grä­bern ärme­rer Men­schen als Ersatz für Grab­bei­ga­ben dien­ten. Pro­ble­me bei der Unter­su­chung der Fund­stät­ten berei­ten zum einen gif­ti­ge Insek­ten, zum ande­ren Kera­mik­samm­ler, die die Regi­on in immer grö­ße­rer Zahl auf­su­chen. Plä­ne, Nakad­ake zum Denk­mal zu erklä­ren, könn­ten die wei­te­re For­schung ganz verhindern.

Alex­an­dra Weber (Hal­le [Saa­le]): Der Ein­fluss euro­päi­scher Rüs­tun­gen auf das Kriegs­e­quip­ment der Samu­rai zur Azuchi-Momoyama- und frü­hen Edo-Zeit
Im zwei­ten Vor­trag des Sams­tags stell­te Alex­an­dra Weber ihre Mas­ter­ar­beit über den „Ein­fluss euro­päi­scher Rüs­tun­gen auf das Kriegs­e­quip­ment der Samu­rai zur Azuchi-Momoyama- und frü­hen Edo-Zeit“ vor. Zur Erfor­schung die­ses The­mas, zu dem es kaum Vor­ar­bei­ten gibt, wen­det sie Metho­den der Kunst­ge­schich­te und teil­wei­se der Archäo­lo­gie an. 
Japa­ni­sche Krie­ger – unter ihnen beson­ders Oda Nobun­ga im Zuge der Reichs­ei­ni­gung – grif­fen ver­stärkt auf west­li­che Waf­fen und Rüs­tun­gen zurück, sodass sich eine rege Import­tä­tig­keit ent­wi­ckel­te. Hel­me, Kür­as­se und Kra­gen­stü­cke aus euro­päi­scher Fer­ti­gung wur­den in japa­ni­sche Rüs­tun­gen inte­griert und dafür häu­fig umge­ar­bei­tet. Den­noch blie­ben deut­li­che Unter­schie­de zur japa­ni­schen Tra­di­ti­on bestehen, so etwa Brust­plat­ten aus einem Stück statt der in Japan übli­chen Lamel­len. Bei den ein­ge­führ­ten Rüs­tungs­tei­len han­del­te es sich zwar um recht ein­fa­che Stü­cke, in Japan wur­den sie jedoch als kost­spie­li­ge Objek­te der Ober­schicht gehan­delt. Bald begann man des­halb, Imi­ta­tio­nen in Japan her­zu­stel­len. Als wäh­rend der Edo-Zeit der prak­ti­sche Nut­zen hin­ter deko­ra­ti­ve und reprä­sen­ta­ti­ve Aspek­te zurück­trat, ent­stan­den rasch zahl­rei­che neue Model­le. Wäh­rend heu­te nur noch drei Ori­gi­nal­rüs­tun­gen aus Euro­pa in Japan erhal­ten sind, exis­tiert eine gro­ße Zahl die­ser Eigen­pro­duk­tio­nen, deren Eigen­schaf­ten und Unter­schie­de die Refe­ren­tin anhand von Illus­tra­tio­nen erörterte. 
Sie wies fer­ner auf die pro­ble­ma­ti­sche Benen­nungs­kon­ven­ti­on die­ser Rüs­tun­gen hin: Zwar wird unter Ver­wen­dung der dama­li­gen japa­ni­schen Bezeich­nung für Euro­pä­er als „Süd­bar­ba­ren“ (nan­ban) zwi­schen nanban-dō („Südbarbaren-Harnisch“) und wasei-naban-dō („Südbarbaren-Harnisch aus japa­ni­scher Fer­ti­gung“) unter­schie­den, die­se Dif­fe­ren­zie­rung ist aber vage und unein­heit­lich, sodass zahl­rei­che von japa­ni­schen Platt­nern her­ge­stell­te Rüs­tun­gen in einer für Lai­en ver­wir­ren­den Wei­se als nanban-dō bezeich­net wer­den. Alex­an­dra Weber plä­diert des­halb für eine Ver­ein­heit­li­chung, indem der Ter­mi­nus nanban-dō ledig­lich für Impor­te aus Euro­pa, der Begriff wasei-naban-dō dage­gen nur für japa­ni­sche Imi­ta­te ver­wen­det wer­den sollte. 
In der Dis­kus­si­on kam die Fra­ge auf, war­um die Japa­ner Umbau­ten an euro­päi­schen Rüs­tungs­tei­len vor­nah­men. Die­se hat­ten zum Zweck, die Rüs­tun­gen leich­ter anzie­hen zu kön­nen. Zudem wur­den der ver­wen­de­te Begriff der „Imi­ta­ti­on“ pro­ble­ma­ti­siert, da er als abwer­tend ver­stan­den wer­den könn­te, sowie der prak­ti­sche Nut­zen einer fei­ne­ren Unter­schei­dung von Rüs­tungs­tei­len nach deren Her­kunft in Zwei­fel gezogen.

Vic­tor Fink (Hei­del­berg): Zur Stel­lung des kan­shi in der Kul­tur­ge­schich­te der Edo-Zeit
Im drit­ten Vor­trag am Sams­tag wid­me­te sich Vic­tor Fink der Stel­lung des kan­shi in der Kul­tur­ge­schich­te der Edo-Zeit. Nach einer Gegen­über­stel­lung ver­schie­de­ner Peri­odi­sie­run­gen der japa­ni­schen Geschich­te gab er einen Über­blick der poli­ti­schen und kul­tu­rel­len Dimen­si­on der Edo-Zeit. Wäh­rend kan­shi in der Edo-Zeit zunächst als ver­al­te­te kon­fu­zia­ni­sche Scho­las­tik ange­se­hen wur­den, kam es um 1800 in Aus­ein­an­der­set­zung mit Song-zeitlichen Vor­bil­dern zu einer Erneue­rung. Einen Wen­de­punkt stell­ten die Stu­di­en Ogyū Sorais dar. Neben die­sem wid­met sich Vic­tor Fink in sei­ner For­schung vor allem Hoku­zan und Oku­bo Shi­butsu, wobei die Fra­ge nach der Indi­vi­dua­li­tät und Sub­jek­ti­vi­tät der Dich­ter im Mit­tel­punkt steht. Der Refe­rent greift auf Vor­ar­bei­ten von Micha­el Kin­ski, Samu­el H. Yamas­hi­ta und Peter Nosco zurück, um eine Theo­re­ti­sie­rung der Edo-Zeit zu ermöglichen. 
In der Dis­kus­si­on wur­de die Fra­ge auf­ge­wor­fen, inwie­weit der von Vic­tor Fink für die Edo-Zeit benutz­te Begriff des Feu­da­lis­mus und die teleologisch-marxistische Geschichts­auf­fas­sung auf Japan anwend­bar sind. Des Wei­te­ren wur­de dis­ku­tiert, ob neben den kan­shi auch ande­re Gedich­te der Zeit in den Blick der Unter­su­chung rücken sollten.

Julia Bea­trix Süße / Alex­an­der Toby Wolf (Ber­lin): Kurz­prä­sen­ta­ti­on: 1. Tagung der „Stu­den­ti­schen Initia­ti­ve Deutsch­spra­chi­ger Japa­no­lo­gie“ (StIDJ)
In einer Kurz­prä­sen­ta­ti­on stell­ten Julia Bea­trix Süße und Alex­an­der Toby Wolf ihr uni­ver­si­täts­über­grei­fen­des Pro­jekt zur Aus­rich­tung einer Tagung von und für Stu­die­ren­de der Japa­no­lo­gie vor (https://stidjapanologie.wordpress.com/) und rie­fen dazu auf, sich mit Vor­trä­gen zu betei­li­gen. Auf der Tagung, die the­ma­tisch in Sek­tio­nen auf­ge­teilt sein wird, sol­len die Stu­die­ren­den ers­te Kon­fe­renz­er­fah­run­gen sam­meln kön­nen. Ein­rei­chun­gen sind unter stid.japanologie@gmail.com erbeten.

Tarik Meri­da (Ber­lin): Ein fehl­ge­schla­ge­nes demo­kra­ti­sches Expe­ri­ment? Die Bedeu­tung von Afroamerikaner/innen für Japan
Im vier­ten Vor­trag beschäf­tig­te sich Tarik Meri­da mit der Bedeu­tung von Afroamerikanern/innen für Japan. Wäh­rend bis­he­ri­ge Stu­di­en den Schwer­punkt auf die afro­ame­ri­ka­ni­sche Per­spek­ti­ve gelegt und die Soli­da­ri­tät zwi­schen bei­den Grup­pen von „fel­low vic­tims of racism“ unter­stri­chen hat­ten, beleuch­te­te der Refe­rent die japa­ni­sche Sicht auf Afro­ame­ri­ka­ner Anfang des 20. Jahr­hun­derts. Dabei dekon­stru­ier­te er die Auf­fas­sung, die­se hät­ten Japan als Vor­bild gedient, da sie „far­big, jedoch modern“ gewe­sen sei­en. Tat­säch­lich stell­te Japan Anfang des 20. Jahr­hun­derts inso­fern eine Anoma­lie dar, als es zwar zu den wei­ßen Natio­nen gezählt, aber inter­na­tio­nal nicht voll aner­kannt wur­de. Die japa­ni­sche Sicht auf Afro­ame­ri­ka­ner war dabei häu­fig ambi­va­lent, näm­lich von Empa­thie sowohl für die afro­ame­ri­ka­ni­sche als auch die wei­ße Bevöl­ke­rung der USA geprägt.
Mit wach­sen­der Dis­kri­mi­nie­rung von Japa­nern in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten Anfang des 20. Jahr­hun­derts wuchs auch das japa­ni­sche Inter­es­se an der Behand­lung von Afro­ame­ri­ka­nern. Einer­seits bot sich so die Mög­lich­keit, Kri­tik am Umgang der USA mit ande­ren „Ras­sen“ zu üben. Ande­rer­seits wur­den Afro­ame­ri­ka­ner von japa­ni­scher Sei­te aber oft als unreif, trieb­ge­bun­den, unselb­stän­dig und faul ange­se­hen. Da sie ver­meint­lich ihre Rech­te und Chan­cen nicht nutz­ten, galt ihre Eman­zi­pa­ti­on als geschei­ter­tes demo­kra­ti­sches Expe­ri­ment. So konn­te der Kon­trast zu Japan betont wer­den, dem Rech­te ver­wehrt blie­ben, die Afro­ame­ri­ka­ner genös­sen, obwohl sie sie eigent­lich nicht ver­dient hät­ten. Im Anschluss ent­spann sich eine Dis­kus­si­on dar­über, wie Kolo­nia­lis­mus zu defi­nie­ren ist und ob sein Vor­han­den­sein den moder­nen Natio­nal­staat vor­aus­setzt oder auch unab­hän­gig davon vor­kom­men kann.

Juli­us Becker (Pots­dam): Die glo­ba­le Wir­kung des Ers­ten Chinesisch-Japanischen Krieges
Als letz­ter Pro­gramm­punkt des Sams­tags prä­sen­tier­te Juli­us Becker sein Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekt zur glo­ba­len Wir­kung des Ers­ten Chinesisch-Japanischen Krie­ges. Dabei zeich­ne­te er die Inter­es­sen und das Han­deln der gro­ßen euro­päi­schen Mäch­te gegen­über Chi­na und Japan nach. Wäh­rend Groß­bri­tan­ni­en etwa von einer ursprüng­lich pro-chinesischen zu einer japan­freund­li­chen Hal­tung über­ging, näher­te sich Deutsch­land immer mehr Chi­na an. Dabei wur­de häu­fig euro­päi­sche Poli­tik auf Ost­asi­en pro­ji­ziert, Ter­ri­to­ri­al­in­ter­es­sen und Alli­an­zen spiel­ten eine ent­schei­den­de Rol­le. Bis­he­ri­ge Stu­di­en stütz­ten sich auf Zei­tungs­be­rich­te in Asi­en; Akten in den euro­päi­schen Außen­mi­nis­te­ri­en fan­den jedoch kaum Beachtung.
Juli­us Becker zieht hin­ge­gen neben der ein­schlä­gi­gen Sekun­där­li­te­ra­tur, Zei­tun­gen und zeit­ge­nös­si­scher Lite­ra­tur auch Akten­be­stän­de des deut­schen, fran­zö­si­schen und bri­ti­schen Außen­mi­nis­te­ri­ums sowie Bank­ar­chi­ve her­an, um fol­gen­den For­schungs­fra­gen nach­zu­ge­hen: Wie ver­än­der­te sich die Außen- und Kolo­ni­al­po­li­tik? Wel­che Rol­le spiel­ten wirt­schafts­po­li­ti­sche Aspek­te? Wie wan­del­te sich das Japan- und China­bild? Wel­chen Ein­fluss hat­te die Bericht­erstat­tung auf die Außenpolitik?
Im Anschluss wur­de die Fra­ge dis­ku­tiert, wie die Rol­le der chi­ne­si­schen und japa­ni­schen Akteu­re berück­sich­tigt wer­den könn­te und ob und inwie­weit sich deren Han­deln in der eng­lisch­spra­chi­gen Kor­re­spon­denz wider­spie­ge­le. Fer­ner wur­de die Gefahr the­ma­ti­siert, aus euro­päi­schen Quel­len ein zu posi­ti­ves Japan­bild zu über­neh­men, da Japan effek­ti­ve­re Pro­pa­gan­da­ar­beit betrieb als Chi­na. Hin­ter­fragt wur­de auch, ob die Aus­wahl der Quel­len sich nicht zu stark auf staat­li­che Akteu­re konzentriere.

Fabi­en­ne Hofer-Uji (Ōsa­ka): Der deut­sche Ein­fluss auf die japa­ni­sche Kolonialpolitik
Den ers­ten Pro­gramm­punkt am Sonn­tag bil­de­te Fabi­en­ne Hofer-Ujis Vor­trag zum deut­schen Ein­fluss auf die japa­ni­sche Kolo­ni­al­po­li­tik. Die Arbeit kon­zen­triert sich auf die Geschich­te Tai­wans als Kolo­nie. Laut dem bis­he­ri­gen For­schungs­stand schwank­te die japa­ni­sche Kolo­ni­al­po­li­tik dort zwi­schen dem bri­ti­schen Modell (Kron­ko­lo­nie wie Cey­lon oder Hong­kong) und dem fran­zö­si­schen (Anne­xi­on wie in Alge­ri­en). Jedoch spre­chen Fabi­en­ne Hofer-Uji zufol­ge vier Grün­de dafür, dass es auch zu einer Beein­flus­sung durch Deutsch­land kam: 1.) Der Beginn der Kolo­ni­al­zeit fällt in das gol­de­ne Zeit­al­ter der deutsch-japanischen Bezie­hun­gen wäh­rend der 1870er bis 1890er Jah­re. 2.) In der Gou­ver­neurs­re­gie­rung auf Tai­wan waren vie­le japa­ni­sche Beam­te mit Deutsch­lan­d­er­fah­rung tätig. 3.) Häu­fig fin­den sich Ver­wei­se auf deut­sche Metho­den in offi­zi­el­len Unter­su­chun­gen der Behör­den. 4.) Unter allen erwähn­ten Län­dern ist Deutsch­land in den Berich­ten regie­rungs­na­her Zeit­schrif­ten am dritt­häu­figs­ten ver­tre­ten. Somit lässt sich ein Inter­es­se der Gou­ver­neurs­re­gie­rung an Deutsch­land konstatieren. 
Dabei liegt der Schwer­punkt der Unter­su­chung auf der ers­ten Pha­se der japa­ni­schen Kolo­ni­al­herr­schaft zwi­schen 1895 und 1919 sowie auf vier hoch­ran­gi­gen Beam­ten mit Deutsch­lan­d­er­fah­rung im Umfeld des Gou­ver­neurs Gotō Shim­pei, dar­un­ter der Jurist Okamatsu Sant­arō, der die „alten Bräu­che“ Tai­wans unter Rück­griff auf euro­päi­sche rechts­wis­sen­schaft­li­che Metho­den unter­such­te. Die Dis­ser­ta­ti­on posi­tio­niert sich inner­halb der Glo­bal Histo­ry und greift Fou­caults Kon­zept der Gou­ver­ne­men­ta­li­tät auf. Da die Stu­die in ihrer jet­zi­gen Form zu umfang­reich ist, plant die Refe­ren­tin, sich auf die Inspek­tio­nen deut­scher Kolo­ni­al­ge­bie­te zu beschränken.
Im Anschluss wur­de dis­ku­tiert, wie die Dis­ser­ta­ti­on sich von Nadi­ne Heés Stu­die zur japa­ni­schen Kolo­ni­al­po­li­tik auf Tai­wan unter­schei­de. Fabi­en­ne Hofer-Uji gab zu beden­ken, dass sich Heé spe­zi­ell mit Gewalt­struk­tu­ren befasst und sich nicht nur auf den Anfang der Kolo­ni­al­zeit beschränkt. Einen wei­te­ren Dis­kus­si­ons­punkt stell­te der Begriff des Ein­flus­ses dar: Statt eines direk­ten Trans­fers ist es ange­mes­se­ner, von Dif­fu­si­on zu spre­chen. Zudem soll­ten bei der Unter­su­chung der Rezep­ti­on aus­län­di­scher Vor­bil­der stets auch die Vor­prä­gung und Inter­es­sen der japa­ni­schen Akteu­re berück­sich­tigt wer­den. Zuletzt wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sich der deut­sche Ein­fluss am bes­ten durch Kon­tras­tie­rung mit den fran­zö­si­schen und bri­ti­schen Model­len her­aus­ar­bei­ten lässt.

Jul­jan Bion­ti­no (Chi­ba): Der Berg Namsan in Seo­ul als Schau­platz der japa­ni­schen Assi­mi­la­ti­ons­po­li­tik (1890–1945)
Im zwei­ten Vor­trag am Sonn­tag griff Jul­jan Bion­ti­no das The­ma sei­ner Dis­ser­ta­ti­on, „Der Berg Namsan in Seo­ul als Schau­platz der japa­ni­schen Assi­mi­la­ti­ons­po­li­tik (1890–1945)“ auf, deren Ver­öf­fent­li­chung er zur­zeit vor­be­rei­tet. Für sei­ne Unter­su­chung zog der Refe­rent die Ansät­ze der Erin­ne­rungs­kul­tur und der Ritu­al­theo­rie heran.
Seit dem spä­ten 19. Jahr­hun­dert ent­stan­den um den Namsan, dem tra­di­tio­nell eine Schutz­funk­ti­on für die Stadt Seo­ul zuge­schrie­ben wur­de, japa­ni­sche Schrei­ne sowie ver­ein­zel­te Tem­pel, bis der Berg zur Zeit des Zwei­ten Welt­kriegs schließ­lich kom­plett von japa­ni­schen reli­giö­sen Stät­ten umge­ben war. Schon 1893 wur­den japa­ni­sche Sied­ler­schrei­ne errich­tet, ab 1916 bestand der Kei­jō jin­ja als Schutz­schrein von Seo­ul. Von 1936 an soll­te dort durch Ver­eh­rung einer neu kre­ierten korea­ni­schen Shintō-Gottheit auch die korea­ni­sche Bevöl­ke­rung ein­be­zo­gen wer­den. 1925 wur­de der Chō­sen jin­gū, der größ­te Schrein Kore­as, auf dem Namsan ein­ge­weiht, an dem neben Ama­ter­asu auch der Meiji-Tennō ver­ehrt wur­de. Suk­zes­si­ve wur­de die Teil­nah­me an den dor­ti­gen Ritua­len ver­pflich­tend, sodass es zu einer Dis­kri­mi­nie­rung von Korea­nern und einem Ein­drin­gen in die Sphä­re pri­va­ter Reli­gio­si­tät kam. Hin­zu trat die Nut­zung der Schrei­ne für die Ver­eh­rung korea­ni­scher Sol­da­ten in der japa­ni­schen Armee. Itō Hiro­bu­mi wie­der­um wur­de der bud­dhis­ti­sche Tem­pel Haku­bun­ji gewid­met. Auf die­se Wei­se dien­te der Namsan als Basis der japa­ni­schen Assi­mi­la­ti­ons­po­li­tik, indem er sowohl genutzt wur­de, um die korea­ni­sche Bevöl­ke­rung über die Bräu­che und Kul­tur Japans auf­zu­klä­ren sowie deren Aner­ken­nung in der Kolo­nie zu för­dern, als auch eine Rol­le als Ort der Loya­li­täts­be­kun­dung gegen­über den Kolo­ni­al­her­ren spielte. 
In der Dis­kus­si­on wur­de ein ver­glei­chen­des Pro­jekt zur Assi­mi­la­ti­ons­po­li­tik in Tai­wan und Korea ange­regt, das jedoch bereits läuft. Fer­ner wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es Bemü­hun­gen in Korea gab, die japa­ni­sche Assi­mi­la­ti­ons­po­li­tik für die recht­li­che Gleich­stel­lung von Korea­nern zu kooptieren.

Aya­ko Ito (Kas­sel): Shi­ni­chi Suzu­ki und sein Bei­trag zur Musik­pro­pa­gan­da im impe­ria­lis­ti­schen Japan
Den drit­ten Vor­trag am Sonn­tag hielt Aya­ko Ito zu ihrer Dis­ser­ta­ti­on über den Gei­ger Shi­ni­chi Suzu­ki und sei­nen Bei­trag zur Musik­pro­pa­gan­da im impe­ria­lis­ti­schen Japan. Die nach ihm benann­te Suzuki-Methode wird welt­weit ein­ge­setzt, um Kin­dern ab drei Jah­ren das Spie­len nach Gehör und anfangs ohne Noten bei­zu­brin­gen. Seit den 1970er Jah­ren kommt die­ser instru­men­tal­päd­ago­gi­sche Ansatz auch in Deutsch­land zur Anwen­dung. In der öffent­li­chen Wahr­neh­mung stößt die Suzuki-Methode auf ein geteil­tes Echo: Wäh­rend Kri­ti­ker stren­gen Drill und end­lo­se Wie­der­ho­lun­gen als Erzie­hung zur Kon­for­mi­tät anpran­gern, schät­zen die Befür­wor­ter den reform­päd­ago­gi­schen und kind­ge­rech­ten Ansatz sowie den Kos­mo­po­li­tis­mus der Metho­de. Auch die For­schung betont bis­lang die kos­mo­po­li­ti­sche Ten­denz Suzu­kis und sei­nes Werks, eine gründ­li­che his­to­ri­sche Auf­ar­bei­tung hat jedoch bis­her nicht stattgefunden. 
Anhand sei­ner Schrif­ten zeig­te die Refe­ren­tin auf, dass Suzu­kis Den­ken natio­na­lis­ti­sche Züge auf­wies. In der ers­ten Mono­gra­fie zu sei­ner Metho­de aus dem Jahr 1941 lob­te er das neue Tennō-zentrierte Grund­schul­ge­setz und sprach sich dafür aus, aus­län­di­sche Ein­flüs­se zurück­zu­drän­gen. Er unter­stütz­te die impe­ria­lis­ti­sche Gesin­nung und argu­men­tier­te, da Japan ande­ren Län­dern über­le­gen sei, müs­se es auf frem­de Unter­richts­me­tho­den ver­zich­ten. Suzu­ki schweb­te die Erzie­hung guter Men­schen im Sin­ne der japanisch-konfuzianischen Tugend­idea­le vor. Nach dem Krieg schwäch­te sich die­se Gesin­nung ab, blieb aber im Kern bestehen. So behaup­te­te Suzu­ki 1946, die Kom­ple­xi­tät einer Spra­che kor­re­spon­die­re mit der kul­tu­rel­len Leis­tung eines Vol­kes, und lei­te­te dar­aus einen Über­le­gen­heits­an­spruch der japa­ni­schen Spra­che und Kul­tur ab. Er glaub­te wei­ter­hin an die Kon­trol­lier­bar­keit und Form­bar­keit des Men­schen, der durch Musik erzo­gen wer­den sol­le. In sei­ner Sicht des Kin­des als „Tabula-Rasa“, das durch Erzie­hung erst geformt wer­den muss, über­nahm Suzu­ki Tei­le von Alexis Car­rels Men­schen­bild, das sich auch in der Suzuki-Methode wider­spie­gelt. Talent ver­stand Suzu­ki als etwas, das sich der Mensch aneig­nen muss. Durch Musik soll­ten Kin­der von Ego­is­mus und Unge­hor­sam gerei­nigt und zu guten Men­schen erzo­gen werden.
Im Anschluss an den Vor­trag wur­de dis­ku­tiert, wie Suzu­kis Kri­tik am japa­ni­schen Staat im Jahr 1941 zu deu­ten ist, die auf der frei­en Erzie­hung der Taishō-Zeit fuß­te, und wie er die Ideen der 1920er Jah­re rezi­pier­te. Eben­falls kam die Fra­ge auf, wie viel sei­nes Gedan­ken­guts tat­säch­lich von Suzu­ki selbst stammt und wel­cher Teil er von ande­ren über­nom­men hat. Schließ­lich wur­de bespro­chen, ob der Natio­na­lis­mus­be­griff auf Suzu­ki zutrifft oder es sich in sei­nem Fall um Ras­sis­mus handelt.

Der letz­te Vor­trag, der die Dis­kri­mi­nie­rung von Homo­se­xua­li­tät in Japan the­ma­ti­sie­ren soll­te, muss­te aus gesund­heit­li­chen Grün­den kurz­fris­tig ausfallen.

Das nächs­te, 37. Tref­fen der Initia­ti­ve wird wie­der in einem digi­ta­len For­mat statt­fin­den. Zu gege­be­ner Zeit wird der Ter­min bekannt­ge­ge­ben. Das Tref­fen wird von Julia Bea­trix Süße und Alex­an­der Toby Wolf (bei­de FU Ber­lin) organisiert.

(Dani­el Gerichhausen)

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favicon0137. Tref­fen im Online-Format am 27. Novem­ber 2021:

Das 37. Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fand am 27. Novem­ber 2021 in einem Online-Format statt und wur­de von Julia Bea­trix Süße und Alex­an­der Toby Wolf (Freie Uni­ver­si­tät Ber­lin) organisiert.

Vor­trä­ge:
Chris­toph Rei­chen­bä­cher (Naga­ku­te): „Drei Tage Schön­wet­ter auf dem Lan­de“ – Sumō-Ringer im rura­len Japan des frü­hen 19. Jahrhunderts
Chris­toph Rei­chen­bä­cher dis­ku­tier­te ein Kapi­tel sei­ner Dok­tor­ar­beit zum The­ma Sumō-Ringen als Bei­spiel urba­ner, pro­fes­sio­na­li­sier­ter Unter­hal­tungs­for­men und deren Aus­brei­tung im rura­len vor­mo­der­nen Japan. Bei die­ser kultur- und sozi­al­his­to­ri­schen Unter­su­chung steht der Zeit­raum zwi­schen 1770 und etwa 1890 im Mit­tel­punkt. Es geht dar­in um den Sta­tus der Rin­ger in einer sich wan­deln­den Umwelt sowie die Her­aus­bil­dung eines Status-quo, der den Regeln der Regie­ren­den Rech­nung trug und den­noch eine freie Aus­übung des Rin­gens ermög­lich­te. Dabei steht die Fra­ge im Raum: Wer sorg­te wie dafür, dass Rin­ger in Dör­fer kamen, dort Geld ver­die­nen und die­se Tätig­keit regel­mä­ßig wie­der­ho­len konnten? 
Zuerst gab Chris­toph Rei­chen­bä­cher einen Über­blick über die Geschich­te des Sumō in der Edo-Zeit. So gab es zu Beginn der Edo-Zeit noch drei Auf­füh­rungs­ar­ten des Sumō: (1) das soge­nann­te Bene­fiz­su­mō für Schrein- und Tem­pel­bau­ten, bei denen Rin­ger antra­ten, die dies im Neben­be­ruf aus­üb­ten, (2) Votiv­ver­an­stal­tun­gen, also Tur­nie­re bei Tem­peln und Schrei­nen, die als Dar­bie­tun­gen für Gott­hei­ten gedacht waren, und (3) Stra­ßen­tur­nie­re, die als Ad-hoc-Turniere statt­fan­den. Im Lauf des 17. Jahr­hun­derts wur­den die Sumō-Turniere, was die Teil­neh­men­den und Auf­füh­rungs­or­te betrifft, ver­re­gelt und ein­ge­grenzt. Im Lau­fe des 18. Jahr­hun­derts hat­ten sich in japa­ni­schen Burg­städ­ten und den drei Metro­po­len – Edo, Ōsa­ka und Kyō­to – zahl­rei­che Grup­pen eta­bliert, die Unter­hal­tung für die Bewoh­ner gegen einen Obo­lus dar­bo­ten. Im Geist der Zeit galt es den poli­tisch Herr­schen­den aber als zu unsi­cher, pro­fes­sio­na­li­sier­te Rin­ger in städ­ti­schen Gebie­ten anzu­sie­deln. Das Shog­u­nat sorg­te des­halb mit Edik­ten unter ande­rem für ein Mono­pol der Rin­ger aus Edo (1743). Ab den 1750er Jah­ren wur­den Sumō-Turniere abge­hal­ten, die regel­mä­ßig auf Büh­nen vor zah­len­dem Publi­kum statt­fan­den. Drei Jahr­zehn­te spä­ter erfolg­te eine Ein­gren­zung der Tätig­keit auf umher­rei­sen­de Pro­fes­sio­nel­le (1773). Damit erhielt die Sumō-Gesellschaft eine Mono­pol­stel­lung. Infol­ge die­ser neu­en recht­li­chen Grund­la­ge ver­än­der­ten sich die ent­wi­ckel­ten Trai­nings­grup­pen grund­le­gend. Auf ihren Wegen zu den jähr­lich abge­hal­te­nen Tur­nie­ren in den drei Metro­po­len reis­ten die Rin­ger nun durch die Regio­nen und waren ange­hal­ten, Ein­kom­men durch geson­der­te Vor­füh­run­gen zu ver­die­nen. Die bekann­tes­te Quel­le für die­se Akti­vi­tät ist der Rei­se­be­richt des Rai­den Tame’emon (1767–1828) „Notiz­buch zu Sumō in allen Län­dern“ (Sho-koku sumō hika­echō) aus den Jah­ren 1790 bis 1812. In der Kansai-Zeit Ende des 18. Jahr­hun­derts ent­stand der Rang des Yoko­zu­na sowie Regeln zum Auf­bau einer Sumō-Wettkampfstätte, die Tra­di­ti­on von Ring­rich­tern sowie eine selbst­or­ga­ni­sier­te Hier­ar­chie der Sumō-Trainingsgruppen. Anfang des 19. Jahr­hun­derts wur­de ein Lizenz­sys­tem ein­ge­führt, bei dem es drei Arten von Lizen­zen gab: Lizen­zen für die Form des Rings bzw. der Tur­nier­form, Lizen­zen für die teil­neh­men­den Rin­ger sowie Lizen­zen für die loka­le Orga­ni­sa­ti­on. Damit wur­den Sumō-Turniere auf dem Land zu pro­fes­sio­nell orga­ni­sier­te Ver­an­stal­tun­gen. Unklar bleibt in den Auf­zeich­nun­gen zu den Regeln über die Ver­an­stal­tung von Tur­nie­ren neben der genau­en Orga­ni­sa­ti­on der rura­len Son­der­ex­hi­bi­tio­nen aller­dings die Kon­takt­an­bah­nung der Rei­sen­den mit ört­li­chen Sumō-Enthusiasten. Die­ses so in der Edo-Zeit eta­blier­te Sys­tem ver­schwand nicht mit dem Beginn der Meiji-Zeit, aber es gab im Lauf der Zeit wei­te­re Ver­än­de­run­gen in der Orga­ni­sa­ti­on der Sumō-Turniere und Regeländerungen.
In der Dis­kus­si­on wur­de dann die Fra­ge nach einer natio­na­len Hier­ar­chie der Sumō-Ringer gestellt. In der Vor­mo­der­ne gab es noch kein Ran­king­sys­tem, wie es heut­zu­ta­ge genutzt wird, und in dem Auf- und Abstieg mög­lich sind. Die Fra­ge danach, ob Samu­rai Rin­ger sein durf­ten, wur­de dahin­ge­hend beant­wor­tet, dass Samu­rai sich als Rin­ger betä­ti­gen durf­ten, aber dabei auf ihren hohen sozia­len Sta­tus hät­ten ver­zich­ten müs­sen, was eine Kar­rie­re als Sumō-Ringer für sie rela­tiv unat­trak­tiv mach­te. Dem Sumō-Ringen ähn­li­che Wett­be­wer­be, wie z.B. Schwert­du­el­le, gab es nicht.
Wei­ter­hin wur­de in der Dis­kus­si­on geklärt, dass die Sumō-Älteren an den Lizen­zen, die für das Aus­rich­ten von Sumō-Turnieren ver­ge­ben wur­den, ver­dien­ten, und einer der Grün­de dafür war, dass das Shog­u­nat nach und nach die Aus­übung von Sumō als Auf­füh­rungs­kunst ver­re­gel­te, dass die Regie­ren­den damit eine Grup­pe in der Bevöl­ke­rung kon­trol­lie­ren woll­ten, von denen poten­ti­ell Gewalt aus­ge­hen konnte.
Als abschlie­ßen­der Punkt wur­de dar­über dis­ku­tiert, inwie­weit eine Unter­su­chung der Struk­tu­ren, in denen Sumō in der Edo-Zeit statt­fin­den konn­te, etwas über die tat­säch­li­che Aus­übung des Sumō aus­sa­gen kann; denn die in der Arbeit genutz­ten Quel­len über Struk­tu­ren sagen nicht zwin­gend etwas über Per­for­manz aus. Es han­delt sich hier­bei um ein gene­rel­les Pro­blem bei der Erfor­schung der Popu­lär­kul­tur in der Vor­mo­der­ne, bei der Quel­len zur Struk­tur gegen­über den Quel­len über die tat­säch­li­che Auf­füh­rungs­pra­xis über­wie­gen. Sumō als popu­lä­re Unter­hal­tungs­form nimmt im Kon­text der Popu­lär­kul­tur aller­dings inso­fern eine Son­der­stel­lung ein, als dass hier nicht wie bei ande­ren For­men der Popu­lär­kul­tur das Phä­no­men vom Land in die Stadt getra­gen wur­de, son­dern sich das Sumō der Edo-Zeit in umge­kehr­ter Rich­tung von der städ­ti­schen Kul­tur in die Flä­che verbreitete.

Valen­tin Debler (Bonn): Schrift­zei­chen­va­ri­an­ten im Japan des 7. und 8. Jahrhunderts
Im zwei­ten Vor­trag befass­te sich Valen­tin Debler mit der Fra­ge, wie es um das Schrift­bild der japa­ni­schen Schrift­zei­chen in Japan in der Asuka- bzw. Nara-Zeit bestellt war. So ist man heut­zu­ta­ge dar­an gewöhnt, dass es wenigs­tens inner­halb eines der ost­asia­ti­schen Län­der nur ein bis zwei Schrift­zei­chen als Stan­dard gibt, die man für einen Begriff benutzt. Die­ser Stan­dard wird streng ein­ge­hal­ten und bereits ein Hin­zu­fü­gen oder Weg­las­sen eines Strichs wird als Feh­ler betrach­tet. Auf­grund von zahl­rei­chen Aus­gra­bun­gen his­to­ri­scher Arte­fak­te in den letz­ten 50 bis 60 Jah­ren ist es jetzt mög­lich, das Schrift­bild der Asuka- und Nara-Zeit zu unter­su­chen. Die häu­figs­ten Objek­te, auf denen Schrift zu sehen ist, sind die soge­nann­ten mok­kan (Holz­tä­fel­chen).
Durch die­se Objek­te, von denen bis­her cir­ca 55.000 durch das Nara Bun­ka­zai Kenkyūsho (For­schungs­in­sti­tut für Kul­tur­gü­ter in Nara) digi­ta­li­siert wur­den, lässt sich mehr über die Ent­wick­lung der Schrift in Japan und das damals ver­brei­te­te Schrift­bild fest­stel­len. Ganz offen­sicht­lich hat­ten die Beam­ten eine höhe­re Tole­ranz gegen­über ver­schie­de­nen Schreib­wei­sen eines Wor­tes. Die Metho­dik zur Bestim­mung der Schriftzeichen-Variation wird von Imre Galam­bos über­nom­men, der die­se anhand der chi­ne­si­schen Zei­chen zur Zeit der Strei­ten­den Rei­che (Guo­di­an Manu­skrip­te und Bünd­nis­in­schrif­ten aus Hou­ma) ent­wi­ckel­te. Die­ser Ansatz soll auf drei der fünf­zig häu­figs­ten Wör­ter auf Holz­tä­fel­chen (aus der San‘in-Region) ange­wen­det wer­den. Auf die­se Wei­se kön­nen die Über­trag­bar­keit sei­nes Ansat­zes getes­tet und, falls mög­lich, vor­kom­men­de Vari­an­ten bestimmt werden.
Die drei zu ana­ly­sie­ren­den Wör­ter sind „Pro­vinz“, „Bezirk“ und „Dorf“ und waren haupt­säch­lich auf Eti­ket­ten für Steu­er­sen­dun­gen nötig, wes­halb die drei genann­ten geo­gra­fi­schen Begrif­fe sehr häu­fig vor­ka­men. Wei­ter­hin soll der Fra­ge nach­ge­gan­gen wer­den, ob, wie in Chi­na, auch in Japan inner­halb einer ein­zi­gen Regi­on (viel­leicht selbst in einer ein­zi­gen Pro­vinz), bereits ver­schie­de­ne Vari­an­ten für die Dar­stel­lung die­ser Wör­ter genutzt wur­den, und ob es den­noch einen gewis­sen Stan­dard gege­ben haben mag. Daher wird zunächst nur eine Regi­on (San‘in-Region), von der aus Steu­ern in die Haupt­stadt geschickt wur­den, untersucht.
Ers­te Aus­wer­tun­gen erga­ben, dass es im unter­such­ten Kor­pus für das Wort „Pro­vinz“ kein Bei­spiel für die heu­ti­ge Schreib­wei­se gibt. Viel­mehr gibt es fünf Vari­an­ten, von denen drei unge­fähr gleich häu­fig waren, zwei wei­te­re Vari­an­ten hin­ge­gen sel­ten genutzt wur­den. Die am meis­ten genutz­te Vari­an­te stimmt mit der heu­te als Lang­zei­chen genutz­ten Vari­an­te über­ein (國).
In der Dis­kus­si­on wur­de dann erör­tert, wie die Beam­ten in der Haupt­stadt mit den ver­schie­de­nen Vari­an­ten umgin­gen. Dabei zeigt sich eine gewis­se Prä­fe­renz für bestimm­te Vari­an­ten in bestimm­ten Pro­vin­zen, aber die Fra­ge danach, ob es sich bei den regio­na­len Vari­an­ten viel­leicht um den­sel­ben Ver­fas­ser bei einer Vari­an­te han­deln kön­ne, kann nicht beant­wor­tet wer­den, da sich die Namen der Ver­fas­ser nicht immer auf den mok­kan fin­den. Gene­rell war die Vari­an­ten­an­zahl und die all­ge­mei­ne Tole­ranz für Anders­schrei­bun­gen in der Asuka- und Nara-Zeit rela­tiv hoch.
Bei der Fra­ge nach der Wort­aus­wahl wur­de geklärt, dass es nicht sinn­voll ist, die wirk­lich häu­figs­ten Wör­ter zu neh­men, da es sich hier­bei um vie­le All­tags­wör­ter han­delt, die zu schlicht im Auf­bau sind, als dass es vie­le Varia­ti­ons­mög­lich­kei­ten gäbe. Die für die Unter­su­chung aus­ge­wähl­ten Wör­ter sind hin­ge­gen sowohl häu­fig als auch kom­plex genug, um sinn­voll mit Vari­an­ten zu operieren.
In der Dis­kus­si­on über die Fra­ge, wel­che Rol­le Schrift­zei­chen spiel­ten, die rein für ihren Laut­wert ein­ge­setzt wur­den, wur­de dar­auf ver­wie­sen, dass dies eine ande­re Fra­ge­stel­lung sei, näm­lich nach dem Gebrauch von Schrift­zei­chen und nicht nach der Schreib­wei­se eines bestimm­ten Zei­chens. Im For­schungs­pro­jekt soll die Vari­anz der Schrift­zei­chen, nicht die Vari­anz in der Spra­che, unter­sucht werden.
Hin­ge­wie­sen wur­de dar­auf, dass die Über­set­zung „Dorf“ für sato für die Azuka- und Nara-Zeit ahis­to­risch ist, da man für die Zeit noch nicht von Dör­fern im heu­ti­gen Wort­sinn aus­ge­hen kann und des­halb die abs­trak­te Bezeich­nung „Ver­wal­tungs­ein­heit“ bes­ser sein könn­te. Auch ein Abgleich des Schrift­ge­brauchs in der Zen­tra­le mit den aus den ver­schie­de­nen Pro­vin­zen stam­men­den mok­kan wur­de vorgeschlagen.

Estel­la Green (Bochum): „West­li­cher als der Wes­ten“ — Das Japa­ni­sche Rote Kreuz (JRK) im Russisch-Japanischen Krieg 1904-05
Der Vor­trag behan­del­te die Grün­dung, die Struk­tur und das Wachs­tum des JRK, um die Fra­ge nach dem Ein­satz des JRK wäh­rend des Russisch-Japanischen Krie­ges und des­sen west­li­che Rezep­ti­on zu behan­deln. Die Grün­dung der Japa­ni­schen Rotkreuz-Gesellschaft 1887 ist in den Kon­text der Meiji-Restauration und das Bestre­ben der japa­ni­schen Regie­rung, von west­li­chen Staa­ten als zivi­li­sier­te Nati­on aner­kannt zu wer­den, ein­zu­ord­nen. Der vom JRK ver­tre­te­ne Huma­ni­ta­ris­mus ist daher als außen­po­li­ti­sche Stra­te­gie zu ver­ste­hen. Dabei wur­de Huma­ni­ta­ris­mus – anders als in der christ­lich gepräg­ten Tra­di­ti­on des Wes­tens – mit Patrio­tis­mus asso­zi­iert. Ande­re Unter­schie­de zu west­li­chen huma­ni­tä­ren Gesell­schaf­ten war die star­ke zen­tra­le Steue­rung des JRK sowie die ver­gleichs­wei­se hohen Mit­glie­der­zah­len in Japan. Schon im chinesisch-japanischen Krieg spiel­te das JRK eine wich­ti­ge Rol­le, vor allem auch beim Rück­trans­port von Ver­wun­de­ten auf Laza­rett­schif­fen. Der russisch-japanische Krieg war der ers­te Krieg des 20. Jahr­hun­derts zwi­schen Groß­mäch­ten, der dann auch noch medi­al zu ver­fol­gen war. Das japa­ni­sche Mili­tär prä­sen­tier­te sich in die­sem Krieg als ein Kriegs­teil­neh­mer, der sich ganz beson­ders an die Regeln hält, um damit zu zei­gen, dass das Land Mit­glied im Club der zivi­li­sier­ten Natio­nen war.
Der Vor­trag unter­such­te west­li­che Quel­len, die den Ein­satz des JRK im Russisch-Japanischen Krieg kom­men­tie­ren, um den Erfolg oder Miss­erfolg die­ser Stra­te­gie bewer­ten zu kön­nen. Da der Russisch-Japanische Krieg nicht nur ein wich­ti­ger inter­na­tio­na­ler Auf­tritt des japa­ni­schen Kai­ser­rei­ches war und daher für die Meiji-Regierung gro­ße außen­po­li­ti­sche Wich­tig­keit mit sich brach­te, son­dern auch als ers­ter gro­ßer Krieg des neu­en Jahr­hun­derts ein Ereig­nis welt­wei­ter Bri­sanz dar­stell­te, hat­te der Ein­satz des JRK wäh­rend die­ses Kon­flik­tes ein inter­na­tio­na­les Publi­kum. Aus den her­an­ge­zo­ge­nen Quel­len geht eine Bewun­de­rung für das JRK her­vor, wel­che west­li­che Schwes­ter­ge­sell­schaf­ten, allen vor­an das Bri­ti­sche und das US-amerikanische Rote Kreuz, dazu beweg­te, ihre eige­nen Orga­ni­sa­tio­nen anhand des japa­ni­schen Vor­bil­des zu refor­mie­ren. Da die Rotkreuz-Idee ursprüng­lich aus Euro­pa über­nom­men wor­den war, kann die­se Rück­be­ein­flus­sung als gro­ßer Erfolg im Sin­ne der Meiji-Regierung gese­hen wer­den und dient als Bei­spiel für die Rezi­pro­zi­tät trans­na­tio­na­ler Prozesse.
In der Dis­kus­si­on über die Stel­lung des JRK gegen­über dem japa­ni­schen Staat wur­de vor­ge­schla­gen, dies anhand der Unter­su­chung der Hand­lungs­spiel­räu­me zu tun, die das JRK hat­te. Auf die­sem Wege lie­ßen sich das Ver­hält­nis von Staat und JRK sowie die gegen­sei­ti­gen Abhän­gig­kei­ten näher beleuchten.
Dis­ku­tiert wur­de auch der Aspekt des frei­wil­li­gen Ein­sat­zes der JRK-Mitglieder, die, wenn geru­fen, in der Regel kei­ne Ent­schei­dungs­spiel­räu­me hat­ten. Dazu wur­de aller­dings ange­merkt, dass die Mit­glied­schaft sehr wohl frei­wil­lig war, der Ein­satz eines Mit­glieds hin­ge­gen den Zie­len der Orga­ni­sa­ti­on die­nen muss­te und des­halb nach der frei­wil­li­gen Ent­schei­dung für eine Mit­glied­schaft nicht mehr optio­nal sein konnte.
Zum Aspekt der im Vor­trag erwähn­ten Dank­bar­keit von rus­si­scher Sei­te über die Behand­lung rus­si­scher Kriegs­ge­fan­ge­ner im Russisch-Japanischen Krieg wur­de ange­zwei­felt, dass die rus­si­sche Regie­rung sich direkt der japa­ni­schen Regie­rung gegen­über erklärt habe. Dazu wur­de ange­merkt, dass es Spen­den von rus­si­scher Sei­te an das JRK gab, was mit den Regie­run­gen bei­der Sei­ten nichts zu tun hatte.

Ste­fa­nie Maja Kin­der (Mün­chen): Yana­gi Mun­ey­o­shi als Kulturvermittler
Der letz­te Vor­trag stell­te Yana­gi Mun­ey­o­shi als Kul­tur­ver­mitt­ler vor. Der japa­ni­sche Phi­lo­soph und Kunst­kri­ti­ker Yana­gi Mun­ey­o­shi (1889–1961) ist bekannt als Vater des min­gei, der japa­ni­schen Volks­kunst. Yana­gi war ein Grün­dungs­mit­glied der Shirakaba-ha (1910–1923), einer Grup­pe jun­ger japa­ni­scher Lite­ra­ten und Künst­ler, die aus­ge­wähl­te euro­päi­sche Lite­ra­tur und Kunst — durch ihre gleich­na­mi­ge Zeit­schrift Shira­ka­ba sowie Kunst­aus­stel­lun­gen — in Japan ver­mit­tel­ten. Yana­gi Mun­ey­o­shi beschäf­tig­te sich ab dem Jahr 1914 zudem ein­ge­hend mit der korea­ni­schen Volks­kunst, beson­ders mit der Kera­mik der Joseon-Zeit (1392–1910). Für sei­ne Erfor­schung und Samm­lung der korea­ni­schen Volks­kunst reis­te er ab dem Jahr 1916 meh­re­re Male nach Korea. Zusam­men mit den Brü­dern Asaka­wa Norit­a­ka (1884–1964) und Taku­mi (1891–1931) sam­mel­te er dabei unzäh­li­ge Kul­tur­gü­ter. Sei­ne For­schung ver­mit­tel­te Yana­gi in Japan unter ande­rem durch sei­ne Arti­kel in der Shirakaba.
Durch sei­ne kri­ti­schen Schrif­ten zur japa­ni­schen Kolo­ni­al­re­gie­rung, als Reak­ti­on auf die bru­ta­le Nie­der­schla­gung der Bewe­gung zum 1. März 1919 in Korea ver­fasst, kam Yana­gi in direk­ten Kon­takt mit jun­gen korea­ni­schen Stu­den­ten in Japan. Durch die­sen Aus­tausch und sein Bemü­hen, mög­lichst viel der schnell ver­schwin­den­den korea­ni­schen Kul­tur zu ret­ten, beschlos­sen Yana­gi und Asaka­wa Taku­mi im Jahr 1920, das Chō­sen Minz­o­ku Bijut­sukan (1924) in Seo­ul zu grün­den. Zwi­schen Yana­gi, sei­ner in deut­schem Gesang aus­ge­bil­de­ten Frau Kan­eko, der Shirakaba-ha, den Asakawa-Brüdern sowie sei­nen korea­ni­schen Freun­den kam es in den fol­gen­den Jah­ren durch meh­re­re Tref­fen, Vor­trä­ge und Kon­zer­te zu einem leben­di­gen Kul­tur­aus­tausch. Die­ser Aus­tausch ist ein wich­ti­ger Aspekt in Yana­gis Ver­bin­dung zu Korea und wirk­te sich auch auf die Moder­ne Kore­as ab dem Jahr 1920 aus. Beson­ders die Mit­glie­der der korea­ni­schen Lite­ra­tur­grup­pe Pyeho-pa stan­den in engem Kon­takt mit Yana­gi. Yana­gis Tätig­keit hat­te somit weit­rei­chen­den Ein­fluss in Japan und Korea, der bis heu­te anhält und in den letz­ten Jah­ren erneut Beach­tung und Bewer­tung fand.
In der Dis­kus­si­on wur­de die Fra­ge erör­tert, ob Yana­gi die korea­ni­sche Kunst im kolo­nia­len Kon­text als pri­mi­tiv gese­hen hat. Tat­säch­lich beschreibt er korea­ni­sche Kunst als „ursprünglicher“/naturverbundener, was aller­dings nicht gleich­zu­set­zen ist mit einer Klas­si­fi­zie­rung die­ser Kunst als pri­mi­tiv. Yana­gi schau­te nicht her­ab auf korea­ni­sche Kunst und Kul­tur, schau­te aller­dings auch mit einem kolo­nia­len Blick auf das Land, wodurch ein gewis­ser Pater­na­lis­mus nicht zu leug­nen ist. Das Wir­ken Yana­gis soll­te im Kon­text der Shirakaba-ha gese­hen wer­den, die stark sozia­lis­ti­sche Ten­den­zen hat­te und sich als gan­ze Grup­pe dem Anar­chis­mus ver­bun­den fühl­te sowie gegen Mili­ta­ris­mus und Krieg ein­ge­stellt war.

(Anke Sche­rer)

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38. Tref­fen im Online-Format am 03. & 04. Dezem­ber 2022:

Sobald er vor­liegt, wird der Bericht die­ser Tagung hier veröffentlicht.

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39. Tref­fen im Online-Format am 21. Okto­ber 2023:

Das 39. Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fand am 21. Okto­ber 2023 in einem Online-Format statt und wur­de von Julia Bea­trix Süße, Tino Schölz und Maik Hen­drik Sprot­te (Freie Uni­ver­si­tät Ber­lin) organisiert.

Vor­trä­ge:
Kawa­ki­ta Atsuko (Tōkyō): Die japa­ni­sche Erin­ne­rungs­land­schaft. Umgang mit nega­ti­ven Vergangenheiten
Im ers­ten Vor­trag „Die japa­ni­sche Erin­ne­rungs­land­schaft. Umgang mit nega­ti­ven Ver­gan­gen­hei­ten“ the­ma­ti­sier­te Kawa­ki­ta Atsuko die unter­schied­li­che Wahr­neh­mung von Krie­gen vor Beginn des 20. Jahr­hun­derts im Ver­gleich zu moder­nen Krie­gen, ins­be­son­de­re zum Asiatisch-Pazifischen Krieg in Japan. Dabei wur­de die Bil­dung des Bewusst­seins eines „schmut­zi­gen Kriegs“ sowie das Ver­hält­nis die­ses Bewusst­seins zur japa­ni­schen Erin­ne­rungs­kul­tur her­aus­ge­ar­bei­tet. In der Vor­kriegs­zeit wur­de Kriegs­to­ten und Kriegs­hel­den unter­schied­lich gedacht. Obwohl wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs über Hel­den­ta­ten an der japa­ni­schen Front berich­tet wur­de, herrscht über die Ver­eh­rung von Kriegs­to­ten nach 1945 kein Kon­sens. So wer­den in Bezug auf den Zwei­ten Welt­krieg kei­ne Hel­den erin­nert, und dar­über hin­aus gilt er als „schmut­zi­ger Krieg“, da das Kriegs­völ­ker­recht sys­te­ma­tisch durch Japan gebro­chen wur­de. Die­se Ver­bre­chen wur­den nach 1952 durch Zeit­zeu­gen wie ehe­ma­li­ge Sol­da­ten oder Mit­glie­der der Chi­na Retur­nees Liai­son Asso­cia­ti­on the­ma­ti­siert und bezeugt. Die­ser offe­ne Umgang wur­de ins­be­son­de­re durch die feh­len­de Straf­ver­fol­gung von Kriegs­ver­bre­chen durch japa­ni­sche Behör­den mög­lich. Obwohl jedoch die Kriegs­ver­bre­chen des Zwei­ten Welt­kriegs in Japan weit­hin bekannt sind, domi­niert im Land eine Erin­ne­rungs­kul­tur, die sich fast aus­schließ­lich auf das Leid an der Hei­mat­front bezieht und die Ereig­nis­se in Über­see weit­ge­hend ausblendet. 
Die anschlie­ßen­de Dis­kus­si­on befass­te sich mit der Fra­ge, war­um Kriegs­ver­bre­chen heu­te in Muse­en und Aus­stel­lun­gen kaum dar­ge­stellt wer­den und inwie­weit sich dies mit einem Opfer­be­wusst­sein (higai­sha ishi­ki) und Scham­ge­fühl in Japan begrün­den lässt. Eine mög­li­che Erklä­rung, war­um bei­spiels­wei­se im Frie­dens­mu­se­um Hiro­shi­ma (Hei­wa kinen shiryō­kan) die Kriegs­ver­bre­chen nicht Teil der Aus­stel­lung sind, ist die Aus­rich­tung der Muse­en auf die Frie­dens­er­hal­tung und – in die­sem kon­kre­ten Fal­le – einem Geden­ken an die Atom­bom­ben­op­fer. In die­sem Zusam­men­hang wur­de gefragt, ob man bei der For­schung in Japan auf Schwie­rig­kei­ten oder sogar Wider­stand sto­ße. Dies gebe es zwar ins­be­son­de­re bei zeit­ge­nös­si­schem mili­tä­ri­schem Mate­ri­al, auf das man nur schwer Zugriff erhiel­te, aber Anfein­dun­gen bei der For­schung sei­en sel­ten und wur­den zumin­dest sei­tens der Refe­ren­tin nicht erfah­ren. Wei­ter­hin wur­den die gemein­sam von Korea, Japan und Chi­na her­aus­ge­ge­be­nen, als ergän­zen­de Unter­richts­ma­te­ria­li­en kon­zi­pier­ten Geschichts­lehr­wer­ke dis­ku­tiert. Den Anstoß dafür habe die gemein­sa­me deutsch-polnische Schul­buch­kom­mis­si­on gege­ben. Die aktu­el­le poli­ti­sche Situa­ti­on erschwe­re zwar das Schrei­ben eines gemein­sa­men Geschichts­schul­buchs durch die drei asia­ti­schen Län­der stark, aber bereits her­aus­ge­ge­be­ne Lehr­wer­ke zei­gen, dass die Zusam­men­ar­beit zwi­schen His­to­ri­kern in Ost­asi­en wohl mög­lich und sinn­voll sei. Zuletzt wur­de der Ter­mi­nus „Krieg ohne Hel­den“ dis­ku­tiert. Für die Gegen­wart trä­fe die­ser Begriff zu, aber bis in die 1980er Jah­re wur­den Kriegs­hel­den in der japa­ni­schen Gesell­schaft durch­aus ver­ehrt. Eine auch heut­zu­ta­ge inten­siv statt­fin­den­de Dis­kus­si­on über die Hel­den­ver­eh­rung in der Öffent­lich­keit wir­ke sich auch auf die Gedenk­land­schaft aus und füh­re zu einer Spal­tung derselben.

David M. Malitz (Tōkyō): Die der­zei­ti­gen Thron­fol­ge­kri­sen in Japan und Thai­land und deren Wur­zeln in der Natio­nal­staats­bil­dung des 19. Jahrhunderts
Im nächs­ten Vor­trag „Die der­zei­ti­gen Thron­fol­ge­kri­sen in Japan und Thai­land und deren Wur­zeln in der Natio­nal­staats­bil­dung des 19. Jahr­hun­derts“ wid­me­te sich David M. Malitz den Ursa­chen der gegen­wär­ti­gen Thron­fol­ge­kri­sen in Japan und Thai­land (bis 1939 Siam). Nach einer Dar­stel­lung der aktu­el­len Thron­fol­ge­si­tua­ti­on sowie der Schil­de­rung der recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für die Thron­fol­ge in bei­den Län­dern wur­den anhand der his­to­ri­schen Ent­wick­lun­gen im 19. und frü­hen 20. Jahr­hun­dert die Ursa­chen der gegen­wär­ti­gen Kri­sen dar­ge­stellt. Drei grund­le­gen­de Gemein­sam­kei­ten bei­der Mon­ar­chien bis ins frü­he 19. Jahr­hun­dert bil­de­ten dabei den Aus­gangs­punkt für die nach­fol­gen­den Refor­men: So gab es weder fest­ge­leg­te Thron­fol­ge­re­geln noch eine Ver­wandt­schaft mit ande­ren Königs- oder Kai­ser­häu­sern, und durch die Poly­ga­mie der Herr­scher wur­den genü­gend mög­li­che Thron­fol­ger gebo­ren. Mit dem Umbruch in die Moder­ne änder­te sich dies. Mit dem „Gesetz über den kai­ser­li­chen Haus­halt“ (Kōs­hitsu ten­pan) von 1889 wur­de die Thron­fol­ge in Japan klar fest­ge­setzt. Ein ähn­li­ches Gesetz wur­de 1924 auch in Siam mit Blick auf Japan ver­ab­schie­det. Eben­so ver­hielt es sich mit dem suk­zes­si­ven Über­gang zur Mono­ga­mie. Bei­de Refor­men redu­zier­ten jedoch den thron­fol­ge­be­rech­tig­ten Nach­wuchs stark und führ­ten somit maß­geb­lich zu den aktu­el­len Thron­fol­ge­kri­sen. Auch die Kür­zung der Zahl der Neben­li­ni­en des Kai­ser­hau­ses in Japan sowie die gene­ra­ti­ons­wei­se Her­ab­stu­fung der Nach­kom­men des thai­län­di­schen Königs zu Bür­ger­li­chen nach dem Zwei­ten Welt­krieg ver­schärf­ten die­se Situa­ti­on. Ein gro­ßer Unter­schied zwi­schen dem aktu­el­len Japan und Thai­land liegt in der recht­mä­ßi­gen Thron­fol­ge, die per thai­län­di­schem Gesetz von 1974 auch durch eine Prin­zes­sin ange­tre­ten wer­den kann. In Japan ist dies nicht der Fall.
In der Dis­kus­si­on wur­de nach den Grün­den für die Wider­stän­de gegen eine Reform der japa­ni­schen Thron­fol­ge gefragt. Das Aus­schlie­ßen einer weib­li­chen Thron­fol­ge kön­ne in der nach wie vor in rech­ten bzw. kon­ser­va­ti­ven Krei­sen vor­herr­schen­den Ideo­lo­gie der unge­bro­che­nen Herr­scher­li­nie des Kai­ser­hau­ses (bans­ei ikkei) wur­zeln. Inter­es­sant ist, dass die heu­ti­gen Debat­ten denen im Japan des frü­hen 20. Jahr­hun­derts sehr ähneln. Ein wei­te­rer Grund wur­de im preu­ßi­schen Vor­bild für das „Gesetz über den kai­ser­li­chen Haus­halt“ gese­hen: In Preu­ßen gab es kein Wahl­recht für Frau­en und dies wur­de, ange­passt an die Rege­lun­gen zur Thron­fol­ge, von Japan über­nom­men. Da bei der Schaf­fung des Geset­zes euro­päi­sche Ver­fas­sungs­tex­te und Haus­ge­set­ze als Vor­bild dien­ten, sei dies durch­aus denk­bar. Auch die Unver­letz­lich­keit des Ten­nō stammt aus der euro­päi­schen Ver­fas­sungs­tra­di­ti­on und wur­de auf Japan über­tra­gen. Zuletzt wur­de auf die Fra­ge der metho­di­schen Unter­su­chung der Gemein­sam­kei­ten und Unter­schie­de zwi­schen Thai­land und Japan nach dem Zwei­ten Welt­krieg ein­ge­gan­gen. Für eine wei­ter­füh­ren­de, ver­glei­chen­de For­schung soll­ten Kri­te­ri­en fest­ge­legt wer­den, die sich ins­be­son­de­re auf die Rol­le der Mon­ar­chien für die natio­na­le Iden­ti­tät bei­der Län­der sowie die Funk­ti­on der Mon­ar­chien in bei­den Gesell­schaf­ten beziehen.

Imai Hiro­ma­sa (Fuku­o­ka): Ein klei­nes Deut­sches Reich in Japan. Deut­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne in Fukuoka/Kurume im Ers­ten Weltkrieg
Im anschlie­ßen­den Bei­trag „Ein klei­nes Deut­sches Reich in Japan. Deut­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne in Fukuoka/Kurume im Ers­ten Welt­krieg“ sprach Imai Hiro­ma­sa über das ers­te Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger Kuru­me in Fuku­o­ka, das als eines von 17 wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs errich­te­ten Lagern in Japan vor­ran­gig dazu dien­te, gefan­gen­ge­nom­me­ne deut­sche Sol­da­ten unter­zu­brin­gen. Als Lager mit den meis­ten Gefan­ge­nen und auf­grund sei­ner schlech­ten Lebens­be­din­gun­gen wur­de es auch „Japa­ni­sches KZ“ genannt. Die­ses und ande­re Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger die­ser Zeit wer­den häu­fig unter dem Aspekt der „deutsch-japanischen Freund­schaft“ unter­sucht, jedoch sei die­ser Ansatz unzu­rei­chend, um die Kon­flik­te zu ver­ste­hen, mit denen sich das japa­ni­sche Mili­tär in den Lagern kon­fron­tiert sah. Ein wich­ti­ger Ansatz bei der Unter­su­chung des Lagers ist die geo­gra­fi­sche Lage: Bei der Bela­ge­rung von Tsingtau fie­len cir­ca 1.000 japa­ni­sche Sol­da­ten, die mehr­heit­lich aus Kyūs­hū stamm­ten und dem­zu­fol­ge die deut­schen Sol­da­ten in dem in Fuku­o­ka (Kyūs­hū) gele­ge­nen Kriegs­ge­fan­gen­la­ger ten­den­zi­ell eher schlecht behan­del­ten. Der ste­ti­ge Aus­bau des Lagers trug eben­falls zum Hass gegen die Gefan­ge­nen bei. Den­noch fand ein Aus­tausch zwi­schen den deut­schen Sol­da­ten und der japa­ni­schen Bevöl­ke­rung statt, bei­spiels­wei­se durch Auf­trit­te des Kriegs­ge­fan­ge­nen­or­ches­ters. Neben dem eben genann­ten Fak­tor kann auch der Füh­rungs­eben des Lagers eine wich­ti­ge Rol­le bei der Ver­schär­fung von lager­in­ter­nen Kon­flik­ten zuge­schrie­ben wer­den. Ober­leut­nant Maza­ki Jinsa­burō (1876–1956) führ­te als Lei­ter des Lagers von Mai 1915 bis Novem­ber 1916 ein stren­ges Kontroll- und Bestra­fungs­sys­tem ein, wel­ches die Kon­flik­te zwi­schen der Füh­rungs­ebe­ne und den Gefan­ge­nen ver­schärf­te. Maza­ki befürch­te­te durch die Anwe­sen­heit von Gefan­ge­nen aus ande­ren Län­dern, wie bei­spiels­wei­se Polen, die Bil­dung eine „klei­nen Deut­schen Rei­ches“ in sei­nem Lager und ver­such­te, dem ent­ge­gen­zu­wir­ken. Zusam­men­fas­send muss bei der Erfor­schung des Lagers das kom­ple­xe Zusam­men­spiel von Impe­ria­lis­mus, Ras­sis­mus und Mili­ta­ris­mus sowie von eth­ni­schen Fra­gen inner­halb des Deut­schen Rei­ches stär­ker als bis­her beach­tet werden.
In der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on wur­de als wei­te­res Bei­spiel das Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger in Narashi­no erwähnt, wel­ches zwar eben­falls wie das Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger Ban­dō als „Vor­zei­ge­la­ger“ galt, sich aber in der Rea­li­tät ähn­li­chen Schwie­rig­kei­ten wie das Lager in Kuru­me aus­ge­setzt sah. Im Anschluss wur­de der inner­ras­sis­ti­sche Dis­kurs im Gefan­ge­nen­la­ger zwi­schen Preu­ßen und Polen dis­ku­tiert. In die­sem Zusam­men­hang wur­de die Fra­ge gestellt, ob es sich bewusst um eine Stra­te­gie der japa­ni­schen mili­tä­ri­schen Füh­rung zur Spal­tung der Deut­schen im Lager gehan­delt habe, den stren­gen Maza­ki mit der Lei­tung des Lagers zu betrau­en. Da es sich bei dem Gefan­ge­nen­la­ger in Kuru­me um das ers­te Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger in Japan han­del­te und somit auf kei­ne bestehen­de Ver­wal­tungs­er­fah­rung zurück­ge­grif­fen wer­den konn­te, wur­de dies ver­neint. Der Kon­flikt zwi­schen pol­ni­schen und deut­schen Sol­da­ten hät­te sei­nen Ursprung in euro­päi­schen eth­ni­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen. In die­sem Zusam­men­hang wer­den in der zukünf­ti­gen For­schung die vor­han­de­nen Quel­len unter dem Blick­punkt von Maza­kis Ein­stel­lung zu Preu­ßen, zum Kon­zept der Gefan­gen­schaft und zur Bestra­fung von Sol­da­ten unter­sucht. Dabei soll­ten auch die recht­li­chen Bedin­gun­gen der Bestra­fung sowie das Ver­hält­nis der Bestra­fung von japa­ni­schen und deut­schen Sol­da­ten betrach­tet werden. 

Det­lev Taran­c­zew­ski (Bonn): In schwe­rem Fahr­was­ser. Selbst­be­stim­mung und poli­ti­sche Teil­ha­be in Japans Mittelalter
Im vier­ten Vor­trag skiz­zier­te Det­lev Taran­c­zew­ski explo­ra­tiv unter dem Titel „In schwe­rem Fahr­was­ser. Selbst­be­stim­mung und poli­ti­sche Teil­ha­be in Japans Mit­tel­al­ter“ Ideen zu einer lang­fris­ti­gen Ana­ly­se zwei­er Kern­ele­men­te von Demo­kra­tie vor, näm­lich der „Selbst­be­stim­mung“ und der „poli­ti­schen Teil­ha­be“, und dis­ku­tier­te deren Bedeu­tung in der vor­mo­der­nen Geschich­te. Die Meta­pher „schwe­res Fahr­was­ser“ bezieht sich dabei auf die man­nig­fal­ti­gen Wider­stän­de gegen die Ver­wirk­li­chung der bei­den genann­ten politisch-sozialen Grund­be­dürf­nis­se der ein­zel­nen Mit­glie­der einer Gemein­schaft bzw. Gesell­schaft. Die­se Wider­stän­de erwuch­sen jedoch nicht nur aus Kon­flik­ten in der „Ver­ti­ka­len“, also zwi­schen sta­tus­mä­ßig Beherrsch­ten und Herr­schen­den, son­dern auch aus hori­zon­ta­len Kon­flik­ten, also unter Ange­hö­ri­gen der Beherrsch­ten. Im Zen­trum der Betrach­tun­gen stand die „loka­le Gesell­schaft“, die Gemein­den, Verbünde von Gemein­den oder auch Land­schaf­ten, also Kon­glo­me­ra­te aus Verbünden, umfasst. In die Unter­su­chung ein­be­zo­gen wur­den dabei nicht nur begriffs­ge­schicht­li­che Metho­den, son­dern auch sozi­al­struk­tu­rel­le, insti­tu­tio­nel­le und mentalitäts¬geschichtliche Ent­wick­lun­gen, die sich jedoch meist schwie­ri­ger erschlie­ßen las­sen. Einen wich­ti­gen Aus­gangs­punkt für die­ses Pro­jekt sind his­to­ri­sche Unter­su­chun­gen zu die­sem The­ma, ins­be­son­de­re Abhand­lun­gen zur „Demo­kra­tie“, bei­spiels­wei­se von Miura Hiroy­u­ki und Ami­no Yoshi­hi­ko. Auch der Eth­no­lo­ge Bro­nisław Mali­now­ski for­mu­lier­te einen wich­ti­gen Zugang zu die­sem Themenkomplex.
In der Dis­kus­si­on wur­de die Los­lö­sung von der Institutionen- und der damit ver­bun­de­nen Begriffs­ge­schich­te dis­ku­tiert. Statt­des­sen sei es wis­sen­schaft­lich berei­chern­der, gezielt nach sozia­len und loka­len poli­ti­schen Struk­tu­ren zu suchen und die­se als Aus­gangs­punkt für die Ana­ly­se zu neh­men. Wei­ter­hin wur­de die Suche nach neu­en Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­räu­men in der For­schung the­ma­ti­siert: Bei­spiels­wei­se erfolg­te, in Anknüp­fung an die Arbei­ten Ami­nos, in den 1990er Jah­ren eine Umdeu­tung der Edo-Zeit als feudal-absolutistische Epo­che, in der die Frei­heit des Mit­tel­al­ters ver­lo­ren gegan­gen sei. Eine gegen­sätz­li­che Mei­nung ver­trat unter ande­rem Kat­su­ma­ta Shi­zuo, der in die­ser Zeit wie­der­um die Grün­dung moder­ner gesell­schaft­li­cher und selbst­ver­wal­ten­der Struk­tu­ren sah. Einen wei­te­ren Dis­kus­si­ons­punkt bil­de­te der Ver­gleich der vor­ge­stell­ten Ideen­samm­lung mit moder­nen euro­päi­schen poli­ti­schen Theo­rien, deren Grund­la­ge der patri­ar­cha­li­sche Haus­halt dar­stellt. Dies las­se sich auch auf Japan über­tra­gen, wobei es auch eini­ge Aus­nah­men gab: In Fischer­dör­fern auf Hons­hū gab es Frau­en als Haus­halts­vor­stän­de und sie arbei­te­ten zugleich als Fische­rin­nen. Auch Ami­no habe die­se Frei­heit im weib­li­chen Geschlecht ver­kör­pert gese­hen. Zuletzt wur­de der Wan­del von Begrif­fen ab der frü­hen Meiji-Zeit the­ma­ti­siert. Die­ser deu­te auf eine Dif­fe­renz­er­fah­rung hin und zei­ge, dass bereits vor­han­de­ne Begrif­fe nicht mehr aus­reich­ten, um neue politisch-soziale Gege­ben­hei­ten zu beschrei­ben. Ein Bruch zur Edo-Zeit sei deut­lich sicht­bar, jedoch müss­ten bei der Erfor­schung der Begriffs­ge­schich­te neben geschlechts- auch schicht- und sta­tus­spe­zi­fi­sche Aus­prä­gun­gen beach­tet werden. 

Julia Bea­trix Süße (Ber­lin): Die For­mung eines ade­li­gen Habi­tus an der Gakushū-in. Eine Ana­ly­se von Lehr­plä­nen und Schul­ord­nun­gen der Jah­re 1877–1893
Julia Bea­trix Süße stell­te in ihrem Vor­trag ihre sozi­al­ge­schicht­li­che Mas­ter­ar­beit über „Die For­mung eines ade­li­gen Habi­tus an der Gakushū-in – Eine Ana­ly­se von Lehr­plä­nen und Schul­ord­nun­gen der Jah­re 1877–1893“ vor. Als wich­tigs­ter Ort der Erzie­hung der Söh­ne und Töch­ter des Adels und der Kai­ser­fa­mi­lie bis zum Ende des Zwei­ten Welt­kriegs wur­de das Augen­merk auf die Funk­ti­on und Son­der­stel­lung der Gakushū-in („Schu­le für den Adel“) gelegt, indem anhand von aus­ge­wähl­ten Lehr­plä­nen und Schul­ord­nun­gen die For­mung eines ade­li­gen Habi­tus auf­ge­zeigt wur­de. Dabei ging sie ins­be­son­de­re der Fra­ge nach, wel­che Geschlechts­spe­zi­fik bei Jun­gen und Mäd­chen zu beob­ach­ten ist und wie dadurch das ade­li­ge Selbst­ver­ständ­nis geprägt wur­de. Dafür wur­den der Sport­un­ter­richt, chi­ne­si­sche und japa­ni­sche Ein­flüs­se im Gegen­satz zu west­li­chen Ein­flüs­sen sowie aus­ge­wähl­te geschlechts­spe­zi­fi­sche Fächer und geschlechtsübergreifende Fächer als den ade­li­gen Habi­tus for­men­de Instan­zen her­aus­ge­ar­bei­tet. Über die grund­le­gen­de For­mung des Habi­tus hin­aus beton­te sie zudem die Ver­än­de­rung eines geschlechts­spe­zi­fi­schen Habi­tus im ange­ge­be­nen Zeit­raum. Dabei wur­de deut­lich, dass Jun­gen und Mäd­chen nach Eröff­nung der Schu­le im Jahr 1877 zunächst nach fast iden­ti­schen Lehr­plä­nen unter­rich­tet wur­den, sich jedoch vor allem ab Mit­te der 1880er Jah­re zeig­te, dass die Jun­gen nun pri­mär zum Ver­tei­di­ger des Lan­des sowie als „Boll­werk“ des Kai­ser­hau­ses, und die Mäd­chen gemäß des Ide­als der „guten Haus­frau, wei­sen Mut­ter“ (ryō­sai ken­bo) zur Haus­halts­füh­rung und dem Gebä­ren von Kin­dern erzo­gen wur­den. Die­se Dif­fe­ren­zie­rung wur­de durch die phy­si­sche Tren­nung des Unter­richts mit der Eröff­nung der Kazo­ku jogak­kō („Mäd­chen­schu­le für den Adel“) auf einem sepa­ra­ten Cam­pus im Jahr 1885 ver­stärkt. Den­noch fin­den sich auch zu die­ser Zeit vie­le Gemein­sam­kei­ten in den Lehr­plä­nen, bei­spiels­wei­se im Mathematik‑, Kalligraphie- und Moral­kun­de­un­ter­richt. Zur Erfor­schung des The­mas wur­de die Theo­rie des Habi­tus nach Pierre Bour­dieu (1930–2002) herangezogen.
In der Dis­kus­si­on wur­de das ade­li­ge Eli­ten­be­wusst­sein bespro­chen, wel­ches als Her­aus­bil­dung eines „Gefühls“ zwar schwie­rig nach­zu­wei­sen sei, aber von inter­view­ten ehe­ma­li­gen Schü­lern und Schü­le­rin­nen der Gakushū-in aus­führ­lich beschrie­ben wor­den sei. For­ciert wur­de die­ses Bewusst­sein haupt­säch­lich durch die Ver­ga­be von Adels­rän­gen mit der Pro­kla­ma­ti­on des kazoku-rei („Adels­ge­setz“) 1884, wonach an der Gakushū-in das Tra­gen ver­schie­den­far­bi­ger Tücher für den jewei­li­gen Rang ein­ge­führt wur­de. Neben der Erzie­hung und Bil­dung inner­halb der Schu­le für den Adel war auch die Aus­bil­dung der Jun­gen und Mäd­chen ins­be­son­de­re in den schö­nen (und tra­di­tio­nel­len) Küns­ten wie Tee­ze­re­mo­nie und Ike­ba­na sowie in west­li­chen wie japa­ni­schen Sport­ar­ten durch die Fami­lie beson­ders wich­tig. Auch dies wirk­te auf den ade­li­gen Habi­tus ein. Auch die Koedu­ka­ti­on mit nicht-adeligen Kin­dern präg­te den ade­li­gen und geschlechts­spe­zi­fi­schen Habi­tus. Dar­an anknüp­fend wur­de auch über die all­ge­mei­ne Geschlech­ter­tren­nung im Bil­dungs­we­sen und die Alpha­be­ti­sie­rung der japa­ni­schen Bevöl­ke­rung dis­ku­tiert. Zudem wur­den Nach­fra­gen zum Inhalt der Lehr­ma­te­ria­li­en gestellt, die jedoch auf­grund des ein­ge­schränk­ten Rah­mens der Mas­ter­ar­beit nur teil­wei­se beant­wor­tet wer­den konnten. 

Ali­ce Witt (Hei­del­berg): Dar­stel­lun­gen von Wider­stand im All­tag an der Hei­mat­front des Zwei­ten Welt­kriegs in Japan
Im sechs­ten Vor­trag „Dar­stel­lun­gen von Wider­stand im All­tag an der Hei­mat­front des Zwei­ten Welt­kriegs in Japan“ stell­te Ali­ce Witt ihre Mas­ter­ar­beit vor, in der sie sich mit der All­tags­ge­schich­te des Zwei­ten Welt­kriegs beschäf­tig­te. Dabei kon­zen­trier­te sie sich auf die Fra­ge, inwie­fern es For­men des Wider­stands gegen den Krieg im All­tag in der brei­ten Bevöl­ke­rung gab. Zu die­sem Zweck unter­such­te sie cir­ca 100 Zuschrif­ten von Per­so­nen an die Zei­tung Asahi shin­bun aus den Jah­ren 1986/87, in wel­chen Erleb­nis­se von Zeit­zeu­gen aus dem Zeit­raum 1937–1945 geschil­dert wer­den. Die­se Bei­trä­ge wur­den in drei ver­schie­de­ne For­men des Wider­stands ein­ge­ord­net – „lau­ten“, „lei­sen“ und „stil­len“ Wider­stand. „Lau­ter“ Wider­stand wird als akti­ver Wider­stand, der sich in direk­tem (wenn auch häu­fig anony­men) Pro­test gegen die Obrig­keit äußer­te, defi­niert. Die­se Art Wider­stand war immer mit Bestra­fung durch staat­li­che Instan­zen und meist mit poli­zei­li­cher Ver­fol­gung ver­bun­den. Der „lei­se“ Wider­stand umfasst kri­ti­sche Äuße­run­gen, etwa im engen Familien- und Freun­des­kreis. Im Gegen­satz dazu lässt sich der „stil­le“ Wider­stand ver­or­ten, der sich nur gedank­lich äußer­te. Auf­fäl­lig an der Betrach­tung der Zuschrif­ten ist die Hete­ro­ge­ni­tät, die sich unter ande­rem in unter­schied­li­chen Alters­stu­fen, beruf­li­chen Hin­ter­grün­den und sozia­ler Schicht­zu­ge­hö­rig­keit zeigt. Zudem wird zwi­schen Dar­stel­lun­gen von Wider­stand durch die Bei­trä­ger selbst und Fremd­be­schrei­bun­gen unter­schie­den: Die Selbst­dar­stel­lung ent­hält häu­fig Rela­ti­vie­run­gen und bleibt der Inter­pre­ta­ti­on durch die Leser­schaft offen, wohin­ge­gen Fremd­be­schrei­bun­gen deut­lich den Wider­stand ande­rer Per­so­nen auf­zei­gen. Gemein ist allen Bei­trä­gern, dass sie sich nicht als Opfer, son­dern als aktiv han­delnd betrachten. 
Die Dis­kus­si­on schloss sich an Ali­ce Witts Nach­be­mer­kung an, dass sie in ihrer künf­ti­gen For­schung einen grö­ße­ren Fokus auf die Defi­ni­ti­on von Wider­stand legen möch­te. Ein mög­li­cher Anknüp­fungs­punkt ist die Betrach­tung von zeit­ge­nös­si­schen Mate­ria­li­en. Auch wenn es noch kei­ne Wider­stands­ge­schich­te bezüg­lich des Zwei­ten Welt­kriegs in Japan gebe, sei die Betrach­tung von unter­schied­li­chem Quel­len­ma­te­ri­al aus den 1930er und 1940er Jah­ren sicher­lich erkennt­nis­reich. Auch Debat­ten, ob es über­haupt einen Wider­stand in Japan zu die­ser Zeit gege­ben hät­te, sei­en eine gute Grund­la­ge für eine Ver­tie­fung des The­mas. Die­se Erkennt­nis­se könn­ten wie­der­um mit den Ergeb­nis­sen aus der Mas­ter­ar­beit ver­gli­chen wer­den. Als wei­te­rer Betrach­tungs­punkt könn­ten metho­di­sche und theo­re­ti­sche Ange­bo­te der Erin­ne­rungs­for­schung, ins­be­son­de­re die Bedin­gungs­ana­ly­se, her­an­ge­zo­gen wer­den, da die Bei­trä­ge 40 Jah­re nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs ver­fasst wur­den. Zuletzt wur­de die Beein­flus­sung der Bei­trä­ger durch Wider­stands­for­men aus ande­ren Krie­gen oder inter­na­tio­na­le Bezü­ge zur Debat­te gestellt. In den unter­such­ten Bei­trä­gen wer­den kei­ne ande­ren (inter­na­tio­na­len) Bewe­gun­gen oder Wider­stän­de erwähnt, aber auch dies kann in der zukünf­ti­gen For­schung Beach­tung finden.

Jul­jan E. Bion­ti­no (Chi­ba): Ost­asi­en im neu­en Geschichts­un­ter­richt an japa­ni­schen Ober­schu­len seit 2022
Im letz­ten Vor­trag mit dem Titel „Ost­asi­en im neu­en Geschichts­un­ter­richt an japa­ni­schen Ober­schu­len seit 2022“ wid­me­te sich Jul­jan E. Bion­ti­no einer neu­en Form des Geschichts­un­ter­richts, die seit April 2022 an japa­ni­schen Ober­schu­len unter­rich­tet wird. Mit der Ein­füh­rung des ein­jäh­ri­gen Pflicht­kur­ses „Reki­shi sōgō“ ver­sucht das japa­ni­sche Bil­dungs­mi­nis­te­ri­um, den bis­her auf Aus­wen­dig­ler­nen basie­ren­den Unter­richt für Schü­ler inter­es­san­ter und gewinn­brin­gen­der zu gestal­ten. Der Kurs ver­bin­det das Fach „Japa­ni­sche Geschich­te“ (ehe­mals Nihon­shi) und das gene­rell unbe­lieb­te Fach „Welt­ge­schich­te“ (ehe­mals sekai­shi) mit­ein­an­der, beschränkt aber die Unter­richts­ma­te­ria­li­en auf die moder­ne und zeit­ge­nös­si­sche Geschich­te. Dabei steht die Schu­lung von Fähig­kei­ten wie dem his­to­ri­schen Den­ken sowie der Urteils- und Aus­drucks­kraft neben der Ver­mitt­lung von Inhal­ten durch schü­ler­zen­trier­te und fra­ge­ge­steu­er­te Metho­den im Vor­der­grund. Zudem wer­den ab dem zwei­ten Ober­schul­jahr seit April 2023 Wahl­kur­se zur Ver­tie­fung ange­bo­ten. Unter­stützt wird die Ein­füh­rung von 26 neu­en Lehr­bü­chern. Der neue Geschichts­un­ter­richt stellt jedoch nicht nur die Ler­nen­den, son­dern auch die Schu­len, Nach­hil­fe­schu­len (juku) und Lehr­kräf­te glei­cher­ma­ßen vor neue Her­aus­for­de­run­gen und Eltern vor neue Ängs­te, da sich an den Auf­nah­me­prü­fun­gen für die Uni­ver­si­tä­ten nichts ändern wird. Zudem müs­sen sich auch Uni­ver­si­tä­ten den neu­en Lehr­plä­nen stel­len und ihre all­ge­mei­ne Ein­tei­lung in die ori­en­ta­li­sche, west­li­che und japa­ni­sche Geschich­te über­den­ken. Pro­ble­ma­tisch in die­sem Kon­text ist außer­dem, dass die neu­en Geschichts­bü­cher kei­ne Auf­ar­bei­tung der his­to­ri­schen Bezie­hun­gen, ins­be­son­de­re vor und wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs, zwi­schen Korea, Chi­na und Japan beinhal­ten. Der Ansatz, japa­ni­sche Schü­ler zum „Nach­den­ken“ und „Reflek­tie­ren“ aus­zu­bil­den, stößt hier an eine Gren­ze. Auch die Tat­sa­che, dass erst ab 1945 eine glo­bal­ge­schicht­li­che Ten­denz aus­zu­ma­chen ist, stellt einen Kri­tik­punkt an der Reform dar.
In der Dis­kus­si­on wur­den haupt­säch­lich die Aus­wir­kun­gen der Umstel­lung des Geschichts­un­ter­richts auf das Cur­ri­cu­lum an den Uni­ver­si­tä­ten dis­ku­tiert. An eini­gen Hoch­schul­ein­rich­tun­gen fand bzw. fin­det die Anpas­sung des Geschichts­stu­di­ums an die neu­en Vor­ga­ben bereits statt, bei­spiels­wei­se an der Prä­fek­tur­uni­ver­si­tät Aichi (Aichi ken­rit­su dai­ga­ku), deren Geschichts­stu­di­um ab dem Früh­ling 2024 als reki­shi­ga­ku (anstatt Nihon shi­ga­ku) belegt wer­den kann. Eine Anpas­sung der über­grei­fen­den Zulas­sungs­prü­fun­gen der Uni­ver­si­tä­ten fin­det jedoch nicht statt. Die Prü­fun­gen fra­gen wei­ter­hin nur das Wis­sen ab und las­sen in ihrer Multiple-Choice-Struktur kei­nen Platz für die Anwen­dung der eige­nen Kennt­nis­se, wer­den jedoch an eini­gen Uni­ver­si­tä­ten zum Teil auf den neu­en Unter­richt an den Ober­schu­len ange­passt. Inwie­weit die Ver­än­de­rung des Geschichts­un­ter­richts eine Schwie­rig­keit für Leh­rer dar­stellt, möch­te Jul­jan E. Bion­ti­no im wei­te­ren Schritt durch Inter­views und die geziel­te Teil­nah­me am Unter­richt unter­su­chen. Ver­tie­fend könn­te auch die didak­ti­sche Ver­ein­bar­keit des Unter­richts mit neu­en Medi­en, wie bei­spiels­wei­se Video­spie­len, Man­ga und Ani­me, betrach­tet werden. 

Abschluss­dis­kus­si­on
Zum Abschluss wur­de im Ple­num dis­ku­tiert, ob die nächs­te Tagung der Initia­ti­ve erneut online oder in Prä­senz statt­fin­den soll. Dabei wur­de vor­ge­schla­gen, die Tagung im abwech­seln­den Tur­nus in Prä­senz und online aus­zu­rich­ten, und sich somit zwei Mal im Jahr zu tref­fen. Ins­be­son­de­re Teil­neh­mer, die zumeist auf­grund der geo­gra­phi­schen Distanz nicht in Prä­senz teil­neh­men kön­nen, hät­ten dadurch die Mög­lich­keit, zumin­dest ein­mal im Jahr mit dabei zu sein. Für das Online-Format sprä­che zudem, dass die Orga­ni­sa­ti­on weni­ger Auf­wand und Kos­ten erfor­dert. Jedoch sei die Teil­nah­me an Dis­kus­sio­nen ver­gleichs­wei­se nied­rig­schwel­lig, dies sei in Prä­senz anders. Eine Tagung in Prä­senz hät­te zudem den Vor­teil, Wis­sen­schaft­ler von ande­ren Lehr­stüh­len und aus ande­ren Insti­tu­ten ken­nen­zu­ler­nen und Kon­tak­te zu knüp­fen. Ins­be­son­de­re für Stu­den­ten wäre dies eine wert­vol­le Gele­gen­heit, sich mit Kom­mi­li­to­nen ande­rer Japa­no­lo­gien bzw. ande­rer Fach­be­rei­che zu ver­net­zen. Wei­ter­hin wur­de der Vor­schlag, die Tagung hybrid durch­zu­füh­ren, posi­tiv auf­ge­nom­men, jedoch wur­den Zwei­fel zur tech­ni­schen Umset­zung ange­mel­det, da hybri­de Ver­an­stal­tun­gen ein höhe­res Maß an tech­ni­scher Betreu­ung vor­aus­set­zen. Die Dis­kus­si­on um das For­mat wird bei der nächs­ten Tagung noch ein­mal aufgegriffen. 

Die nächs­te Tagung der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fin­det in Prä­senz an der Abtei­lung für Japa­no­lo­gie und Korea­nis­tik im Insti­tut für Orient- und Asi­en­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Bonn statt. Orga­ni­siert wird die Tagung von Dani­el Gerich­hau­sen und Tomo­hi­de Itō.

(Julia Süße & Tino Schölz)

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40. Tref­fen an der Uni­ver­si­tät Bonn vom 15. & 16. Juni 2024:

Das 40. Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung fand am 15. und 16. Juni 2024 in Prä­senz an der Rhei­ni­schen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn statt und wur­de von Dani­el Gerich­hau­sen und Tomo­hi­de Itō organisiert.

Vor­trä­ge:
Chris­ti­an Wer­ner (Bonn): What Can We Not Know about Hōjō Masa­ko? Pro­le­go­me­na zu einer Per­so­nen­ge­schich­te als Problemgeschichte
Im ers­ten Vor­trag der Tagung stell­te Chris­ti­an Wer­ner sein For­schungs­vor­ha­ben einer Dar­stel­lung Hōjō Masa­kos (1157–1225) in Aus­ein­an­der­set­zung mit Theo­rien „weib­li­cher Herr­schaft“ (queen­ship) und einer kri­ti­schen Refle­xi­on von For­schungs­stand und ‑geschich­te vor. Hier­mit ver­folgt er das Ziel, einen Bei­trag zum Ver­ständ­nis des Kamakura-Bakufu im Wes­ten mit trans­kul­tu­rel­ler Anschluss­fä­hig­keit zu leisten.
Der Vor­trags­ti­tel ver­weist zugleich auf die der Arbeit zugrun­de­lie­gen­de Meta­fra­ge nach der (Un-)Möglichkeit his­to­ri­scher Bio­gra­phik und spielt auf die von dem His­to­ri­ker Jef­frey P. Mass gestell­te Fra­ge „What Can We Not Know about the Kama­ku­ra Baku­fu?“ an, wobei sich Chris­ti­an Wer­ner im Gegen­satz zu Mass nicht mit der Funk­ti­ons­wei­se des Baku­fu, son­dern mit der Stel­lung, Funk­ti­on und Bewer­tung von Frau­en in mon­ar­chi­schen Herr­schafts­for­men beschäf­tigt. Das hier­bei her­an­ge­zo­ge­ne, bereits ein­gangs erwähn­te Kon­zept queen­ship wur­de von der bis­he­ri­gen For­schung noch nicht in Bezug auf Japan angewandt.
Eine ers­te Ant­wort auf die im Vor­trags­ti­tel auf­ge­wor­fe­ne Fra­ge stellt dabei bereits der Name Masa­kos dar: Die­sen erhielt sie erst im Jah­re 1218 durch den Kai­ser­hof und auch der Name „Hōjō“ stellt einen Ana­chro­nis­mus dar, da er erst spä­ter, nach Masa­kos Tod, weit­hin benutzt wurde.
Es wird ange­nom­men, dass Masa­ko, nach­dem sie nicht nur ihren Ehe­mann Mina­mo­to no Yori­to­mo, son­dern auch ihre vier Kin­der, zu denen auch der zwei­te und drit­te Shō­gun Yori­ie und Sane­to­mo gehör­ten, über­lebt hat­te, die letz­ten Jah­re bis zu ihrem Tod selbst herrsch­te, was eine Dis­kus­si­on über eine Erwei­te­rung der Herr­sch­erfol­ge aus­lös­te. Masa­kos eige­ner Tod wird in ihrer Über­lie­fe­rung und Sinn­zu­schrei­bung (his­to­ria rer­um gesta­rum) in dem ihr zuge­schrie­be­nen Titel ama shō­gun 尼将軍 als Ende einer Ära monumentalisiert.
In der sich an den Vor­trag anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on wur­de unter ande­rem bestä­tigt, dass sich Chris­ti­an Wer­ners Reinter­pre­ta­ti­on des Azu­ma Kaga­mi – eine der wich­tigs­ten Quel­len für sei­ne Arbeit – durch das Gegen­le­sen ver­schie­de­ner Text­hier­ar­chien, die er im Lau­fe des Vor­trags an für ihn rele­van­ten Ein­trä­gen exem­pli­fi­ziert hat­te, im Sin­ne des Ange­bots einer neu­en Lese­art ten­den­zi­ell auch auf das gesam­te Werk anwen­den lässt. Fer­ner wur­de die Mög­lich­keit dis­ku­tiert, ob Masa­ko nicht in der Moder­ne eine Neu­be­wer­tung, etwa in Geschichts- und Erzie­hungs­wis­sen­schaf­ten, erfah­ren haben könn­te, wo sie, im Zuge der Aus­ein­an­der­set­zung mit west­li­chen Mäch­ten, als „Quo­ten­frau“ für star­ke Frau­en­fi­gu­ren in der Geschich­te fun­giert haben könnte.

Julia Mari­ko Jaco­by (Essen): Com­mons im Wan­del. Res­sour­cen­ma­nage­ment in Japan in der Edo- und Meiji-Zeit
Im zwei­ten Vor­trag am Sams­tag stell­te Julia Mari­ko Jaco­by ihr Pro­jekt zur Wirt­schafts­form der Com­mons – der gemein­sa­men Nut­zung und Ver­wal­tung von Gebie­ten und Res­sour­cen – vor, wel­ches sie zu ihrer Habi­li­ta­ti­on aus­zu­bau­en gedenkt. Mit die­sem sucht sie das in popu­lä­ren Dar­stel­lun­gen ver­brei­tet gezeich­ne­te, idea­li­sier­te Bild der Edo-Zeit als „Öko-Gesellschaft“, wel­che erst mit dem Ein­zug der west­lich gepräg­ten Moder­ne einen Umbruch von einer nach­hal­ti­gen hin zu einer aus­beu­te­ri­schen Res­sour­cen­nut­zung erfuhr, zu wider­le­gen. Hier­zu sol­len fünf Fall­stu­di­en in longue durée die Resi­li­enz der Wirt­schafts­form der Com­mons gegen den Wan­del in Umwelt und Wirt­schaft auf­zei­gen, der sich ins­be­son­de­re in den zwei Trans­for­ma­ti­ons­pha­sen um 1700 und in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts mani­fes­tier­te. Ers­te­re war durch Wirtschafts- und Bevöl­ke­rungs­wachs­tum, die Erschlie­ßung neu­er Fel­der und einen Ein­strom neo­kon­fu­zia­ni­scher Bil­dungs­wer­ke aus Chi­na, die auf­grund der hohen Alpha­be­ti­sie­rung auch auf dem Land breit rezi­piert wur­den, geprägt. Letz­te­re bedeu­te­te Japans Ein­tritt in die Welt­wirt­schaft, der unter ande­rem mit der Indus­tria­li­sie­rung durch die Über­nah­me von Wis­sen und Tech­no­lo­gie aus dem Wes­ten ver­bun­den war.
Da es bei der Wirt­schafts­form der Com­mons in der Regel zu einer Über­la­ge­rung unter­schied­li­cher Res­sour­cen­ge­fü­ge kommt, ent­ste­hen gemäß dem Kon­zept der Affor­danz, dem­zu­fol­ge ein Gegen­stand oder Gebiet auf unter­schied­li­che, zusam­men­spie­len­de oder auch sich wider­spre­chen­de Wei­sen genutzt wer­den kann, wodurch Kon­flikt­po­ten­zi­al ent­steht, Res­sour­cen­kon­flik­te, in denen das Manage­ment neu aus­ge­han­delt wird. In die­se kön­nen neben den Com­mon­ers – den betei­lig­ten Nut­zern der Com­mons – selbst, auch ande­re Akteu­re wie das Shōg­u­nat oder Tem­pel und Schrei­ne ein­ge­bun­den sein. Eini­gun­gen wur­den meist durch einen Aus­tausch von Rech­ten gegen Dienst­leis­tun­gen erzielt. Die­se Res­sour­cen­kon­flik­te ste­hen im Zen­trum der Ana­ly­se, wobei sich kon­kre­te Fra­gen zum einen auf die Stra­te­gien, mit­hil­fe derer die Com­mon­ers durch die­se bei­den Trans­for­ma­ti­ons­pha­sen navi­gier­ten, und zum ande­ren auf die Rol­le des sich wan­deln­den Wis­sens zu wirt­schaft­li­chen und öko­lo­gi­schen Zusam­men­hän­gen in die­sen Kon­flik­ten richten.
In der Dis­kus­si­on wur­de unter ande­rem auf die Rol­le der Genos­sen­schaf­ten hin­ge­wie­sen, wel­che sich im Kon­text der Res­sour­cen­kon­flik­te nicht sel­ten als hart­nä­cki­ger, wenn nicht gar unum­geh­ba­rer Fak­tor erwie­sen. Als ver­an­schau­li­chen­des Bei­spiel wur­de ein Kon­flikt um die Res­sour­cen­nut­zung eines Flus­ses in der Nähe Kyō­tos ange­führt. Die­se hät­te zwar mit moder­nen Tech­ni­ken effek­ti­ver gestal­tet wer­den kön­nen, doch da unklar war, inwie­weit dabei die Räu­me klei­ne­rer Akteu­re berück­sich­tigt wür­den, wur­de die Nut­zung moder­ner Tech­ni­ken unter­bun­den. Fer­ner wur­de gefragt, ob die neu über­nom­me­ne Tech­no­lo­gie auch als Res­sour­ce betrach­tet wur­de, wel­ches Kon­zept von Res­sour­cen die Com­mon­ers hat­ten, und ob sich die­ses Kon­zept im Lau­fe der zwei Trans­for­ma­ti­ons­pha­sen änderte.

Ben­ja­min Schmidt (Bonn): Kon­flikt­lö­sung in der länd­li­chen Gesell­schaft im Über­gang zur Frü­hen Neu­zeit. For­schungs­vor­ha­ben einer mikro­his­to­ri­schen Unter­su­chung des Dor­fes Ōso­ne im 17. Jahrhundert
Im drit­ten Vor­trag am Sams­tag stell­te Ben­ja­min Schmidt das For­schungs­vor­ha­ben im Rah­men sei­ner Mas­ter­ar­beit zur Kon­flikt­lö­sung in der länd­li­chen Gesell­schaft im Über­gang zur Frü­hen Neu­zeit vor. Damit fügt sich sein Vor­ha­ben in die unter ande­rem von Fuji­ki Hisa­shi aus­ge­hen­de Über­gangs­zeit­for­schung ein, wel­che eine Gegen­be­we­gung zu einer schar­fen Tren­nung durch Epo­chen­gren­zen dar­stellt. Da das hier auf­ge­wor­fe­ne Pro­blem­feld der loka­len Kon­flikt­lö­sung im Über­gang zur frü­hen Neu­zeit zwar bereits gut, aber noch nicht erschöp­fend behan­delt wur­de, sol­len drei, bis­her noch unzu­rei­chend bear­bei­te­te Ansatz­punk­te für wei­te­re For­schung durch Ben­ja­min Schmidts Arbeit abge­deckt wer­den. So lenkt er durch eine mikro­his­to­ri­sche Unter­su­chung des im Nor­den der Kantō-Region lie­gen­den Dor­fes Ōso­ne (heu­te Teil von Tsu­ku­ba in der Prä­fek­tur Iba­ra­ki) den Blick auf eine Regi­on außer­halb Zen­tral­ja­pans und auf die Ent­wick­lun­gen der spä­ten Über­gangs­zeit im 17. Jahr­hun­dert. Um dabei die Viel­falt an Insti­tu­tio­nen und Prak­ti­ken loka­ler Kon­flikt­re­gu­lie­run­gen, die nicht immer klar getrennt wer­den kön­nen, zu berück­sich­ti­gen, greift er auf das Kon­zept der „Infra­jus­tiz“ zurück. 
Bedeu­ten­de Quel­len, vor­nehm­lich der dörf­li­chen, aber auch der obrig­keit­li­chen Ver­wal­tung, stel­len Doku­men­te der Fami­lie Nemo­to dar, wel­che in der Edo-Zeit eine lei­ten­de Funk­ti­on inne­hat­te. Die hier beschrie­be­nen Kon­flik­te kate­go­ri­siert Ben­ja­min Schmidt nach Kon­flikt­ar­ten und ‑gegen­stän­den in Kon­flik­te zwi­schen der Obrig­keit und den Dorf­be­woh­nern, inner‑, über- und zwi­schen­dörf­li­che Kon­flik­te. Ein Bei­spiel für die letzt­ge­nann­te Kate­go­rie stellt ein Kon­flikt, der zwi­schen den Dör­fern Ōso­ne, Ōda und des­sen Zweig­dorf Ōta aus­ge­han­delt wur­de, dar. Die dabei ersicht­lich wer­den­de Rol­le der Nach­bar­dör­fer bei der Betei­li­gung an Kon­flik­ten wur­de bereits von Fuji­ki Hisa­shi her­vor­ge­ho­ben. Aus­lö­ser des Kon­flikts war die unzu­läs­si­ge Res­sour­cen­nut­zung durch einen Dorf­be­woh­ner Ōtas, der nach sei­ner Ver­haf­tung durch einen Wäch­ter aus Ōso­ne dem Ter­ri­to­ri­al­herrn gemel­det zu wer­den droh­te. Dar­auf­hin such­ten die Dorf­be­woh­ner in einem Tem­pel in Ōda Schutz, was eine weit­ver­brei­te­te Pra­xis bei länd­li­chen Kon­flik­ten dar­stell­te. Dank der durch den Tem­pel erbe­te­nen Ver­mitt­lung des Dorf­vor­ste­hers von Ōda konn­te letzt­lich eine inter­ne Eini­gung erzielt werden. 
In der Dis­kus­si­on wur­de in Anknüp­fung an die­ses Bei­spiel bemerkt, dass der Täter eigent­lich von den Obrig­kei­ten geschützt wur­de, da die­se dafür sorg­ten, dass sein Ver­ge­hen nicht gemel­det wur­de. Obwohl die Bezie­hung Ōdas zu Ōta als des­sen Zweig­dorf für Span­nun­gen sorg­te, wur­de es durch die Media­ti­on des Tem­pels mög­lich, dass Ōda hier den­noch als Stamm­dorf sei­ne Schutz­funk­ti­on ein­nahm. Fer­ner wur­de ange­merkt, dass es inter­es­sant sein könn­te, über die Kate­go­ri­sie­rung von Kon­flikt­ar­ten und ‑gegen­stän­den hin­aus ein­zel­ne Eska­la­ti­ons­stu­fen, zuzüg­lich der jeweils erfor­der­li­chen Maß­nah­men, zu analysieren. 

Anke Sche­rer (Bochum): Ton­den­hei. Die Erfin­dung des japa­ni­schen Pioniers
Den letz­ten Pro­gramm­punkt am Sams­tag bil­de­te der Vor­trag Anke Sche­rers zur Ent­wick­lung und Bedeu­tung der soge­nann­ten ton­den­hei – Wehr­bau­ern, die wäh­rend der Meiji-Zeit eine zen­tra­le Rol­le in der Besied­lung und Erschlie­ßung Hok­kai­dōs spiel­ten. Die­se Wehr­bau­ern wur­den ein­ge­setzt, um die nörd­li­chen Gebie­te Japans zu kul­ti­vie­ren und zu ver­tei­di­gen, was sie in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung zu einem neu­en Typus von japa­ni­schen Hel­den mach­te, der beson­ders in der impe­ria­lis­ti­schen Pha­se Japans mäch­tig wur­de und die Vor­stel­lun­gen von der Expan­si­on Japans, ins­be­son­de­re in die Man­dschu­rei in den 1930er Jah­ren, prägte.
Der Wan­del in der Wahr­neh­mung und Ver­wal­tung der Lan­des­gren­zen infol­ge der Öff­nung Japans Mit­te des 19. Jahr­hun­derts schuf die Grund­la­ge für die Ent­ste­hung des von Kur­o­da Kiyo­ta­ka initi­ier­ten tondenhei-Systems. Die­ses soll­te zusätz­lich zur Kom­bi­na­ti­on mili­tä­ri­scher und land­wirt­schaft­li­cher Auf­ga­ben auch sozia­le Pro­ble­me ent­schär­fen, indem es ehe­ma­li­gen Samu­rai eine neue Lebens­grund­la­ge bot. Da vie­le Samu­rai jedoch fürch­te­ten, ihren pri­vi­le­gier­ten Sta­tus zu ver­lie­ren, war die Umsied­lung oft erzwun­gen und stieß auf wenig Begeis­te­rung. Zudem führ­te die man­geln­de Erfah­rung der Sied­ler, gera­de ange­sichts der schwie­ri­gen kli­ma­ti­schen Bedin­gun­gen auf Hok­kai­dō, dazu, dass die im Pro­gramm gesetz­ten Zie­le trotz staat­li­cher Unter­stüt­zung oft nicht erreicht wur­den. So mach­ten die ton­den­hei bis 1904 ledig­lich 3,5% der Gesamt­be­völ­ke­rung Hok­kai­dōs aus und ihr Bei­trag sowohl zur wirt­schaft­li­chen und land­wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung als auch zur Ver­tei­di­gung gegen eine rus­si­sche Inva­si­on war mar­gi­nal. Statt­des­sen erfolg­te die tat­säch­li­che Besied­lung Hok­kai­dōs über­wie­gend durch pri­va­te Sied­lungs­ge­mein­schaf­ten. Neben Sträf­lin­gen aus einem auf Hok­kai­dō errich­te­ten Gefäng­nis­sys­tem waren es die­se nor­ma­len Sied­ler, wel­che die Infra­struk­tur auf­bau­ten und die land­wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung der Insel vorantrieben.
Die Rea­li­tät des gerin­gen mate­ri­el­len Erfolgs und Ein­flus­ses des Pro­gramms steht in star­ker Dis­kre­panz zur gro­ßen ideo­lo­gi­schen Bedeu­tung der ton­den­hei. Sie wur­den im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis Japans als heroi­sche, grenz­über­schrei­ten­de Pio­nie­re ver­ewigt, die den „Fron­tier Spi­rit“ ver­kör­per­ten. Die­se Bedeu­tung spie­gelt sich etwa in dem „Dekret für ton­den­hei und ihre Fami­li­en“ von 1890 wider, das mora­li­sche und mili­tä­ri­sche Ver­hal­tens­re­geln fest­leg­te, aber auch in der fort­wäh­ren­den Pfle­ge ihres Erbes durch Muse­en und His­to­ri­ke­rin­nen und Historiker. 
In der an den Vor­trag anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on kam unter ande­rem die Fra­ge auf, ob es bevor­zug­te Her­kunfts­ge­gen­den für die Auf­nah­me in das tondenhei-Programm gab. Anfangs wur­den bevor­zugt Men­schen aus der Tōhoku-Region auf­ge­nom­men, da man die­sen bereits Erfah­run­gen mit einem ähn­lich rau­en Kli­ma wie auf Hok­kai­dō unter­stell­te. Die schlech­te Annah­me des Pro­gramms führ­te aber nicht sel­ten dazu, dass ein­fach jeder, der sich für das Pro­gramm mel­de­te, unab­hän­gig von geo­gra­fi­scher oder stan­des­mä­ßi­ger Her­kunft in das Pro­gramm auf­ge­nom­men wur­de. Wei­ter­hin wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es rele­vant sein könn­te, auch die Fra­ge, wie die ton­den­hei in der Popu­lär­kul­tur, dem Medi­en­sys­tem und der Lite­ra­tur dar­ge­stellt und behan­delt wur­den, in die Ana­ly­se einzubeziehen.

Chris­toph Völ­ker (Mün­chen): Rei­sen als kul­tu­rel­le Erfah­rung. Oka­ku­ra Kaku­zō und sei­ne Euro­pa­rei­se von 1887
Im ers­ten Vor­trag am Sonn­tag stell­te Chris­toph Völ­ker sei­ne For­schungs­ar­beit zu Oka­ku­ra Kaku­zōs Euro­pa­rei­se im Jahr 1887 vor. Die­se stell­te eine staat­li­che Gesandt­schafts­rei­se im Auf­trag des japa­ni­schen Kul­tus­mi­nis­te­ri­ums dar. Da es sich dabei um die ers­te Aus­lands­rei­se von Oka­ku­ra han­del­te, kam ihr eine beson­de­re Bedeu­tung für sein Den­ken und Werk zu, wel­ches sich durch­weg kul­tu­rel­len Fra­gen wid­me­te. Oka­ku­ras Auf­trag sah vor, unter ande­rem durch die Besich­ti­gung von Kunst­mu­se­en, Aka­de­mien und wei­te­ren Insti­tu­tio­nen Infor­ma­tio­nen im Hin­blick auf die Fra­ge zu sam­meln, wie man die Kunst in Japan moder­ni­sie­ren sol­le. Dafür begut­ach­te­te er auch zahl­rei­che Wer­ke der euro­päi­schen Kunst und for­mu­lier­te schließ­lich eige­ne kunst­theo­re­ti­sche Über­le­gun­gen. Über sei­ne beruf­li­chen Ver­pflich­tun­gen hin­aus gelang es Oka­ku­ra, sich aus eige­nem Inter­es­se mit der Kunst und Kul­tur der von ihm bereis­ten Län­der zu beschäf­ti­gen und per­sön­li­che Kon­tak­te zu knüp­fen, was sein Euro­pa­bild stark beeinflusste.
Durch die Unter­su­chung der Rei­se als kul­tu­rel­le Erfah­rung ver­folgt Chris­toph Völ­ker das Ziel, eine neue Per­spek­ti­ve auf die Per­son Oka­ku­ra und sei­ne Rei­se zu ermög­li­chen. Dabei rich­tet sich sein Inter­es­se ins­be­son­de­re auf die Fra­ge nach der Art und Wei­se, wie Oka­ku­ra Kul­tur erleb­te und wie er die­se zu ver­ste­hen ver­such­te. Exem­pla­ri­sche Aus­schnit­te aus Oka­ku­ras Rei­se­ta­ge­buch und sei­nen Brie­fen zei­gen, dass er sich Frem­des inten­siv und selbst­stän­dig, etwa durch den Bezug zur eige­nen Kul­tur, erschlos­sen hat. 
Im Anschluss an den Vor­trag ent­spann sich unter ande­rem eine Dis­kus­si­on über die Tren­nung von Oka­ku­ras offi­zi­el­ler und pri­va­ter Beschäf­ti­gung mit Kul­tur wäh­rend der Rei­se. Auch kam die Fra­ge auf, ob Oka­ku­ra auf sei­ner Rei­se den Japo­nis­mus wahr­nahm und ob er die­sen ablehn­te. Zumin­dest Ers­te­res wird zwar ange­sichts der Zeit, zu der Oka­ku­ra Euro­pa bereis­te, mit Sicher­heit der Fall gewe­sen sein, jedoch beschrän­ken sich Oka­ku­ras schrift­lich fest­ge­hal­te­ne Äuße­run­gen dies­be­züg­lich nur auf kür­ze­re Bemer­kun­gen zur euro­päi­schen Mode.

Chan­tal Weber (Köln): Anna Ber­li­ner. Bio­gra­phie im Span­nungs­feld der deutsch-japanischen Bezie­hun­gen von 1914–1934
Als zwei­ten Pro­gramm­punkt am Sonn­tag stell­te Chan­tal Weber ihr aktu­el­les For­schungs­pro­jekt, die Rekon­struk­ti­on der Bio­gra­phie von Anna Ber­li­ner (1888–1977), vor, wel­che von der bis­he­ri­gen For­schung nur in Tei­len bear­bei­tet wur­de. Als zwei Leit­fra­gen fun­gie­ren dabei Ber­li­ners aka­de­mi­sche Stel­lung und ihre Iden­ti­tät als jüdi­sche Frau. 
Bedingt durch welt­his­to­ri­sche Ereig­nis­se war Anna Ber­li­ner immer wie­der dazu gezwun­gen, ihren Wohn­ort zu wech­seln – häu­fig über natio­na­le und kon­ti­nen­ta­le Gren­zen hin­weg. Eine ers­te Ver­bin­dung zu Japan stell­te Wil­helm Wundt dar, wel­cher sich mit Japan beschäf­tig­te und als Zweit­gut­ach­ter ihrer 1913 ein­ge­reich­ten Pro­mo­ti­on im Fach Psy­cho­lo­gie fun­gier­te. Im sel­ben Jahr trat sie ihren ers­ten Japan-Aufenthalt (1913–1915) an, wor­an sich nach fünf Jah­ren, wel­che sie in den USA ver­brach­te, ein zwei­ter Auf­ent­halt (1920–1925) anschloss. Über­schnei­dun­gen von Per­so­nen­krei­sen legen hier nahe, dass ihr wahr­schein­lich ins­be­son­de­re die Freund­schaft zu Nit­obe Ina­zō meh­re­re Kon­tak­te zur intel­lek­tu­el­len und aka­de­mi­schen Gesell­schaft der Taishō-Zeit eröff­ne­te, wel­che ihr zu den viel­fäl­ti­gen und pro­mi­nen­ten Stel­len ver­hal­fen, die sie wäh­rend ihres zwei­ten Japan­auf­ent­hal­tes beklei­de­te. In die­ser Zeit erlern­te sie auch den Tee-Weg, über wel­chen sie im Jahr 1930 das ers­te deutsch­spra­chi­ge Buch ver­öf­fent­lich­te. Nach ihrer Rück­kehr nach Deutsch­land im Jahr 1925 eröff­ne­te sie gemein­sam mit ihrem Mann die OAG-Geschäftsstelle in Leip­zig, wo sie ab dem Jahr 1929 bis zur Ver­le­gung der Geschäfts­stel­le nach Ham­burg im Jahr 1934 als offi­zi­el­le Reprä­sen­tan­tin fun­gier­te. Der Holo­caust, in des­sen Zuge unter ande­rem ihre Mut­ter und ihre jün­ge­re Schwes­ter depor­tiert und ermor­det wur­den, zwang sie im Jahr 1938 ein letz­tes Mal ihren Wohn­ort zu wech­seln und in die USA zu gehen, wo sie 1977 ermor­det wurde.
Schwie­rig­kei­ten bei der Rekon­struk­ti­on sind unter ande­rem dem Umstand geschul­det, dass Ber­li­ner kei­ne eige­nen Lebens­be­schrei­bun­gen hin­ter­las­sen hat und ihre Besitz­tü­mer in Deutsch­land von der Gesta­po beschlag­nahmt wur­den. Daher beschrän­ken sich ver­füg­ba­re Quel­len bis­her über­wie­gend auf das weni­ge vor­han­de­ne Archiv­ma­te­ri­al der Paci­fic Uni­ver­si­ty in Ore­gon, wo sie zuletzt (1949–1962) als Pro­fes­so­rin arbei­te­te, sowie auf Doku­men­te über und von drit­ten Personen. 
Die von Chan­tal Weber geäu­ßer­te Hoff­nung, über das Trautz-Archiv der Uni­ver­si­tät Bonn even­tu­ell auf wei­te­re rele­van­te Quel­len zu sto­ßen, konn­te im Anschluss an den Vor­trag durch viel­ver­spre­chen­de Hin­wei­se von Sei­ten meh­re­rer in das For­schungs­pro­jekt invol­vier­ter Per­so­nen aus dem Audi­to­ri­um gestärkt wer­den. Fer­ner kam die Fra­ge auf, war­um Ber­li­ner nach ihrer Rück­kehr nach Deutsch­land aus­ge­rech­net nach Leip­zig gekom­men sei. Denk­ba­re Grün­de wären hier, dass Leip­zig zu jener Zeit einen wirt­schaft­lich inter­es­san­ten Stand­ort dar­stell­te, an dem sie zudem bereits wäh­rend ihrer Stu­di­en­zeit gewohnt hatte.

Micha­el Albert (Bonn): Zwi­schen Diplo­ma­tie und Welt­re­vo­lu­ti­on. Der „Lenin“-Zwischenfall als Spie­gel der frü­hen japanisch-sowjetischen Bezie­hun­gen
Im letz­ten Vor­trag der Tagung stell­te Micha­el Albert sein For­schungs­pro­jekt vor, in wel­chem er das Zustan­de­kom­men und die Aus­wir­kun­gen des soge­nann­ten „Lenin“-Zwischenfalls unter­sucht. Die in Reak­ti­on auf das Gro­ße Kantō-Erdbeben ver­an­lass­ten Hilfs­maß­nah­men der Sowjet­uni­on umfass­ten neben Spen­den­samm­lun­gen auch die Ent­sen­dung des mit Hilfs­gü­tern bela­de­nen Damp­fers „Lenin“. Nach­dem die­ser am 12. Sep­tem­ber 1923 in Yoko­ha­ma ange­kom­men war, schür­te das pro­vo­kan­te Ver­hal­ten der Schiffs­crew auf japa­ni­scher Sei­te die bereits im Vor­feld durch Gerüch­te ver­brei­te­te Furcht vor kom­mu­nis­ti­scher Pro­pa­gan­da, wes­halb der Damp­fer schließ­lich ein Ent­la­de­ver­bot erhielt und unver­rich­te­ter Din­ge zurück­keh­ren muss­te. Die­se Ent­wick­lung kam für die sowje­ti­sche Regie­rung voll­kom­men uner­war­tet und lös­te auf Sei­ten bei­der Staa­ten die Sor­ge vor einer Zer­stö­rung der bis­he­ri­gen Fort­schrit­te in der Wie­der­auf­nah­me diplo­ma­ti­scher Bezie­hun­gen aus, die sich letzt­lich jedoch nicht bewahrheitete.
Die für den Zwi­schen­fall maß­geb­lich ver­ant­wort­li­che Fehl­kom­mu­ni­ka­ti­on ist dabei aber nicht erst auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne, son­dern bereits inner­halb der Sowjet­uni­on zu ver­or­ten. Die­se befand sich in einem inne­ren Wider­spruch zwi­schen dem Ziel einer Welt­re­vo­lu­ti­on und der Not­wen­dig­keit, nor­ma­le diplo­ma­ti­sche Bezie­hun­gen mit kapi­ta­lis­ti­schen Staa­ten zu unter­hal­ten. Auch Japan befand sich in einem Dilem­ma zwi­schen den wirt­schaft­li­chen Vor­tei­len einer diplo­ma­ti­schen Part­ner­schaft mit der Sowjet­uni­on und einer kon­se­quen­ten Ableh­nung des Kom­mu­nis­mus. Da die Hilfs­mis­si­on der „Lenin“ auch als Bei­trag zur erst kurz zuvor begon­ne­nen diplo­ma­ti­schen Annä­he­rung an Japan kon­zi­piert und dem­entspre­chend als von der sowje­ti­schen Regie­rung aus­ge­hend ange­kün­digt wor­den war, konn­te in die­sem Fall nicht auf die bezüg­lich sol­cher Kon­flik­te bewähr­te Ver­fah­rens­wei­se einer Aus­la­ge­rung poten­zi­ell heik­ler inter­na­tio­na­ler Aktio­nen auf die Kom­in­tern zurück­ge­grif­fen wer­den, was den „Lenin“-Zwischenfall zu einer typi­schen Aus­nah­me macht. 
In der Dis­kus­si­ons­run­de wur­de im Hin­blick auf den Vor­trags­ti­tel dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es sich bei Diplo­ma­tie eher um ein Mit­tel, bei der Welt­re­vo­lu­ti­on aller­dings eher um einen Zweck han­delt. Dar­auf beruht der Vor­schlag, statt­des­sen von einem diplo­ma­ti­schen und einem welt­re­vo­lu­tio­nä­ren Ansatz zu spre­chen. Auch wur­de die Bedeu­tung der pro­ble­ma­ti­schen wirt­schaft­li­chen Situa­ti­on, in wel­cher sich die Sowjet­uni­on zur Zeit des Zwi­schen­falls infol­ge des Bür­ger­kriegs selbst befand, dis­ku­tiert. Die Bedeu­tung der Tat­sa­che, dass die Sowjet­uni­on den­noch Hilfs­maß­nah­men ergriff, muss­te jedoch teil­wei­se rela­ti­viert wer­den, da die ent­spre­chen­den Res­sour­cen in der Sowjet­uni­on nicht knapp waren. Durch­aus denk­bar ist aller­dings, dass auch wirt­schaft­li­che Fak­to­ren dazu bei­getra­gen haben könn­ten, den Zwi­schen­fall eher her­un­ter­zu­spie­len als aufzubauschen. 

(Vien­na Lynn Baginski)

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